68. Die nächtliche Begegnung

∞∞*Triggerwarnung: Dieses Kapitel enthält Andeutungen von sexueller Gewalt*∞∞

Stella saß auf dem kalten Fliesenboden vor der Badewanne. Sie hatte die Beine angewinkelt. Ihre Arme ruhten auf ihren Knien und sie hatte ihr Gesicht darin vergraben.

Wie lange sie hier schon so da saß, wusste sie nicht. So erschöpft wie sie sich nach den unzähligen Tränen und dem Ringen nach Luft fühlte, hätten es Stunden sein können. Da in der Wohnung immer noch nichts außer Michaels Schnarchen zu hören war, waren es vielleicht auch nur Minuten.

Michael war aus der Bar zurückgekommen, als Stella sich gerade bettfertig gemacht hatte. Seine Fahne war stark genug gewesen, um gleich den ganzen Raum mit dem Biergeruch auszufüllen. Er fasste sie viel zu grob an und hatte sie aufs Bett gestoßen, um sich gleich darauf auf sie zu stürzen und, wie er es ausdrückte, mal wieder sein eheliches Recht einzufordern. Als sie versuchte, sich zu wehren, schlug er sie erst und würgte sie dann. Dieses Mal drückte er so fest zu, dass sie schon glaubte, das Bewusstsein zu verlieren. Nachdem sie wieder Luft bekam, flehte sie ihn leise an, aufzuhören. Doch er ignorierte dies lange genug, bis sie den Rest kraftlos über sich ergehen ließ.

Am Ende hatte er sich einfach nur zur Seite gerollt, schlief schnell ein und schnarchte seit dem friedlich vor sich hin. Stella hatte sich ins Bad zurückgezogen, weil sie in diesem Moment seine Nähe nicht mehr ertrug.

Dort war sie jetzt immer noch und bekam allmählich wieder richtig Luft. Ihr Unterleib war immer noch schmerzhaft verkrampft und sie fühlte sich noch nicht bereit aufzustehen.

Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus und war dankbar dafür, dass niemand anderes in der Wohnung etwas von dem Geschehen im Schlafzimmer mitbekommen hatte. Sie wollte nicht, dass jemand sich Sorgen machte. Sie wollte immer noch daran glauben, dass sie die Probleme mit Michael alleine lösen konnte.

Plötzlich hörte sie Steves Stimme: „Stella? Ist alles in Ordnung bei dir?"

Sie blickte auf und versuchte auszumachen, wo seine Stimme herkam.

„Hörst du mich? Brauchst du Hilfe?"

Jetzt fiel ihr auf, dass das Fenster zum Lüften ein wenig geöffnet war. Steve war draußen auf der Terrasse.

„Ja ... ähm ... alles in Ordnung", sagte sie eilig.

„Okay. Hast du einen Moment, um mit mir zu reden? Kannst du rauskommen?"

Ist ihm das Treffen mit Stans Großvater doch nahe gegangen? Will er darüber reden? Ich sollte jetzt wohl für ihn da sein.

„Ich brauche noch einen Augenblick, bis ich hier fertig bin. Dann komme ich zu dir", antwortete sie.

Sie erhob sich leise vom Boden und stand mit dem Gesicht zum Spiegel. Erschrocken stellte sie fest, dass sie nicht geschminkt war. Steve würde so der blaue Fleck auf ihrem Wangenknochen auffallen. Und wenn sie sich jetzt, um diese Uhrzeit, noch schminken würde, sähe das auch sehr seltsam aus. Kein normaler Mensch trug Make-up zum Schlafanzug.

Um einen normalen Toilettengang vorzutäuschen, betätigte sie erst die Spülung und ging dann zum Waschbecken. Mit kaltem Wasser wusch sie sich das Gesicht und hoffte so, zumindest verbergen zu können, dass sie vor kurzem noch geweint hatte. Ein weiterer Blick in den Spiegel zeigte ihr, dass diese Strategie nicht aufging. Stattdessen bahnte sich ein neuer Weinkrampf an, den sie gerade so weg atmen konnte.

Sie schloss die Augen und holte noch einmal tief Luft, bevor sie ihr Gesicht und ihre Hände mit einem Handtuch abtrocknete.

Danach öffnete sie leise die Tür, schlich durch das Schlafzimmer zur Terrassentür und ging hindurch nach draußen.

Steve stand mit dem Gesicht zum Meer da und Stella nutzte den Moment, bevor er sich umdrehte, um in den Schatten neben einer der großen Topfpflanzen zu huschen. Sie hoffte, dass es hier dunkel genug war, so dass Steve nicht jedes Detail in ihrem Gesicht erkennen konnte.

„Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung bei dir?", fragte sie, um das Gespräch zu eröffnen.

Steve drehte sich zu ihr um und nickte: „Ja, bei mir ist alles in Ordnung."

„Wie war es bei Stan?"

„Es war ein netter Abend."

„Was liegt dir dann auf dem Herzen?", fragte sie verwundert.

Er ging ein paar Schritte auf sie zu und sah ihr direkt ins Gesicht. Seine Augenbrauen hatte er sorgenvoll zusammengezogen und er sagte: „Ich wollte wissen, ob bei dir alles in Ordnung ist. Auf dem Heimweg habe ich Michaels Auto vor der Bar stehen sehen und drinnen nachgesehen. Er war schon nicht mehr dort, und man sagte mir, dass er hinausgeworfen wurde, weil er Ärger gemacht hat. Geht es dir gut?"

Einen Moment lang zögerte sie und wollte sich am liebsten in der Pflanze verkriechen, damit Steve sie nicht weiterhin so eindringlich mustern konnte.

Sie setzte ein Lächeln auf und sagte: „Du brauchst dir keine Sorgen machen. Es ist alles gut."

Steve schüttelte den Kopf und streckte seinen Arm aus, um vorsichtig ihr Gesicht zu berühren. Mit seinem warmen Daumen strich er genau über den blauen Fleck.

„Er hat dich geschlagen, oder?", stellte er fest.

„Nein, das ist nichts", sagte sie. Als sie sah, wie seine Muskeln sich langsam anspannten, fügte sie hinzu: „Das war nur ein Versehen."

Er legte den Kopf schief und musterte ihren Hals. Sie musste schlucken, was sie ein wenig das Gesicht verziehen ließ, denn es tat immer noch weh.

Seine Muskeln spannten sich noch weiter an und er wirkte jetzt noch ein Stück größer als sonst. Sein Mund bildete eine schmale Linie und sein Blick zeigte die Entschlossenheit, die sie zuletzt in New York bei ihm beobachtet hatte, als er gegen die Aliens gekämpft hat.

„Das war mehr als nur ein Versehen, oder?", brachte er hervor.

Er blickte zu der Tür, die zum Schlafzimmer führte. Auch hier draußen hörte man noch Michaels Schnarchen. Stella hatte den Eindruck, dass Steve drauf und dran war, das Schlafzimmer zu stürmen und Michael aus dem Bett zu zerren.

In der Vergangenheit hatte Stella ein paar Mal davon geträumt, dass jemand, der Steves Schild trug, in seinem Zorn einen unschuldigen Mann erschlug. Jetzt befürchtete sie, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Vision handelte. Steve hatte zwar weder seine Uniform noch seinen Schild dabei und der wehrlose Mann war auch jemand anderes, aber von ihrer Großmutter hatte sie gelernt, dass Visionen manchmal einfach nur Sinnbilder zeigten und nicht immer eins zu eins in die Realität übertragen werden konnten. Jetzt hatte Stella Angst davor, dass diese Vision wahr werden könnte. Dass Steve in seinem Zorn in das Schlafzimmer hineinmarschieren und ihren wehrlosen Ehemann erschlagen könnte.

Sie war sich nicht sicher, ob sie mehr um Michaels Gesundheit oder um Steves Seelenheil fürchtete. Doch sie spürte den Drang einzuschreiten und etwas dagegen zu unternehmen.

Wenn er jetzt wirklich da hinein marschieren will, habe ich nichts, was ich ihm entgegensetzen kann, ging ihr durch den Sinn, bevor ihr eine einzige Möglichkeit einfiel, Steve aufzuhalten.

Gerade als er sich einen Schritt auf das Schlafzimmer zubewegen wollte, schob sie sich vor ihn und umarmte ihn.

Es fühlte sich an, als würde sie eine Statue umarmen, so angespannt waren seine ausgeprägten Muskeln. Sie hörte seinen schnellen Herzschlag und seinen beschleunigten Atem. Mit aller Kraft versuchte sie selbst ruhig zu bleiben, um nicht die einzige Möglichkeit zu vertun, den Hünen vor ihr zu beruhigen.

Er blieb stehen und ließ die Berührung zu.

„Es ist nicht richtig, dass er dir weh tut!", sagte er leise.

Sie hob ihren Kopf und sah ihm in die Augen. „Es ist eine Sache zwischen mir und ihm. Ich bekomme das schon hin. Bitte lass ihn in Ruhe. Er ist betrunken und versteht nicht, was vor sich geht." Der letzte Satz klang mehr nach einem Flehen, als sie es eigentlich gewollt hatte.

„Es war heute nicht das erste Mal, oder?", fragte er und fixierte sie mit seinem Blick.

Sie zögerte mit ihrer Antwort, denn sie wollte ihm nicht einfach die Wahrheit sagen. Sie befürchtete, dass diese ihn nur noch mehr anstacheln würde. Gleichzeitig ahnte sie, dass er ihr eine Lüge nicht einfach abkaufen würde.

„Dann hätte er merken sollen, dass er einen Fehler gemacht hat, als er nüchtern war", folgerte Steve und wollte Stella vorsichtig zur Seite schieben.

Sie umklammerte ihn noch ein bisschen fester.

„Respektierst du mich?", fragte sie und versuchte, einen möglichst festen Tonfall zu bewahren.

„Ja, natürlich", antwortete er verwirrt.

„Dann respektiere bitte auch meinen Wunsch, dies allein zu klären. Lass ihn in Ruhe und bleib einfach bei mir hier draußen."

Er bewegte angespannt den Unterkiefer hin und her und sagte schließlich: „Ich bringe dich und Antony zu deinen Eltern. Sie werden euch sicher aufnehmen. Ihr solltet nicht bei ihm bleiben."

Sie schüttelte vehement den Kopf. „Weder Antony noch meine Eltern sollen wissen, was diese Nacht passiert ist. Sie würden sich nur unnötig Sorgen machen."

„Du weißt, dass Kinder manchmal mehr mitbekommen, als man glaubt? Was für ein Vorbild ist Michael auf diese Weise?", hinterfragte er.

Das war etwas, was sie sich nicht ausmalen wollte. Sie hoffte sehr, dass Antony von all dem unberührt blieb.

Ihr Blick wurde durch die Tränen, die jetzt wieder nach oben stiegen, verschleiert. Als sich die erste den Weg nach draußen gebahnt hatte und ihre Wange herunterlief, hob Steve seine Arme und legte sie vorsichtig um sie.

Die Situation überforderte sie und sie konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Sie vergrub ihr Gesicht in Steves T-Shirt und begann unkontrolliert zu schluchzen. Schon wieder rang sie nach Luft.

Eine Weile tat er nichts, als sie zu halten, und sie wünschte sich, sie könnte in seine Umarmung hineinschlüpfen, wie in einen Kokon. Seine Anspannung hatte nachgelassen und mit einer seiner großen, warmen Hände strich er vorsichtig über ihren Rücken.

„Ich bleibe hier bei dir und wir überlegen uns gemeinsam eine Lösung", sagte er sanft.

Sie konnte erst gar nicht die Bedeutung seiner Worte erfassen. Sie fand einfach nur die Vibration in seinem Brustkorb beruhigend.

Als sie wieder Luft bekam, sagte sie: „Das ist eine Sache, die Michael und ich unter uns klären müssen."

„Du solltest das nicht einfach so hinnehmen! Das hast du nicht verdient!", protestierte Steve.

„Steve, du weißt, dass er mein Ehemann ist."

„Und das gibt ihm das Recht, alles mit dir zu tun?"

„Nein. Aber als ich ihn geheiratet habe, habe ich ihm geschworen, in guten wie in schlechten Zeiten bei ihm zu bleiben. Und gerade haben wir einfach eine schwierige Phase."

Er guckte sie skeptisch an.

„Michael ist frustriert, weil er seinen jetzigen Posten nicht mehr so erfüllend findet, wie er es gerne hätte. Alle bisherigen Versuche, einen anderen Posten zu bekommen, sind leider gescheitert. Gleichzeitig übt sein Vater Druck auf ihn aus. Damit kommt er nicht klar. Zudem schaffe ich es nicht, ihm die körperliche Nähe zu geben, die er braucht."

„Und das, was er diese Nacht getan hat, soll dir das leichter machen?", hinterfragte Steve.

Sie ignorierte das und fuhr fort: „Es wäre meine Aufgabe gewesen, ihn zu unterstützen und ihm aus dieser Krise heraus zu helfen. Aber ich habe wohl versagt."

Nachdem sie das ausgesprochen hatte, musste sie schlucken. Die Erkenntnis lag bitter auf ihrer Zunge und es fiel ihr schwer, den nächsten Satz laut auszusprechen.

„Ich bin nicht in der Lage, ihm ausreichend zu helfen."

„Dann solltest du vielleicht dir selbst helfen. Oder zulassen, dass jemand dir hilft."

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, es geht mir gut. Ich brauche keine Hilfe."

„Das sehe ich anders." Er seufzte kurz. „Also gut, was ist dann dein Plan?", fragte Steve mit Nachdruck.

Sie löste sich aus seinen Armen, zuckte mit den Schultern und drehte den Kopf in Richtung Meer. Die kühle Nachtluft ließ sie langsam frieren und sie war müde. Aber sie zwang sich, im Kopf alle Möglichkeiten durchzugehen, die zu einer Lösung führen könnten.

Schließlich schaute sie Steve wieder an und sagte: „Ich werde morgen früh einen Therapeuten anrufen und einen Termin für ihn ausmachen. Da soll er hingehen, bis es ihm besser geht. Und ich werde morgen, sobald es geht und er nüchtern ist, mit ihm darüber reden."

Steve nickte. „Gut, das klingt nach einem Anfang."

„Heute können wir nichts mehr tun. Wir sollten schlafen."

„Du willst dich doch nicht etwa einfach zu ihm legen?"

Sie schüttelte den Kopf.

„Du kannst mein Bett haben, wenn du magst. Ich kann auch im Wohnzimmer schlafen."

„Nein, das ist nicht nötig. Ich werde in meinem Arbeitszimmer schlafen. Man kann das Sofa ausklappen, dann ist es recht bequem."

Das Sofa hatte in letzter Zeit bereits öfter als ihr Schlafplatz herhalten müssen. Sie hatte in dem Staufach unter der Sitzfläche daher schon Bettzeug gelagert und einen Wecker in dem Regal nebenan aufgestellt.

„Bist du sicher, dass dir das reicht? Du siehst aus, als würdest du dringend einen guten Schlaf brauchen."

Sie lächelte aufmunternd. „Ja, das reicht mir. Es ist wirklich gemütlich, zumindest, wenn man nicht allzu groß ist."

„Kann ich sonst etwas für dich tun?"

„Nein, es ist alles gut. Mache dir keine Sorgen."

Er zog einen Mundwinkel hoch. „Das sind zwei Sätze, die ich dir in nächster Zeit nicht so einfach abkaufen werde."

Sie wollte wirklich nicht, dass er sich Sorgen machte. Eigentlich wollte sie, dass er sich in seinem Urlaub wohlfühlte und sich ein wenig entspannen konnte. Schließlich war seine Aufgabe eine große Last, die kein Mensch so einfach wegstecken konnte. Da musste er sich nicht auch noch um ihre Probleme kümmern.

Die Fürsorge in seinem Blick war für sie fast erdrückend und sie bekam ein schlechtes Gewissen.

„Es tut mir leid, dass du das hier miterleben musstest", sagte sie leise.

Er machte große Augen und schüttelte den Kopf, bevor er sie noch einmal sanft umarmte. „Du bist hier nicht diejenige, die sich entschuldigen muss."

Nachdem sie sich aus der Umarmung gelöst hatten, gingen sie beide ins Wohnzimmer und wünschten sich dort eine erholsame Nacht.

Stella lag noch eine Weile wach auf dem Sofa in ihrem Arbeitszimmer. Sie hatte sich in einer Bettdecke eingehüllt, aber fror trotzdem ein wenig. Auch durch die beiden geschlossenen Türen hörte sie noch leise Michaels Schnarchen und zog ihre Decke über ihre Ohren. Doch so konnte sie auch nicht einfacher einschlafen, denn nun hörte sie nur ihren eigenen Puls umso deutlicher und immer dann, wenn sie glaubte, dass er sich verlangsamen würde, wurde er wieder schneller. Irgendwann siegte schließlich ihre Müdigkeit und sie schlief ein.

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