61. Der väterliche Rat

Nach der Auseinandersetzung mit Stella ist Michael eine ganze Weile ziellos in der Nachbarschaft umherspaziert.

Er versuchte so, einen klaren Kopf zu bekommen, denn er wusste nicht, wie er jetzt weiter reagieren sollte. Noch nie zuvor hatte er seine Frau so wütend erlebt, wie in dem Moment, als sie ihm das Bild auf dem Cover dieses Klatschmagazins präsentiert hatte. Es kam ihm im ersten Moment völlig übertrieben vor, doch jetzt war er sich nicht mehr ganz so sicher.

Er schlug nun eine konkrete Richtung ein: Das Haus seines Vaters. Vielleicht konnte sein Vater ihm den richtigen Hinweis geben. Schließlich hatte er sich immer sehr gekümmert, wenn es um Michaels Zukunft ging.

Michaels Vater wohnte in einem holzverkleideten Winkelbungalow. Der Vorgarten war ganz traditionell angelegt und der Rasen akribisch auf eine bestimmte Länge zurechtgestutzt. Im Rasen steckte ein Fahnenmast, an dem die Flagge der Vereinigten Staaten munter umherflatterte. Ein Schild wies Passanten darauf hin, die Grünfläche weder zu betreten, noch Hundehäufchen darauf zu hinterlassen. Auf der Veranda, neben der Haustür, stand ein Schaukelstuhl, von dem aus Michaels Vater an lauen Sommernachmittagen darauf aufpasste, dass die Nachbarskinder sich an seine Regeln hielten. Heute war das Wetter leicht verregnet und die Nachbarn blieben in ihren Häusern.

Michael klingelte an der braunen Holztür. Wenig später machte sein Vater die Tür auf und musterte ihn mit einem strengen Blick, der ihn fast salutieren ließ.

„Du bist ein Vollidiot!", knurrte sein Vater anstelle einer Begrüßung.

Michael seufzte: „Danke, Dad. Ich hab dich auch lieb! Darf ich reinkommen?"

Sein Vater brummte irgendetwas Unverständliches und stapfte zurück ins Haus. Michael folgte ihm ins Wohnzimmer, wo er sich bereits auf seinem Fernsehsessel niedergelassen hatte.

„Darf ich mir eine Limo nehmen?", fragte Michael und ging zum Kühlschrank in der angrenzenden offenen Küche, nachdem sein Vater knapp genickt hatte.

Mit dem Getränk in der Hand setzte sich Michael auf das Sofa. Auf dem Couchtisch lag genau das Klatschmagazin, welches Stella ihm heute unter die Nase gerieben hatte. Er nahm es in die Hand und blätterte zu der Seite mit dem Artikel. Er war reißerisch genug formuliert, dass Stellas Eltern sicher nicht begeistert darüber waren.

„Du weißt, dass du gerade einen Scheidungsgrund in der Hand hältst? Bunt gedruckt, auf Hochglanzpapier und für die ganze Nation sichtbar!"

„Sie hat ziemlich wütend darauf reagiert."

„Ja und ihre Eltern werden ihr einreden, dass sie daraus Konsequenzen ziehen soll. Die werden Angst um ihren Ruf haben. Und die können sich sicher bessere Kerle als Schwiegersohn vorstellen."

„Sie hat bei Steve übernachtet!", versuchte Michael sich zu verteidigen.

„Das tut nichts zur Sache. Und wenn sie sich ein verdammtes Baby von ihm machen lassen würde – du musst zusehen, dass sie bei dir bleibt. Zumindest noch ein paar Jahre."

Michael fuhr sich erschöpft mit der Hand durchs Gesicht. „Was soll ich tun?"

„Na, als Erstes dich bei ihr entschuldigen! Und sieh zu, dass du dich zukünftig besser im Griff hast. Rogers wird wohl so langsam zur Konkurrenz für dich."

„Ich glaube nicht, dass er es darauf anlegt. Ich verstehe mich eigentlich ganz gut mit ihm."

„Er braucht es nicht darauf anzulegen. Er ist ganz einfach in allen Belangen besser als du. Und die Hammonds fänden es sicher schick, ihn in ihrer Familie zu haben. Überleg doch mal: Iron Man als besten Freund und Captain America als Schwiegersohn - das klingt einfach verlockend. Und deswegen musst du zusehen, dass du Stella fest um deinen Finger wickelst. Denk dran, dass deine Karriere davon abhängt."

„Ich weiß."

„Hättest du damals nicht so viel Mist gebaut, hättest du sie gar nicht erst heiraten müssen. Aber so musst du das jetzt durchziehen, wenn du aus deiner Karriere noch etwas machen willst. Du hast sie schließlich nicht aus Liebe geheiratet, sondern um dich vor deinem eigenen Mist zu schützen!"

Michael nickte nur still. Er erinnerte sich daran zurück, dass er bei zwei Einsätzen in Afghanistan und im Irak Fehler gemacht hatte. Nach dem Einsatz in Afghanistan hatte Stella selbst einen Bericht verfasst, der Michael schwer belasten konnte. Seinem Vater war es über seine Kontakte gelungen, diesen Bericht unter Verschluss zu bringen. Doch Stella könnte immer noch als Zeugin zu diesen Vorfällen befragt werden, wenn sie nicht mit ihm verheiratet wäre. Und da Michael sich auch bei ein paar Spezialeinheiten beworben hatte, die seinen Lebenslauf sorgfältig überprüfen wollten, wäre dies äußerst ungünstig gewesen.

Aus diesem Grund hatte sein Vater ihm nach dem zweiten Vorfall empfohlen, sie so schnell wie möglich zu heiraten. Michael hatte dies dann noch am selben Tag auf dem Flugzeugträger arrangiert. Und mit viel Glück hatte er bis zu diesem Moment genug Pluspunkte gesammelt, dass Stella dann auch >>Ja<< gesagt hat.

Es war Glück gewesen, dass er sich schon vorher mit Stella gut gestellt hatte, indem er ihr klar machte, dass er der Vater von Antony sei und dass er sie deswegen unterstützen wollte. Und in die gleiche Kerbe schlug dann auch das zündende Argument für die spontane Hochzeit: Beide sollten in der Lage sein, sich einfach und gut um das Kind zu kümmern, falls einem von ihnen bei der riskanten Mission etwas zustoßen würde.

Michael erinnerte sich auch daran zurück, wie er Stella das erste Mal begegnet war. Er war eine Zeit lang in einem Rekrutierungsbüro in der Bleecker Street in Greenwich Village stationiert.

An einem eisigen Wintertag stand sie an der Straßenecke vor dem Büro und guckte fasziniert das Gebäude an der Ecke gegenüber an. Sie war eingehüllt in einem Wollmantel und einem dicken Schal mit einer passenden Mütze und Handschuhen. Ihre Nase war von der Kälte gerötet.

Er hatte den Blick nicht von ihr abwenden können, bis sein Kamerad ihn aufforderte, endlich rauszugehen und sie anzusprechen. Und als er vor ihr stand, hatte er nichts Besseres gewusst, als ihr davon zu erzählen, dass die Air Force gerade Leute rekrutierte und dass aus ihr sicher eine gute Pilotin werden könnte. Er versprach ihr eine heiße Schokolade, wenn sie mit hinein kommen würde, um sich mal unverbindlich über die Möglichkeiten zu informieren. Durch irgendein Wunder hatte sie sich darauf eingelassen.

Pilotin wollte sie nicht werden, aber als Michaels Kamerad Bob hörte, dass sie eine fertig ausgebildete Ärztin war, leuchteten seine Augen vor Freude. Bob gab ihr dann die Formulare und Informationen für eine Laufbahn im Medical Service Corps mit.

Michael hatte erst geglaubt, dass sie die Papiere aus lauter Höflichkeit mitgenommen hatte, doch tatsächlich brachte sie nach wenigen Tagen die ausgefüllten Formulare zurück.

Er konnte nicht leugnen, dass er sich damals in sie verguckt hatte. Und er hatte auch lange Zeit nicht locker lassen wollen, sie um ein Date zu bitten. Vor dem Einsatz in Afghanistan hatte sie immer Argumente gefunden, warum es nicht passt. Nach dem Einsatz wurde erst sie nach Cape Canaveral versetzt und Michael wenige Monate später. Dort konnte er sie schließlich Stück für Stück für sich gewinnen, indem er Interesse an ihrem Kind zeigte.

Doch an eine Hochzeit hatte Michael von sich aus nie gedacht. Er wollte sie eigentlich erstmal nur für sich haben, sie entdecken und schauen, was daraus wird. Vielleicht wäre es nie dazu gekommen, wenn sein Vater ihn nicht dazu gedrängt hätte.

„Hörst du mir noch zu oder pennst du mit offenen Augen?", knurrte sein Vater ihn an.

Michael kam schlagartig aus seinen Gedanken zurück in die Realität. „Was?"

„Hast du in letzter Zeit was von deiner Mutter gehört?"

Michaels Mutter hatte sich bereits vor vielen Jahren von seinem Vater scheiden lassen. Als ehemalige Stewardess konnte sie heute noch bei ihrer Fluggesellschaft gratis mitfliegen und nutze dies, um die ganze Welt zu bereisen.

„Sie ist im Moment in Thailand. Trifft ein paar alte Freunde dort."

„Okay."

Michael wollte auf die Wanduhr schauen, wie spät es ist, doch sein Blick blieb an einem Kalender kleben. Als ihm auffiel, was für ein Tag heute war, wollte er sich selbst ohrfeigen.

Heute ist Stellas Geburtstag!

Er sprang vom Sofa auf und bewegte sich Richtung Haustür. „Ich muss los, wenn sie meine Entschuldigung annehmen soll!"

Ihm war zwar klar, dass sie sich aus diesem Tag nicht viel machte. Dennoch freute sie sich, wenn man daran dachte, und mit Sicherheit war es einer der ungünstigsten Tage im Jahr, um mit ihr zu streiten.

Als Michael in der Wohnung ankam, war Stella gerade im Schlafzimmer. Sie saß neben einem Wäschekorb auf dem Bett und sortierte Socken.

„Hey", sagte er leise. „Darf ich mich zu dir setzen?"

Sie schaute ihn mit ihren geröteten Augen an und nickte still.

Er setzte sich auf die Bettkante und fuhr sich mit der Hand über den Hinterkopf, während er überlegte, was er sagen sollte.

Sie sah ihn aufmerksam an.

„Diese Sache mit dem Foto tut mir leid. Ich habe einen Fehler gemacht. Und ich hätte dir erst recht auch keine Vorwürfe machen dürfen", sagte er leise. „Ich hoffe, du kannst mir irgendwie verzeihen."

Sie nestelte an einer Socke herum und ließ seine Worte zunächst schweigend auf sich wirken.

Schließlich holte sie Luft und fragte: „Kannst du dann im Gegenzug damit leben, dass ich bei Steve übernachtet habe? Glaubst du mir, dass da nichts gelaufen ist? Und dass da nie etwas laufen wird?"

„Ja."

Sie seufzte leise und guckte zur Decke. „Aber wie erkläre ich das meinen Eltern?"

Er fasste sie an den Schultern und sah ihr ins Gesicht. „Das werde ich übernehmen. Ich muss die Suppe auslöffeln", versicherte er ihr.

Eine Träne kullerte über ihre Wange und er wischte sie sanft mit seinem Daumen weg.

Stella beugte sich vor und umarmte ihn. „Es ist okay. Ich will mich nicht mit dir streiten", sagte sie in seine Halsbeuge hinein.

Er nahm sie sanft in seine Arme und hielt sie eine ganze Weile fest, bis sie richtig durchgeatmet hatte.

„Da ist noch was, das ich dir sagen muss!", verkündete er plötzlich. „Warte hier einen Moment."

Er ließ seine Frau los, stand vom Bett auf und ging in das Wohnzimmer. In einem der Bücherregale hatte er zum Glück schon vor einer Weile ein Geburtstagsgeschenk für sie versteckt. Dieses holte er jetzt hervor.

Er war gespannt, wie sie darauf reagieren würde. Er versteckte die kleine, flache Schachtel hinter seinem Rücken und ging zurück ins Schlafzimmer.

Stella schaute ihn fragend an, als er sich wieder zu ihr setzte.

„Happy Birthday!", sagte er mit einem Lächeln und hielt ihr die Schachtel hin.

Sie begann zu strahlen, als sie das Geschenk entgegennahm. Es war noch nicht das herzlichste Lächeln, was Michael von ihr kannte, aber es reichte aus, um eine seltsame, wohlige Wärme in ihm zu erzeugen.

Sie ist süß, wenn sie sich freut. Dabei hat sie den Inhalt noch gar nicht gesehen.

„Es ist lieb, dass du daran gedacht hast", sagte sie, bevor sie ihn umarmte.

„Mach es doch erstmal auf!", forderte er sie auf.

Sie öffnete vorsichtig die Schleife, die um die Schachtel gewickelt war, und hob den Deckel ab.

Ganz oben drin war das Modell eines Hängegleiters. Sie nahm es heraus, drehte es in der Hand und schaute Michael mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Sieh nach, was drunter ist!"

Sie legte das Modell beiseite und holte die Karte, die sich darunter befunden hatte, heraus. Nachdem sie sie durchgelesen hatte, lächelte sie unsicher und kratze sich am Hinterkopf.

„Flugstunden mit einem Hängegleiter inklusive Prüfung", las sie vor.

Es gefällt ihr nicht!, stellte er erschrocken fest.

„Da gibt es etwas, was du wohl noch nicht weißt", begann sie zu erklären.

„Was ist es denn?"

„Ich habe bereits die Fluglizenz für Hängegleiter. Ich habe die irgendwann in meiner Jugend gemacht. In ganz trockenen Sommern sind wir über unseren Wald hinweg geflogen und haben nach Waldbränden Ausschau gehalten. Seit ein paar Jahren werden Drohnen dafür eingesetzt, aber damals wurden Freiwillige gebraucht."

Ihm fiel ein Stein von Herzen und er musste breit grinsen. „Das musst du mir beweisen."

„Okay", sagte sie, verschwand kurz in ihrem Arbeitszimmer und kam mit dem Zettel zurück, der ihre Aussage bestätigte. Sie hatte die Lizenz bereits mit 16 Jahren erworben.

„Aber es ist trotzdem lieb von dir, dass du das organisiert hast. Vielleicht kann ich die Stunden ja zum Auffrischen nutzen. Es ist schon ewig her, dass ich das gemacht habe."

„Oder ich telefoniere nochmal mit der Flugschule und lass es in Stunden in einem Sportflugzeug umwandeln. Dann kannst du auch kleine Zweisitzer fliegen und wir können gemeinsam eine Runde drehen", begeisterte Michael sich.

„Dann machen wir das so", sagte sie lächelnd, bevor sie ihn zärtlich küsste.

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