34. Die Bitte

Am nächsten Morgen wachte Steve auf, als die Sonne schwach in sein Zimmer schien. Er sah kurz hinaus. Es schien ein eher verregneter Tag zu werden. Steve stand auf und sah in der Küche nach, ob dort bereits jemand anderes wach war. Antony kam bald darauf hinzu. Die beiden frühstückten gemeinsam und der Junge durfte anschließend eine Kindersendung im Fernsehen anschauen. Nach der Sendung ging Antony zunächst alleine in sein Zimmer, um dort zu spielen. Später klingelte es an der Tür und der Nachbarsjunge stand davor. Die beiden Kinder gingen nun gemeinsam in Antonys Zimmer.

Noch am Vormittag klingelte das Telefon. Steve nahm den Anruf entgegen. Am anderen Ende der Leitung war Michael.

„Hey Steve! Ich wollte eigentlich mit Stella sprechen. Ist sie gerade in der Nähe?"

„Nein, sie schläft noch."

„So spät noch? Wenn ich richtig rechne ist es bei euch jetzt schon fast 11 Uhr?"

Michael klang jetzt ein wenig besorgt.

„Ja, das ist richtig. Soll ich sie wecken?"

„Nein, sie wird den Schlaf wohl brauchen. Aber kannst du mal vorsichtig nachsehen, ob alles O.K. ist? Ich muss jetzt bald auflegen, weil sich hinter mir schon eine Schlange gebildet hat. Später versuche ich nochmal anzurufen. Richte den Beiden bis dahin Grüße aus."

„In Ordnung, das mache ich", sagte Steve und verabschiedete sich von Michael.

Er legte auf und ging vorsichtig zu Stellas Schlafzimmer.

Dort blieb er an der Tür stehen und horchte einen Moment lang hin. Er glaubte sie atmen zu hören, doch war sich nicht sicher. Er klopfte ein paar Mal an der Tür, worauf Stella jedoch nicht reagierte. Da er wusste, dass Stella sonst einen eher leichten Schlaf hatte, war er nun auch ein wenig besorgt. Deswegen öffnete er langsam die Tür und spähte vorsichtig hindurch, da er befürchtete, dass sie genauso gut gerade aus dem Bad kommen könnte.

Sie lag friedlich auf dem Bett und war in die Decke eingekuschelt. In dem Armen hielt sie Michaels Schlafanzugoberteil und kuschelte ihr Gesicht dort hinein.

„Stella?", versuchte Steve sie nun vorsichtig anzusprechen.

Sie schlief weiter.

„Stella, hörst du mich?"

Immer noch keine Reaktion.

Er trat jetzt an das Bett heran und berührte sie vorsichtig an der Schulter. Sie schreckte jetzt auf und wandte sich zu ihm um. Es sah einen kurzen Moment so aus, als wollte sie eine abwehrende Haltung einnehmen, aber das weiche Bett hinderte sie wohl daran.

„Was zum...?", sagte sie in ihrem Schreck.

Steve wich zurück.

„Bitte entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken. Du hast nicht reagiert, als ich geklopft habe und auch nicht, als ich dich angesprochen habe. Ich wollte nur sehen, ob alles O.K. ist..."

„Ja", sagte sie ein wenig barsch und richtete sich auf.

Sie sah ihm jetzt in die Augen, in denen wieder Bedauern zu sehen war. Sie fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, um den restlichen Schlaf loszuwerden.

„Bitte entschuldige, dass ich eben so schroff war..."

„Schon gut. Ich habe dir einen großen Schreck eingejagt."

„Wie spät ist es?", fragte sie und sah auf ihren Wecker, anstatt die Antwort abzuwarten. „Oh je! O.K. - lässt du mich kurz alleine? Ich will schnell ins Bad und mich waschen. Dann bin ich für euch da."

„Keine Eile! Antony und ich haben schon gefrühstückt. Er spielt jetzt in seinem Zimmer mit dem Nachbarsjungen. Ich kann dir einen Haferbrei machen. Der steht auf der Liste deiner erlaubten Gerichte."

„Nein, alles gut. Ich mach das gleich selbst. Du bist doch eigentlich hier, um Urlaub zu machen. Das heißt ab jetzt übernehme ich wieder den Haushalt."

„Da habe ich Estelle gestern aber was anderes versprochen", protestierte Steve. „Und einen Haferbrei zu kochen, bekomme ich auch ganz gut hin. Den haben wir früher schon gegessen!"

„Habe ich eine Chance, dich umzustimmen?"

„Nein", sagte Steve mit einem freundlichen Lächeln.

„Also gut. Dann sehen wir uns gleich in der Küche, schätze ich."

Steve nickte und verließ das Zimmer. In der Küche machte er sich gleich daran das Frühstück für Stella zuzubereiten.

Nachdem Stella sich für den Tag angezogen hatte, kam sie zu Steve in die Küche und stellte sich neben ihn, um den Inhalt des Kochtopfs kurz zu prüfen.

„Magst du einen Tee?", fragte sie schließlich.

„Nein, danke. Ich habe mir vorhin einen Kaffee gemacht. Soll ich dir einen machen? Kamille?"

Sie ging zu ihrem Kräuterregal und holte eine Dose hervor.

„Nein, das hier ist eine Mischung aus Kamille, Salbei und Fenchel. Die schmeckt mir etwas besser. Und es geht mir gut genug, dass ich mir durchaus meinen Tee selbst kochen kann."

Er ging ein Stück zur Seite, damit sie an den Wasserkocher kam. Während das Wasser noch erhitzt wurde, holte sie eine von den Tabletten, die Estelle ihr für den Magen verschrieben hatte. Steve holte in der Zeit ein Glas aus dem Schrank und schenkte ihr Wasser ein.

Als ihr Tee endlich zum Ziehen da stand, ließ Stella sich dazu überreden, am Tisch Platz zu nehmen.

Steve servierte ihr jetzt den Haferbrei, den sie brav aufaß, um anschließend ihren Tee zu genießen. Ihm fiel jetzt ein, dass er ein Päckchen entgegenkommen hatte, und er überreichte es ihr nun.

„Ah, schön!", freute sie sich. „Das ist von Antonio. Mit ihm habe ich ihm Studium in einer WG zusammen gewohnt. Wir schicken uns ab und zu gegenseitig ein Paket mit Leckereien, die der Andere bei sich zu Hause nicht so einfach kaufen kann." Sie öffnete das Paket. „Magst du was probieren?"

Er winkte ab. „Nein, ich werde dir nichts wegessen, was du im Moment selbst nicht essen darfst. Das wäre gemein."

Sie setzte ein leichtes Schmollen auf. „Bist du sicher? Ich teile gerne mit dir!"

„Ja, ich bin sicher." Er überlegte kurz und fragte dann vorsichtig: „Ist Antonio der Namensgeber für deinen Sohn?"

Stella schaute ihn fragend an.

„Naja, Tony hat doch behauptet, Antony sei nach ihm benannt und du hast gesagt, dass es jemand anderen mit einem ähnlichen Namen gäbe."

„Ja, das ist gut möglich."

Ihr Blick wurde jetzt ernster und sie sah einen Moment lang weg.

„Ich weiß es eigentlich selbst nicht. Meine Eltern haben den Namen ausgesucht und weil ich ihn so oder so gut fand, habe ich sie nie danach gefragt."

„Warum haben deine Eltern den Namen ausgesucht?", wunderte sich Steve.

Sie zuckte abwehrend mit der Schulter. „Ist einfach so."

An ihrem Blick erkannte Steve, dass er sie nicht weiter danach fragen brauchte. Sie wollte hierüber einfach nicht reden.

„Kann ich eigentlich was für dich tun?", fragte Stella plötzlich.

„Es reicht mir schon ein paar Tage hier verbringen zu dürfen", sagte Steve bescheiden.

„Ja, aber hattest du was Bestimmtes vor oder willst du einfach nur die Seele baumeln lassen? Ich bin dir was schuldig, dafür dass du dich um Antony gekümmert hast..."

„Nein, bist du nicht."

„Doch, darauf bestehe ich. Und ich lasse dich hier nicht weg, bevor ich irgendetwas für dich tun konnte." Sie setzte einen strengen Blick auf.

Er seufzte: „O.K., da gibt es schon was..."

„Raus mit der Sprache!"

„Du hattest mir beim letzten Mal angeboten, mir zu zeigen, wie man einen Computer bedient. Darauf würde ich gerne zurück kommen. Man hatte mir zwar für eine Weile so einen ... ähm ... Tablett-Computer bereit gestellt. Aber der war so eingerichtet, dass ich mit einem Tastendruck genau das sehen konnte, wonach ich vorher gefragt hatte. Ich würde gerne ein bisschen mehr können."

Sie sah ihm aufmunternd in die Augen. „Ja, das kriegen wir hin." Sie überlegte kurz. „Gib mir etwas Vorbereitungszeit und lass uns das dann morgen angehen."

„Ja, gerne. Aber nur, wenn das für dich schon in Ordnung ist! Du kennst die Anweisungen, die Estelle dir mitgegeben hat."

„Darüber bin ich mir im Klaren. Und ich versichere dir, dass es für mich weder Arbeit noch Stress ist. Ich freue mich sogar drauf."

Am Nachmittag rief Michael schließlich erneut an und Stella telefonierte mit ihm ein paar Minuten lang. Danach setzte sie sich mit Antony hin und half ihm bei seinen Hausaufgaben.

Steve nahm sich währenddessen die Zeit, eine Runde laufen zu gehen. Als er zurückkehrte, fand er Stella in ihrem Arbeitszimmer. Er lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme.

„Du arbeitest?"

„Nein. Das hier ist jetzt meine Vorbereitungszeit für morgen. Ich bereite diesen Computer hier für dich vor."

Sie zeigte auf den Computer, der direkt vor ihr stand und auf ein Notizbuch, in welchem sie die ersten Seiten gefüllt hatte.

Abgesehen von diesem Gerät stand auf ihrem Tisch ein weiterer eingeschalteter Computer. Dieser war offenbar derjenige, mit dem sie hauptsächlich arbeitete, denn er war mit ein paar Notizzetteln versehen. Der Rest der Schreibtischplatte war bedeckt mit Ausdrucken irgendwelcher Datenreihen, Zetteln mit komplizierten Berechnungen und mehreren Fachbüchern mit Titeln, die für Steve als Laie, wenig aussagekräftig waren.

„Und mehr machst du nicht?", fragte er skeptisch und sah sie prüfend an.

„Ich habe meine Mails gelesen. Mehr mache ich heute nicht. Versprochen", sagte sie, da sie seinem Blick nicht mehr standhielt. „Gib mir noch eine halbe Stunde, dann bin ich hier fertig."

„Gut, dann schaue ich nachher nochmal vorbei."

Es dauerte etwas länger als eine halbe Stunde, bis Stella in ihrem Arbeitszimmer fertig war. Steve war in der Küche und telefonierte, daher beschloss sie, es sich mit einem Buch auf dem Sofa gemütlich zu machen.

Schließlich hatte er aufgelegt und kam ins Wohnzimmer. Er beäugte den Titel des Buches, das Stella gerade las.

„>>Der Medicus<<? Ich hatte gehofft, dass du was Entspannenderes liest", sagte er skeptisch.

„Ist aber ein sehr lesenswerter Roman."

„Ein Roman?"

„Ja, es ist kein Fachbuch", lachte sie. „Ich werde jetzt nicht versuchen an meinen Patienten einen Aderlass durchzuführen, nur weil ich es hier drin gelesen habe."

„Aber es geht um einen Arzt?"

„Es geht um jemanden der Arzt werden will", lachte sie. „Im 11. Jahrhundert. Ich habe es eigentlich schonmal gelesen, wenn du magst, kann ich dir das Buch gleich geben", bot sie an.

Er winkte ab. „Nein, ich habe mir vorhin schon ein Anderes geschnappt - >>Der Hobbit<<"

„Das ist auch gut. >>Herr der Ringe<< hätte ich auch da, wenn du danach weiter lesen willst."

„Ich werde vielleicht drauf zurück kommen. Passt es für dich, wenn ich jetzt das Essen koche?", fragte er und war schon auf dem Weg zurück in die Küche.

Sie stand auf und lief hinterher. „Du bist hier Gast. Eigentlich sollte ich kochen", protestierte sie.

Er drehte sich zu ihr um. „Nein, lass mich das machen. Ich habe schon ein Rezept ausgesucht, das ich hinbekommen dürfte."

„Ich komme mir dabei aber komisch vor. Darf ich dir wenigstens zur Hand gehen?" Sie sah ihm tief in die Augen und wich seinem prüfenden Blick nicht aus.

Er seufzte: „Wenn du drauf bestehst, dann ja."

Sie bereiteten schließlich gemeinsam das Essen zu und ließen danach mit einem lockeren Gespräch den Abend ausklingen.

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