20. Der Würfel

Nick Fury hatte sich gerade zusammen mit Maria Hill in einen Hubschrauber gesetzt, als er bemerkte, dass Kenai Hammond ihn schon vor ein paar Minuten über eine spezielle Telefonnummer angeklingelt hatte.

Da dies in den vielen Jahren, in denen er Kenai bereits kannte, nur äußerst selten vorgekommen war, gab ihm das genug Anlass, um Kenai so bald wie möglich zurückzurufen.

Der Hubschrauber hob vom Boden ab. Maria Hill war in ihren Laptop vertieft, um sich auf die kommende Begegnung vorzubereiten. Nick nahm sein Smartphone und wählte Kenais Nummer.

Er gab sich nicht die Mühe, Kenai mit vielen Floskeln zu begrüßen, sondern wollte, so bald es geht, auf den Punkt kommen.

„Kenai! Was gibt es, dass du mich tatsächlich anklingelst?"

„Nick, meine Mutter hat eine Vision gehabt, die möglicherweise eine deutliche Warnung sein könnte. Auch wenn wir noch keinen konkreten Handlungsvorschlag davon ableiten können, halte ich es für sinnvoll, dass du davon weißt."

„Was hat sie gesehen?"

„Einen Angriff auf New York. Drahtzieher des Ganzen ist anscheinend ein dunkelhaariger Mann." Kenai beschrieb den Dunkelhaarigen aus Stellas Traum in allen Details, die sie ihm erzählt hatte.

Der Dunkelhaarige sagte Nick nichts. Aber er hörte weiter zu.

„Er hat ein Zepter bei sich, in dem ein blau leuchtender Stein eingelassen ist."

Nick hörte jetzt genauer hin. Schließlich befand sich in der Basis, zu der er gerade flog, ein Stein, auf dem diese Beschreibung auch passen würde. Davon konnte Kenai aber nichts wissen. Das Projekt war geheim und Kenai hatte sich, besonders in den letzten Jahren, aus der Arbeit von S.H.I.E.L.D heraus gehalten.

„An seiner Seite kämpft ein blonder Bogenschütze in dunkler Kleidung und das Zentrum des Ereignisses scheint der neue Stark Tower zu sein." Kenai erzählte noch alle weiteren Details, die er wusste.

Nick bedankte sich für die Information und legte auf. Ihm entfuhr ein leises „Verdammt!"

Die Beschreibung des blonden Bogenschützen hatte Nick aufhorchen lassen. Schließlich hatte er persönlich Clint Barton, einen blonden Bogenschützen in die Basis entsandt, um das Projekt zu überwachen und einzugreifen, falls etwas Seltsames passieren würde.

Kenai dürfte auch Barton nicht kennen. Barton arbeitete zwar schon länger für S.H.I.E.L.D, aber stets in verdeckten Operationen, von denen die Öffentlichkeit nichts wusste. Und Barton hatte sich bisher als zuverlässig und vertrauenswürdig erwiesen. Warum sollte er mit einem dunkelhaarigen Fremden zusammenarbeiten?

Bei dem Projekt ging es darum, dass Dr. Selvig den Tesserakt, einen blauen würfelförmigen Stein, erforschte um dessen Energie nutzbar zu machen.

Und eben jenes Projekt schien bereits im Moment Ärger zu machen, den Agent Coulson hatte Nick über einen Vorfall benachrichtigt. Genau deswegen saß Nick im Moment in diesem Hubschrauber, der nun jeden Augenblick landen sollte.

In Nick wuchs das Gefühl, dass er wohl auch bald den dunkelhaarigen Fremden kennenlernen würde, den Kenai beschrieben hatte. Doch er beschloss, sich nichts anmerken zu lassen und sich von seinen eigenen Leuten einen Lagebericht geben zu lassen. So als ob Kenai niemals angerufen hätte.

Als der Hubschrauber landete, wurden Fury und Hill von Agent Coulson begrüßt. Auf Nicks Rückfrage hin konnte Coulson keine genaue Auskunft geben, was eigentlich passiert war.

Coulson wusste nur, dass der Tesserakt eine spontane ungewöhnliche Aktivität gezeigt hatte, was für ihn Anlass genug war, die komplette Basis evakuieren zu lassen und Fury zu benachrichtigen.

Nick beschloss, sich direkt in die Basis zu begeben, in jenen Saal in dem Dr. Eric Selvig am Tesserakt arbeitete, um sich von Dr. Selvig selbst die Lage erklären zu lassen.

Dr. Selvig lief aufgeregt zwischen dem Tesserakt und den Messgeräten hin und her und erklärte, dass der Tesserakt auf irgendetwas zu reagieren schien.

„Haben Sie den Stecker gezogen?", wollte Fury wissen.

„Er ist eine Energiequelle. Wir schalten den Strom ab, er schaltet ihn wieder ein", erklärte Selvig.

Nach weiteren Erklärungen fragte Nick, wo Barton sich aufhalte. Er rief ihn zu sich.

Während Nick mit Barton sprach, machte einer der Wissenschaftler darauf aufmerksam, dass der Tesserakt erneut eine Aktivitätsspitze erreichte.

Nick fragte Barton, was er beobachtet hatte.

Barton erklärte, dass er nichts Verdächtiges beobachten konnte.

„Manipuliert wurde nicht von dieser Seite, Sir."

„Von dieser Seite?", fragte Nick skeptisch.

„Ja, der Würfel ist ein Tor zur anderen Seite des Universums, richtig? Ein Tor ist für beide Seiten offen", begründete Barton seine Aussage.

Gerade nachdem Barton dies ausgesprochen hatte, zeigte der Tesserakt nicht nur eine messbare, sondern auch deutliche sichtbare Aktivität. Die Erde bebte durch das, was auch immer mit dem Tesserakt gerade geschah, und die Wissenschaftler, einschließlich Dr. Selvig begannen noch aufgeregter umher zu flitzen.

Schließlich schoss aus dem Würfel ein gleißend heller Strahl, an dessen Ende sich eine kreisförmige Erscheinung öffnete. Ein Energiestoß durchfuhr das ganze Gebilde, sodass der Strahl und der Kreis explosionsartig wieder zusammenbrachen. Dort, wo eben noch der Kreis war, war ein Mann erschienen.

Dieser Mann war offenbar der Dunkelhaarige, von dem Kenai gesprochen hatte. Er hatte ein unheilvolles Funkeln in den Augen und ein triumphierendes Grinsen im Gesicht, als er sich aufrichtete. Er hielt ein Zepter mit einem blau leuchtenden Stein.

Alle waren verstummt und starrten den Mann an.

„Sir, bitte legen Sie den Speer weg!", forderte Nick.

Der Fremde schaute das Zepter einen Augenblick lang an und wirkte dann damit einen Energiestoß, mit dem er Fury und Barton zu Fall brachte.

Die anwesenden Wachen begannen auf den Fremden zu schießen, als dieser nach vorne sprang. Er sprang auf die Wachen zu und streckte ein paar von ihnen mit dem Zepter nieder. Andere stieß er mit gekonnten Tritten an die Wand.

Als Barton aufstand und seine Pistole auf den Fremden richten wollte, ergriff der Fremde seinen Arm. Der Fremde berührte Bartons Brustkorb mit seinem Zepter, woraufhin dessen Augen sich schwarz verfärbten. Ein erneutes triumphierendes Lächeln schlich sich auf die Lippen des Fremden.

Barton steckte seine Pistole zurück in den Holster und wartete auf die Anweisungen seines neuen Herren.

Während der Fremde von weiteren Mitarbeitern Besitz ergriff, nahm Nick den Tesserakt aus seiner Halterung und legte ihn in einen Koffer. Er versuchte, den Koffer heimlich in Richtung Ausgang zu tragen.

Der Fremde hatte dies jedoch bemerkt und sagte: „Bitte nicht! Das brauch ich noch."

„Das hier muss nicht noch schlimmer werden", entgegnete Fury ruhig.

„Natürlich muss es das! Für weniger komme ich von zu weit her! Ich bin Loki, von Asgard! Und ein glorreiches Ansinnen ist meine Bürde."

Selvig, der eben noch nach einer verletzten Wissenschaftlerin gesehen hatte stand auf und mischte sich ein. „Loki? Der Bruder von Thor?"

„Wir haben keinen Disput mit eurem Volk", versuchte Nick nun Loki mit erhobener Hand zu beschwichtigen.

„Es kann keinen Streit zwischen Ameise und Stiefel geben", entgegnete Loki ruhig.

Nicks Miene wurde finsterer, als sie es ohnehin schon war. „Hast du denn vor uns zu zertrampeln?" Fury war nun nicht mehr bereit für Förmlichkeiten.

„Ich komme mit froher Kunde! Von einer Welt, die frei ist."

„Frei wovon?"

„Von der Freiheit. Freiheit ist die große Lüge des Lebens. Tragt ihr erst diese Wahrheit in euren Herzen..." Loki berührte nun Selvigs Brustkorb mit dem Zepter. „...erkennt ihr was Frieden ist!"

„Ja, du sagst Frieden. Ich hab nur das Gefühl, du meinst das Gegenteil!"

Barton wies Loki nun darauf hin, dass sich an der Decke des Saals noch das Portal befand, welches jeden Augenblick kollabieren könnte und die Basis zum Einstürzen bringen würde. Er wies auch darauf hin, dass hundert Wachen den Weg nach draußen blockieren.

Selvig bestätigte, dass das Portal kollabieren wird. Es wären jetzt nur noch zwei Minuten, bis der Zustand kritisch werden würde.

Auf den Befehl von Loki schoss Barton auf Fury. Fury wurde durch den Einschlag der Kugel rücklings zu Boden geworfen. Barton schnappte sich nun den Koffer und machte sich zusammen mit seinem Herren und dessen anderen neuen Dienern auf dem Weg zum Ausgang.

Agent Hill versuchte die Gruppe bei ihrer Flucht nach draußen aufzuhalten. Es kam zu einem Schusswechsel und, nachdem sich die Flüchtigen ein Auto genommen hatten, einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd. Hill versuchte, ihnen den Weg abzuschneiden, doch sie fuhren entschlossen weiter.

Fury konnte zu Fuß aus der Anlage entkommen und gerade noch so in den wartenden Helikopter steigen. Dieser flog noch rechtzeitig los, bevor der Landeplatz in sich zusammenbrach. Aus der Luft sah Fury, wie das ganze Gelände schließlich kollabierte.

Agent Hill konnte die anderen nicht einholen und wurde mit ihrem Wagen in dem zusammenstürzenden Tunnel verschüttet.

Fury versuchte nun, Loki und seine Gefolgsleute vom Helikopter aus aufzuhalten, doch Loki wirkte mit seinem Zepter eine Energieentladung, die das Fluggerät zum Absturz brachte. Nick konnte noch rechtzeitig herausspringen. Als er sich aufrappelte, waren die Flüchtigen schon längst entkommen.

Fury fragte schließlich per Funk nach der Lage. Agent Hill hatte überlebt und sagte ihm, dass noch weitere Personen verschüttet waren.

Fury gab die Anweisung, dass alle, die nicht mit der Bergung der Verschütteten beschäftigt waren, nach dem Koffer mit dem Tesserakt suchen sollten. Ab sofort befänden sie sich im Krieg.

Kenais Informationen hatten erstaunlich gut gepasst. Nick war es nicht gewohnt, dass die Visionen von Inola so detailliert und zutreffend waren.

Hätte die alte Medizinfrau z.B. eine Vision über Thors Erscheinen auf der Erde gehabt, hätte sie vermutlich nur gesehen, dass ein Hammer in eine Wüste fällt, ohne Details zum Ort oder beteiligten Personen nennen zu können. Sie hätte vermutlich nicht einmal annähernd beschreiben können, wie der Hammer aussah.

Das hier war eine Vision auf einem anderen Niveau gewesen. Einem Niveau, welches Nick für einen Moment daran zweifeln lies, ob diese Vision wirklich von Inola stammte.

Doch er verschwendete auf diese Frage im Augenblick keine weitere Zeit.

Wenn die Vision so weit schon zutreffend war, dann könnte der Teil mit dem Angriff auf New York in nächster Zeit auch eintreten.

Dies galt es zu verhindern und deswegen war es nun dringend an der Zeit zu handeln. Es galt herauszufinden, ob Loki sich direkt auf den Weg nach New York machte oder ob er vorher noch woanders sein Unwesen trieb.

Nick wusste schon genau, welche Leute er versammeln würde, um sie mit der Suche nach Loki zu beauftragen.

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