24. Das Abkommen

Steve hatte gerade mal eine Nacht bei Stellas Eltern verbracht, als er davon erfuhr, dass es Peggy inzwischen deutlich schlechter ging.

Aus diesem Grund hatte er seine Sachen gepackt und war sofort nach Washington aufgebrochen, um die Liebe seines Lebens noch einmal zu besuchen. Doch er wurde bereits an der Haustür abgewiesen. Ihre Pflegerin richtete ihm aus, dass Peggy ihn nicht mehr sehen will. Sie wollte nicht, dass er sie in ihrem Zustand sieht. Stattdessen sollte er sie so in Erinnerung behalten, wie er sie kannte, und sein Leben weiter leben.

Als er unverrichteter Dinge wieder in das Avengers Hauptquartier zurückgekehrt war, rief er Stella von seinem Zimmer aus an.

Sie klang so freundlich wie immer und sie hörte ihm bereitwillig zu, als er ihr von Peggy erzählte.

Er ertappte sich dabei, dass er schon einen recht langen Monolog gehalten hatte, ohne nach Stellas Befinden zu fragen. Gerade als er dies nachholen wollte, guckte Natasha durch die Tür und sagte: „Ich muss dich leider unterbrechen, aber du wirst gebraucht. Wir müssen nach Lagos aufbrechen."

Steve seufzte und nickte Natasha zu.

„Hör zu, wir müssen unser Gespräch später fortsetzen", entschuldigte er sich bei Stella.

„Das ist in Ordnung. Pass auf dich auf, okay?"

„Mache ich. Ich rufe dich an, sobald ich kann."

Die Avengers flogen gemeinsam nach Lagos und es gelang ihnen schon bald, ihre Zielperson ausfindig zu machen. Der Supersöldner Crossbones war im Begriff die Probe einer biologischen Waffe zu stehlen und als er merkte, dass die Avengers ihm auf den Fersen waren, versuchte er in der Menschenmenge auf einem Marktplatz unterzutauchen.

Steve holte ihn ein und konnte in einem direkten Kampf mit ihm die Oberhand gewinnen. Crossbones wollte sich ihm jedoch nicht ausliefern. Es gelang ihm, Steve für einen Moment abzulenken und er nutze den, um einen Sprengsatz zu aktivieren, der in seiner Kampfweste versteckt war.

Wanda hatte dies beobachtet und mit Hilfe ihrer telekinetischen Fähigkeiten versuchte sie, Crossbones und den Sprengsatz von der Menschenmenge wegzubewegen.

Dadurch traf die Explosion jedoch ein Hochhaus und Wanda beobachtete schockiert, dass ihr Versuch zu helfen, verheerende Folgen hatte.

Gemeinsam versuchten die Avengers die Situation zu entschärfen und so viele Opfer wie möglich aus den Trümmern zu bergen.

Als sie endlich auf dem Rückweg ins Hauptquartier waren, herrschte betretenes Schweigen.

An den folgenden Tagen versuchten alle, soweit es ging, wieder ihren geplanten Tätigkeiten nachzugehen. Wanda verbrachte die meiste Zeit zurückgezogen in ihrem Zimmer.

Steve fiel wieder ein, dass Stella ihm geraten hatte, sich um seine Teammitglieder zu kümmern. Sie hatte dabei auf so eine Situation angespielt, wie Wanda sie wohl gerade durchmachte.

Hatte Stella wirklich nur die wage Vermutung, dass irgendetwas passieren könnte, oder hat sie mehr gewusst? Hätte das verhindert werden können, wenn Stella nur mal offen mit mir reden würde? Er wollte nicht wütend auf seine Freundin sein, doch der Gedanke daran, dass weitere Informationen hilfreich gewesen wären, ließ Ärger in ihm hochsteigen. Dass er sich auf dem Fernseher in seinem Büro gerade eine der zahlreichen Nachrichtensendungen ansah, die von dem Vorfall in Lagos berichteten, half nicht dabei. In einer Pressekonferenz beschuldigte der König von Wakanda die Avengers nun, gleichgültig gegenüber den Unschuldigen zu sein. Elf der Opfer stammten aus dessen Land.

Aber du bist selbst schuld, dass sie dir nicht mehr vertraut. Du hättest ihr Tagebuch nicht ungefragt lesen dürfen, dachte Steve weiter. Das ist nicht der Weg, wie ich sie dazu bringen kann, sich mir zu öffnen. Doch was kann ich tun? Sie hat auf jeden Fall recht damit, dass ich mich um Wanda kümmern sollte, überlegte er weiter, bevor er aufstand.

Vorsichtig ging er durch Wandas geöffnete Zimmertür und sah, dass die junge Frau sich gerade ebenfalls den Nachrichtenkanal ansah. Er nahm die Fernbedienung, schaltete das Gerät ab und lehnte sich an den Türrahmen.

„Das ist meine Schuld", sagte Wanda leise und sah ihn aus dem Augenwinkel an. „Schalt wieder ein. Die äußern sich sehr deutlich."

"Ich hätte die Bombenweste sehen müssen, bevor du eingreifen musstest. Rumlow sagte >>Bucky<<, schon war ich wieder der 16-jährige Junge aus Brooklyn", sagte Steve und setzte sich neben Wanda auf die Bettkante. „Menschen sind gestorben", fügte er leise hinzu. „Es ist meine Schuld."

„Wir sind beide Schuld", erkannte Wanda.

„Dieser Job ...", dachte Steve laut nach. „... Wir versuchen, so viele Menschen wie möglich zu retten. Manchmal sind das leider nicht alle. Aber wenn wir uns damit nicht abfinden, wird nächstes Mal vielleicht niemand gerettet werden."

Er hörte ein Rauschen neben sich und Vision trat durch die Wand hindurch ins Zimmer.

„Vision, wir haben das doch besprochen!", protestierte Wanda.

Vision guckte unschuldig und zeigte auf die Tür: „Ja, aber die Tür war offen, da nahm ich an, das wäre in Ordnung" Er senkte den Arm und sprach nun Steve an. „Captain Rogers wünschte zu erfahren, wenn Mr. Stark eintrifft."

„Danke. Wir kommen gleich."

Vision nickte und sagte: „Ich benutze die Tür". Er ging auf die Tür zu und drehte sich kurz vorher noch einmal um. „Oh, und offenbar begleitet ihn ein Gast."

„Kennen wir ihn?"

„Der Außenminister", antwortete Vision.

Nachdem Wanda und Steve ihm kurz hinterhergesehen hatten, folgten sie ihm in den Besprechungsraum.

Im Besprechungsraum stellte sich der Außenminister Thaddeus Ross an das Kopfende des Tisches und lobte zunächst die Arbeit der Avengers.

„Die Welt schuldet den Avengers auf ewig Dank. Sie haben für uns gekämpft, uns beschützt und ihr Leben riskiert. Aber während sehr viele Menschen das als Heldentaten sehen, würden es wiederum andere als Selbstjustiz bezeichnen", begann er.

„Und welches Wort würden Sie benutzen, Mr. Secretary?", fragte Natasha.

„Wie wäre es mit >>gefährlich<<? Wie würden sie eine in Amerika ansässige Gruppe nennen, die außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt, die mit aller Selbstverständlichkeit Staatsgrenzen missachtet und ihren Willen durchsetzt, wo immer es ihr gefällt und der, offen gesagt, gleichgültig zu sein scheint, was sie anrichtet?", antwortete Ross.

Auf dem großen Bildschirm zeigte er einen Rückblick auf die Ereignisse der vergangenen Jahre und wie viele zivile Schäden dabei in der Folge angerichtet wurden. Zuletzt wurden die Opfer von Lagos in Großaufnahme gezeigt.

„Genug. Das reicht", sagte Steve.

Ross stoppte das Video.

„Seit vier Jahren agieren Sie mit unbegrenzter Macht und ohne jede Aufsicht. Diese Art vorzugehen können die Regierungen der Welt nicht länger tolerieren. Aber ich denke, wir haben eine Lösung", sagte Ross und ließ sich von seinem Mitarbeiter ein dickes, gebundenes Dokument reichen, welches er auf den Konferenztisch zu Wanda herüberschob.

„Das Sokovia-Abkommen. Befürwortet von 117 Staaten, legt es fest, dass die Avengers keine private Organisation mehr sein sollten. Stattdessen operieren sie unter Aufsicht eines Gremiums der Vereinten Nationen und das auch nur, wenn dieses Gremium es als notwendig erachtet", erklärte er.

„Die Avengers wurden gegründet, um die Welt sicherer zu machen. Ich denke, das haben wir erreicht", wandte Steve ein.

„Sagen Sie, Captain, wissen Sie, wo Thor und Banner jetzt gerade sind?"

Steve musste sich eingestehen, dass er diese Frage nur verneinen konnte.

„Hätte ich zwei Nuklearsprengköpfe verlegt, können Sie drauf wetten, dass das Konsequenzen hätte. Kompromisse. Rückversicherung. So funktioniert diese Welt. Glauben Sie mir, das ist der goldene Mittelweg", sagte Ross und deutete mit dem Finger auf das Dokument, welches Rhodey inzwischen zu sich herüber gezogen hatte.

Rhodey hob den Arm und fragte: „Also ist das hier noch nicht final?"

„In drei Tagen versammelt sich die UN in Wien und ratifiziert das Abkommen."

Steve sah zu Tony herüber, der die ganze Zeit über verdächtig still in der Ecke des Raumes saß. Er schwieg weiterhin.

„Besprechen Sie alles", wollte Ross.

„Und wenn wir zu einer Entscheidung kommen, die Ihnen nicht gefällt?", wollte Natasha wissen.

„Dann gehen Sie in Rente", antwortete Ross knapp.

Ross' Abschied fiel ebenso knapp aus und die Avengers blieben danach im Gemeinschaftsraum. Rhodey und Sam diskutierten angeregt miteinander. Steve hatte sich mit dem Dokument hingesetzt und begann es zu lesen, während Tony genervt in einem Sessel fläzte und sich kopfschüttelnd die Hand vors Gesicht hielt.

„Ich habe eine Gleichung", schritt Vision mit seinem sachlichen Tonfall in die Diskussion ein: „In den acht Jahren, seit Tony Stark sich als Iron Man offenbart hat, vervielfachte sich die Zahl außergewöhnlich talentierter Personen exponentiell. Und im selben Zeitraum haben sich Weltuntergangsszenarien in korrelierender Relation dazu ereignet."

Steve sah von dem Dokument auf: „Heißt das, es ist unsere Schuld?"

„Ich sage, es besteht vielleicht eine Kausalität. Unsere jeweiligen Stärken erwecken Herausforderungen. Aus Herausforderungen resultieren Konflikte. Und Konflikte münden in Katastrophen." Er machte eine kleine Pause. „Kontrolle ist ein Ansatz, den man nicht ignorieren sollte."

„Boom!", kommentierte Rhodey knapp, der sich zuvor schon für das Abkommen geäußert hatte.

Natasha sah zu Tony herüber. „Tony, ungewöhnlicherweise bist du heute unterdurchschnittlich mitteilsam."

„Weil er seine Entscheidung bereits gefällt hat", schlussfolgerte Steve.

Tony blickte ihn genervt an. „Du kennst mich zu gut. Ich habe einen elektromagnetischen Brummschädel", sagte er, stand auf und ging zu der Küchenzeile herüber. „Das ist alles Cap, es sind nur Schmerzen. Ein Unwohlsein. Wer kippt hier Kaffeesatz in den Ausguss?", regte er sich auf. „Habe ich hier ein Bed and Breakfast für eine Biker Gang?"

Er holte einen kleinen Tablett-Computer aus seiner Tasche, legte ihn auf den Tresen und ließ ihn das Bild eines jungen Mannes in die Luft projizieren.

„Oh, das ist übrigens Charles Spencer. Toller Junge. Informatik-Diplom mit >>sehr gut<< bestanden. Hatte bereits einen Job in Aussicht und wollte zu Intel gehen. Aber erst wollte er was für die Seele tun, bevor er sich hinter den Schreibtisch parkt. Er wollte die Welt sehen. Könnte später ja mal nützlich sein. Charlie war nicht in Vegas oder Fort Lauderdale, wie ich es gemacht hätte. Er war auch nicht in Paris oder Amsterdam, was Spaß gemacht hätte. Er entschied sich dafür, im Sommer nachhaltige Unterkünfte für arme Leute zu bauen. Wo? In Sokovia." Er machte eine Pause, in der alle schwiegen. „Er hätte was bewegt, nehme ich an. Ich meine wir werden das nie erfahren, weil wir ein Gebäude auf ihn fallen ließen, als wir uns geprügelt haben."

Er wischte sich mit der Hand über den Mund, nahm seine Kaffeetasse und trank einen Schluck, bevor er fortfuhr. „Es kann hier keine Entscheidungsfindung geben. Es muss Grenzen für uns geben. Egal auf welche Art, ich bin dafür. Akzeptieren wir keine Grenzen, sind wir maßlos und nicht besser als die bösen Jungs."

„Tony, wenn jemand unter deinem Schutz stirbt, gibt man nicht auf", warf Steve ein.

„Wer spricht denn davon?", antwortete Tony gleich.

„Das tun wir, wenn wir nicht die Verantwortung für unsere Taten tragen. Dieses Dokument verschiebt nur die Schuldfrage."

„Entschuldige, Steve", mischte sich Rhodey ein. „Das ist gefährlich arrogant. Wir reden hier von den Vereinten Nationen. Wir reden nicht vom Weltsicherheitsrat, oder S.H.I.E.L.D oder etwa von HYDRA."

Steve schüttelte mit dem Kopf. „Nein, aber sie werden geleitet von Menschen, die Ziele verfolgen und Ziele ändern sich."

„Das ist gut! Deshalb bin ich hier! Als mir klar wurde, was meine Waffen in den falschen Händen anrichten, habe ich damit Schluss gemacht und die Produktion eingestellt."

„Tony, das war deine freie Entscheidung. Wenn wir das unterschreiben, geben wir das Recht auf freie Entscheidung auf. Was, wenn die uns irgendwo hinschicken, wo wir nicht hin wollen? Oder wir wollen irgendwo hin und die lassen uns nicht? Wir mögen nicht perfekt sein, aber auf uns können wir uns wenigstens verlassen."

„Wenn wir das jetzt nicht akzeptieren, werden wir später dazu gezwungen. Das ist eine Tatsache und das wird hässlich", entgegnete Tony mit einem Blick auf Wanda.

„Das heißt, die holen mich", schlussfolgerte Wanda.

„Wir würden dich beschützen", versprach Vision.

„Vielleicht hat Tony recht", überlegte Natasha „Mit einer Hand am Steuer können wir immer noch lenken. Wenn wir loslassen ..."

„Bist du nicht die Frau, die der Regierung vor ein paar Jahren gesagt hat, sie könne dich kreuzweise?", fragte Sam.

„Ich analysiere nur die Lage. Wir haben ein paar sehr öffentliche Fehler gemacht. Wir müssen ihr Vertrauen zurückgewinnen."

Tony sah Natasha an. „Was war das denn? Entschuldige, habe ich mich verhört oder bist du meiner Meinung?" Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, das aber seine Augen nicht erreichte.

„Oh, hätte ich doch nur die Klappe gehalten."

„Nein, kneifen geht nicht."

Während die beiden noch weiter diskutierten, summte Steves Smartphone. Er holte es aus der Tasche und sah auf das Display.

„Sie ist gestorben. Im Schlaf", lautete die kurze Nachricht, die auf dem kleinen Bildschirm direkt angezeigt wurde und Steve wie ein Schlag in die Magengrube traf.

Er wusste sofort, dass es hier um Peggy ging. Sie war gestorben und er hätte sie gerne noch ein weiteres Mal gesehen.

„Ich muss gehen", sagte er knapp und stand aus seinem Sessel auf. Die Anderen sahen ihn verwundert hinterher, als er sich auf den Weg in sein Zimmer machte. Er wollte sofort ihre Pflegerin anrufen, um zu erfahren, wann und die Trauerfeier stattfinden sollte. Egal wo es war, er wollte dort sein, um ihr die letzte Ehre zu erweisen.

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