31. Die Trennung
Alex freute sich sehr, als Emilia endlich aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Er bereitete schnell die Wohnung vor, damit sie sich hier so wohl wie möglich fühlen konnte, bevor er schließlich losfuhr, um sie abzuholen.
Die Arbeit im Box-Club ließ Alex jetzt seine Angestellten zu einem großen Teil übernehmen. Er wollte Emilia so gut umsorgen, wie er konnte. Er versuchte, alle ihre Wünsche zu erfüllen.
Emilia wirkte jedoch stets unzufrieden. Nichts, was Alex tat, schien genug zu sein.
Alex glaubte, dass dies daran lag, dass sie noch um ihr verlorenes Kind trauerte. Sie wollte jedoch nicht mit ihm darüber reden. Den Vorschlag, mit ihm gemeinsam einen Therapeuten aufzusuchen, der auf solche Fälle spezialisiert war, lehnte sie vehement ab.
Stattdessen fing sie an, tagsüber das Haus für einige Stunden zu verlassen. Wenn sie zu Hause war, ließ sie ihren Frust an Alex aus.
Steve hörte oft in seiner Wohnung, dass Emilia sich mit ihrem Freund stritt. Sie warf ihm im Moment anscheinend jede Kleinigkeit vor.
Als Steve Alex zwischendurch einmal im Box-Club traf, sprach er ihn darauf an.
„Wie kommt ihr beiden im Moment miteinander zurecht?"
Alex blickte ihn mit seinen müden Augen an und zuckte mit der Schulter. Er setzte ein müdes Lächeln auf und sagte: „Ich komme klar. Emilia braucht noch ein bisschen Zeit. Das wird sich schon wieder legen."
„Bist du dir sicher? Kann ich irgendwas für euch tun?"
„Ja, ich bin mir sicher. Und Emilia möchte nicht, dass jemand uns hilft."
Alex sah sich kurz um und überlegte: „Vielleicht kannst du mir helfen, hier ein bisschen aufzuräumen. Heute kommt jemand von der Bank und es wäre gut, wenn der Club einen guten Eindruck bei ihm hinterlassen würde."
„Was will jemand von der Bank hier?"
„Ich habe einen Kreditantrag gestellt. Ich würde gerne den leerstehenden Laden nebenan mit hinzu nehmen. Sanitäre Anlagen für Frauen einbauen. Und einen kleinen zusätzlichen Trainingsbereich. Und eben die vorhandenen Räume nach und nach sanieren."
Steve nickte. „Ich helfe gerne. Wo fangen wir an?"
Die beiden verbrachten den ganzen Vormittag damit, fast alle Bereiche des Clubs aufzuräumen. Gerade als alle Trainingsgeräte an ihrem Platz waren, kam der Mann von der Bank. Er hatte ein Klemmbrett dabei, auf dem er sich Notizen machte, während er still jeden einzelnen Raum inspizierte. An einigen Stellen rümpfte er die Nase und stellte Alex eine kritische Frage.
„Und das hier soll mehr oder weniger so bleiben?", fragte der Mann schließlich.
„Ja, das hier ist ein Club mit einer jahrzehntelangen Tradition. Es gibt einen eingefleischten Kundenstamm."
„Der nach und nach zu alt wird, um noch hierher zu kommen", kritisierte der Mann.
„Deswegen möchte ich, dass sich der Club endlich auch mehr dem weiblichen Publikum öffnet. Es gibt Frauen, die hervorragende Boxerinnen sind. Die brauchen einen Platz zum trainieren. Und diejenigen, die bisher nur das Talent besitzen, brauchen einen guten Lehrer."
„Das mag ja in Ihren Augen ein sinnvoller Plan sein. Aber nach meiner Erfahrung, sollten Sie, wenn Sie Frauen ansprechen wollen, etwas ganz anderes machen. Yoga, Pilates, Zumba oder Spinning - Wenn Sie das anbieten können, kommen Leute die Ihnen auch Geld einbringen. Wenn Sie am bisherigen Konzept festhalten, kann ich Ihnen leider keine Zusage geben. Ich bin davon überzeugt, dass es hier nicht damit getan ist, alles mit ein bisschen Farbe zu übertünchen. Wenn Sie ganz schlau wären, würden Sie den Laden komplett abreißen und einen Neubau errichten."
Der Mann von der Bank verabschiedete sich knapp und ging.
Steve sah Alex mit ein wenig Bedauern an.
Alex zuckte mit der Schulter und sagte: „Naja, das war jetzt der erste Anlauf. In New York gibt's zum Glück mehr als eine Bank. Bei der Nächsten läuft es besser."
„Hast du schon ein anderes Angebot in Aussicht?"
„Ja, demnächst kommt jemand von einer anderen Bank vorbei. Danke nochmal für deine Hilfe vorhin."
Steve und Alex gingen schließlich zurück in ihre Wohnungen. Steve hatte gerade seine Tür zu gemacht, als er hörte, dass Emilia Alex wieder Vorwürfe machte. Es ging ums Geld.
„Mach diesen dreckigen alten Club endlich dicht und such dir einen richtigen Job! Wir sitzen immer noch in dieser mickrigen Wohnung fest."
Alex gab sich große Mühe geduldig zu bleiben. „Emilia, ich weiß, dass es im Moment noch nicht so richtig gut läuft. Aber du weißt auch, dass ich Pläne mit diesem Club habe."
„Ach, du hast Pläne? Du willst in dieses Dreckloch noch einen Haufen Geld investieren und Schulden anhäufen. Und wann wirft das Ganze mal was ab? Es geht dir doch gar nicht um den Club! Du willst ihn nur behalten, um dort den ganzen Tag über faul mit deinen Kumpels herumzuhängen!"
„Das ist nicht das, was ich dort tue. Wenn du magst, kannst du mal mitkommen und dir ansehen, was wir dort machen."
„Ah stimmt, du unterrichtest andere. Nachdem deine Box-Karriere ja bisher so erfolgreich war, dass dich keine Sau kennt."
„Emilia, was willst du von mir? Was soll ich statt dessen tun?"
„Du hättest deinen alten Job behalten sollen, dort hast du gut verdient!", antwortete Emilia und beendete die Diskussion, indem sie eine Tür zu knallte.
Steve schätze, dass es die Schlafzimmertür war. Er wusste, dass Alex in letzter Zeit meistens auf dem Sofa übernachten musste.
In den folgenden Tagen wirkte Alex recht nachdenklich. Steve sprach ihn in einer ruhigen Minute darauf an.
„Denkst du darüber nach, zu S.H.I.E.L.D zurück zu kehren?"
Alex schüttelte sofort den Kopf. „Du meinst weil Emilia findet, dass ich dort mehr Geld verdient habe? Ich war dafür auch deutlich mehr unterwegs und es haben deutlich mehr Menschen auf mich geschossen als bei dem, was ich jetzt tue. Ich habe damit extra aufgehört, um mich besser um Emilia und unser Kleines kümmern zu können."
Steve war ein wenig neidisch auf den Gedanken, dass Alex sich mit seiner Geliebten an seiner Seite zur Ruhe gesetzt hatte. Er empfand jedoch auch Mitleid, weil Alex' Pläne offensichtlich nicht so liefen, wie er sich das gedacht hat.
„Wollt ihr irgendwann noch einmal versuchen ein Baby zu bekommen?", fragte Steve vorsichtig.
Alex seufzte: „Emilia hat dazu noch nichts gesagt. Ich kann im Moment absolut nicht einschätzen, wie sie darüber denkt."
„Aber wie denkst du darüber?"
„Ja! Sobald sie es wieder möchte, bin ich dabei."
Als Steve und Alex an diesem Abend zurück in ihre Wohnungen gehen wollten, stand vor dem Haus ein Mann im Anzug. Er lehnte an ein luxuriöses Auto und blickte in Richtung Eingangstür. Aus der Tür kam Emilia mit einer Reisetasche.
Sie hatte offenbar noch nicht damit gerechnet, dass Alex aus dem Club zurückkam und blieb überrascht vor ihm stehen.
Er blickte sie ebenso überrascht an. „Emilia, was ist hier los?"
Sie blickte ihn jetzt kühl an. „Es ist aus. Ich ziehe zu Paul."
„Wer ist Paul?"
Sie deutete auf den Mann am Auto. „Er ist der Mann, der mir im Gegensatz zu dir bieten kann, was ich brauche. Mit dir war ich nur noch zusammen, weil wir ein Kind erwartet haben. Das ist vorbei."
Ohne ein weiteres Wort ging sie weiter zum Auto, ließ sich von Paul ihre Tasche abnehmen und stieg auf den Beifahrersitz. Paul stellte die Tasche in den Kofferraum und setzte sich danach ans Steuer. Er nickte Alex noch knapp zu, bevor er losfuhr.
Alex stand da und blickte dem Auto noch eine Weile nach. Selbst, nachdem es in den Wirren des Verkehrs längst verschwunden war, starrte er noch in die Richtung, in die es gefahren war.
Es fing an zu regnen. Steve und Alex wurden allmählich nass.
Steve legte seine Hand auf Alex' Schulter. „Du solltest mit reinkommen", sagte er ruhig.
Alex blickte kurz auf den nassen Boden und nickte dann still, um sich dann zum Hauseingang umzudrehen.
Im Hausflur durchbrach Steve die Stille: „Wenn du willst, kannst du eine Weile bei mir bleiben und reden."
Alex seufzte: „Nein, ich will jetzt erstmal allein sein."
Steve machte sich Sorgen um seinen Nachbarn, nickte aber. „Also gut. Wenn du was brauchst, weißt du wo ich bin. Du kannst jederzeit anklopfen."
Alex nickte still und verschwand dann in seiner Wohnung.
Steve seufzte und ging weiter den Flur entlang, um auch in seine Wohnung zu gehen.
In den nächsten Tagen war Alex ziemlich in sich gekehrt. Er kümmerte sich tagsüber weiter um den Club, hatte aber seine lockere, fröhliche Art verloren und ging mit seinen Schülern nun sehr sachlich um.
Jemand aus dem Club riet ihm, wieder auszugehen und neue Frauen kennen zu lernen. Alex zögerte erst, fing dann aber doch an mit ein paar Kumpels aus dem Club abends auszugehen.
Er kam meistens sehr spät und betrunken heim. Sein 3-Tage-Bart entwickelte sich allmählich zu einem Vollbart und er schlief jeden Tag bis zum frühen Nachmittag.
Es kam schließlich der Tag, an dem der Mann von der zweiten Bank sich im Club angekündigt hatte. Der Termin war Alex ursprünglich ziemlich wichtig gewesen, weswegen Steve beschloss, ihm auf die Beine zu helfen.
Steve wusste, wo Alex einen Ersatzschlüssel für seine Wohnung versteckt hatte und nahm ihn, um sich am Morgen vor dem Termin Zugang zu Alex' Wohnung zu verschaffen.
Nachdem er die Wohnung betreten hatte, zog er gleich die Tür leise hinter sich zu. Es roch nach verdorbenem Essen und als Steve sich umsah, entdeckte er sofort die Quellen dieses Geruchs. Auf dem Wohnzimmertisch stapelten sich halb leergegessene Verpackungen von diversen Lieferdiensten. Auf dem Boden war Dreckwäsche verstreut. In der Küche stapelte sich dreckiges Geschirr und der Mülleimer quoll über.
Auf dem Sofa lag Alex schnarchend auf dem Bauch und sabberte das Polster voll. Seine Hand hielt noch die Fernbedienung seines Fernsehers fest, in welchem ein Shoppingkanal lief.
Steve zog ihm vorsichtig die Fernbedienung aus der Hand und schaltete das Gerät ab.
„He, ich gucke das gerade", murmelte Alex, wachte aber nicht wirklich auf.
Steve bahnte sich seinen Weg zum Fenster und öffnete es, um frische Luft hereinzulassen.
Er stellte sich vor das Sofa und versuchte Alex zu wecken, indem er ihn vorsichtig schüttelte. Alles, was er damit erreichte, war, dass Alex sich umdrehte.
Steve seufzte. Er beschloss mit härteren Mitteln vorzugehen und hob Alex vom Sofa auf, um ihn sich über die Schulter zu legen. Auf diese Weise trug er ihn ins Bad und setzte ihn in der Duschkabine ab. Er drehte den Hahn auf, so dass Alex nun unsanft vom kalten Wasser geweckt wurde.
Alex schreckte auf. „Was zum..."
Steve stand mit verschränkten Armen da und sagte geduldig: „Guten Morgen! Jetzt wo du schon mal nass bist, kannst du auch gleich duschen. In drei Stunden kommt der Bankberater! Das ist noch Zeit genug, um zu frühstücken, sobald du im Bad fertig bist!"
Er ließ Alex allein im Bad zurück und ging in sein Schlafzimmer, um ihm frische Kleidung herauszulegen. Im Kleiderschrank fand er noch saubere Kleidung, die er Alex vor die Badezimmertür legte. Durch die Tür hörte er, dass Alex auf ihn gehört hatte und jetzt duschte.
Anschließend ging Steve in die Küche und suchte nach sauberem Geschirr. Als er keines fand, beschloss er, das angestaute dreckige Geschirr abzuwaschen. Alex hatte es zumindest einweichen lassen, so dass der Abwasch halbwegs schnell erledigt war.
Nach dem Abwasch prüfte Steve den Kühlschrankinhalt, um zu schauen, was davon überhaupt für ein Frühstück geeignet war. Der Kühlschrank war bis auf ein paar Scheiben angetrockneten Käse, einem einzelnen Ei und saurer Milch ziemlich leer. Deswegen beschloss Steve das Frühstück in seiner eigenen Wohnung zu veranstalten. Er sagte Alex durch die geschlossene Badezimmertür Bescheid und ging herüber in seine Wohnung. Seine eigene Wohnungstür ließ Steve offen stehen, damit Alex, ohne anzuklopfen, einfach hineinkommen konnte.
Als er fertig geduscht hatte, betrachtete Alex sich im Spiegel über dem Waschbecken. Er hatte Ringe unter den Augen und sein Bart war struppig und ungepflegt. Er nahm sich die Zeit, den Bart komplett abzurasieren und benutzte hinterher sein Lieblingsrasierwasser. Gegen die Augenringe versuchte er eine erfrischende Gesichtslotion zu verwenden, die Emilia hier vergessen hatte. Die Lotion hatte längst nicht die Wirkung, die in der Werbung versprochen wurde. Aber seine Haut fühlte sich jetzt wenigstens angenehm an.
Er schnappte sich die Kleidung, die Steve ihm rausgelegt hatte, und zog sie an. Danach stylte er seine Haare, so dass sie wieder die für ihn gewohnte Erscheinung hatten.
Er prüfte noch einmal, ob sein Atem nach dem Zähneputzen hinreichend frisch roch und beschloss, dann zu Steve herüber zugehen.
Er ging vorsichtig durch Steves Wohnungstür und schloss sie hinter sich. Steve kam aus seiner Küche und begrüßte ihn freundlich.
„Du siehst jetzt wieder wie ein Mensch aus!", stellte er fest.
Alex lachte müde: „Ja, danke für den Weckruf!"
„Keine Ursache! Versuch es nur in nächster Zeit nicht wieder soweit kommen zu lassen!"
Alex nickte verlegen.
„Magst du Frühstück?"
„Ja, gerne."
Das Frühstück tat Alex gut. So gestärkt gingen sie irgendwann herüber in den Box-Club und warteten auf den Mann von der Bank.
Als dieser endlich gekommen war, beäugte er den Club ähnlich kritisch, wie der Mann der bereits vor einer Weile hier war. Auch er fragte Alex, ob er nicht lieber ein Yoga-Studio oder Ähnliches aus dem Laden machen wollte. Er brachte noch den zusätzlichen Vorschlag, ein Tanzstudio hieraus zu machen. Damit könne man alle Altersklassen ansprechen. Das Gespräch lief darauf hinaus, dass Alex auch von dieser Bank eine Absage erhielt.
Alex war frustriert. Er war zwar auch bei anderen Banken vorstellig geworden, doch die meisten von ihnen hatten ihm direkt eine Absage erteilt, ohne einen Gutachter herauszuschicken.
Gerade als er zurück in seine Wohnung gehen wollte, hielt ihn sein Mitarbeiter Earl, der am Empfang aushalf, auf.
„Dein Agent hat heute für dich angerufen", sagte der alte Mann mit dem karierten Hemd, den Hosenträgern und der Altherrenmütze.
„Was?"
„Dein Agent. Du weißt schon - der Kerl der für dich Kämpfe organisiert."
„Was wollte er?"
„Hat was davon gefaselt, dass er für einen Kampf dringend noch einen Underdog sucht und dich in dieser Rolle sieht. Du sollst ihn zurück rufen."
Alex nickte. „Danke."
Er setzte sich an seinen Schreibtisch und schnappte sich das Telefon. Er hatte seit einer Weile nichts mehr von seinem Agenten gehört, weil er ihm eigentlich klar gemacht hatte, dass er nicht mehr so viel reisen will. Jetzt war Alex gespannt darauf, mit was für einem Angebot er ihn heute locken wollte.
Steve und Earl sahen ihn gespannt an, als Alex den Hörer nach seinem Gespräch auflegte.
„In ein paar Wochen gibt es einen Kampf in Los Angeles. Ihr habt ja sicher schon was von Vince Porter gehört?"
Steve guckte fragend.
„Der weltbekannte Profi-Boxer. Er versucht ein Comeback mit diesem Kampf. Das Ganze wird landesweit im Fernsehen übertragen werden."
„Und du hast zugesagt, gegen ihn anzutreten?"
„Naja, eigentlich halte ich nicht viel von diesen Schaukämpfen, weil normalerweise immer erwartet wird, dass der Star den Kampf gewinnt. Mein Agent hat versprochen, dass es hier anders ist. Und die Gage ist ziemlich gut. Das heißt, ich muss die Zeit jetzt nutzen, um wieder vernünftig in Form zu kommen. Er soll es ja dann doch nicht zu leicht haben", schloss Alex seine Erklärung ab.
Man sah Alex an, dass diese Möglichkeit ihm wieder neuen Antrieb gab. Noch am selben Tag räumte er seine Wohnung auf und kümmerte sich darum, dass sein Kühlschrank wieder vernünftig gefüllt war. Für die folgenden Wochen stellte er sich einen strickten Trainings- und Diätplan auf. Abends, wenn er nicht trainierte, schaute er sich vergangene Kämpfe seines Gegners an, um dessen Strategie genau zu studieren.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top