67. Das Treffen mit Freunden
Am nächsten Morgen traf Steve Stella wieder in der Küche. Sie trug wie gestern Make-up und hatte statt ihrer üblichen, eher bequemen Sachen ihre blaue Air-Force-Uniform an.
„Guten Morgen", begrüßte er sie.
„Hallo Steve! Magst du was frühstücken?" Sie deutete auf den gedeckten Tisch.
„Gerne", sagte er und setzte sich hin.
„Du bist auf dem Weg zum Dienst?"
„Ja, ich werde so gegen 16 Uhr heimkommen. Michael musste schon los und ich bringe gleich noch Antony zur Schule. Was hast du heute vor?"
„Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Wahrscheinlich gehe ich erstmal eine Runde laufen. Das Wetter sieht gut aus. Darf ich den Schlüssel benutzen, um dann wieder rein zu kommen?"
Stella lächelte. „Na klar, dafür hast du ihn doch!"
„Und ist bei dir ein wichtiger Tag? Du hast heute deine Uniform an."
Sie verzog leicht gequält das Gesicht. „Die muss ich jetzt immer tragen, seit der Stützpunkt von einem neuen General geleitet wird. Ich darf während meiner Arbeit die Jacke gegen einen weißen Kittel tauschen. Damit ist es ein bisschen bequemer und ein bisschen einfacher, zu handeln, falls mal ein Fleck drauf kommt."
„Und wann wurdest du befördert?", fragte er, als er ihre Rangabzeichen erblickte. Sie trug jetzt nicht mehr nur einen silbernen Streifen auf ihrer Schulter, sondern zwei und war damit nicht mehr First Lieutenant sondern Captain.
„Während der Begrüßungsfeier für den General. Aber an meinen Aufgaben hat sich nichts geändert, deswegen ist es eigentlich nicht der Rede wert."
Steve war schon vorher klar gewesen, dass sie mehr für ihre Arbeit als für ihren Rang lebte. Er fragte sich gleichzeitig, wie es Michael ergangen war. Sein derzeitiges Verhalten deutete nicht gerade auf eine freudige Überraschung hin.
Hat er ein Problem damit, dass sie jetzt mit ihm gleichgezogen ist? Aber das ist doch Unsinn. Sie arbeiten in komplett unterschiedlichen Bereichen.
„Ist zwischen dir und Michael eigentlich alles okay?", platze es aus Steve heraus.
Sie zögerte einen Moment und sagte dann: „Ja klar. Uns geht es gut."
An ihrem Blick erkannte Steve, dass sie dabei war, sich ihm zu verschließen und er mit diesem Thema bei ihr nicht weit kommen würde.
Vermutlich sollte ich das lieber später noch einmal ansprechen, wenn sie nicht auf dem Sprung ist. Ich hoffe, die Gelegenheit ergibt sich noch.
Antony gesellte sich zu ihnen an den Küchentisch und sie aßen gemeinsam ihr Frühstück auf.
Stella und Antony verabschiedeten sich schließlich von Steve und starteten in ihren Tag.
Am Nachmittag kam erst Kenai in die Wohnung und brachte Antony von der Schule heim. Er begrüßte Steve freundlich und unterhielt sich eine Weile mit ihm, bevor auch Stella nach Hause kam.
Nachdem sie alle begrüßt hatte, verschwand sie kurz im Schlafzimmer und kam in bequemeren Sachen zurück.
Mit einem leisen Seufzer blickte sie auf ihr Smartphone und sagte: „Michael bleibt noch ein wenig im Stützpunkt und geht dann später mit jemandem ins Moonshooter."
Er war doch gestern erst dort, dachte Steve.
„Dad, kannst du mir helfen, die Sachen für Rachel ins Auto zu tragen?"
„Ja klar, kein Problem."
„Ich kann auch helfen", wandte Steve ein. Er fragte sich, warum Stella nicht von sich aus daran gedacht hatte. Gerade wo sie gestern erwähnt hatte, dass auch Möbelstücke ins Auto mussten.
Sie lächelte Steve freundlich an. „Aber du bist doch unser Gast und nicht zum Arbeiten hier."
„Das ist kein Problem für mich. Kenai und ich haben vorhin schon darüber gesprochen. Ich kann auch mitkommen und dir dabei helfen, die Sachen bei Rachel aufzubauen."
Er fixierte sie mit einem ermunternden Blick.
„Also gut, wenn du so guckst, habe ich wohl keine Wahl", schmunzelte Stella.
„Na dann fangen wir mal an!", sagte Kenai und führte Steve in den Keller, wo die Kinderzimmermöbel in Einzelteilen gelagert waren. Nur das Oberteil der Wickelkommode war noch am Stück und dadurch recht schwer und sperrig. Steve trug dieses Teil alleine aus dem Haus und in das Auto, welches Stella in der Zwischenzeit zur Haustür gefahren hatte. Nachdem die Möbel und der Kinderwagen darin Platz gefunden hatten, stapelten sie noch die Kisten mit der Kleidung hinein.
Antony fuhr anschließend mit seinem Großvater mit, um den Abend bei ihm zu verbringen.
Steve setzte sich zu Stella ins Auto und sie fuhren zu Rachels Wohnung. Dort angekommen klingelte Stella.
Rachel öffnete die Tür und begrüßte die beiden herzlich. Man sah ihr schon sehr deutlich an, dass sie schwanger war, und Stella verbot ihr, mitzuhelfen.
„Dann mache ich euch zumindest ein Sandwich", schlug Rachel als Kompromiss vor.
Das Kinderzimmer war im Handumdrehen eingerichtet. Steve und Stella sahen sich gemeinsam das Ergebnis ihrer Arbeit an.
„Danke, für die Hilfe", sagte Stella leise, während sie sich wehmütig umsah. Die aufgebauten Möbel weckten wohl noch mehr Erinnerungen in ihr als die Einzelteile.
„Habe ich gern gemacht. Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte Steve vorsichtig.
Sie rang sich ein Lächeln ab und sagte: „Ja. Es ist schön, dass die Sachen jetzt wieder genutzt werden."
„Ihr habt ja schon alles fertig!", rief Rachel begeistert von der Tür aus. „Ihr seid großartig. Es ist wunderschön geworden!"
„Na ja, in dem Bettchen fehlt noch die Matratze, die hatte ich nicht aufgehoben. Und eine neue Wickelauflage wirst du auch brauchen", erklärte Stella in einem entschuldigenden Tonfall.
„Danke!", sagte Rachel und umarmte erst Stella und dann Steve. Als sie sich von beiden gelöst hatte, sagte sie: „Und jetzt habt ihr euch eure Sandwiches mehr als verdient."
Während die beiden ihre Sandwiches aßen, traf auch Estelle ein und begann sofort mit den Vorbereitungen für die Party. Stella begleitete Steve schließlich nach draußen.
„Die Party hier dürfte nicht allzu lang gehen. Ich bin bestimmt bald wieder zu Hause. Soll ich dich vorher noch zu Stan bringen?"
„Nein, das ist nicht nötig. Er wohnt nicht so weit weg von hier, den Weg schaffe ich zu Fuß. Dort kann es allerdings länger dauern. Er hat erwähnt, dass er am Abend noch grillen will. Stört es dich, wenn ich mit dem Schlüssel dann einfach in die Wohnung komme?"
„Ich nehme an, dass du nicht hereinpoltern und die Tür laut zuschlagen wirst? Dann ist das doch völlig okay. Dafür hast du doch den Schlüssel."
„Ich verspreche, dass ich leise sein werde", lächelte er. „Dann werde ich mich mal auf den Weg machen. Ich wünsche euch noch viel Spaß."
„Danke! Und grüße Stan von mir!"
Nachdem Steve bei Stan angekommen war, brachte dieser ihn zunächst zu seinem Großvater in ein Seniorenheim. Der alte Mann freute sich sehr, Steve zu sehen und erlebte ein paar klare Momente, in denen er sich mit dem Helden über vergangene Zeiten unterhalten konnte. Steve hatte ihm eine Autogrammkarte mitgebracht, welche der alte Mann mit an einen Bilderrahmen an der Wand seines kleinen Zimmers klemmte. In dem Rahmen steckten Fotos, die George Jefferson selbst von jedem einzelnen Mitglied des Howling Commandos geschossen hatte. Die Bilder trugen jeweils ein Autogramm.
Steve betrachtete die Bilder eine Weile. Sie wirkten etwas natürlicher, als die Fotos, die von offizieller Seite gemacht wurden. Die Männer guckten freundlich und halbwegs entspannt in die Kamera. Mit seinem Blick folgte Steve den geschwungenen Linien der Unterschriften und versuchte sich, vorzustellen, wie es gewesen war, als der junge George die Männer angesprochen hatte. Er war im Vergleich zu ihnen noch sehr jung gewesen und hatte zu ihnen aufgesehen. Steve glaubte, dass die Männer den jungen Navigator gemocht haben.
Zurück in Stans Wohnung unterhielt sich Steve mit ihm, während er gemächlich den Grill anfeuerte.
„Nach dem Krieg hat Grandpa ziemlich bald meine Großmutter geheiratet. Er hat sein Geld als Fotograf verdient und sich irgendwann den Traum von einem eigenen kleinen Flugzeug erfüllt. Damit haben die beiden die ganze Welt bereist. Er hat Fotos gemacht, und sie hat die passenden Artikel geschrieben. Die haben sie an ein Magazin verkauft und konnten davon gut leben. Irgendwann hat er auch einen ganzen Bildband zusammengestellt."
Stan zog ein dickes Buch aus dem Regal und reichte es Steve. Er blätterte darin und entdeckte Fotos von den unterschiedlichsten Orten der Welt. Es gab Sonnenuntergänge in Afrika, stampfende Elefantenherden, feuerspeiende Vulkane und Fotos von Einheimischen. Es gab Strände voll von Pinguinen, Eisbären, schwimmende Eisberge und Polarforscher bei der Arbeit. Es gab Schafherden, saftiges Grün und Schotten beim Baumstammwerfen.
„Es ist schön, dass du dich so viel um ihn kümmerst", sagte Steve, nachdem er das Buch zugeschlagen hatte.
Stan nickte nachdenklich. „Na ja, der Rest der Familie macht sich ein bisschen rar. Mein Dad nimmt es ihm immer noch krumm, dass sie so viel unterwegs waren. Ich finde das ein wenig undankbar. Welches Kind kann schon von so vielen unterschiedlichen Orten erzählen? Mich hat er, sobald ich alt genug war, auf die ersten kleinen Ausflüge mitgenommen. Und mich dadurch auch Stück für Stück an die Fliegerei herangeführt. Er hat mir viel beigebracht, da ist es nur fair, wenn ich mich jetzt ein wenig um ihn kümmere."
Der Grill war inzwischen heiß genug und Stan legte ein paar Würstchen und etwas später auch Hot Dog Brötchen auf. Stans Nachbarn gesellten sich dazu und brachten die Toppings für die Hot Dogs mit.
Am Ende des Abends half Steve Stan noch beim Aufräumen und verabschiedete sich bald, um zurück zu Stellas Wohnung zu gehen.
Auf dem Weg kam Steve am Moonshooter vorbei und sah Michaels Auto davor stehen. Er ärgerte sich darüber, dass der Pilot heute seine Frau im Stich gelassen hatte und sich jetzt immer noch in der Bar herumtrieb.
Kümmert er sich überhaupt noch um seine Familie?
Er atmete kurz durch und beschloss, in die Bar zu gehen, und Michael zur Rede zustellen.
In der Bar waren die Fernseher bereits abgeschaltet. Eine junge Kellnerin war dabei, den hinteren Teil auszufegen. Hinter der Theke polierte gerade ein fest gebauter Mann die Gläser, blickte davon auf und sagte: „Wir schließen bald. Aber einen Drink können Sie noch haben."
„Danke, aber ich suche eigentlich jemanden. Sein Auto steht noch vorne, deswegen dachte ich, dass er hier ist."
Der Barmann schnaubte verächtlich. „Der schickt Sie jetzt aber nicht, um seinen Streit für ihn zu beenden?"
„Nein, was ist denn passiert?"
„Er hat erst Stunk mit der Kellnerin angefangen und als ich ihm gesagt habe, dass er nichts mehr zu trinken bekommt, wurde er richtig wütend. Ich habe ihn dann rausgeworfen. Und er braucht hier auch keinen Fuß mehr reinzusetzen."
„Hey Steve! Was machst du denn hier allein?", begrüßte Nicole ihn von hinten. Sie war gerade aus der Damentoilette gekommen.
„Hallo Nicole. Ich dachte, Michael wäre hier, aber mir wurde gerade erklärt, dass er hier Ärger gemacht hat."
Nicole rollte genervt mit den Augen. „Weiß nicht, was in den gefahren ist. Vielleicht färbt Dad langsam auf ihn ab. Ich hatte hier heute Abend ein Date. Und rate mal, was Michael gemacht hat." Sie ließ ihn nicht zu Wort kommen und lieferte gleich die Antwort: „Er hat ihn blöd angemacht und ihn damit vertrieben. Hoffentlich hat der Morgen wenigstens einen fetten Kater."
Steve dachte daran, dass Stella wahrscheinlich schon längst von der Baby-Party zurück war. Bei dem Gedanken daran, dass Michael betrunken und wütend zu ihr heimkam, machte er sich Sorgen. Plötzlich fiel ihm auf, warum sie sich wohl neuerdings so stark schminkte.
„Ist das schon öfter vorgekommen?", fragte Steve.
„Er ist öfter schon aufgefallen, ja. Heute hat er es auf die Spitze getrieben", erzählte der Barmann.
„Wenigstens hat Stella heute Abend Dienst und muss ihn nicht ertragen", bemerkte Nicole mit einem kleinen Seufzer.
„Nein, hat sie nicht. Sie hat eine ihrer Kolleginnen besucht und hat gemeint, dass sie recht früh heimkommt."
In Nicoles Blick zeigte sich jetzt Sorge. Sie kramte in ihrer Handtasche und holte einen Autoschlüssel hervor, welchen sie Steve reichte. „Hier, das ist Michaels. Den habe ich ihm abgeknöpft, damit er nicht noch einen Unfall baut. Du kannst seinen Wagen nehmen und damit weiter fahren", erklärte sie. „Vielleicht ist er ja auch einfach ins Bett gefallen und schnarcht jetzt vor sich hin", fügte sie hoffnungsvoll hinzu.
Steve verabschiedete sich knapp von Nicole und eilte hinaus zu Michaels Auto. Noch im Hinlaufen schloss er den Wagen mit der Fernbedienung auf und setzte sich ans Steuer, ohne groß auf die richtige Sitzeinstellung zu achten. Stattdessen betätigte er gleich die Zündung und fuhr los.
Der Weg zu Stellas Wohnung war eigentlich kurz genug, dass man ihn in wenigen Minuten zu Fuß schaffen konnte. Doch jetzt, als Steve es eilig hatte, schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis er ankam. Währenddessen spannten sich seine Muskeln weiter an und sein Puls beschleunigte sich.
Vor dem Haus stellte er schließlich den Wagen auf dem Parkplatz ab, stieg aus und verharrte einen Moment vor der Haustür. Er wollte ein wenig ruhiger werden, denn er glaubte, dass es mehr Schaden als Nutzen bringen könnte, jetzt kopflos in die Wohnung zu stürmen.
Vielleicht ist es ja wirklich so, wie Nicole es hofft, und Michael schläft friedlich.
Nachdem er durchgeatmet hatte, machte er leise die Haustür auf, ging die Treppe hoch und öffnete vorsichtig die Wohnungstür. Er schloss sie behutsam und sah sich um.
Die Schuhe aller Familienmitglieder standen an der Garderobe. Alle waren zu Hause.
Die Tür zu Antonys Zimmer war geschlossen. Um diese Zeit schlief der Junge gewöhnlich schon längst, wenn am nächsten Tag Schule war.
Das Elternschlafzimmer war ebenfalls verschlossen. Hinter der Tür war das laute Schnarchen von Michael zu hören.
Steve atmete aus und entspannte sich ein wenig. Er ging leise durchs Wohnzimmer auf die Terrasse und wollte dort dem Meer lauschen, um sich endgültig abzuregen.
Auf der Terrasse fiel ihm das Fenster zu Stellas und Michaels Badezimmer auf. Ein heruntergezogenes Rollo versperrte die Sicht nach innen, doch man sah, dass in dem kleinen Raum das Licht an war. Das Fenster war einen Spalt breit zum Lüften geöffnet.
Steves Herz zog sich zusammen, als er hörte, was drinnen vor sich ging. Seine Fäuste ballten sich und er musste tief durchatmen, um ruhig zu entscheiden, wie er nun am besten helfen konnte.
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