81. Die Heimreise
Nachdem Steve bereits das Krankenhaus verlassen durfte, verbrachte Stella den Rest des Tages meist schlafend. Auch in der Nacht war sie noch schläfrig genug, um trotz des Schnarchens ihrer Zimmergenossin ein paar Stunden Ruhe zu finden.
Am nächsten Morgen fühlte sie sich recht ausgeruht und zog sich mit der Hilfe einer Schwester bald wieder ihre eigenen Sachen an.
Ihre Körpertemperatur ging langsam zurück und auch die Schwellung an ihrer Schulter ließ nach. Doch Dr. Goodmann ließ sich noch nicht davon überzeugen, sie zu entlassen.
„Sie wurden gestern erst operiert. Es ist noch zu früh, um Sie alleine den weiten Weg nach Hause zu schicken. Haben Sie noch etwas Geduld, Sie sind ja jetzt schon auf dem Weg der Besserung", erklärte der Arzt ihr und ließ nicht weiter mit sich reden.
Sie vertrieb sich schließlich die Zeit damit, mit ihren Eltern, Nicole und Estelle zu telefonieren. Michael erreichte sie nicht. Sie vermutete, dass er den Vormittag über noch schlief.
Zum Mittagessen konnte sie an diesem Tag zwischen einem Hackbraten und einem vegetarischen Bratling wählen. Sie entschied sich für das vegetarische Essen.
Der Bratling war zu kross gebraten, um ihn einfach mit der Gabel zerteilen zu können. Ihr linker Arm war noch in der Schlinge fixiert, sodass sie keine zweite Hand zur Hilfe hatte, um das Essen zu zerteilen. Frustriert blickte sie den Teller einen Moment an und entschied dann, erstmal alles andere als den Bratling zu essen.
Gerade als sie den ersten Bissen in den Mund schieben wollte, klopfte es an der Tür. Sie sah kurz Mrs. Lopez an, die mit einem Nicken andeutete, dass es auch für sie okay ist, und bat dann den Besucher herein. Mrs. Lopez widmete sich sofort wieder ihrer Fernsehsendung.
Die Tür ging auf und Tony stolzierte hindurch. Er nahm seine Sonnenbrille ab und sah sich verwundert um.
„Ein Zweibettzimmer? Ich dachte, du wärst durch die Air Force oder deine Eltern gut genug versichert, um ein Einzelzimmer zu bekommen."
Sie lächelte ihn an. „Ich hatte ein Einzelzimmer, aber man musste kurzfristig umdisponieren, weil es einen Patienten gab, der wirklich ein Einzelzimmer benötigt hat."
„Ach, der wäre auf dem Flur genauso schnell wieder munter geworden", scherzte Tony und setzte sich auf den Stuhl neben ihrem Bett.
Er nimmt sich tatsächlich die Zeit, mich zu besuchen, freute Stella sich. Und er setzt sich sogar hin.
„Wie kommt es, dass du hier bist?", wollte Stella wissen.
„Nat hat mir erzählt, dass du hier bist. Und mich darauf hingewiesen, dass ich mal vorbeischauen sollte. Ich wollte eigentlich auch Cap besuchen, aber der ist ja schon abgehauen." Er beäugte ihren Teller. „Was gibt es denn da Feines?"
„Einen Bratling mit Salzkartoffeln und Wurzelgemüse."
„Und dieser nachgebaute Klops schmeckt?"
„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn noch nicht klein bekommen."
Tony blickte kurz ihre Armschlinge an und fragte dann: „Soll ich dir kurz zur Hand gehen?"
Er wartete die Antwort nicht ab und schnappte sich das Besteck, um den Bratling in mundgerechte Stücke zu zerteilen.
„Okay ...", sagte Stella zögerlich. „Wer bist du und was hast du mit Tony Stark gemacht?"
„Was denn? Ich kann dich doch nicht verhungern lassen", versuchte er weiter zu scherzen und ließ sich zurück auf den Stuhl fallen. Unbewusst fuhr er sich müde mit der Hand durchs Gesicht.
„Da gibt es etwas, was an dir nagt und was du loswerden willst", folgerte Stella aus seiner Geste.
Er seufzte und zögerte einen Moment. „Dein Dad hat den richtigen Riecher mit diesen Helicarriern gehabt. Es war was faul dran. Ich weiß nicht, wie er das immer anstellt. Es ist, als hätte er eine Kristallkugel. Aber erzähl ihm bloß nicht, dass ich das gerade gesagt habe."
„Wie hättest du das denn ahnen sollen? Also ich meine, was auch immer da genau passiert ist."
„Du hast keine Ahnung, was da wirklich alles los war."
„Es wird einen guten Grund haben, dass sie letzten Endes abgeschossen wurden."
Er lachte bitter und sagte leise: „Einen sehr guten Grund. Sie hätten fast Skynet erschaffen, wenn Cap und Co nicht dazwischen gegangen wären."
Stella musste kurz überlegen, worauf er anspielte. Dann fiel ihr ein, dass Skynet die menschengeschaffene Bedrohung aus dem Film Terminator war.
Erschreckend, dass jemand auf die Idee kommt, tatsächlich so etwas zu erschaffen. Was verspricht man sich davon?
Sie nahm vorsichtig Tonys Hand und sah ihm in die traurigen Augen. „Aber es ist nicht deine Schuld und auch nicht allein deine Verantwortung."
„Nun, jedenfalls ist das Vertrauen in S.H.I.E.L.D dahin und die Organisation wird aufgelöst. Man ist gerade dabei die verbliebenen Agents auf die anderen Behörden aufzuteilen."
„Und wie geht es mit euch weiter?"
„Wir werden uns in den nächsten Tagen im Tower treffen und genau darüber sprechen. Wir müssen weitermachen. S.H.I.E.L.D sind bei dem Gewusel ein paar Artefakte abhandengekommen, die wieder aufgespürt werden müssen."
„Das heißt, ihr alle seid jetzt irgendwie auf der Suche nach irgendwas oder irgendwem. Versprich mir, dass du dabei auf dich aufpasst."
„Ja ja, mache ich doch immer. Wie ist der Bratling?", lenkte er ab.
„Du hast ihn leider umsonst zerteilt. Er schmeckt wie eine alte Turnmatte, gestreckt mit Paniermehl und Ei. So etwas kann man durchaus besser hinbekommen."
„Interessant, dass du weißt, wie eine Turnmatte schmeckt ...", amüsierte Tony sich.
„Das war nur geraten."
„Was hast du eigentlich mit deiner Schulter gemacht? Nat hat behauptet, es wäre ein Autounfall gewesen. Aber du hast doch noch nie einen Unfall gehabt."
„Das ist nicht wahr, ich hatte schon zwei Parkrempler."
„Was du nicht sagst!"
„Ja, einmal hat ein Typ seinen Einkaufwagen losgelassen, der ist dann in mein Auto rein gerollt", berichtete sie.
„Du hättest ja auch ahnen müssen, dass der seinen Wagen da hin rollen lässt und dein Auto besser woanders hingestellt", bemerkte Tony sarkastisch.
„Und neulich hat Michael mit seinem Wagen die Ecke von meinem beim Einparken mitgenommen."
„Das kommentiere ich jetzt nicht. Und wie konnte der Unfall jetzt passieren?"
„Die Sicht war schlecht, ich war ein wenig flott unterwegs und da war plötzlich ein Hund auf der Straße. Ich wollte ausweichen."
„Okay, das klingt sehr nach dir. Und wie lange bleibst du noch hier?"
„Ich weiß es nicht. Mein Arzt will mich nicht ohne eine Begleitung gehen lassen. Er findet, dass mein Heimweg dafür zu lang ist. Und ich komme auch weder mit dem Flugzeug noch mit dem Zug weg", antwortete sie frustriert.
„Und du magst die Ruhe und das gute Essen hier nicht einfach genießen?"
„Ich verpasse alles, was zu Hause passiert! Antony hatte einen Wettkampf – ich war nicht dort. Es gab ein Schulfest – ich war nicht dort. Was bin ich für eine Mutter, wenn ich mich nie um meinen Sohn kümmere?"
Tony lächelte milde. „Ich weiß, wie es ist, wenn ein Elternteil sich nie um einen kümmert. Und ich glaube nicht, dass du so bist. Hapert es wirklich nur am Heimweg?"
„Ja. Ich kann mich zu Hause in unserer Klinik weiterbehandeln lassen, so weit es nötig ist."
„Nun, ich selbst habe leider keine Zeit für einen Ausflug nach Florida. Aber Happy wird sich bestimmt die Zeit nehmen. Wenn du willst, holt er dich morgen früh ab."
„Wirklich? Das würde gehen?", staunte sie. Ihr Mund formte sich zu einem breiten Lächeln und es stiegen ihr Tränen in die Augen.
„Danke", sagte sie und umarmte Tony.
„Ach was. Der Flieger muss eh ab und an mal bewegt werden, sonst setzt er zu viel Staub an. Versprich mir nur, dass du trotzdem auf deinen Arzt hörst und dich gut erholst. Ich erwarte dich auf meiner nächsten Party. Ort und Termin stehen zwar noch nicht fest, halte dich aber trotzdem mal frei."
Er warf einen Blick auf sein Smartphone und stand auf. „Ich muss jetzt langsam mal gehen. Die Typen von der Regierung werden sonst ungeduldig."
Bevor er sich verabschiedete, gab er ihr noch einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn.
Am nächsten Morgen erzählte Stella Dr. Goodmann von der Möglichkeit, dass Happy sie nach Hause bringen könnte.
Er seufzte und warf einen Blick in ihr Krankenblatt. „Also gut. Ihre Werte sehen ganz gut aus. Wenn Ihr Freund Sie tatsächlich abholt, kann ich Sie heute entlassen."
Stella verbrachte die Zeit damit, sich halbwegs straßentauglich anzuziehen und ihren Koffer zu packen, bis Happy tatsächlich noch am Vormittag in ihr Zimmer kam.
„Hallo Happy, schön dass du kommen konntest", begrüßte sie ihn freudig.
„Hey, ja klar doch. Tony hat mir gesagt, dass du einen Flug nach Cape Canaveral brauchst. Ich bin heute dein Chauffeur und dein Pilot. Der Jet wartet am Flughafen schon auf uns."
„Dann würde ich gerne sofort starten. Ich muss nur noch meine Papiere abholen", sagte Stella.
Sie verabschiedete sich von Mrs. Lopez und wünschte ihr alles Gute.
Als sie das Zimmer verlassen wollte, bestand Happy darauf, ihr Gepäck zu tragen. Gemeinsam überquerten sie den Flur und gingen zum Schwesternzimmer, wo Stella vorsichtig anklopfte. Eine Schwester öffnete ihr die Tür und gab ihr nach einer kurzen Wartezeit die Entlassungspapiere. Zum Abschied gab Stella ihr ein großzügiges Dankeschön für die Kaffeekasse.
Happy führte sie aus dem Krankenhaus heraus und zu einem gediegenen schwarzen Auto auf dem Parkplatz. Nachdem er das Gepäck in den Kofferraum geladen hatte, bestand er darauf, ihr die Beifahrertür aufzuhalten.
Nachdem sie eingestiegen war, schloss er die Tür und nahm auf dem Fahrersitz Platz.
Sie schaffte es nicht, sich mit einer Hand selbst anzuschnallen, also half Happy ihr, bevor er den Motor startete und den Wagen zum Flughafen lenkte.
Im Radio liefen gerade die Nachrichten, denen beide aufmerksam zuhörten.
Am Flughafen stellte Happy das Auto in einem Hangar ab und ging dann mit Stella zu einem Jet, der schon vor dem Hangar abgestellt war.
Im Jet sah es genauso aus, wie Stella es von Tony erwartet hatte: Ein großzügiges Platzangebot. Bequeme, mit weißem Leder überzogene Sessel, die man auch in eine Schlafposition bringen konnte. Wurzelholzeinlagen an den Wänden. Die Tische ebenfalls aus edlen Hölzern gefertigt. Die Holzpaneele wurden durch nahtlos eingebettete Displays unterbrochen, die Tony sicher für seine Arbeit nutzte.
„Mache es dir schon mal bequem, du hast hier heute freie Platzwahl. Ich mache nochmal einen kurzen Check und dann geht es los. Solltest du während des Fluges Hunger bekommen, kannst du dich jederzeit an der Küchenzeile bedienen. Leider haben wir gerade nichts Frisches im Kühlschrank, aber einen Snack solltest du finden." Er öffnete die Kühlschranktür und inspizierte den Inhalt. „Wie wäre es zum Beispiel mit einem Cheeseburger? Der muss nur kurz in die Mikrowelle. Ist kein Vier-Sterne-Essen, aber für den Hunger zwischendurch auf jeden Fall eine Lösung. Und Getränke gibt es auch."
„Danke", sagte sie bescheiden. Tony hat schon immer Cheeseburger gemocht.
Während Happy den Start vorbereitete, machte Stella es sich auf einem Sessel in Flugrichtung bequem.
Das Flugzeug hatte bald nach dem Start seine Reisehöhe erreicht und Stella konnte sich abschnallen. Für eine Weile sah sie aus dem Fenster und beobachtete, wie die Wolken unter ihnen vorbeizogen.
Ihre Gedanken fingen an, darum zu kreisen, wie es wohl gerade allen zu Hause geht und wie sie empfangen werden wird. Sie glaubte, dass ihre Eltern und Antony sich über ihre Ankunft freuen.
Aber Antony wird enttäuscht sein, dass ich so viel verpasst habe. Ich muss das so bald wie möglich wieder gut machen.
Die Gedanken an Michael versuchte sie gerade noch zu vermeiden. Sie freute sich zwar darauf, ihn wieder zu sehen und wieder für ihn da sein zu können. Doch seine letzten Nachrichten ließen nichts Gutes verheißen. Dass sie im Krankenhaus mehrmals von dem weißen Wolf geträumt hatte, der ganz verängstigt und verzweifelt war, verstärkte ihr ungutes Gefühl.
Es geht ihm nicht gut. Er braucht mich. Aber werde ich es überhaupt schaffen, ihm zu helfen?
In ihrem Hals entstand ein Kloß, von dem sie sich ablenken wollte. Sie wollte nicht traurig sein und sich lieber auf zu Hause freuen.
Sie stand auf und durchforstete das Schränkchen in der kleinen Kochnische. Dabei fand sie eine Packung Donuts. Sie nahm sie heraus und ging damit nach vorne zum Cockpit.
„Darf ich dir Gesellschaft leisten?", fragte sie vorsichtig.
Happy lächelte freundlich und sagte: „Ja, klar. Nimm Platz."
Er hatte die Hände gerade nicht am Steuer, sondern hatte nur die Anzeigen im Blick. Die Maschine war auf Autopilot geschaltet.
„Möchtest du auch einen?", fragte sie und hob die Donuts hoch.
„Gerne! Aber nur, wenn ich dir nichts wegesse."
Stella schaffte es, ohne Hilfe die Packung zu öffnen und sich einen der Kringel herauszunehmen. Den Rest legte sie auf die kleine Ablage zwischen sich und Happy, sodass er sich bedienen konnte.
Er griff gleich zu. „Die Dinger sind richtig gut. Sie sehen zwar außen unscheinbar aus, sind aber mit einer Schokocreme gefüllt", kommentierte er das süße Mahl.
Nachdem er seinen ersten Donut verputzt hatte, drehte Happy sich mit einem gequälten Lächeln zu Stella.
„Ich muss mich noch wegen dem, was auf der Party passiert ist, bei dir entschuldigen. Ich hätte diesen Mistkerl nicht reinlassen sollen."
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Wie hättest du ahnen sollen, dass jemand auf Tonys Party so eine Nummer abzieht?"
„Na, weil es mein Job ist", sagte Happy unschuldig.
„Ja, aber hättest du jeden von den ganzen reichen Schnöseln filzen wollen?"
„Nein, nur die, die schon so schmierig gucken wie Hanson."
„Aber es ist doch nochmal gut gegangen. Und du hast Hanson dann ja auch rausgeworfen. Und nächstes Mal bleibt er eben draußen."
„Der wird es nicht wagen, sich auch nur zu nähern!"
„Mr. Hogan, für Sie ist eine Nachricht von Mr. Stark eingegangen", verkündete aus dem Nichts eine Computerstimme.
Die Stimme erinnerte Stella an jemanden.
„Danke J.A.R.V.I.S, zeig sie auf dem Display neben mir an."
Das Display neben Happy leuchtete auf. Er las sich den Text schnell durch und deaktivierte das Display mit einem Fingerzeig.
„Tony hat den Sprachassistenten nach Mr. Jarvis benannt?", wunderte Stella sich.
„Ja, er hat da mal was erwähnt."
„Das ist richtig Ms. Hammond. Aber ich bin viel mehr als nur ein einfacher Sprachassistent. Ich bin in der Lage, Mr. Stark bei seinem kompletten Alltag zu unterstützen", sagte der Computer und Stella glaubte einen leicht stolzen Unterton heraus zu hören.
„Also ein elektronischer Butler."
„So ungefähr."
„Aber du musst wissen, dass mein Name eigentlich Mrs. Chain ist."
„Das ist mir bekannt. Aber Mr. Stark hat mich angewiesen, Sie wahlweise Ms. Hammond oder Mrs. Rogers zu nennen. Und Sie können seine Anweisungen nicht übersteuern."
Happy lächelte verlegen. „Du kennst ja Tonys Humor."
Stella musste schmunzeln. „Darüber sollte ich bei Gelegenheit mal mit ihm reden."
Sie blieb noch eine Weile bei Happy und sie unterhielten sich über Musik, bis die Landung kurz bevorstand. Sie drehten sich beide nach vorne und schnallten sich an.
Happy ließ das Flugzeug sanft auf der Landebahn aufsetzen und anschließend bis zu einem Hangar weiter rollen.
Dort angekommen wartete ihr Vater schon auf sie und empfing sie herzlich.
Happy musste gleich weiterfliegen, um Pepper abzuholen.
Stella und ihr Vater fuhren zunächst in das Haus ihrer Eltern, wo ihre Mutter und Antony bereits warteten.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top