47. Die Schadensbegrenzung
Kenai und Susan hatten einige Tage in Denver verbracht, bis ihre Gerichtsverhandlung abgeschlossen war. Kenai wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, die er jedoch gerne zahlte, wenn es bedeutete, den Skandal beenden zu können.
Da er wegen der Steuerhinterziehung seinen CFO entlassen hatte, war Kenai jetzt auf der Suche nach einem Nachfolger für diesen Posten.
Er reiste gemeinsam mit Susan nach New York, um sich dort ein paar Bewerber anzusehen. Die Reise nutzte er auch, um weitere Erledigungen zu machen.
Das Gebäude, welches den Hammonds in Manhattan gehörte und in dessen Penthouse-Wohnung sie sonst übernachteten, wenn sie in der Stadt waren, war bei dem Alienangriff stark in Mitleidenschaft gezogen worden.
Die komplette Fensterfront war zerstört, so dass fast jede Etage Wind und Wetter ausgesetzt war. In dem Ladengeschäft im Erdgeschoss hatten Plünderer unmittelbar nach dem Angriff zusätzlichen Schaden angerichtet. Und ins Wohnzimmer und auf die davorliegende Dachterrasse war einer der Leviathane abgestürzt.
Die Schäden konnten lange nicht beseitigt werden, da sich in die Aufräumarbeiten bald eine neue Organisation namens „Damage Control" eingeschaltet hatte. Diese Organisation befasste sich damit, die komplette Alientechnologie zu bergen und an einen sicheren Ort zu bringen. Erst mit einer Genehmigung durch diese Organisation durften normale Handwerker wieder ihrer Arbeit nachgehen und die beschädigten Gebäude wieder instandsetzen.
Da das Penthouse nicht bewohnbar war, hatten Kenai und Susan in einem Hotel übernachtet.
Am Morgen hatte Kenai festgestellt, dass er vergessen hatte, den Akku seines rechten Beines rechtzeitig aufzuladen. Durch den fehlenden Strom war es nicht mehr so bewegungsfähig, wie Kenai es gewohnt war. Er musste sich deswegen hinkend fortbewegen, bis er eine Lademöglichkeit fand.
Bevor er jedoch dazu die Gelegenheit bekam, musste er zu dem Hammond-Building aufbrechen. Er hatte für diesen Morgen die Freigabe erhalten, das Gebäude selbst zu besichtigen und die Schäden zu begutachten.
Als er die Eingangshalle seines Gebäudes betrat und auf den Fahrstuhl zugehen wollte, wurde er schon von zwei Mitarbeitern der Damage Control aufgehalten. Die beiden überprüften ihn sorgfältig, bevor er weiter gehen durfte.
Der Fahrstuhl brachte ihn schließlich in das oberste Stockwerk. Als der Aufzug oben angekommen war und sich die Türen öffneten, hinkte Kenai hinaus und sah sich einen Moment lang im Wohnzimmer um.
Es war zugig, da es keine Fenster mehr gab, die die Wohnung vom Wind abschirmten. Die Holztäfelung an den Wänden und das Parkett waren durch die Regennässe, die ungehindert eintreten konnte, beschädigt. Einige der Möbel waren unter dem Leviathan begraben und mit Sicherheit zerstört. Es roch nach einer Mischung aus feuchten Wänden und Verwesung.
An dem Leviathan arbeiteten noch ein paar Mitarbeiter von Damage Control, die im Begriff waren, die letzten Stücke an Alientechnologie zu entfernen.
Das außerirdische Wesen hatte sich in der Zeit, in der es vor sich hin verweste, gefährlich aufgebläht.
Kenai trat ein paar Schritte auf die Arbeiter zu und wollte sie warnen.
„Seien sich etwas vorsichtiger, das Tier könnte jederzeit bersten!", rief er ihnen zu.
Einer der Arbeiter sah Kenai kurz an, zuckte mit der Schulter und wollte weitermachen. Sein nächster Handgriff übte genug Druck aus, um Kenais Warnung wahr werden zu lassen.
Der Leviathan zerplatze mit einem Knall und verteilte einen bestialisch stinkenden Schleim auf alles und jeden in seinem Umkreis.
Die Arbeiter sahen sich angewidert an und flüchteten nach draußen, in der Hoffnung, dass die frische Luft den Geruch verwehen würde.
Kenai seufzte genervt, ging in die Küche und fand dort eine Rolle Papierhandtücher, mit der er einen Teil des Schleimes von seinem Körper entfernen konnte. Das Zeug klebte jedoch noch in den Haaren und an der Kleidung.
Gerade als er die Papiertücher in den Müll gelegt hatte, hörte er, dass jemand mit dem Aufzug nach oben gekommen war. Er hinkte zurück ins Wohnzimmer, um zu sehen, wer der Neuankömmling war.
Tony war aus dem Fahrstuhl getreten und unmittelbar davor stehen geblieben. Er nahm seine Sonnenbrille ab und sah sich einen Augenblick lang um. Er rümpfte die Nase und fragte: „Was ist denn hier passiert?"
Schließlich bemerkte Tony, dass Kenai auf ihn zu ging. Er fing an, breit zu grinsen, und sagte: „Guten Morgen Häuptling Hinkendes Bein! Wie läufts bei euch im Denver Clan?"
Kenai hatte aufgrund der bisherigen Ereignisse an diesem Morgen bereits eine genervte Grundstimmung, weswegen er jetzt keine Lust hatte, auf die Sticheleien seines jüngeren und anscheinend übermäßig gut gelaunten Gegenübers einzugehen.
„Guten Morgen Tony! Was machst du hier?"
„Ich habe eine gute Nachricht für dich. Also kein Grund so übel gelaunt zu sein. Bist du etwa heute morgen mit dem falschen Bein zuerst aufgestanden?"
Kenai dachte daran zurück, wie sein Morgen begonnen hatte. Dass er vergessen hatte, sein Bein aufzuladen, hatte er gleich beim Aufstehen bemerkt. Er hatte tatsächlich den rechten Fuß zuerst auf den Boden aufgesetzt. Als er das Bein dann hatte belasten wollen, hatte er wegen der geringeren Bewegungsfähigkeit das Gleichgewicht verloren und war neben dem Bett auf dem Boden gelandet.
Das erinnerte ihn daran, warum er sich eigentlich vorgenommen hatte, mit Tony einen etwas diplomatischeren Umgang als in den letzten Jahren zu pflegen.
Tony hatte vor ein paar Monaten der Welt den Arc-Reaktor präsentiert. Dieser war eine Möglichkeit, sauber und zuverlässig Energie zu erzeugen. Eine große Version des Reaktors versorgte den Stark Tower mit Energie. Mit kleineren Versionen davon betrieb Tony seine Iron Suits.
Kenai sah den Arc-Reaktor als eine Erfindung an, die das Potential hatte, die Welt zu verändern. Die Entdeckung war in seinen Augen ähnlich bahnbrechend wie die Erfindung des Autos oder des elektrischen Lichts.
Er bewunderte Tony sehr dafür und wollte mit ihm zu einem passenden Zeitpunkt über Möglichkeiten sprechen, diese Technologie auch für die ganze Welt nutzbar zu machen.
Einer der ersten Anwendungszwecke, die ihm einfielen, waren die Prothesen, die sein Konzern herstellte. Bis heute wurden diese mit einem simplen Akku betrieben. Ähnlich wie bei anderen Geräten, hatten diese den Nachteil, dass sie regelmäßig aufgeladen werden mussten und die Kapazität irgendwann nachließ. Ein kleiner Arc-Reaktor könnte hingegen möglicherweise monatelang wartungsfrei betrieben werden.
„Warum stinkt es hier eigentlich so?", fragte Tony, bevor Kenai auf die erste Frage reagieren konnte.
„Weißt du, was mit toten Walen passiert, die zu lange am Strand herumliegen? Das Gleiche passiert anscheinend auch mit Leviathanen", antwortete Kenai trocken.
„Oh, deswegen bist du so verschleimt. Zu meiner Nachricht: Damage Control ist in den nächsten Tagen mit den Arbeiten hier im Gebäude fertig. Dann können deine Handwerker hier loslegen und alles wieder in Ordnung bringen."
Tony ging ein paar Schritte auf die Fensterfront zu und betrachtete die Aussicht. Von hier aus hatte man eine gute Sicht über Manhattan und blickte gleichzeitig direkt auf den etwas weiter entfernt stehenden Stark Tower.
„Ihr habt hier eine echt tolle Aussicht. Die könnt ihr dann bald wieder genießen. Und einen Abstecher auf meine Party machen. Werdet ihr kommen?"
„Nein, Susan und ich werden vermutlich nicht kommen. Wir passen auf unseren Enkelsohn auf. Stella und Michael werden auf die Party kommen."
Tony rollte mit den Augen. „Was findet sie eigentlich an dem?"
„Was geht es dich an?"
„Ich denke, sie wird eines Tages mit ihm kräftig auf die Nase fallen. So wie damals, als sie mit diesem Fürsten der Finsternis zusammen war. Danach hatte sie sich bei der Air Force eingeschrieben und Susan und du, ihr wart nicht sehr begeistert. Erinnerst du dich?"
„Michael ist nicht mit dem vergleichbar", brummte Kenai, der jetzt von Tonys Einmischung genervt war.
„Das heißt nicht, dass er besser ist. Weißt du, dass während des Angriff hier eine Atombombe abgeworfen wurde? Und weißt du, dass Michael mit seinem Flieger einfach abgedreht wäre? Obwohl sein WSO ihm eine Möglichkeit genannt hatte, wie die Bombe aufgehalten werden könnte."
„Sie werden das miteinander geklärt haben", sagte Kenai knapp, in der Hoffnung das Thema beiseitelegen zu können. Er wollte nicht vor Tony zugeben, dass Michael nicht der Schwiegersohn seiner Träume war.
„Sie hat einen Besseren verdient, das weißt du genauso gut wie ich."
Kenai fiel es jetzt schwerer, geduldig zu bleiben. Sein Blick wurde finster und er bäumte sich ein wenig vor Tony auf.
„Aber dich geht es nichts an. Jahrelang hat sie dir immer eine Schulter zum Ausheulen geboten, während du sie mit deinen wahnwitzigen Ideen immer wieder in Gefahr gebracht hast. Und dann hast du sie einfach fortgeschickt, als sie dir wie immer helfen wollte. Um sie bis heute kaum eines Blickes zu würdigen, weil dir deine flüchtigen Liebschaften stets wichtiger waren. Und jetzt beschwerst du dich, dass Michael deiner Meinung nach schlecht für sie ist! Warum jetzt?"
Nachdem er dies ausgesprochen hatte, fragte sich Kenai, ob er nicht doch ein bisschen zu hart zu Tony gewesen ist. Er beobachtete den Jüngeren, dessen Miene einen kurzen Moment versteinert war und dann zur gespielten Fröhlichkeit zurückkehrte.
„Jetzt gibt es einen Mann, der zu ihr passen und ihr guttun würde. Ist nicht meine Schuld, dass der bis vor kurzem noch eingefroren war."
„Dir ist schon bewusst, dass das allein ihre Entscheidung ist?"
„Ja, aber vielleicht kann man etwas nachhelfen und sie auf die richtige Entscheidung hinweisen ..."
Kenai schüttelte den Kopf.
Tony zuckte mit der Schulter und wechselte das Thema. „Apropos Entscheidung: Warum hast du diesen Großauftrag für die Helicarrier von S.H.I.E.L.D abgelehnt? Man sollte meinen, dass du den gut gebrauchen könntest, nachdem du ja jetzt diese Geldstrafe zahlen musstest ..."
„Ich traue diesem Projekt nicht über den Weg. Und auch das geht dich eigentlich nichts an."
„Ich frage ja nur. Du hast sonst immer die Bauteile geliefert und jetzt plötzlich nicht mehr? Willst du es dir nicht nochmal überlegen?"
„Lass mich raten: Du hast diesen Auftrag angenommen und hast jetzt ein Problem, denn selbst du kannst nicht über Nacht eine Werft aus dem Boden stampfen, um die nötigen Kapazitäten zu schaffen?"
„Vielleicht gönne ich dir auch einfach den Auftrag so sehr. Macht aber nichts, die alten Turbinen sind eh verbesserungsfähig – die konnten viel zu leicht beschädigt werden." Tony überlegte einen Augenblick und fuhr dann fort: „Und an Damage Control willst du dich auch immer noch nicht beteiligen?"
„Nein."
„Stört es dich, dass das Gebäude hier erst jetzt freigegeben wird? Du warst hier zwar nicht einer der ersten, aber auch längst nicht einer der letzten ..."
„Das ist es nicht. Ich halte die Vorgehensweise für eine schlechte Idee."
„Du findest es schlecht, dass dieser Alienschrott sicher aufbewahrt wird?"
„Nein, das ist noch das Gute daran. Schlecht ist, dass Damage Control aber ein paar Tage zu spät dran war. Kleinunternehmer hatten bis dahin schon in neue Ausrüstung investiert, um die Aufträge für die Aufräumarbeiten annehmen zu können. Und gerade als sie so richtig loslegen wollten, kam Damage Control und hat ihnen alle Aufträge abgenommen. Und somit auch die Möglichkeit, daran zu verdienen und die neuen Maschinen zu bezahlen. Manche von ihnen stehen jetzt vor dem Bankrott."
„Dann sollen sie Hilfsgelder beantragen ..."
„So einfach ist das nicht. Es ist so, als hätte man sie zum Kuchenessen eingeladen. Sie hatten schon den Teller in der Hand und waren gerade dabei sich ein Stück von dem Kuchen zu nehmen. Und dann kommt jemand daher und nimmt den ganzen Kuchen weg. Ersatzlos. Der ein oder andere wird jetzt ziemlich frustriert sein. Wenn einer von ihnen beschließt, sich das nicht gefallen zu lassen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen ... um überleben zu können ... dann könnte das zu einem Problem werden. Und wer weiß, wer das dann ausbaden muss ..."
„Und was willst du jetzt von mir? Soll ich ihnen jetzt statt dessen Cupcakes servieren?"
„Du hast nicht verstanden, worauf ich hinaus wollte ..."
Tony rollte mit den Augen. „Und so wie du gerade drauf bist, kommst du mir wieder mit der Behauptung, dass ich genauso wie mein Vater sei."
Er schaute Kenai ernst an und wartete auf eine Reaktion.
Kenai seufzte. „Nein, das würde ich so nicht sagen."
„Und was würdest du dann sagen?", provozierte Tony.
„Dein Vater hätte das vielleicht verstanden. Ja, er hätte vermutlich besser reagiert", sagte Kenai leise.
Tony schnaubte wütend. „Ich habe dir alles gesagt, was ich loswerden wollte." Er drehte sich auf dem Absatz um und ging zum Aufzug.
Als Tony weg war, ärgerte Kenai sich über sich selbst. Er hatte nicht vorgehabt, so mit Tony umzugehen, geschweige denn das Gespräch so enden zu lassen. Jetzt glaubte er, ihn ungerecht behandelt und möglicherweise unnötig seine schlechte Laune an ihm ausgelassen zu haben.
Ein Versuch, sich jetzt zu entschuldigen, würde jedoch ins Leere laufen. Kenais Erfahrung hatte gezeigt, dass Tony in solchen Fällen lange nicht mehr auf Anfragen reagierte.
Er fuhr sich erschöpft mit der Hand über das Gesicht und musste dann einsehen, dass er an diesem Tag noch mehr vorhatte und daher so langsam hier fertig werden musste.
In einer Stunde sollte er den ersten Bewerber treffen und durch den Zwischenfall mit dem Leviathan musste er sich vorher noch duschen und umziehen.
Als er zum Fahrstuhl gehen wollte, um ins Hotel zurückzukehren, kam ihm Elane entgegen.
„Guten Morgen. Ich habe die Powerbank dabei, die du wolltest."
„Danke, das hilft mir sehr."
Elane begleitete ihn in den Aufzug.
Als die Türen sich geschlossen hatten, wandte er sich leise an sie. „Kannst du mir noch einen Gefallen tun? Kannst du herausfinden, was diese Leute hier gemacht haben ... außer aufzuräumen? Du weißt, dass es hier ein paar Sicherheitseinrichtungen gibt, die nicht nach außen bekannt werden sollten ..."
„Ich werde sie im Auge behalten."
„Danke."
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