70. Der Box-Schüler
Alex kam gerade nach Hause, als er an der Tür der Nachbarwohnung vorbei kam. Er blieb einen Augenblick stehen und betrachtete das Klingelschild. Sein Name stand noch dran, doch Alex wusste genau, dass sein Lieblingsnachbar vor ein paar Tagen ausgezogen war, um nach Washington zu gehen.
Diese Nacht hätte Alex Redebedarf gehabt und sich über Steves offenes Ohr gefreut.
Bis vor wenigen Minuten war Alex noch auf einer Polizeiwache gewesen. Einer von Alex besten Schülern war während eines illegalen Kampfes in einer leerstehenden Fabrikhalle zusammengebrochen und an Ort und Stelle gestorben. Alex war auf die Polizeiwache gebracht worden, da die Beamten offenbar glaubten, er wüsste etwas über die Hintergründe. Doch er wusste nicht, was in den Jungen gefahren war.
Während Alex verhört worden war, hörte er heraus, dass man vermutete, dass der junge Boxer ein neuartiges Dopingmittel genommen hatte. Eine Blutuntersuchung hatte entsprechende Spuren aufgewiesen. Nach einer halben Ewigkeit hatte Alex die Polizisten davon überzeugen können, dass er nichts über die Hintergründe dieses Mittels wusste.
Er hatte auf seine Schüler mehr als einmal eingeredet, dass sie sich von illegalen Kämpfen und Drogen fernhalten sollten. Und gerade dieser Schüler hatte es nicht nötig gehabt. Aber dennoch hatte er den falschen Ehrgeiz noch mehr aus sich heraus zu holen.
In seiner Wohnung zwang sich Alex, eine Kleinigkeit zu essen und sich dann ins Bett zu legen. Er wollte fit für den nächsten Tag sein. Fit für den Moment, in dem er den anderen im Box-Club erzählen musste, was mit ihrem Kumpel geschehen war.
Er blieb lange wach, denn seine Gedanken kreisten um das, was geschehen war. Lange nach Mitternacht stand er schließlich auf, setzte sich an seinen Schreibtisch im Wohnzimmer und schaltete seinen Laptop ein. Er kontaktierte einen alten Bekannten bei der Polizei und hoffte, über ihn an den toxikologischen Bericht zu kommen. Dann recherchierte er über den illegalen Kampf. Er wollte wissen, wer ihn veranstaltet hatte. Als seine Quellen vorerst ausgeschöpft waren, ging er zurück ins Bett und hoffte, noch ein paar Stunden Ruhe zu finden.
Am nächsten Tag ging Alex in den Box-Club und wartete den Zeitpunkt ab, an dem die meisten Trainer und Mitglieder anwesend waren, um sie im großen Trainingssaal zusammen zu rufen.
„Ich muss euch leider was Wichtiges über Brad erzählen", begann er, als alle vor ihm standen und ihn verwundert anguckten.
„Er ist gestern gestorben", sagte Alex und ein Raunen ging durch die Gruppe.
„Er ist während eines Kampfes zusammengebrochen und nicht mehr aufgestanden. Die Polizei geht davon aus, dass er Drogen genommen hat."
„Aber gestern hat doch nirgends ein Kampf stattgefunden", warf jemand verwundert ein.
„Es hat kein offizieller Kampf stattgefunden, das ist richtig. Es muss ein Illegaler in irgendeiner alten Fabrikhalle gewesen sein. Sie wollten mir nicht sagen, wo genau. Aber sollte jemand von euch etwas über diese Sache wissen, wären sie über Hinweise dankbar. Sie versuchen herauszufinden, wer der Organisator war."
Manche schüttelten fassungslos mit dem Kopf, andere guckten Alex weiter schweigend an.
„Und an dieser Stelle möchte ich euch noch mal ganz eindringlich daran erinnern, dass ihr die Finger von dem Scheiß weglassen sollt. Man hat es einfach nicht unter Kontrolle, was es mit einem macht und man endet viel zu schnell wie Brad. Es ist keine Schande mal einen Kampf zu verlieren, wenn ihr gut und fair kämpft. Es ist auch keine Schande mehrmals zu verlieren, so lange ihr ihr selbst bleibt. Verstanden? Gut. Dann dürft ihr jetzt weiter machen."
Alex wandte sich von der Gruppe ab und zog sich in sein Büro zurück.
Eine Weile später klopfte Tyson, einer von Brads Kumpeln, vorsichtig an. Alex bat ihn herein und forderte ihn auf, sich zu setzen.
Tyson druckste eine Weile herum und Alex guckte ihn abwartend an.
„Was willst du mir sagen?"
„Ich habe da vielleicht einen Hinweis. Brads Familie brauchte Kohle, um ihre Miete zu zahlen und das Auto zu reparieren. Vor ein paar Wochen erzählte er was von einem Kampf in der alten Konservenfabrik am Hafen. Ich dachte, er macht nur diesen einen Kampf. Das Geld hätte fürs Auto gereicht." Er schüttelte verzweifelt den Kopf. „Hätte ich gewusst, wie weit das gehen würde, hätte ich versucht ihn davon abzuhalten. Aber wir alle kennen das doch, wie es ist knapp bei Kasse zu sein, oder?"
„Es ist nicht deine Schuld. Aber vielleicht kannst du dazu beitragen, dass die Polizei die Verantwortlichen findet."
Tyson hob abwehrend die Hände. „Nein das geht nicht. Wenn ich zu denen gehe, sacken die mich ein, weil sie glauben, dass ich da mit drin stecke. Die haben meine Familie eh schon auf dem Kieker, wegen meiner Cousins."
„Dann übernehme ich das für dich", sagte Alex und ließ sich alles erzählen, was Tyson wusste.
Am Nachmittag bekam Alex eine Mail, die den kompletten Polizei-Bericht über Brads Tod enthielt. Sein Kontaktmann wies in gleichzeitig darauf hin, dass man den Fall bereits als unlösbar zu den Akten gelegt hatte.
Nach einem Tag geben sie schon auf? Das ist wohl ein neuer Rekord. Oder jemand, der Geld hat, hängt mit drin.
Alex überflog den Bericht, fand darin aber noch nichts Hilfreiches, außer der Adresse der Fabrikhalle. Gerade als Alex beschlossen hatte, sich in der Nacht die Halle und deren Umgebung mal anzusehen, kam sein ältester Mitarbeiter Earl zur Tür herein.
„Nachdem du den Jungs vorhin den Kopf gewaschen hast, denke ich, dass ich das Gleiche auch mal wieder mit dir tun sollte", sagte der alte Mann.
„Wieso?"
„Du fängst wieder an herumzuschnüffeln, oder?", sagte Earl mit einem strengen Blick. „Gibt es nicht genug andere Polizisten, Agents und was weiß ich, die das übernehmen können?"
„Die haben keinen Bock auf den Fall. Er wurde heute schon zu den Akten gelegt."
„Und was ist mit der rothaarigen Lady, die neulich hier war?"
„Nat hat keine Zeit für so etwas."
Earl guckte sorgenvoll. „Und du willst trotzdem Antworten haben."
„Ja, sonst wird es immer so weiter gehen."
Mit einem Seufzer sagte Earl: „Pass auf, dass du in keine Scheiße mit hineingezogen wirst." Er stand auf und ließ Alex allein im Büro.
Bis es draußen dunkel wurde, vertrieb sich Alex die Zeit mit seiner Buchhaltung. Er machte noch einen letzten Rundgang durch seinen Club und schloss ihn dann von außen ab. Anschließend setzte er sich in sein Auto und fuhr zu der Fabrikhalle.
Das Auto stellte er unauffällig in einer Seitenstraße ab, um die Gegend zu Fuß weiter zu erkunden. In der Fabrik schien zunächst niemand zu sein. Als Alex durch eines der Fenster spähte, konnte er aber einen Boxring ausmachen, der durch das von außen hineinfallende Licht schwach erleuchtet wurde.
Wenn man sich alles besser beleuchtet vorstellt, ist das genau der Ring, in dem Brad gestorben ist.
Er umrundete das Gebäude einmal komplett, bis er wieder am Anfang angekommen war. Plötzlich hörte er, dass sich ein Auto näherte. Er versteckte sich schnell hinter einer Mülltonne und beobachtete von dort aus, wer aus dem Auto stieg.
Das Auto war eine dunkle Limousine mit getönten Scheiben. Der Fahrer stieg aus und machte die hintere Tür auf, um den Fahrgast hinaus zu lassen. Dieser sah mit seinem Anzug und der schweren goldenen Uhr am Arm aus, als wäre er der Kopf der Bande. Alex hatte den Mann noch nie zuvor gesehen. Er machte mit seinem Smartphone ein paar Fotos, um ihn vielleicht später identifizieren zu können.
Aus dem Auto stieg noch ein Mann, der aber offenbar nur ein Bodyguard war. Einer blieb am Wagen stehen, während der Anführer eine Tür am Gebäude aufschloss und mit dem anderen hinein ging.
Drinnen machten sie das Licht an und Alex spähte vorsichtig durch ein Fenster hinein. Die beiden verschwanden im hinteren Teil der Halle, so dass Alex nicht sehen konnte, was sie dort machten. Nach einer Weile kamen sie jedoch zurück. Der Anführer trug jetzt einen Aktenkoffer. Sie löschten das Licht in der Halle, schlossen die Tür wieder ab und setzten sich zurück in ihr Auto.
Alex huschte durch den Schatten schnell zu seinem Auto und betete, dass es rechtzeitig anspringen würde, damit er ihnen folgen konnte. Seine Gebete wurden erhört, so dass er hinter der schwarzen Limousine hinterherfahren konnte.
Die Fahrt endete in einer Gasse hinter einer angesagten Bar in Manhattan. Der Unbekannte und einer seiner Begleiter stiegen aus und klopften an der Hintertür. Jemand öffnete sie von innen und ließ die Männer kurz warten. Schließlich kam aus der Tür ein Mann, den Alex schon einmal gesehen hatte – Clark Hanson.
Dieser schmierige Mistkerl hängt da also auch mit drin, dachte Alex und machte auch von dieser Begegnung ein paar Fotos.
Hanson sah sich nervös um und zog aus seiner Jackentasche einen Zettel hervor, den er dem anderen vorlas. Eilig wollte er ihn zurückstecken, bevor er sich mit den anderen in das Auto setzte, doch er schob den Zettel an der Tasche vorbei und ließ ihn dadurch auf den Boden segeln. Als alle Türen geschlossen waren, fuhren sie sofort weiter.
Alex wollte erneut die Verfolgung aufnehmen, doch dieses Mal ließ sein Wagen ihn im Stich.
„Komm schon, Lucille! Das ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür!", sagte er zu seinem Auto, doch die anderen waren schon längst außer Sichtweite.
Mit einem Seufzer entriegelte er die Motorhaube und stieg aus. Jetzt fiel ihm der Zettel auf und er sammelte ihn ein, um ihn sich näher anzusehen.
Darauf war eine weitere Adresse verzeichnet und Alex wusste sofort, dass er sich auch an diesem Ort umsehen würde, sobald sein Auto wieder fuhr.
Er brauchte jedoch viel zu lange dafür, den Wagen wieder in Gang zu bringen, um noch diese Nacht die neue Adresse anzufahren. Also beschloss er resigniert, nach Hause zu fahren und ein paar Stunden zu schlafen.
Am nächsten Tag saß Alex in seinem Büro und sichtete die Fotos, die er gemacht hatte. Er gab einen Teil davon per Mail an einen Kontaktmann weiter, der für ihn herausfinden sollte, wer der unbekannte Mann war.
Die Tatsache, dass Clark Hanson mit in die Sache verwickelt war, brachte Alex dazu, eine Akte, die Natasha vor einer Weile bei ihm gelassen hatte, aus seiner Schreibtischschublade hervorzuholen. Es war das erste Mal, dass er ernsthaft einen Blick in diese Akte warf, denn eigentlich hatte er von seiner ehemaligen Kollegin keinen Auftrag annehmen wollen.
In Natashas Akte ging es darum, dass Clark Hanson auf der Party von Tony ein bisher unbekanntes Mittel in Stellas Glas geschüttet hatte, um sie schneller betrunken zu machen. Natasha wollte, dass Alex herausfand, woher das Mittel kam.
Jetzt verglich Alex die Akte mit allem, was er über Brads Fall wusste. Er fand dabei heraus, dass beide Drogen organischen Ursprungs waren. Ansonsten waren sie nicht miteinander vergleichbar. Er vermutete jedoch, dass beide Drogen vom gleichen Händler geliefert wurden und er hoffte, mehr darüber herauszufinden, wenn er am Abend sich bei der Adresse von Hansons Zettel umsehen würde.
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