7. Der General

Als sich der Abend näherte, überredete Antony Steve einen Zeichentrickfilm mit ihm zusammen zu schauen. Sie saßen im Wohnzimmer, als Michael heimkam. Er begrüßte beide und ging weiter in die Küche. Dort hatte Stella schon mit dem Kochen begonnen. Er begrüßte seine Frau mit einem Kuss, nahm sich ein Getränk und setzte sich dann ins Wohnzimmer.

„Heute wirst du meinen Dad kennenlernen. Er kommt zu uns zum Abendessen."

„Ja, das hat Stella mir schon erzählt. Ich bin gespannt darauf."

Michael begann damit in einem länglichen Monolog von den heldenhaften Einsätzen seines Vaters, die er während seiner Dienstzeit in der Air Force hatte zu erzählen. Offenbar hielt er große Stücke auf seinen Vater, der gegen Ende seiner Laufbahn zum General aufgestiegen und vor ein paar Jahren schließlich in den Ruhestand gegangen war.

Es klingelte an der Tür und Michael stand auf, um sie zu öffnen. Als er von der Tür zurückkam, brachte er seinen Vater Thomas Chain mit. Der alte Mann hatte eine grimmige Erscheinung. Seine Haare waren grau und seine Falten zeichneten harte Linien in sein Gesicht. Er sah aus wie jemand, der nur selten lachte.

Michael stellte seinem Vater Steve vor. Thomas begrüßte Steve mit einem festen Händedruck und begutachtete seine Statur. Seinem Enkelsohn nickte Thomas nur kurz zu und ließ sich dann von Michael in die Küche führen. Dort nickte er auch Stella nur kurz zu, welche die Begrüßung mit einem freundlichen „Hallo!" erwiderte.

Sie hatte den Tisch schon längst gedeckt, als alle zur Küche hereinkamen und sich hinsetzten.

Sie stellte eine Spinatlasagne auf den Tisch und gab dieses Mal Thomas die erste Portion.

Er knurrte leise: „Wieder kein Fleisch!"

Stella fuhr damit fort, die Portionen zu verteilen.

Michael erzählte seinem Vater von seinem Tag.

„Nächste Woche kommen bei uns noch mal neue Rekruten an, die ein paar Übungsflüge absolvieren sollen."

„Aha."

„Und voraussichtlich in ein paar Wochen geht unser Geschwader auf ein großes Übungsmanöver auf einem Flugzeugträger im Pazifik."

„Hm", brummte Thomas, ignorierte seinen Sohn und schaute statt dessen Steve mit seinem strengen prüfenden Blick an.

„Und wo war dein letzter Einsatz?"

Steve antwortete wieder knapp mit „Deutschland."

Thomas war wie zuvor sein Sohn über diese Antwort leicht enttäuscht.

„Warum lassen sie jemanden wie dich sich dort langweilen?"

Steve wusste darauf keine gute Antwort und zuckte mit den Schultern. Die vollständige Antwort hätte er ohnehin nicht geglaubt.

Für eine Weile waren am Tisch nur Essgeräusche zur hören. Schließlich schaute Thomas Stella an und deutete in Richtung Antony.

„Wie soll aus dem Bengel eigentlich mal ein richtiger Mann werden, wenn du ihm nie Fleisch auf den Teller bringst?"

Steve fand es nicht in Ordnung, dass Thomas sich so über das Essen beklagte. Er mochte ein hochdekorierter General sein, dennoch war auch er hier zu Gast. Zudem fand Steve die Lasagne recht lecker und er antwortete: „Na ja, Popeye wird ja auch durch Spinat stark!"

Thomas stutzte kurz, erinnerte sich offenbar an die alten Cartoons, lächelte dann schief und sagte: „Der Kerl gefällt mir!"

Nach ein paar weiteren Bissen fing Thomas an, sich über die Wirtschaftslage zu beschweren.

Stella hatte ihr Auto erst vor Kurzem neu gekauft, was er nicht unkommentiert ließ.

„Unsere Automobilindustrie liegt immer noch am Boden und du kaufst einen Japaner! Als Amerikanerin hast du die Pflicht, unsere Wirtschaft zu unterstützen!"

Stella blieb zwar weiterhin gelassen, konnte sich aber ihre Antwort wohl nicht verkneifen. „Als Mensch habe ich die Pflicht, unseren Planeten zu schützen. Das Auto war in der Hinsicht, rein technisch betrachtet, die beste Wahl, die es im Moment auf dem Markt gibt."

„Ach!", brummte Thomas. „Und die Fabrik, die dein Vater da in Detroit baut - darf da jeder arbeiten oder nur Rothäute?"

„Es darf dort jeder arbeiten, der die Qualifikation hat. In der Fabrik sollen vor allem die arbeiten können, die vorher in der Automobilindustrie gearbeitet haben. Es gibt in Detroit immer noch viele Menschen ohne Job."

Antony hatte zwischenzeitlich seinen Teller leer gegessen und war satt. Stella beugte sich zu ihm herüber und flüsterte ihm zu, dass er aufstehen und in sein Zimmer gehen dürfe. Der Junge nahm das Angebot sofort an und verschwand aus der Küche.

Steve stocherte ein wenig betreten auf seinem Teller herum, da er nicht wusste, wie er sich bei der aktuellen Stimmung am Esstisch einbringen sollte. Er verstand nicht, warum sich Michael nicht etwas mehr einmischte. Ihm war klar, dass er ziemlich großen Respekt vor seinem Vater hatte. Aber hatte er als Ehemann nicht auch die Pflicht, seine Frau zu unterstützen?

„Warum steht der Junge jetzt schon auf? Wir sind noch nicht fertig!", protestierte Thomas.

Stella schaute ihn streng an. „Weil ich es ihm gesagt habe."

„Macht der Junge eigentlich immer noch Judo? Warum nicht was Richtiges, wie Football?"

Stella versuchte, weiterhin diplomatisch zu bleiben, was ihr aber inzwischen schon sichtlich schwerer fiel.

„Er ist für sein Alter ziemlich gut darin. Es macht uns beiden Spaß, wir kommen aus dem Haus und wir bleiben in Bewegung", argumentierte sie für die Wahl der Sportart.

Thomas schnaubte missfällig.

„Dad, komm schon! Lass uns das Essen einfach genießen", mischte sich Michael endlich ein.

„Ich sage ja nur meine Meinung. Stella und ihre Eltern verplempern ihre Zeit, anstatt etwas Anständiges aus dem Jungen zu machen. Aber es ist schon seltsam, dass er nichts mit dir gemeinsam hat", sagte er schließlich zu Michael und nuschelte hinterher: „Vielleicht hätte einfach in Afghanistan bleiben sollen, was dort passiert ist."

Jeder am Tisch hatte den letzten Satz verstanden. Steve sah nun, wie angespannt Stella inzwischen war. Sie wollte sich wohl nicht anmerken lassen, wie sehr ihr Schwiegervater sie mit dem letzten Satz getroffen hatte. Sie schluckte - wohl in dem Versuch sich zusammenzureißen - doch dann konnte sie ihrem Impuls nicht mehr widerstehen.

Sie ließ ihr Besteck klirrend auf den Teller fallen, stand ruckartig auf und sagte: „Ich muss mich noch um die Pflanzen kümmern", um schnell im Dunkeln auf der Terrasse zu verschwinden.

„Dad, du bist jetzt wirklich zu weit gegangen!", sagte Michael.

„Ist doch so!"

„Nein, ist es nicht. Er ist mein Sohn. Du weißt, dass ich das damals habe testen lassen."

Thomas schnaubte eingeschnappt.

„Du solltest jetzt gehen."

„Du setzt mich vor die Tür?"

„Ja, für heute. Wir telefonieren morgen."

Thomas stand auf und sagte: „Ich finde den Weg schon alleine."

Als Thomas die Wohnung verlassen und die Tür laut zugeknallt hatte, schüttelte Michael resigniert den Kopf. „Das ist nicht ganz so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Sorry."

Er stand jetzt auch von seinem Stuhl auf und zeigte in Richtung Terrassentür. „Ich sollte mal nach ihr sehen."

Daraufhin wollte Steve damit beginnen den Tisch aufzuräumen.

„Lass das ruhig stehen. Ich räume das nachher weg. Machs dir solange im Wohnzimmer bequem. Stella wollte nachher noch mal mit dir reden."

„Okay", nickte Steve und ging ins Wohnzimmer. Er setzte sich auf das Sofa und versuchte, für sich einzuordnen, was da gerade passiert ist.

Durch das Fenster konnte er erkennen, dass Michael seine Frau in den Arm nahm und sie sich an seine Schulter schmiegte. Er streichelte ihren Rücken, küsste sie auf die Stirn und blieb mit ihr eine ganze Weile so stehen. Er konnte nicht hören, was die beiden sagten, war sich aber sicher, dass Michael beruhigend auf sie einredete.

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