19. Der Anruf
Michael wachte relativ früh auf.
Durch das offene Fenster kam zwar ein angenehmer Luftzug, aber auch die Geräusche, die um das Haus herum den Morgen bestimmten.
Neben den Geräuschen der Kühe und Hühner hörte man auch das Zwitschern der Wildvögel in den Obstbäumen. Ab und an summte eine Biene am Fenster vorbei und irgendwo auf dem Gelände fuhr ein Traktor umher.
Michael drehte sich auf die Seite und sah nun, dass Stella bereits nicht mehr im Bett war. Er stand auf und schaute, ob sie sich im Badezimmer befindet. Dort war sie auch nicht. Also dachte er, dass sie bereits unten in der Küche war, um Frühstück zu machen. Er beschloss, schnell zu duschen, um sich danach anzuziehen und herunter zu gehen.
Auch in der Küche war niemand. Er machte sich mit dem Vollautomaten eine Tasse Kaffee und ging durch die Hintertür heraus auf die Veranda. Er schaute in die Richtung der Ställe, um zu sehen, ob Stella dort möglicherweise herumläuft. Doch die Gummistiefel, die sie für die Stallarbeit immer anzog, standen noch an ihrem Platz auf der Veranda.
Er ging zurück in die Küche und deckte den Tisch für ein kleines Frühstück. Antony kam dazu und aß mit ihm zusammen ein paar Scheiben Toast.
Nach dem Frühstück wollte Antony zu seinem Großvater laufen. Michael beschloss mitzugehen, da er inzwischen vermutete, dass Stella sich bei ihren Eltern aufhält.
Während Michael noch vor Kenais Haustür stand und dort anklopfte, flitzte Antony schnell zur Hütte seiner Urgroßmutter, um auch dort „Hallo" zu sagen.
Susan machte Michael die Tür auf und erklärte ihm, dass Stella bei ihrer Großmutter ist. Chatan kam aus dem Haus und bat Michael mit ihm zur Hütte zu gehen.
Antony kam gerade von der Hütte zurück und Susan bot ihm an, eine Weile bei ihr zu bleiben, was er annahm.
In der Hütte wurde Michael von Kenai und Inola begrüßt.
„Stella ist heute mit Fieber zu mir gekommen. Deswegen habe ich sie gebeten heute bei mir zu bleiben. Sie schläft sich jetzt einmal richtig aus", erklärte Inola ihm und schaute ihn prüfend an.
Er blickte besorgt zurück.
Erst hat sie ständig Migräne und jetzt auch noch plötzlich Fieber? Was ist in letzter Zeit mit ihr los?
„Darf ich sie sehen?"
Die alte Frau nickte.
Michael ging zu Stella an das Bett und als er sich neben sie setzte, roch er, dass ihre Großmutter sie offenbar mit irgendwelchen Kräuterwickeln versorgt hatte.
Man sah Stellas Gesicht noch an, dass sie vor kurzem noch geweint haben musste. Doch ansonsten sah sie in diesem Moment recht entspannt aus.
Michael streichelte ihr vorsichtig die Wange und sie schlug die Augen auf.
Sie begrüßte ihn mit einem Lächeln und einem leisen „Hi".
Er lächelte zurück und sagte leise: „Hey! Wie geht es dir?"
„Im Moment habe ich es hier ziemlich gemütlich. Ist es O.K. für dich, wenn ich noch eine Weile hier bleibe?"
Die Idee, dass Stella jetzt wieder den ganzen Tag mit ihrer Großmutter verbringen würde, gefiel Michael nicht sehr. Aber sie klang immer noch sehr müde, weswegen ihm keine andere Antwort als „Natürlich. Ruhe dich aus! Nimm dir die Zeit, die du brauchst" einfiel.
Er küsste sie auf die Wange und nahm sie einen Moment lang in den Arm. Danach verabschiedete er sich mit einem weiteren Kuss, um zurück zum Haus zu gehen.
Im Haus räumte Michael zuerst die Küche auf. Danach lag er eine Weile auf der Veranda und las seinen Roman weiter.
Irgendwann rang er sich dazu durch, dabei zu helfen die Tiere zu versorgen. Dabei sicherte er sich ein paar frische Hühnereier für das nächste Frühstück.
In der Zwischenzeit war Antony von seiner Großmutter zurückgekommen und wieder im Haus.
Das Telefon klingelte und Antony nahm den Hörer ab, um den Anrufer freundlich, so wie er es von seiner Mom gelernt hatte, zu begrüßen.
Am anderen Ende der Leitung war Steve. Steve wollte sich für den letzten Brief bedanken und sich erkundigen, wie es allen geht.
Antony plauderte munter drauf los und erzählte Steve, was die Familie in den letzten Tagen alles unternommen hatte.
„Kannst du mir deine Mom ans Telefon holen?", fragte Steve, nachdem er sich von Antony alles erzählen lassen hat.
„Mom hat heute Fieber bekommen und ist deswegen in Uromas Hütte. Und sie muss schlimme Albträume gehabt haben. Sie hat genau wie Uroma Visionen von einem Angriff auf New York."
Michael war in der Zwischenzeit ins Zimmer gekommen und unterbrach Antony.
„Du sollst nicht immer alles glauben, was du denkst zu hören!"
„Aber Dad!"
„Kein aber! Wir haben uns schon oft genug darüber unterhalten! Mit wem sprichst du überhaupt?"
Steve meldete sich zu Wort: „Hey Antony, darf ich mal mit deinem Dad reden?"
„Ja, einen Moment." Antony reichte das Telefon an seinen Dad weiter.
„Hi Steve, wie gehts?"
„Hallo Michael! Gut. Ich wollte mich eigentlich nur für euren Brief bedanken."
„Ja gerne. Ich glaube Stella wollte dir noch einen vor unserer Abreise hier schicken. Dann bekommst du in den nächsten Tagen wieder Post."
„Wie lange seid ihr noch auf der Farm?"
„Eigentlich nur noch drei Tage. Wir müssen am Montag wieder zum Dienst."
„Aber Stella hat jetzt Fieber bekommen?", hakte Steve besorgt nach.
Michael seufzte. „Ja, seit heute Morgen. Sie ist jetzt bei ihrer Großmutter in der Hütte und schläft."
„Wird es ihr dann bald besser gehen?"
Michael klang eher skeptisch.
„Inola gibt sich Mühe sie gut zu versorgen. Sie hat sie so dick in irgendwelchen Kräuterwickeln eingepackt, dass man meinen könnte sie wollte Stella fürs nächste Barbecue marinieren. Aber Stella scheint sich damit recht wohl zu fühlen."
„Dann ist sie auf dem richtigen Weg."
„Mag sein. Viel mehr Gedanken mache ich mir um die ganzen Migräneanfälle und das Nasenbluten. Beides hatte sie in letzter Zeit immer häufiger. Ich versuche sie zu überreden, dass sie sich zu Hause mal gründlich untersuchen lässt. Kann ja nicht gesund sein so."
„Hatte sie das schon mal?"
„Ab und zu mal für einen Tag vielleicht. Aber nie so gehäuft, wie im Moment. Sie versucht es immer noch herunter zu spielen, als wäre nichts."
„Was war das mit den Albträumen und den Visionen?"
„Albträume ja, bestimmt. Aber so etwas Visionen gibt es nicht. Das ist nur ein Aberglaube, der hier vorherrscht. Wenn man unbedingt will, kann man ja in jeden Traum irgendwas hineininterpretieren."
„Aber sie glaubt daran?"
Michael brummte: „Nein. Sie widerspricht ihrer Großmutter nur nicht, weil sie viel zu viel Respekt vor dieser alten Frau hat. Und ... keine Ahnung, weil es sich wohl als Tochter des Häuptlings nicht gehört der Medizinfrau zu widersprechen."
„Vielleicht will sie auch einfach nur möglichst viel schöne Zeiten mit ihr verbringen so lange es noch geht", gab Steve zu bedenken.
„Mag sein. Aber ihre Großeltern sind eigentlich alle für ihr Alter noch extrem fit. Aber du hast recht, in dem Alter kann es irgendwann recht schnell gehen."
Michael und Steve unterhielten sich noch eine Weile über den Verlauf des Urlaubs und über die Pläne nach der Rückkehr in den Alltag.
„Richte Stella einen Gruß aus. Ich wünsche ihr gute Besserung!", sagte Steve schließlich.
„Alles klar, mache ich. Bis dann!"
**
Kenai saß am Nachmittag in seinem Arbeitszimmer und überlegte, was die Visionen seiner Tochter zu bedeuten haben. Sie schienen eigentlich recht klar, aber würde es etwas nützen Nick Fury diese Informationen weiter zu geben?
Er beschloss, Nick anzurufen. Nick hatte ihm vor einer ganzen Weile extra zu diesem Zweck ein Handy da gelassen, in dessen Telefonbuch genau eine Nummer eingespeichert war.
Kenai holte dieses Handy aus einem Geheimfach an der Unterseite seiner Schreibtischschublade und schaltete es ein.
Er hielt einen Moment inne.
Schließlich wählte er die eine Telefonnummer und ließ es klingeln, bis der Anruf automatisch unterbrochen wurde.
Er wusste, dass Nick nicht direkt dran gehen würde, so war es abgemacht. Alles, was er jetzt tun konnte, war auf den Rückruf von Nick zu warten.
Nach einigen Minuten klingelte das Handy wie erhofft. Auf dem Display wurde ein anonymer Anrufer angezeigt. Kenai ging dran und begrüßte den Anrufer knapp.
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