26. Das Frühstück

Tony saß mit den anderen Avengers zusammen und genoss sein Schawarma. Alle wirkten ziemlich erschöpft und man hörte am Tisch eine Zeit lang nur Kaugeräusche. Im Hintergrund war der Ladenbesitzer seelenruhig dabei den Schutt, der durch den Angriff entstanden war, aus seinem Laden heraus zu fegen.

Nachdem er seinen letzten Bissen verputzt hatte, durchbrach Tony die Stille. „So Cap! Du und Stella Hammond - was läuft da?", fragte er mit einem verschmitzten Grinsen.

„Nichts. Sie ist eine Freundin", antwortete Steve ruhig.

Tony guckte leicht enttäuscht. „Ihr würdet aber ein hübsches Paar abgeben!"

„Sie ist verheiratet."

„Ist sie etwa immer noch mit diesem unsäglichen Piloten zusammen?"

„Falls du Michael meinst, ja."

„Und wenn sie es nicht wäre?"

„Dann wäre sie auch eine Freundin. Nur eine Freundin. Was hast du gegen Michael?", fragte Steve leicht naiv, denn er hatte bisher einen recht guten Eindruck von Michael.

„Nichts wirksames", sagte Tony resigniert.

„Und warum interessiert es dich überhaupt?"

„Darf man denn einer alten Bekannten nichts Gutes mehr wünschen?"

Bruce meldete sich zu Wort: „Moment mal, ihr redet von Stella Hammond? Ihr beide kennt sie?" Er freute sich. „Ich bin ihr vor ein paar Jahren mal auf einer Tagung begegnet. Sie hat mir ein paar Fragen gestellt. Sie war gerade dabei eine Reise nach Pripyat vorzubereiten, da sie eine Arbeit über die Folgeschäden des Unfalls verfassen sollte. Und sie hat meine Vorschläge darin auch umgesetzt. Und sie hat auf der Reise auch einen Dokumentarfilm gedreht. >>10 Jahre danach<< hieß er. Ich mag diesen Film."

„Ist der Film nicht weit unter deinem Niveau?", fragte Natasha.

„Ja, es ist alles sehr populärwissenschaftlich erklärt. Und einige Fakten zum Unfallhergang sind nach heutigen Erkenntnissen auch schlichtweg falsch dargestellt. Das hat sie in der zweiten Dokumentation >>20 Jahre danach<< besser gemacht. Aber ich mag die Art, wie sie alles erklärt, versteht ihr? Es ist ähnlich beruhigend wie Bob Ross."

„Du vergleichst eine Dokumentation über eine der größten nuklearen Katastrophen mit Bob Ross, der vorführt wie man eine hübsche Landschaft malt?", fragte Clint ungläubig.

„So wie du das sagst klingt das tatsächlich ein bisschen komisch. Aber schon irgendwie. Ihr solltet euch selbst mal ein Bild davon machen", sagte Bruce jetzt ein bisschen kleinlaut.

„Nur dass das worum es in der Doku geht eben kein >>Happy little accident<< war", warf Tony mit ernster Miene ein.

Steve konnte die ganze Zeit über nur fragend in die Runde schauen.

„Du musst echt dringend nachlesen, was in den letzten Jahrzehnten passiert ist!", sagte Tony.

Die anderen stimmten Tony zu und Steve musste versprechen sich, was das angeht, zu bessern.

Alle hatten inzwischen aufgegessen und verabschiedeten sich voneinander, um für ein paar wenige Stunden schlafen zu gehen.

Am nächsten Tag stand Steve recht früh auf. Er zog sich heute seine Alltagskleidung an, da der Kampf schließlich vorbei war. Noch am Vormittag wollte Thor zusammen mit Loki und dem Tesserakt nach Asgard abreisen.

Davor wollte Steve noch einmal sehen, wie es Stella und ihren Leuten geht. Deswegen fuhr er mit seinem Motorrad zunächst in den Park, in dem sich das Lazarett befand.

Im Lazarett war Stella gerade dabei einen Patienten zu versorgen, der nun in eines der Krankenhäuser gebracht werden sollte. Nachdem der Patient im Krankenwagen untergebracht war und dieser wegfuhr, ging Steve auf Stella zu und begrüßte sie.

An ihren Augenringen konnte er deutlich erkennen, dass sie anscheinend ziemlich wenig Schlaf gehabt hatte.

„Hast du zwischendurch mal geschlafen? Wann hast du die letzte Pause gemacht?", fragte er besorgt.

„Hast du denn eine Pause gemacht?", fragte sie ebenso besorgt.

„Ja, ich war mit den anderen zusammen essen und habe danach ein paar Stunden geschlafen. Wann war deine letzte Pause?"

„Naja, Tony war da und ich habe mit ihm geredet...", fing sie an zu überlegen.

„Das war bevor wir essen waren. Du solltest dich echt mal ausruhen."

Sie wollte protestieren, aber er bohrte weiter nach. „Alle anderen hier haben doch sicher eine Pause gemacht?"

„Yap, haben wir!", warf einer der Pfleger ein.

Stella antwortete dem Mann mit einem strengen Blick und er huschte schnell an das andere Ende des Zeltes.

Als Steve ihr in die Augen sah und zu einem weiteren Überzeugungsversuch ansetzen wollte, verlagerte sie ihr Gewicht von einem Bein auf das andere.

„Also gut. Einen Power Nap kann ich machen."

„Einen Power Nap?"

„Ein Nickerchen für eine halbe Stunde."

„O.K., das ist ein Anfang. Und du machst den jetzt gleich, wenn ich weg bin. Ich komme nachher nochmal."

Stella schmunzelte: „Ja, Mama!"

Er schüttelte den Kopf und nahm sie in den Arm. „Schlaf gut!"

Steve stieg wieder auf sein Motorrad, um zum Central Park zu fahren. Dort wollten sich die Avengers treffen, um Thor zu verabschieden.

Als sie dort miteinander sprachen, einigten sich alle darauf, dass sie in Kontakt bleiben werden, um sich auch künftigen Bedrohungen gemeinsam zu stellen.

Nachdem Thor mit Loki und dem Tesserakt abgereist war, verabschiedete sich Steve auch von den anderen. Er lies sich von Tony noch einen Tipp geben, wo er ein kleines Frühstück besorgen könnte. Tony empfahl ihm ein kleines Café, in dem es seiner Meinung nach die besten Bagels der Stadt und frische Säfte gab.

Als alle vom Central Park fortfuhren, begab sich Steve zunächst in das beschriebene Café. Dort kaufte er zwei Bagels mit Frischkäse und zwei kleine Flaschen Orangensaft. Anschließend fuhr er wieder in das Lazarett.

Stella war in dem großen Zelt nicht zu sehen, weswegen Steve einen der Pfleger fragte, wo sie sich befindet. Dieser antwortete ihm, dass sie sich vor etwa 20 Minuten in das Versorgungszelt begeben hat, um dort eine Pause zu machen.

Steve seufzte leise. Sie hat doch nicht wirklich auf mich gehört und macht ihre Pause erst jetzt.

Er ging schließlich in das kleinere Zelt und sah, dass Stella in einer Ecke neben ein paar Vorratskisten mit einer Decke und einem improvisierten Kissen auf dem Boden lag und schlief. Neben sich hatte sie ihr Smartphone abgelegt. Auf dem Display konnte man erkennen, dass Stella einen Wecker gestellt hatte, der in etwa zehn Minuten klingeln sollte.

Steve wollte, dass Stella noch etwas mehr Schlaf bekommt, und hob deswegen das Gerät vom Boden auf, um zu versuchen, den Wecker abzustellen.

Das Gerät machte jedoch alles andere, als das, was Steve wollte. Es forderte ihn auf entweder den richtigen Finger aufzulegen oder eine Pin einzugeben. Nachdem er versehentlich zweimal irgendeinen Zahlensalat eingegeben hatte, der offenbar beides Mal nicht die richtige Pin war, warnte das Gerät, dass beim dritten Fehlversuch alles zurückgesetzt werden würde. Er drückte jetzt irgendeinen Knopf an der Seite des Geräts in der Hoffnung, aus dieser Eingabe wieder heraus zu kommen. Als das nicht gelang, drückte er ihn länger. Das Gerät lies nun einen lauten Alarmton erklingen und meldete auf dem Display, dass eine Nachricht an den Notfallkontakt gesendet wurde.

Während Steve noch verzweifelt versuchte, das Gerät dazu zu bringen still zu sein, wachte Stella auf und fragte verschlafen: „Hey Steve, was machst du mit meinem Handy?"

Noch bevor Steve antworten konnte, verstummte der Alarmton endlich. Stattdessen begann das Gerät aber zu vibrieren. Auf dem Display wurde in deutlichen Buchstaben „Dad" angezeigt. Steve beschloss, das Gerät lieber Stella zu reichen, bevor er noch mehr Unsinn damit anstellen konnte.

Stella berührte mit ihrem Finger den kleinen grünen Telefonhörer, der auf dem Bildschirm zu sehen war und hielt sich das Gerät ans Ohr.

Von dem Gespräch bekam Steve nur das mit, was Stella sagte.

„Hallo Dad! ... Ja, es ist alles in Ordnung. Es war nur ein Versehen. ... Danke, dass du anrufst. ... Grüß Antony und Mom von mir. ... O.K. Bis dann!" Stella legte auf und sah Steve mit einem amüsierten Lächeln an.

„Es tut mir Leid. Ich habe versucht, deinen Wecker abzustellen. Und jetzt bist du sogar noch früher wach, als du eigentlich wolltest", begann Steve mit einem reumütigen Blick.

Sie lachte: „Ist schon in Ordnung."

Sie setzte sich jetzt auf und lehnte sich mit dem Rücken an die Vorratskisten.

„Wenn du willst, gehe ich und lass dich weiterschlafen."

„Nein, bleib ruhig. Ich habe genug geschlafen."

„20 Minuten?"

„Ja, ich werde im Laufe des Tages noch einmal so eine Pause einlegen."

„Versprochen?"

„Ja, O.K."

Steve setzte sich jetzt neben sie und zeigte ihr die Tüte mit den Bagels und die Saftflaschen.

„Dann ist es jetzt Zeit für eine kleine Stärkung!" Er reichte ihr einen der Bagels und eine der Saftflaschen.

Stella freute sich sehr über diese kleine Aufmerksamkeit. Ihr Lächeln wurde zu einem Strahlen. „Das sieht richtig lecker aus. Danke!"

Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander und aßen.

„Das war der beste Bagel, den ich je gegessen habe!", sagte Stella schließlich.

Es freute ihn, dass das kleine Frühstück so gut bei ihr ankam. Ihm selbst schmeckte die Mischung aus Gebäck und Frischkäse auch sehr gut und der Saft war sehr erfrischend.

„Steve, wie geht es dir eigentlich? Ich meine nach gestern?", fragte sie leise. Sie hatte wieder ihren Ich-will-dir-helfen-Blick.

Er überlegte kurz. Eigentlich hatte er selbst über die gestrigen Ereignisse noch nicht so richtig nachgedacht. „Es geht mir recht gut."

Sie sah ihn prüfend an.

„Es ist ein wenig erschreckend, dass wir so schnell von so einer großen Bedrohung heimgesucht werden können. Es ist furchtbar, dass so viele Zivilisten diesem Angriff zum Opfer gefallen sind", erklärte er. „Aber ich durfte auch ein paar Leute kennenlernen, auf die man sich in solchen Situation verlassen kann. Wir sind zu einem Team zusammengewachsen, dass sich sich notfalls auch anderen Herausforderungen stellen kann. Und das ist einfach gut zu wissen."

Stella nickte verständnisvoll.

„Und ich muss zugeben, dass es irgendwie gut war, eine Aufgabe zu haben", schloss er leise seine Erklärung ab.

„Danke!", sagte sie.

Steve lächelte verlegen. „Bitte hör auf, dich bei mir zu bedanken. Es ist alles gut."

Er setzte jetzt dazu an, sie auszufragen. „Wie geht es dir? Für dich und deine Leute war das gestern auch kein normaler Tag."

„Es geht mir gut. Es wird langsam ruhiger hier, aber wir bleiben bestimmt noch ein paar Tage, bis die Krankenhäuser wieder alle Patienten selbst versorgen können."

„Was machen deine Kopfschmerzen? Michael hat mir erzählt, dass du in letzter Zeit ziemlich häufig Migräne hattest. Ist alles O.K.?"

„Es ist alles in Ordnung. Die Kopfschmerzen sind jetzt weg."

„Sicher? Was ist mit dem Nasenbluten? Hast du das mal untersuchen lassen?"

„Es ist nicht nötig, das untersuchen zu lassen." Sie lächelte beschwichtigend. „Ich versichere dir, dass alles in Ordnung ist."

Er konnte die Antwort noch nicht ganz akzeptieren, nickte aber. „Dann geh es aber erstmal etwas ruhiger an, sobald du wieder zu Hause bist." Er überlegte kurz und fragte dann vorsichtig weiter: „Ich habe gehört, dass du so etwas wie Visionen hattest?"

„Visionen?"

„Ja, du hast im Vorfeld von dem gestrigen Angriff geträumt, habe ich gehört."

„Von wem hast du das gehört?"

„Antony"

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist ein Missverständnis. Ja, ich habe von einem Angriff auf New York geträumt. Der fand aber bereits vor etwa zehn Jahren statt. Es tut mir leid, ich hätte dich darüber aufklären sollen, aber ich wollte dir nicht gerade am Anfang gleich die schlimmsten Ereignisse auftischen."

„Was ist damals passiert?"

Sie schaute ihn jetzt ernst an und erzählte ihm von den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 9.11.2001.

„Ich war gerade mit meinen Zusatzlehrgängen fertig, als meine Einheit an den Tagen danach nach New York geschickt wurde, um bei den Bergungsarbeiten zu helfen. Tatsächlich konnten wir aber nur einen kleinen Teil beitragen. Das meiste haben die hiesigen Rettungskräfte schon abgehandelt. Deswegen hatte ich auch gestern so großes Vertrauen in sie. Und man hat dabei gelernt, dass die Menschen hier in solchen Situationen einfach zusammenhalten und sich gegenseitig helfen."

Er nickte verständnisvoll.

„Dennoch hat das Ereignis in den Jahren danach letztlich die ganze Welt geprägt. In Afghanistan hat es zwar vorher schon seit Jahren gebrodelt, aber danach wurden unsere militärischen Anstrengungen dort massiv verstärkt. Ich wurde zusammen mit vielen anderen noch im selben Jahr dorthin geschickt."

„Hast du dich eingeschrieben, weil du geahnt hast, dass so etwas passieren könnte?"

„Nein", antwortete sie knapp.

„Warum dann?", fragte er überrascht.

„Ich war orientierungslos und die Begegnung mit Michael in dem Rekrutierungsbüro hat mir eine neue Perspektive gegeben."

Er nickte nachdenklich. Die Erklärung für ihren Traum war stimmig. Es gab aber noch ein Detail, welches für ihn nicht hinreichend erklärt war.

„Warum hat Barton dir gestern so eine Angst gemacht?"

„Wer?"

„Der Bogenschütze. Er sieht ja nicht gerade aus wie ein Alien. Warum bist du ausgerechnet vor ihm zurück geschreckt?"

„Ich dachte er arbeitet vielleicht mit dem Anderen zusammen."

„Wie kommst du darauf?"

„War das nicht in den Nachrichten zu sehen? Als sie über Stuttgart berichtet haben?"

„Nein. Er war in den Nachrichten nicht zu sehen."

Sie zuckte mit den Schultern. „Glaubst du, dass in solch einer Situation alle meine Gedanken rational sind?"

Er schaute sie prüfend an. Sie hatte ihm eben die ultimative Ausrede aufgetischt - in einer schwierigen Situation nicht mehr klar denken zu können. Das erklärte nicht, warum sie sich ausgerechnet vor dem Mann gefürchtet hatte, der tatsächlich vorübergehend von Loki besessen gewesen war. Die meisten Menschen wären eher vor dem Hulk zurückgewichen als vor einem menschlichen Bogenschützen.

Steve sah jedoch an ihrem Blick, dass er im Moment nicht mehr aus ihr heraus holen konnte. Sie wirkte so, als wäre sie selbst ziemlich überzeugt, von dem, was sie eben gesagt hatte.

Sie saßen eine Weile schweigend da und dachten jeder für sich nach, bis Stella von einem Pfleger in das große Zelt gebeten wurde. Bevor Stella zu den Patienten ging, verabschiedete sie sich von Steve. Steve fuhr zurück in seine Wohnung.

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