41. Der Besprechungsraum
In der Nacht nach der Begegnung mit dem Wintersoldier wurden Kenai und Susan noch lange von den S.H.I.E.L.D-Agenten, die den Fall untersuchen sollten, wachgehalten. Endlich beendeten sie ihre Befragung und ließen das Ehepaar allein.
Die beiden gingen direkt ins Bett, um zumindest ein paar Stunden zu schlafen, doch Kenais Gedanken kreisten weiter um die vergangenen Ereignisse. Eigentlich sollte bald alles gut werden, denn sie würden morgen ihre Tochter wieder bekommen und könnten dann mit ihr nach Hause auf die Farm fahren. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass es doch nicht so einfach werden würde.
Nachdem er ein paar Stunden geschlafen hatte, stand er auf und machte sich daran sein Bein erneut notdürftig zu reparieren. Klettern und Balancieren waren zwar mit dieser Prothese nicht mehr möglich, aber er konnte sich zumindest ohne Krücken fortbewegen.
Während er zusammen mit seiner Frau ein kleines Frühstück einnahm, rief Peggy an.
„Guten Morgen, Kenai! Ich fahre etwa in einer Stunde mit Stella ins Büro. Bitte komme auch dorthin. Ich möchte nochmal kurz mit dir reden, bevor du sie mit heimnimmst."
„Gut, dann sehen wir uns dort", sagte er und legte auf.
Sein Blick erhellte sich und er sah seine Frau an. „Das war Peggy. Ich soll mich mit ihr im S.H.I.E.L.D-Büro treffen und kann Stella dort abholen."
„Du kannst sie heute tatsächlich abholen?", vergewisserte sich Susan.
„Ja, so hat sie es gesagt. Sie will aber vorher nochmal mit mir sprechen."
„Glaubst du, sie will dich zu irgendwas überreden?"
„Nein, ich denke, sie will nur hören, was ich als Nächstes vorhabe."
„Soll ich dich fahren?"
„Nein, das geht schon. Vielleicht kannst du schon mal unsere Koffer packen und einen Flug organisieren?"
Susan lächelte leicht. „Du willst wirklich schnell hier weg, hmm?"
Er lächelte zurück. „Wir müssen uns auf der Farm einfach weniger Gedanken machen."
„Na dann, machen wir das so."
Sie stand vom Tisch auf und räumte das Geschirr weg.
Kenai ging sich anziehen. Bevor er in das S.H.I.E.L.D-Büro aufbrach, holte er die metallene Hand wieder aus dem Versteck und packte sie in eine Umhängetasche, die er mitnahm. Er war sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher, ob er Peggy womöglich doch von seiner nächtlichen Begegnung erzählen sollte und wollte für diese Möglichkeit gerüstet sein. So vorbereitet ging er hinaus auf die Straße, wo er sich ein Taxi herbeiwinkte, welches ihn zu seinem Ziel fuhr.
Im Büro wurde er von einem S.H.I.E.L.D-Agent empfangen und in ein Besprechungszimmer gelotst. Außer ihm war hier bisher noch niemand, aber man hatte schon frischen Kaffee bereitgestellt.
Er wurde langsam etwas unruhig, denn er hatte bisher weder etwas von Peggy noch von seiner Tochter gesehen. Er tigerte nervös auf und ab, während er wartete.
Schließlich öffnete sich die Tür und Peggy kam gefolgt von einer Hand voll anderen Agents herein. Die Agents setzten sich sogleich an den Tisch.
„Guten Morgen, Kenai. Setz dich!", begrüßte Peggy ihn.
Er blieb stehen und fragte: „Wo ist meine Tochter?"
„Sie ist im anderen Besprechungsraum. Jemand ist bei ihr und gibt gut auf sie Acht."
„Jemand?", fragte er skeptisch.
Peggy sah ihn streng an. „Setz dich! Je eher wir anfangen, desto eher sind wir fertig."
Zähneknirschend setzte sich Kenai auf den letzten freien Stuhl.
„Gut. Agent Jones, wie war die Lage diese Nacht?"
Der angesprochene Agent saß locker zurückgelehnt auf seinem Stuhl.
„In Ihrer Nachbarschaft war alles friedlich. Wir haben den Mord an den beiden Wachleuten untersucht und versucht den Täter aufzuspüren. Der hat sich ziemlich gut verkrochen. Ehrlich gesagt glaube ich aber nicht, dass er noch ein zweites Mal aufkreuzt." Der Mann grinste Kenai an. „Ich glaube auch, dass wir hier ein wenig zu dick auftragen. Vielleicht jagen wir noch nicht mal HYDRA? Vielleicht jagen wir einen einfachen Erpresser? Wäre doch die klassische Nummer: Reiche Familie wird erpresst."
In Kenai begann es zu brodeln.
Sind die beiden ermordeten Wachleute nicht schon genug, um die Sache ernst zu nehmen? Was ist daran zu dick aufgetragen?
Er stand langsam auf und blickte Agent Jones, der ihm direkt gegenüber saß, an.
„Welcher einfache Erpresser begeht auch gleich einen Mord?"
„Na, vielleicht ist was schief gegangen?"
„Agent Jones, ich habe Ihnen gestern schon gesagt, wie ernst wir die Sache nehmen. Verhalten sie sich entsprechend!", schritt Peggy jetzt ein.
„Bei allem Respekt, Ma'am - Mr. Hammond tut gerade so, als hätte HYDRA den Wintersoldier auf ihn gehetzt! Wir wissen doch alle, dass er schon ein wenig paranoid ist, oder?"
Der Agent saß immer noch lässig da und hatte sein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht.
Kenai atmete kurz durch. Wenn er jetzt seinem Impuls folgen würde, müsste er Peggy später ein paar gute Erklärungen auftischen. Aber das war es einfach wert.
Er griff in die Umhängetasche, zog die Metallhand heraus und schmiss sie direkt vor Agent Jones mit einem lauten Scheppern auf den Konferenztisch. Die Tassen klirrten leise, als das silberne Etwas landete.
Alle Augen waren jetzt darauf gerichtet. Agent Jones' Grinsen war verschwunden und er starrte mit offenem Mund still auf den Gegenstand vor sich.
„Jetzt raten Sie mal, wem die gehört haben könnte", forderte Kenai, auch wenn er an den Blicken der anderen erkannte, dass alle schon das Richtige dachten.
„Also es ist mir egal, ob S.H.I.E.L.D meine Bedenken ernst nimmt oder nicht. Ich werde jetzt meine Tochter nehmen und mit ihr nach Hause fahren."
Kenai nahm seine Umhängetasche und ging hinaus in den Flur. Er wollte sich gerade in die Richtung des anderen Besprechungszimmers bewegen, als Peggy ihn aufhielt.
Sie hatte die Metallhand mitgenommen und gab sie ihm zurück.
„Was hast du jetzt vor?"
„Genau das was ich eben gesagt habe", sagte er und setzte sich in Bewegung.
Er spürte Peggys Blick auf sich ruhen.
„Und du glaubst, sie ist auf der Farm sicherer als hier?"
Er drehte sich um.
„Ja, absolut." Er hob die Metallhand hoch. „Nachdem mein Vater ihm hier damals begegnet ist, hat meine Mutter einen Bannzauber errichtet, der ihn fernhalten wird. Eilis ist im Moment dabei einen zweiten Bannzauber zu wirken, der sich gegen alle HYDRA-Anhänger richten wird."
Peggy kannte die Geschichte, wie Kenais Vater Chatan vor etwa 20 Jahren dem Wintersoldier begegnet ist. Auch er hatte damals unglaubliches Glück gehabt und die Begegnung so gut wie unbeschadet überstanden. Die Begebenheit wurde zu einer kleinen Legende, die die Stammesältesten heute gerne den Kindern erzählten. Peggy wusste auch von dem Bannzauber, den Inola errichtet hatte. Doch es fiel ihr schwer, daran zu glauben. Sie hatte zwar in all ihren Jahren als Agentin unzählige wundersame Dinge gesehen, doch diese waren alle durch einen Menschen in einem Labor erschaffen worden und auf wissenschaftliche Weise erklärbar.
Sie hob skeptisch eine Augenbraue. „Du bist überzeugt davon, dass das funktioniert?"
„Ja."
„Wie konntest du seinen Angriff überleben? Er hat dir ohne Frage ordentlich zugesetzt, aber du stehst immer noch aufrecht hier. Du bist zwar ein guter Nahkämpfer, aber du kannst das nicht allein geschafft haben, Qaletaqa."
Als sie Kenai bei seinem Titel nannte, betonte sie bewusst jede einzelne Silbe. Sie hoffte, ihn auf diese Weise ein wenig provozieren zu können und ihn so dazu zu bringen, ihr alles zu erzählen.
„Zum Einen bin ich schon ziemlich hellhörig geworden, als ich meine Wachmänner tot am Boden liegen gesehen habe. Zum Anderen ist meine Mitarbeiterin mir zu Hilfe gekommen."
„Wer?"
„Elane Simmons."
„Die Frau, die die Sicherheit auf deinen Events organisiert?"
„Ja."
„Warum war sie dann nicht dabei, als meine Agents gestern den Fall aufgenommen haben?"
Kenai dachte kurz nach. Er brauchte schnell eine überzeugende Ausrede.
„Hätte ich zusehen sollen, wie ihr meine unter Schock stehende Mitarbeiterin noch die ganze Nacht mit Fragen piesackt? Fragen die euch doch nicht weiter bringen? Ich habe sie heim geschickt."
„Dir ist schon bewusst, dass dich das in ein komisches Licht rückt, wenn du uns wichtige Informationen vorenthältst."
„Sicher. Kommst du mir jetzt mit einem Ich-war-schon-Agentin-bevor-du-geboren-wurdest-Vortrag?"
Peggy blickte leicht genervt zur Seite. Ein Schmunzeln stahl sich auf Kenais Lippen. Er mochte zwar deutlich jünger sein, als die Agentin, aber er wusste trotzdem schon ganz gut, wie er seine Mitmenschen einschätzen sollte.
Kenai ging weiter und blieb einen Moment vor der Tür stehen. Er war immer noch ziemlich wutgeladen und wollte so nicht in den Raum platzen, in dem sich gerade seine Tochter befand. Um sich zu beruhigen, atmete er einmal tief durch und dachte daran, dass nun alles gut werden wird.
Schließlich öffnete er die Tür und ging in den Raum. Auf dem Boden standen Stellas Koffer und ihre Spielzeugkiste. Aber weder sie noch die Agenten, die auf sie aufpassen sollten, waren zu sehen.
Sofort stiegen die Sorgen und die Wut wieder in Kenai auf.
„Sie sind nicht hier. Wo sind sie?"
Peggy sah sich kurz in dem Raum um und verließ ihn dann schnell. Sie ließ sofort sämtliche Räumlichkeiten und die nähere Umgebung absuchen. Von dem Kind und ihren Aufpassern fehlte jede Spur.
Schließlich ließ sie die Überwachungsbänder vom Eingangsbereich und von den Garagen auswerten. Darauf war zu sehen, dass die gesuchten Agents ganz selbstverständlich hinausgingen. Einer von ihnen hatte das Kind auf dem Arm. Es schien fest zu schlafen. Genauso unbehelligt gingen sie in die Garage und setzten sich mit dem Kind in ein Auto, um dann fortzufahren.
Peggy ließ nun nach dem Wagen fahnden, auch wenn die Flüchtigen bereits einen großen Vorsprung hatten und die Aussicht auf einen schnellen Erfolg gering war.
Sie sprach wieder mit Kenai, um ihm zu versichern, dass sie alles in ihrer Macht stehende unternahm, um das Mädchen wieder zu finden. Nachdem Peggy lange auf ihn eingeredet hatte, fuhr Kenai zurück ins Apartment und blieb dort den Rest des Tages zusammen mit Susan. Er rief von dort aus seine eigenen Leute an. Auch sie sollten sich auf die Suche nach seiner Tochter machen, denn S.H.I.E.L.D traute er in dieser Sache nicht mehr. Er selbst legte sich in der folgenden Zeit immer wieder auf die Lauer, aber kam jedes Mal erfolglos heim.
Den Wagen fanden die S.H.I.E.L.D-Mitarbeiter nach einigen Tagen verlassen in einem Waldstück. Von den Insassen fehlte weiterhin jede Spur.
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