66. Der dritte Besuch

Steve hatte mit Stella ausgemacht, sie noch einmal zu besuchen, bevor er seinen Umzug nach Washington in Angriff nehmen musste. Alle Versuche, ein festes Datum auszumachen, scheiterten, weil bei ihm jedes Mal eine Mission dazwischen kam. Daher hatte Stella ihm gesagt, er solle einfach kommen, sobald er die Möglichkeit hat.

Heute, an einem Dienstagnachmittag, bot sich diese Möglichkeit endlich. Natasha hatte Steve mit dem Quinjet zu einem Flughafen in der Nähe von Cape Canaveral geflogen. Den Rest der Strecke fuhr er mit seinem Motorrad.

Als er an dem Wohnhaus ankam, blieb er vor der Tür stehen. Er hatte zwar von seinen letzten Besuchen noch immer einen Schlüssel zu Stellas Wohnung, aber er wollte nicht einfach hineinspazieren. Stattdessen klingelte er und öffnete die Haustür, als jemand von innen den Summer betätigte.

Steve ging im Hausflur die Treppe hoch und wurde an der Wohnungstür von Antony begrüßt.

„Hallo Steve!", strahlte der Junge und ließ Steve in die Wohnung.

„Hallo Antony! Sind deine Eltern zu Hause?", fragte Steve.

„Mom ist in der Küche."

Steve sah sich einen Moment im Wohnzimmer um. Antony hatte hier gerade eine Art Labyrinth aufgebaut, durch das sein Spielzeugroboter fuhr und dabei bunte Bausteine aufsammelte.

„Wir haben in der Schule nächsten Freitag einen Wissenschaftstag", begann das Kind freudig zu erklären. „Ich teste hier gerade mein Projekt dafür."

„Und was macht es?", fragte Steve interessiert.

„Der Roboter kann selbstständig durch das Labyrinth fahren und die Bausteine aufsammeln. Aber er ist so programmiert, dass er nur die Roten mitnimmt und die Grünen liegen lässt."

Steve beobachtete den Roboter einen Augenblick lang. In dem Körbchen an seinem Rücken befanden sich tatsächlich nur rote Bausteine und er fuhr an allen grünen vorbei.

Stella erschien im Durchgang zur Küche und strahlte, bevor sie die letzten Meter überbrückte und Steve zur Begrüßung umarmte.

„Du hast es endlich geschafft", freute sie sich.

Ihm fiel auf, dass Stella geschminkt war, und er glaubte deswegen, dass sie heute noch etwas anderes vorhatte. „Ja, ich hoffe, ich komme nicht ungelegen?"

„Nein, du bist willkommen, das weißt du doch. Mach's dir erstmal gemütlich."

Sie lotste ihn in die Küche und nahm ihm die Tasche ab, um sie im Gästezimmer abzustellen.

„Magst du einen Kaffee oder Tee?", fragte sie, als sie zu Steve in die Küche kam.

„Einen Tee würde ich nehmen, danke".

„Kommt sofort. Nimm ruhig Platz. Entschuldige, dass es hier gerade etwas chaotisch aussieht."

Er suchte sich einen freien Stuhl am Küchentisch. Die anderen Stühle waren zum Teil mit Plastikkisten und einem Wäschekorb belegt. Auf der Tischplatte hatte Stella gerade einen Stapel Babysachen zusammengelegt.

Während der Tee zog, setzte sich Stella zu Steve an den Tisch und fuhr damit fort, die Wäsche zu falten.

„Hattest du eine gute Reise?"

„Ja, wir waren auf dem Heimweg nach New York und Nat hat mir angeboten, einen kleinen Schlenker zu fliegen, um mich hier in der Nähe abzusetzen. So musste ich nur noch ein kurzes Stück fahren."

Er nahm einen der kleinen Strampler in die Hand. Er war aus einem flauschigen hellgrünen Stoff und auf der Vorderseite war ein Teddybär aufgedruckt. Er beobachtete Stella und versuchte, eine Veränderung an ihr zu erkennen.

Ob sie in anderen Umständen ist?

Nach ein paar Minuten stand sie auf, um den Beutel aus der Tasse zu nehmen und Steve den fertigen Tee hinzustellen.

„Magst du auch Kekse?"

„Nein danke, im Moment nicht."

Man hörte, dass die Wohnungstür auf und zu ging. Wenig später kam Michael in die Küche und begrüßte seine Frau knapp.

„Hey Steve! Nett dich zu sehen. Bist du eben erst angekommen?"

Steve nickte und sagte: „Ja, ich bin erst vor einigen Minuten angekommen."

„Und gleich mitten im Chaos gelandet", lachte Michael, während er zum Kühlschrank ging und ihn öffnete.

„Was soll eigentlich der Aufbau im Wohnzimmer?", fragte er seine Frau und holte eine Flasche Bier hervor, die er gleich aufmachte. Eine Zweite hielt er in Steves Richtung. Steve schüttelte mit dem Kopf, um das Angebot abzulehnen. Es war noch so früh, dass es sich nicht gehörte, schon zu trinken.

Michael ließ sich auf einen Stuhl am Tisch fallen.

„Antony bereitet sein Projekt für den Wissenschaftstag vor", erklärte Stella ihrem Mann.

„Warum macht er nicht einfach einen Backpulvervulkan, wie andere Kinder auch?"

„Die Projekte werden bewertet und die besten drei bekommen einen kleinen Preis. Und Antony hat den Ehrgeiz auf dem Treppchen zu landen."

Michael nickte und nahm einen Schluck aus seiner Flasche.

„Er räumt die Sachen noch vor dem Abendessen weg", fügte Stella hinzu.

„Na dann. Und was soll das hier werden?" Michael deutete mit dem Kopf auf die Wäschestapel auf dem Tisch.

„Ich habe dir doch erzählt, dass Rachel schwanger ist", begann Stella zu erklären. „Und dass ihr Freund sie im Stich gelassen hat."

„Ja, deswegen warst du neulich bei ihr und hast für sie das Zimmer gestrichen."

„Genau. Estelle und ich haben eine Liste gemacht, was Rachel alles für die Erstausstattung benötigen wird. Und Estelle hat bei den Kollegen herumgefragt, wer was beisteuern könnte."

„Du hattest die Sachen noch von Antony", fiel Steve auf.

Stella sah Steve mit einem Lächeln an, welches er zunächst nicht deuten konnte.

„Richtig. Ich hatte die Sachen alle aufgehoben, für den Fall, dass wir noch ein zweites Kind bekommen." Sie biss sich kurz auf die Lippen und schaute auf die Tischplatte. „Aber es sollte wohl nicht sein."

Steve erkannte jetzt, was sich in ihr Lächeln hinein geschlichen hatte: Es war Wehmut.

Sie hätte gerne ein zweites Kind gehabt, oder?

Einen Moment lang stellte Steve sich vor, wie Stella wohl als junge Mutter gewesen sein mag. Es passte sehr zu ihrer fürsorglichen Art. Außerdem war Antony ein Kind, das sich bestimmt auch mit einem Geschwisterchen verstanden hätte.

„Von nichts kommt halt auch nichts", murmelte Michael in seine Flasche hinein und riss Steve aus seinen Gedanken. Seine Muskeln spannten sich leicht an und er sah Stella an, die mit großen Augen und leicht geöffnetem Mund da saß.

Etwas an Michaels Verhalten hatte Steve schon nicht gefallen, als er die Küche betreten hatte. Er schien kein bisschen Zärtlichkeit mehr für seine Frau übrig zu haben. Das frühe Trinken und seine Kommentare unterstrichen nur den Eindruck. Steve wollte sich jedoch nicht einmischen, bevor er noch einmal mit Stella alleine reden konnte. Er wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen.

Stella schluckte kurz und fuhr fort. „Jedenfalls habe ich die Sachen heute aus dem Keller geholt und wasche sie gerade einmal durch, bevor ich sie morgen Rachel bringe."

„Warum wäschst du die Sachen, bevor du sie verschenkst?", hinterfragte Michael.

„Na, weil sie von der langen Zeit im Keller einen leichten Mief abbekommen haben könnten."

„Und warum machst du dir die Arbeit, statt einfach neues Zeug zu kaufen?"

„Weil Rachel das nicht annehmen würde. Sie braucht zwar Hilfe, aber ich würde ihren Stolz verletzen. Kannst du dann noch den Kinderwagen, das Bettchen und die Wickelkommode mit mir ins Auto bringen, bevor ich morgen zu ihr fahre?", fragte sie ihren Mann.

„Deine Eltern sind damit einverstanden, dass du die Sachen einfach hergibst? Sie haben doch alles bezahlt, oder?"

„Ja, sie finden die Idee gut. Wir können es uns erlauben, neue Sachen zu kaufen, wenn wir doch wieder welche brauchen." Sie lächelte. „Mom hat auch die meisten Kleidungsstücke gekauft. Sie hat oft etwas im Laden entdeckt, was sie süß fand, und es einfach mitgebracht. Manches davon hat Antony nie angehabt, weil er zeitweise schneller gewachsen ist, als ich ihm alles anziehen konnte."

Steve musste etwas lächeln, als er Stella zuhörte.

„Sind das jetzt alle Klamotten?", fragte Michael.

„Nein, im Keller ist noch mehr. Das sind erstmal nur die Sachen für die ersten Monate. Rachel muss sie ja auch irgendwie bei sich unterbringen können. Da kann ich ihr nicht alle Sachen auf einmal bringen. Je nachdem wie schnell das Kind wächst, bekommt sie nach und nach die restlichen Sachen, habe ich mir gedacht."

Sie guckte Steve an und ihr fiel etwas ein: „Ach, morgen Abend bin ich nicht zu Hause, sondern bei Rachel auf der Baby-Party. Ich werde dann nicht kochen können."

„Ich habe dir auch noch nicht gesagt, dass ich mich morgen gerne mit Stan treffen würde. Ich hatte ihn auf Tonys Party getroffen und wollte ihm noch ein Autogramm geben, das ich ihm für seinen Großvater versprochen hatte. Ich will es ihm endlich bringen."

„Das ist lieb von dir. Kennst du seinen Großvater von früher?"

„Flüchtig. Er war Navigator und hat bei manchen Aufklärungsflügen dazu beigetragen, unsere Missionen vorzubereiten."

Michael hatte seine Flasche geleert, stellte sie auf dem Küchenschrank ab und sagte knapp. „Ich gehe jetzt ins Moonshooter, das Spiel ansehen. Ich esse dort."

Stella kniff die Lippen zusammen und nickte. „Ist gut. Bleib nicht zu lange. Du hast morgen früh Dienst."

„Ich komme direkt nach dem Spiel heim", versprach er und verließ die Wohnung.

Steve und Stella sahen ihm einen Augenblick hinterher.

„Und wie ist es für dich, jemanden von früher zu treffen?", fragte sie schließlich.

„Es ist okay. Er ist nicht der Erste, dem ich früher mal begegnet bin und jetzt wieder treffe. Gerade in der ersten Zeit nach dem Alienangriff wurde ich vielen Männern vorgestellt, denen ich im Krieg über den Weg gelaufen bin."

Stella nickte verstehend.

Als aus der Waschküche ein Piepen zu hören war, stand sie auf und versorgte dort die Maschinen. Mit der noch warmen, frisch getrockneten Wäsche kam sie zurück und begann auch diese zusammen zu legen.

„Brauchst du Hilfe hierbei?", wollte Steve wissen.

„Nein, alles gut", lächelte sie. „Die letzte Ladung ist jetzt im Trockner. Danach bin ich erstmal fertig. Und dann könnte ich für uns drei etwas zu Essen bestellen, wie wär's?"

„Gerne."

„Du darfst aussuchen! Es gibt hier ein paar gute Lieferdienste."

„Was würdest du denn bestellen, wenn ich nicht hier wäre?", versuchte Steve ihr einen Vorschlag zu entlocken.

Sie lachte. „Nein, so nicht. Du musst dir schon selber was aussuchen. Ich gebe dir gleich die Speisekarten, dann kannst du in Ruhe schauen."

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