Prolog

Nach einem langen Arbeitstag im Krankenhaus hatte Stella sich zusammen mit ihrem Ehemann Michael ins Bett gekuschelt. Ihre Müdigkeit und die angenehme Wärme seiner Umarmung ließen sie bald einschlafen.

In ihrem Traum stand sie auf einem Platz in einer fremden Stadt. Sie konnte keine Schilder erkennen, die ihr einen Hinweis auf den Namen des Ortes geben konnten. Doch aufgrund der altehrwürdigen Bauwerke ringsherum glaubte sie, dass er sich in Europa befinden musste. Auf dem Platz gab es eine alte Statue auf einem eckigen, abgestuften Podest. Es war helllichter Tag.

Ein junger Mann kam angerannt. Sein angstverzerrtes Gesicht war umrandet von dunklen Haaren und einem Vollbart. Er trug die unscheinbare Kleidung eines Zivilisten.

Ein zweiter Mann verfolgte den ersten. Er kam so schnell auf den Platz und war Stella dann mit dem Rücken zugewandt, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte.

Er trug eine enganliegende blaue Uniform mit roten Elementen. Sein Kopf war zur Hälfte in eine Kappe gehüllt. Er hatte einen kreisrunden Metallschild mit rot-weißen Streifen und einen Stern in der Mitte dabei.

Mit einem wütenden Schrei schleuderte der Blaue den Schild in den Rücken des jungen Mannes. Dieser drehte sich um und der Uniformierte benutzte das runde Metall, um ihn gegen die Stufen am Fuß der Statue zu stoßen. Als er sich aufrichten wollte, warf der Angreifer den Schild gegen seine Brust, ging mit zwei langen Schritten auf ihn zu und drückte ihn mit seinem linken Fuß zu Boden.

Der am Boden Liegende hob panisch die Arme und flehte: „Ich war es nicht!"

Doch der Angreifer schien blind vor Wut zu sein und ließ nicht von ihm ab. Er hob den Schild mit beiden Händen hoch über seinen Kopf und rammte ihn auf sein Opfer.

Stella wollte hinrennen, doch eine unsichtbare Kraft hielt sie fest. Sie wollte schreien. Doch sie spürte nur, wie Luft durch ihre Kehle strömte, ohne dass ein Laut dabei entstand.

Jemand muss diesen Wahnsinnigen aufhalten!

Die Passanten blieben wie angewurzelt stehen und filmten mit ihren Smartphones, wie der Blaue das harte Metall wieder und wieder hochhob, um damit unerbittlich zuzustoßen.

Bis sich eine entsetzliche Stille über den Platz legte und Blut auf die grauen Stufen floss.

Der Uniformierte stand auf und hielt seinen blutverschmierten Schild mit der rechten Hand, während er auf sein Opfer herabblickte.

Stella konnte sein Gesicht noch immer nicht sehen, doch schon an seiner Körperhaltung konnte man erahnen, wie abschätzig er den Toten betrachtete.

Gerade als sich der Mann zum Gehen umdrehen wollte, schreckte Stella aus dem Traum auf.

Ihr Herz raste und ihr Atem ging schnell. Bei dem Gedanken, an das, was sie gesehen hatte, drehte sich ihr der Magen um.

Sie schlüpfte schnell aus der Umarmung ihres Mannes und aus dem Bett heraus, um ins Bad zu eilen und sich über der Toilette zu übergeben.

Wie komme ich nur auf so etwas Furchtbares?, dachte sie, während sie sich den Mund wusch.

Nachdem sie eine Weile durchgeatmet hatte und wieder ruhiger wurde, legte sie sich zurück ins Bett. Dort blieb sie wach und dachte über den Traum nach.

Sie hatte erst vor kurzem in einer Doku auf dem History-Channel den Metallschild gesehen. Er gehörte Captain America, einem großen Helden, der im Zweiten Weltkrieg ganz vorne gegen die Nazis gekämpft hat.

Vor einigen Jahren hatte Stella Zeitzeugen interviewt, die zum Teil Captain America über den Weg gelaufen waren. Das Verhalten des Mannes in ihrem Traum passte zu keinem der Berichte. Auf allen Seiten wurde Captain America als ein Mann der Gerechtigkeit und Ehre gefeiert.

Stellas Nase fing an, leicht zu bluten, und sie angelte sich ein Taschentuch von ihrem Nachttisch. So intensiv, wie sich der Traum angefühlt hatte, würde ihre Großmutter jetzt vermuten, dass es nicht nur ein einfacher Traum war.

Es kann keine Vision sein, oder? Captain America ist vor Jahrzehnten verschollen und sehr wahrscheinlich längst tot. Wie soll es da eine Vorahnung sein?, versuchte Stella ihre Gedanken beiseite zu wischen, denn sie wollte nicht wahrhaben, dass jemand so etwas tun könnte.

Michael wachte neben ihr auf und fragte verschlafen: „Ist alles gut? Hast du schlecht geträumt?"

„Ja, ich hatte einen ziemlich seltsamen Traum."

Er nahm sie in den Arm und lächelte liebevoll. „Der Albtraum kann dir nichts mehr anhaben, er ist ja jetzt vorbei. Versuch weiter zu schlafen, dann träumst du bestimmt auch noch etwas schönes."

Sie schmiegte sich an und lächelte zurück. „Okay, werde ich versuchen."

Stella blieb noch lange wach, bevor sie einschlief und wenige Stunden später in den neuen Tag starten musste.

In den folgenden Wochen verblasste schließlich die Erinnerung an das Geträumte im Alltagstrott und es gab für sie keinen Anlass mehr weiter darüber nachzudenken.

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