43. Der Boxkampf

Der Montagmorgen in Cape Canaveral zeigte sich noch leicht bewölkt. Die Wolken wichen jedoch bald einem satten Blau und das Wetter lud dazu ein, einen aktiven Tag zu verbringen. Steve bestand dennoch darauf, dass Stella es noch einmal ruhig angehen lassen sollte. Er brachte daher wieder Antony zur Schule und wollte am Vormittag den kompletten Haushalt übernehmen.

Stella hatte erst versucht, zu protestieren, doch Steve hatte einen entschlossenen Blick aufgesetzt, der ihr zeigte, dass es sinnlos war, zu widersprechen.

Am Nachmittag holten sie den Jungen schließlich gemeinsam von der Schule ab.

Estelle hatte den Kontrolltermin von Stella und Antony so geplant, dass er ziemlich direkt nach der Schule stattfand.

Nachdem Estelle Mutter und Kind untersucht hatte, wandte sie sich an Steve.

„Und Stella hat sich brav an alles gehalten?"

„Ja, sie hat das Wochenende ziemlich entspannt verbracht."

„Okay, dann habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht. Die Schlechte zuerst: Die beiden hier sollen sich weiter schonen und am Mittwoch nochmal kommen. Aber die gute Nachricht ist: Heute Abend wirst du von Michael abgelöst. Dann darf er sich selbst um seine Familie kümmern. Du musst sie bis dahin aber noch ein paar Stunden im Zaum halten", lachte Estelle.

Steve musste schmunzeln und sagte: „Das werden wir schaffen."

„Wunderbar! Dann lasse ich euch jetzt mal noch den Rest des Tages genießen", sagte Estelle und verabschiedete alle, um sich ihrem nächsten Termin widmen zu können.

Auf dem Weg nach draußen sahen sie General Carter in einem der Gänge stehen. Er trug heute keine Uniform, sondern einen Hausanzug und wirkte erschöpft.

„Bitte wartet mal kurz auf mich", sagte Stella und ging zu ihm herüber, um ihn zu begrüßen. Sie unterhielt sich eine ganze Weile mit dem Leiter des Stützpunktes. Sie legte ihre Hand aufmunternd auf seine Schulter und verabschiedete sich schließlich von ihm. Sie hatte für ihn ihr professionelles Lächeln aufgesetzt, doch Steve sah an ihren Augen, dass sie über irgendetwas traurig war.

Stella verließ nun mit Antony und Steve das Krankenhaus und ging mit ihnen zum Auto. Antony stieg, gleich nachdem Stella den Wagen mit der Fernbedienung aufgeschlossen hatte, ein. Steve warf ihr über das Autodach hinweg einen musternden Blick zu. Sie ignorierte dies und setzte sich auf den Fahrersitz. Er seufzte leise und ließ sich dann auf dem Beifahrersitz nieder.

Während der Fahrt nach Hause herrschte Schweigen. In der Wohnung angekommen machte sich Antony an seine Hausaufgaben und Stella begab sich in die Küche.

Steve wollte protestieren, doch sie ließ sich nicht davon abhalten, Kekse zu backen.

„Das sind Michaels Lieblingskekse", erklärte sie und Steve verstand, dass sie ihrem Mann zu seiner Heimkehr eine kleine Aufmerksamkeit bereiten wollte.

„Du wirkst etwas bedrückt, seit du vorhin mit dem General gesprochen hast. Ist alles in Ordnung?", sprach Steve schließlich die Frage aus, die ihm schon während der Fahrt auf der Zunge lag.

Sie schaute ihn an und nickte still.

„Du magst nicht drüber reden?"

„Ich darf nicht drüber reden."

Steve akzeptierte diese Antwort mit einem leisen Seufzer.

Die Kekse waren längst fertig und die Küche aufgeräumt, als Michael endlich heimkam. Stella umarmte ihn zur Begrüßung und die beiden küssten sich. Nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten, begrüßte Michael auch seinen Sohn und Steve.

Sie setzten sich in die Küche, wo Stella die Kekse servierte und einen Tee kochte.

Michael erzählte zunächst in einem Monolog, wie das Übungsmanöver war. Schließlich blickte er Steve an und fragte: „Hey, heute läuft der Kampf von Vince Porter. Hast du schonmal von ihm gehört?"

„Ja, er versucht sein Comeback, oder?"

„Genau. Ich habe mir überlegt, dass wir uns den Kampf nachher drüben in der Bar ansehen könnten. Wie wär's?"

„Ich weiß nicht... ich hätte vermutet, dass du den Abend vielleicht mit Stella verbringen magst. Ihr habt euch ja jetzt eine Weile nicht gesehen", wandte Steve ein und sah dann Stella fragend an.

„Das ist schon okay", antwortete sie. „Ich will den Kampf nicht sehen und kann so stattdessen einen Film gucken."

„Und wir werden dort eine Kleinigkeit essen. Also musst du nicht für uns kochen", sagte Michael zu seiner Frau.

„Antony und ich machen uns nachher über die Reste her, die noch im Kühlschrank sind."

Steve setzte ein zögerliches Lächeln auf. „Na, dann seid ihr euch ja wohl einig, dass ich mitgehe."

Als sich der Start des Boxkampfs näherte, liefen Michael und Steve gemeinsam zu der Bar, die den Namen „Moonshooter" trug und deren Leuchtschild von einer stilisierten Rakete geziert wurde.

Die Einrichtung der Bar war in dunklem Holz gehalten. In den Ecken hingen Fernseher, auf denen bereits der Sportkanal eingestellt war. Der Ton der Übertragung war jedoch noch abgedreht. Stattdessen hörte man Musik aus einer Jukebox. An den Wänden hingen wild zusammen gewürfelte Exponate rund um die Raumfahrt. Es gab ein paar angebliche Originalbauteile und ein paar Modellversionen unterschiedlichster Raumfahrzeuge. Dazwischen hingen Bilder, auf denen der Barbesitzer mit Astronauten zu sehen war und die ein Autogramm trugen.

Die Tische waren schon fast alle besetzt. Michael sah sich kurz um und entdeckte seine Kameraden. Er bedeute Steve, ihm zu ihnen an den Tisch zu folgen.

Die Kameraden waren in ein munteres Gespräch vertieft, bis sie bemerkten, dass Michael gerade auf sie zu lief. Sie beendeten ihr Gespräch und konnten es sich zum Teil nicht verkneifen, leicht genervt zu gucken. Michael schien dies nicht zu bemerken, zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und begrüßte alle fröhlich. Steve setzte sich neben ihn.

Es herrschte zunächst eine betretene Stille am Tisch, die nur durch die leicht bekleidete Kellnerin unterbrochen wurde, die die Speisekarten brachte und die Getränke-Bestellung aufnahm. Nachdem sie wieder verschwunden war, versuchte einer der Kameraden das Eis zu brechen.

„Habt ihr schon das mit dem General gehört?"

„Nee, was denn?"

„Ich habe gehört, dass er heute seinen Rücktritt erklärt hat. Hat sich heute von seiner Tochter abholen lassen, um den Rest seiner Zeit bei seiner Familie zu verbringen."

„Weiß man schon wer sein Nachfolger wird?"

„Nein, aber das werden sie uns schon noch sagen, sobald alles offiziell bekannt gegeben wird."

„Warum tritt der General zurück?", wollte Steve jetzt wissen.

Der Mann, der sich bei Steves erstem Aufenthalt in dieser Stadt als Stan vorgestellt hatte, antwortete: „Er hatte ja schon ein gewisses Alter. Und dem Flurfunk nach, hat man bei ihm jetzt Krebs festgestellt. Alle haben gehofft, dass das nur Gerüchte sind, aber anscheinend ist da doch was dran."

„Wie geht es eigentlich deinem Grandpa?", fragte der Mann neben Stan.

Stan seufzte: „Nach dem Vorfall neulich habe ich ihn in ein anderes Heim gebracht. Dort ist man besser auf Fälle wie ihn vorbereitet und passt gut auf ihn auf."

„Damit er dich nicht wieder absticht?", fragte Michael belustigt.

„Ja", antwortete Stan ernst. Er sah Steves fragenden Blick und fügte hinzu. „Als du und Mr. Stark hier wart, hat er irgendwie einen Weg auf die Veranstaltung gefunden. Er stand dann plötzlich vor Mr. Stark. Er hat sich für die neue Optik bedankt, die Mr. Stark in das Flugzeug eingebaut hatte, sie wäre beim letzten Aufklärungsflug eine enorme Erleichterung gewesen. Mr. Stark war davon etwas verwirrt und ich wollte ihn gerade von meinem Grandpa befreien, als der mich für einen Nazi hielt und mit einer Gabel auf mich losgegangen ist."

Steve sah sich Stans Gesicht jetzt genauer an und ihm fiel jetzt eine Ähnlichkeit zu jemanden auf, dem er früher begegnet war. „Dein Großvater ist George Jefferson und er war Navigator?"

Stans Blick erhellte sich. „Ja, das ist richtig." Er überlegte kurz und fragte dann zögerlich: „Meinst du, du kannst mir ein Autogramm für ihn geben? Er hat seinerzeit Fotos und Autogramme von den ganzen Howling Commandos gesammelt, aber dich hat er wohl nie erwischt."

„Das lässt sich einrichten."

Während Stan sich noch bedankte, brachte die Kellnerin die Getränke und nahm die Essensbestellung auf. Sie zwinkerte Michael zu, bevor sie sich umwandte und in Richtung Küche ging. Michael sah ihr einen Augenblick lang nach.

„Und was glaubt ihr, wer nachher gewinnt?", fragte Michael schließlich in die Runde.

„Ich kenn zwar den anderen nicht, aber Vince Porter wird seinen Ruf verteidigen wollen. Ich setze auf ihn", sagte einer.

Die anderen stimmten ihm größtenteils zu.

„Sein Gegner ist Alessandro Moretti. Er ist zwar nicht sehr bekannt, aber auch ziemlich gut. Ich habe ihn mal in Las Vegas gesehen. Ich setze auf ihn", entgegnete Stan.

Als alle ihre Wetten abgegeben hatten, schauten sie Steve an. „Und was glaubst du?"

„Ich setze auch auf Moretti", sagte er knapp.

Die Kellnerin brachte jetzt das Essen und steckte dabei mit einem Zwinkern etwas in Michaels Hemdtasche. Er tastete kurz danach und sein Lächeln wurde leicht verschmitzt. Nachdem alle aufgegessen hatten, holte die Kellnerin das Geschirr bald wieder ab.

„Ich muss mal kurz verschwinden", entschuldigte sich Michael und begab sich in die Herrentoilette. Die Kellnerin lud das Geschirr in der Durchreiche zur Küche ab, sah sich unauffällig um und folgte Michael dann.

Als die Kameraden Steves fragenden Blick sahen, kommentierte einer von ihnen leise das Geschehen. „Er macht jetzt von dem Gebrauch, was sie ihm zugesteckt hat."

Steve hatte jetzt eine Vorstellung von dem, was da vor sich ging, wollte es aber noch nicht richtig glauben und guckte weiter fragend.

Stan versuchte, ihn aufzuklären: „Jeder hier kennt das Geheimnis, dass er mit seiner Frau eine offene Beziehung hat. Na ja, eigentlich ist es eher eine halboffene Beziehung, weil sie einfach nicht so drauf ist."

„Du meinst, dass er gerade...?", hakte Steve leicht entsetzt nach.

„Ja. Er kriegt den Hals nicht voll. Eigentlich ist er ja schon ein ziemlicher Glückspilz. Seine Frau ist attraktiv. Sie hat was im Kopf. Sie kümmert sich, trotz eigenem Job, um den ganzen Haushalt. Aber er stellt trotzdem noch anderen Frauen nach."

Steve hatte sich jetzt wieder etwas gefasst: „Ich habe gemerkt, dass ihr nicht sehr begeistert von ihm seid..."

„Na ja, wir hatten vor kurzem eine Meinungsverschiedenheit", erklärte Stan.

„Worum ging es?"

„Um es kurz zu machen: Er hat ein unglaubliches Talent dafür, sinnvolle Befehle zu ignorieren und idiotische Befehle zu befolgen." Stan guckte dabei leicht genervt. „Und ich werde das jetzt nicht weiter ausführen. Irgendwie muss ich morgen noch mit ihm zusammenarbeiten können."

Eine der Kellnerinnen stellte die Jukebox ab und drehte die Fernseher dafür lauter. Michael kam inzwischen zurück und setzte sich zurück auf seinen Platz. Er hatte einen zufriedenen Gesichtsausdruck und widmete sich jetzt dem Geschehen im Fernsehen.

In einem kurzen Beitrag wurden gerade beide Kontrahenten vorgestellt, wobei der Part über Vince Porter bedeutend länger ausfiel, als derjenige über Alessandro „Almo" Moretti.

Die erste Runde wurde eingeläutet und alle schauten jetzt aufmerksam zu den Fernsehern.

**

Alex hatte jetzt schon eine Weile nicht mehr an einem öffentlichen Kampf teilgenommen. Er hatte das Gefühl ein wenig vermisst und genoss die Atmosphäre, die in der Halle herrschte, als er in Richtung Ring ging.

Seinen Gegner hatte er in den Stunden vorher persönlich kennengelernt und es war klar, dass zwischen den beiden ein sportliches Miteinander herrschte. Egal wer heute gewinnen würde, es würde ein guter Kampf werden.

Alex taktierte über mehrere Runden hinweg und versuchte, einen Sieg nach Punkten zu erreichen. Er war flinker als sein Gegner, daher konnte er gut ausweichen und es gelang ihm, ein paar gute Treffer zu landen.

Porter landete ebenfalls ein paar Treffer. Sie waren zwar schmerzhaft, aber Alex konnte sie noch gut wegstecken.

Mit jeder Runde schien die Menge immer mehr zu toben.

Plötzlich sah Alex im Augenwinkel etwas auf der Zuschauertribüne. Er fühlte sich seltsam beobachtet und als er leicht den Kopf in die Richtung drehte, sah er eine Frau mit langen weiß-blonden Haaren, die ihn mit einem eigenartigen Blick fixiert hatte. Alex wandte seinen Blick ab, um einen von Porters Schlägen abzublocken. Als er seinen Blick wieder in die Richtung der Tribüne wandern ließ, war die Frau von ihrem Platz verschwunden. Er suchte mit seinen Augen die Zuschauerreihen ab, doch konnte sie nicht wiederfinden.

Gerade als Alex sich wieder zusammenreißen und auf den Kampf konzentrieren wollte, sah er Porters Faust auf sich zu fliegen und wurde hart am Kopf getroffen.

Als er die Augen wieder öffnete, war sein Blick verschwommen. Die Welt um ihn herum schien sich zu drehen und die Geräusche um ihn herum bildeten ein undefiniertes Rauschen. In seinen Blick wanderte der Schiedsrichter, der jetzt damit begann, ihn auszuzählen. Neben diesem schob sich Porters besorgtes Gesicht in Alex' Blickfeld. Er sagte etwas, doch Alex konnte es im Moment nicht verstehen. Um ihn herum blitzen die Kameras der Pressefotografen um die Wette.

Als Alex versuchte, sich aufzurichten, schmerzte sein Kopf umso stärker. Er gab den Versuch auf und wartete darauf, dass der Schiedsrichter endlich mit dem Zählen fertig wurde.

Der Kampf war nun endgültig vorbei. Porter hatte gewonnen und die Menge jubelte. Alex startete einen erneuten Versuch, sich aufzurichten, und Porter reichte ihm dabei die Hand. Mit seiner Hilfe kam er auf die Füße.

Sein Agent war in den Ring gestiegen und sprach Alex an. „Jetzt noch ... Pressekonferenz ...", waren die Worte, die gerade so zu ihm durchdrangen. Er atmete erschöpft durch und nickte dann.

Der Rest des Abends zog wie im Rausch an ihm vorbei. Er ließ die Pressekonferenz über sich ergehen und gab danach ein paar Autogramme, bevor er endlich die Ruhe fand, sich verarzten zu lassen. Die Sanitäter, die ihn zuerst versorgten, legten ihm nahe, sich in ein Krankenhaus bringen zu lassen. Alex hörte auf den Rat und wurde in eine nahe gelegene Klinik gebracht, wo er zunächst eine Reihe von Untersuchungen hinter sich bringen musste, bevor er sich endlich auf einem Bett ausruhen und die Augen schließen konnte.

Während der ganzen Zeit ging ihm die hellblonde Zuschauerin nicht aus dem Kopf. Er fragte sich, wer sie war und warum sie ihn so merkwürdig angesehen hatte. Oder war sie etwa doch nur eine Einbildung gewesen, nachdem er schließlich bereits ein paar Schläge eingesteckt hatte?

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