12. Der Fortschritt
Während ihres Aufenthaltes in der Reha Klinik hatte Stella zwar wenig Freizeit, aber dann nutzte sie jede Minute, um die Vorfälle in Sokovia in den Nachrichten zu verfolgen.
Ihr war ein Stein vom Herzen gefallen, als Tony und Steve endlich bei ihr angerufen und ihr versichert hatten, dass sie beide wohlauf waren.
In den ersten Tagen nach der Zerstörung der Stadt waren die Helden jedoch noch damit beschäftigt, sich um die Folgen zu kümmern.
Im Fernsehen wurde zu Spenden aufgerufen und alle großen Hilfsorganisationen waren darum bemüht den Opfern zumindest eine notdürftige neue Heimat zu bieten. Tony hatte sich sehr dabei engagiert die Hilfsangebote zu koordinieren und war auch durch seine Mitwirkung bei der Damage Control stark eingebunden.
An einem Sonntag standen auf Stellas Terminplan keine Therapiestunden. Ihre Mutter hatte ihr beim Anziehen geholfen und sie saß nun auf der Bettkante, während die beiden überlegten, was sie nun unternehmen könnten, um den Tag zu genießen.
Stellas Mutter machte plötzlich große Augen und blickte freudig in Richtung Tür.
„Hallo Susan", hörte Stella Tonys Stimme hinter sich und drehte sich leicht zu ihm um. Er kam mit großen Schritten auf sie zu, zögerte kurz und umarmte sie vorsichtig zur Begrüßung.
„Es ist schön, dich zu sehen!", freute Stella sich. „Damit habe ich nicht gerechnet."
Er winkte ab und sagte: „Ach, ich war gerade in der Gegend und dachte, ich schaue mal vorbei. Und ich will hören, wie es dir geht. Es sei denn, ich störe gerade?"
„Nein, du störst nicht", antwortete Stellas Mom. „Wir haben gerade überlegt, was wir bei dem schönen Wetter machen könnten. Aber vielleicht kannst du ja mit ihr einen kleinen Spaziergang machen. Im Park gibt es ein nettes Eiscafé."
„Kaffee ist immer eine gute Idee, da bin ich dabei", strahlte ihr Freund.
Stella war von der Idee noch nicht überzeugt. Sie konnte noch nicht weit genug laufen, um es ohne Hilfe bis in den Park zu schaffen, auch wenn dieser zum Klinikgelände gehörte. Es war ihr immer noch unangenehm, Hilfe anzunehmen, und sie glaubte, dass Tony sich auch nicht gerne um Pflegebedürftige kümmerte.
„Du müsstest sie dann allerdings schieben", erklärte ihre Mom und deutete auf den Rollstuhl, der ein paar Schritte entfernt vom Bett stand.
„Okay", antwortete Tony zu ihrer Überraschung.
„Und mir versprechen, dass du dir auch die Zeit nimmst, sie am Ende wieder hier her zu bringen", fügte die ältere Frau streng hinzu.
„So viel Zeit muss selbstverständlich sein", sagte er brav.
Das mit dem Rollstuhl hat er erstaunlich gut aufgenommen. Aber jetzt wird er gleich sehen, wie schlecht ich immer noch laufen kann, stellte Stella missmutig fest. Sie wollte gerne zeigen, dass es ihr besser geht, um ihren Freund zu beruhigen, aber sie glaubte, dass das, was er gleich sehen sollte, ihn nicht überzeugen würde. Dabei hat er genug eigene Sorgen. Umso überraschender ist es, dass er sich heute die Zeit nimmt, hier zu sein.
Sie rutschte auf ihrer Bettkante nach vorne, bis ihre Füße auf den Boden aufsetzten. Als sie dazu ansetzte, sich aufzurichten, reichte ihre Mutter ihr die Hand. Sie führte sie vorsichtig, bis sie den Handlauf an der Wand erreichen konnte. Daran ging Stella langsam bis zum Rollstuhl entlang und setzte sich dann hinein.
Es waren nur wenige Schritte gewesen und doch fühlte sie sich, als hätte sie eben einen Sprint hingelegt.
„Möchtest du nicht mitkommen, Mom?", fragte Stella, nach ein paar Atemzügen.
„Nein, ich lass euch hübschen alleine, dann könnt ihr euch in Ruhe unterhalten. Wir sehen uns morgen wieder."
Stella verstand, dass ihre Mom sich auch mal zurückziehen wollte. Sie oder ihr Dad waren jeden Tag in der Klinik und kümmerten sich um ihre Tochter. Und zu Hause kümmerten sie sich um Antony. Das war schon deutlich mehr, als Stella verlangen konnte. Daher sagte sie: „Okay, bis morgen. Danke, Mom. Grüße Dad und Antony von mir."
„Mach ich", lächelte ihre Mom und verließ dann den Raum.
Tony löste die Bremsen des Rollstuhls und schob Stella aus dem Zimmer heraus.
Auf dem Weg nach draußen sagte der Erfinder: „Ich könnte dir einen hübschen Motor in das Ding einbauen."
Stella schmunzelte: „Nein, danke. Ich habe nicht vor, den so lange zu brauchen, dass es sich lohnen würde. Und außerdem gibt es sowas doch bereits zu kaufen."
„Ja, schon. Da sind aber mit Sicherheit immer noch altmodische Akkus verbaut ... pfff! Die haben doch kaum Reichweite und gehen schnell kaputt. Das kann ich besser."
Am Eiscafé angekommen, stellte Tony sie an einem freien Tisch ab.
„Was magst du für eines haben?", fragte er mit gezücktem Geldbeutel.
„Eine Kugel Vanille wäre gut."
Er nickte und ging zu dem Verkaufsfenster herüber. Wenig später kam er mit zwei Eisbechern zurück und reichte Stella ihre Portion.
Seinen Becher mit Karamellsoße und Krokantstückchen schien er zu genießen und Stella beobachtete ihn einen Augenblick schweigend beim Essen.
„Wie geht es dir, nach dem, was passiert ist?", stellte sie schließlich die Frage, die ihr unter den Nägeln brannte.
Er seufzte leise, aber musste dann zugeben, dass er durchaus Redebedarf hatte, indem er antwortete. „Das was Banner und ich da fabriziert haben hätte mächtig schief gehen können. Das geht mir nicht aus dem Kopf und die Welt wird das auch lange nicht vergessen. Es gibt immer mehr Leute, die uns als Bedrohung sehen. Und sie haben Recht."
Tiefe Sorgenfalten hatten sich in sein Gesicht geprägt und er wirkte nun älter als sonst.
„Ihr könnt nicht immer alles in der Hand und unter Kontrolle haben. Und ihr habt euer Bestes gegeben und konntet die Situation ja dann doch wieder zum Guten wenden", versuchte sie ihn zu trösten.
Er verzog das Gesicht. „Das Gute ist hier ziemlich relativ. Eine ganze Stadt wurde vernichtet. Menschen sind gestorben und andere haben ihre Heimat verloren. Und alles nur, weil wir einen Fehler gemacht haben."
„Ihr habt nicht absichtlich den Terminator erschaffen, nehme ich an", wandte sie ein.
„Nein. Wie die Typen im Film hatten wir nur die Absicht, diese Welt zu schützen. Aber wie können zwei dahergelaufene Typen so etwas alleine entscheiden? Es steht die Idee im Raum, eine Kontrollinstanz zu schaffen, die uns zukünftig davon abhalten soll, einfach für den Rest der Welt zu entscheiden. Damit so etwas nicht mehr passiert."
Stella sah ihrem besten Freund in die müden Augen. „Nehmen, wir an, es gibt ein Gremium, welches euch Vorschriften macht. Würdest du das denn immer zu Rate ziehen, wenn du etwas für eine wirklich gute Idee hältst? Und die Idee, etwas zu erschaffen, das diese Welt schützt, ist gut, da gibt es keinen Zweifel dran. Ich glaube, du und Banner, ihr hättet trotzdem losgelegt, um eure Idee erst später vorzustellen. Das Gremium hätte also nichts gebracht."
Tony wollte das nicht annehmen und schüttelte still den Kopf.
„Und ist es nicht auch denkbar, dass es euch davon abhält zu helfen? Stell dir vor es gibt irgendein akutes Problem – einen Alienangriff beispielsweise – und ihr müsstet erst um Erlaubnis fragen. Bis das Gremium dann eine Entscheidung getroffen hat, könnte es zu spät sein. Ich denke, ihr solltet stattdessen weiterhin aufeinander hören und als Team zusammen halten."
„Man hat bereits damit begonnen ein Abkommen auszuarbeiten", gestand Tony leise.
„Und wissen die anderen bereits davon?"
Als Tony nicht antwortete, bekam sie ein mulmiges Gefühl. Sie erinnerte sich daran, wie Tony und Steve bei ihrem letzten Besuch mit ihren Action-Figuren einen imaginären Kampf gegeneinander ausgefochten haben. Jetzt befürchtete sie, dass dies eines Tages bittere Realität werden könnte.
„Bitte mach das nicht im Alleingang. Ihr könnt einzeln viel bewegen, aber als Team könnt ihr einfach mehr schaffen, das habt ihr bereits bewiesen. Rede vorher mit den anderen darüber, was sie denken, und gib auch mal nach, wenn sie etwas anders sehen als du. Ich weiß, dass du dich nicht immer mit Steve einig bist. Aber ihr müsst es einfach schaffen, einen Kompromiss zu finden."
Tony wand sich einen Moment unter ihrem eindringlichen Blick und seufzte dann, bevor er ihr wieder ins Gesicht sah. „Ich verspreche, dass ich mit allen reden werde, sobald ich genug weiß, okay. Mehr kannst du im Augenblick nicht von mir verlangen."
„Das muss wohl reichen", sagte sie leise und aß dann in Ruhe ihr Eis zu Ende.
„Du machst gute Fortschritte", versuchte er nach einer Weile die Stille zu durchbrechen.
„Es könnte besser sein", gab sie zu.
„Das könnte es wohl immer. Aber als wir dich das letzte Mal besucht haben, konntest du noch gar nicht laufen. Das ist doch was!"
Sie nickte still.
„Kann ich irgendwas für dich tun?", fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das muss ich selbst schaffen."
„Wie wäre es, wenn ich dir einen guten Anwalt für die Scheidung besorge?"
Sie hatte gehofft, dass er dies nicht ansprechen würde. Ihr war klar gewesen, dass er Michael nicht leiden konnte. Das konnte er noch nie. Aber sie hatte über das Thema bisher nicht nachdenken wollen und es war ihr die meiste Zeit gelungen, die Gedanken an ihren Ehemann in eine dunkle Ecke ihres Bewusstseins zu verdrängen. Jetzt kamen diese Gedanken auf einen Schlag wieder hoch.
„Ich weiß nicht, ob ich den brauchen werde."
„Wie soll es dann mit ihm weiter gehen?"
„Darüber habe ich noch nicht nachgedacht", versuchte sie das Thema abzuwürgen. Als Tony nach Luft schnappte, fügte sie hinzu: „Und ich glaube, ich werde darüber auch erst wieder nachdenken, wenn ich wieder mehr wie zwei Meter ohne Hilfsmittel laufen kann."
„Wenn du willst, messe ich nach, aber ich glaube, das waren vorhin schon etwas mehr wie zwei Meter", entgegnete er mit einem Augenzwinkern.
„Das zählt nicht. Ich habe ein Hilfsmittel benutzt."
„Welches?"
„Der Handlauf."
„Der gilt als Hilfsmittel?"
„Ja, ich kann nicht erwarten, dass es überall auf der Welt einen gibt."
„Also gut, dann ruf mich an, wenn du drei Meter schaffst, okay?"
„Warum ist dir das so wichtig?"
„Na, weil ich nicht will, dass er dir noch mal weh tut", sagte er entrüstet. „Er hat dich jetzt schon fast umgebracht, als er dich die Treppe heruntergestoßen hat ..."
Sie unterbrach ihn vehement. „Er hat mich nicht gestoßen. Ich bin gestolpert, es war ein Unfall."
„Aber er hat dich trotzdem in diese Situation gebracht. Und er hatte nicht genug Eier, um dir danach zu helfen. Du willst ihn doch nicht einfach zurücknehmen?"
Ihre Hände hatte sich zu Fäusten geballt und sie versuchte gerade, die Tränen, die sich in ihre Augen drückten, weg zu atmen.
„Ich will noch nicht darüber nachdenken", sagte sie leise.
„Das ist okay", versuchte Tony versöhnlicher zu sein.
„Er hat nicht nach mir gefragt. Ich habe die ganze Zeit über nichts von ihm gehört. Kein Besuch, kein Anruf, keine SMS – nichts! Ist es das, was ich ihm nach all den Jahren wert bin? Nichts?"
Tony nahm sie vorsichtig in den Arm, als die erste Träne ihre Wange hinunterlief.
Er schwieg so lange, bis sie sich beruhigt hatte, und sie war froh darüber, dass er nicht weiter den Finger in offene Wunden gelegt hatte.
„Ich glaube, du weißt, wie ich über ihn denke", sagte er schließlich leise.
Sie wischte sich mit der Hand die letzten Tränen weg und nickte.
„Da ist noch etwas, was ich ansprechen wollte", sagte sie schließlich, als sie sich daran erinnerte, wie Tonys künstlicher Assistent J.A.R.VI.S sie genannt hatte, als sie in einem von Tonys Privatjets saß.
„Deine KI – J.A.R.V.I.S – sie hat mich Mrs. Rogers genannt. Worauf wolltest du damit hinaus?"
Tony stand auf und sagte. „Mach dir da keine Gedanken drum. J.A.R.V.I.S existiert in der Form eh nicht mehr." Er schaute demonstrativ auf seine nicht vorhandene Armbanduhr. „Es ist jetzt doch ganz schön spät geworden. Drinnen vermissen sie dich bestimmt schon. Ich bringe dich besser zurück."
Sie protestierte nicht, als er sie nun zurück in das Gebäude schob. Zurück im Zimmer stellte sie noch eine Frage, die sie schon länger interessierte: „Hast du eigentlich vor, Pepper zu heiraten?"
Er grinste schief. „Wie kommst du darauf, dass ich das tun sollte?"
„Sie tut dir gut, das merkt man dir an. Auch gerade wieder, als du ihren Namen gehört hast. Dafür hat sie einen Orden verdient oder einen Ring."
Er zog die Augenbrauen nach oben. „Ich fürchte, dass ich ihr nicht guttue, weil ich es in irgendeiner Form vergeige."
„Aber du willst mit ihr zusammen bleiben?"
„Ja. Und aus irgendeinem Grund hält sie es auch immer noch mit mir aus. Für einen Antrag habe ich einfach noch nicht den passenden Rahmen gefunden. So etwas darf doch kein normaler Tag mit dem üblichen Chaos werden. Das muss unvergesslich werden – also auf eine positive Art."
Die Vorstellung, dass Tony tatsächlich eines Tages heiraten könnte, ließ sie lächeln.
„Wenn Pepper es erlaubt, möchte ich gerne Brautjungfer sein."
Auch sein Lächeln kehrte zurück. „Eins nach dem anderen, okay?"
„In Ordnung."
„Ich muss jetzt leider wirklich los. Es gibt da noch ein neues Gebäude, nach dem ich mal sehen sollte, und ich muss bis dahin noch ein kleines Stück fliegen. Ich rufe dich demnächst nochmal an, wenn unser Captain Iglo das nicht vorher tut. Vielleicht kommt er dich ja auch noch mal besuchen."
„Das wäre schön. Grüße ihn von mir. Und pass auf dich auf", sagte sie zum Abschied.
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