Kapitel 5 - Tanz

Es war so herrlich, wie der Tempel erstrahlte. Im Glanz des Putzes verflogen Staub und Dreck, Ranken und Pflanzen, welch majestätische Gestalt, dieser doch so unscheinbare Schatz inmitten des Dschungels einnahm. Welch Prächtigkeit das Objekt hervorhoben. Voller erstaunen betrachtet Elyon das geschaffte. Er wusste kaum weshalb er sich auf die radikale Putzaktion einließ, dabei war das doch nur ein Hirngespinst des Jungen, der ebenso neben ihm das Gebäude mit strahlendem Blick beäugte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, die widerspenstigen Lianen zu entfernen. Und nun stand er da, fertig, stinkend vor Anstrengung und Schweiß, sodass er Fliegen willkommen hieß.

Er lauschte den Stimmen und genauso wie Moh es sich ersehnte, begann der Klang im Winde. Als sei das vor ihm liegende Gebäude ein Klangkörper einer Orgel pfeift der Wind durch die nun freien Gänge. Ließ die Luft in tausenden Frequenzen springen, vibrierte das Trommelfell der Zuhörer und erfüllte gar den ganzen Dschungel in ein Ballett aus Tanz und Klang.

Fast diabolisch zog die Melodie einen in die tiefe Trance, die Beine, Arme und Körper rhythmisch tanzen ließen.

Elyons Verstand rang gegen den unwiderstehlichen Sog der Melodie an, während die Schwingungen ihn bis ins Mark durchdrangen, sein Herz im Takt der Musik pochen ließen und ihm ein Gefühl von Euphorie verliehen, das er lange nicht mehr gespürt hatte. In seiner Welt durften Menschen mit Verstand keine Freude an solch einfachen weltlichen Dingen besitzen. Nein – denn das einzige Gefühl was ihm Freude bescheren mochte, war die Erkenntnisgewinnung. Das Entdecken neuer Dinge deren schiere Anzahl in Endlosigkeit wohl lange Zeit beanspräche. So brachte er sein taktisch hüpfendes Knie in Stille und hielt Moh mit fester Mimik an der Schulter fest. Doch der Junge wirbelte flog und tanzte er erfreute sich an der Musik. Als wäre er geboren in eine zweite Chance, in ein Leben was zuvor voller Angst und Qualen war und er erstmals in seinem Leben so frei und friedlich tanzen und leben durfte.

„Es genügt. Wie wollen erkunden, ob sich nun der Ort verändert habe. Wir wollen uns nun hineinbegeben in die Korridore. Auf das all diese Arbeit nicht umsonst geschehen sei", sagte Elyon und rüttelte den Jungen an der Schulter.

Fast garstig zog er ihn hinter sich her. Hinein in das Zentrum des Klangkörpers.

Und auch hier war die Melodie zu hören. Sogar stärker und lauter als in der Außenwelt. Die Klänge tanzten in verschiedensten Farben. Selbst die Steine am Boden vibrierten und Elyon kribbelten die Füße. Er vernahm kratzende Geräusche und Klänge sich öffnender und schließender Türen, die taktvoll mit der Musik knallten.

Moh hingegen viel immer tiefer in den Tanz ein. Er wirbelte durch die Gänge wie ein Blatt, das im Winde durch die Luft gepustet wurde.

„Bleib! Wohin verschlägt es dich Junge? Behalte deinen Verstand! Bemerkst du nicht wie der Tempel dich in seinen Bann ziehen vermag und dir die Kraft aus deinem Kopfe zieht sinnvoll zu denken. Bleib stehen! Bleib!"

Elyons Worte waren vergebene Mühe. Der Klang übertönte alles noch so schön Gesagte und so verschwand Moh bald hinter den Ecken und den Ecken der Ecken – verschollen aus dem Blickfeld der Vernunft. Wie begrenzt es doch war – so kann es denn nur bis zu den Wänden des Tempels schauen und nicht darüber hinweg.

Doch auch in Elyon wuchs das Bedürfnis. Er machte Moh keine Vorwürfe. Selbst erwischte er sich, wie seine Hüften nach Links und Rechts schwangen. Sogar seine Schrittgeschwindigkeit passte sich dem Rhythmus des Tempels an. Als wäre dieses Lied für ihn geschrieben. Als wäre diese Melodie die Melodie des Lebens selbst – seines Lebens.

Sollte er sich den Klängen genauso frei hingeben nicht über Konsequenzen und Logik nachdenken? Aber wo würde das hinführen in eine Welt voller Chaos und Abstraktion in der nichts wahrlich durchdacht und nur auf Zufall funktioniert.

„Niemals!", schrie er. Dabei schlug er sich ins Gesicht. Die Wange begann fünffingrig zu röten. Ein brennender Schmerz durchzog ihn genauso wie die Wut, dass er so schädliche Gedanken hatte. Er hasste sich für die Überlegungen. Er hasste den Schmerz. Doch er hatte ihn verdient. Nur mit Vernunft könnte er dem Geheimnis des Tempels auf die Schliche kommen. Nur mit Weisheit und Besonnenheit konnte er sich der Kraft des Tempels bereichern.

So lief er entlang des Klangs. Es war ihm Ohnehin nur ein Weg möglich.

Laut. Sein Trommelfell schmerzte, begann zu bluten und die Musik hämmerte weiter. Immer stärker begannen einst ruhige Objekte Stuhl, Tisch, Bank und Tür zu hüpfen. Zu Tanzen. Zu fliegen. Alles gar alles in diesem Tempel fühlte den Klang – nur Elyon weigerte sich, sich dem immer lauter werden und immer aufdringlicher werdenden Melodien hinzugeben. Zu starrsinnig entschied er den Schmerzen in seinem Kopf keine Überhand zu gewähren und den wackelnden Korridor im bunten Festival zu folgen bis er einen Raum erreichte. Er war sich sicher, dass dieser Ort vorher noch nicht da war. Er kannte den gesamten Tempel mit all seinen wundervollen Ecken und Kanten. Doch jetzt war er kaum noch ein Tempel zu nennen. So war es doch die Hölle! Listige Dämonen und Geister behausten Steine und Fackeln schwangen und sangen.

Aber dieser Raum vor dem er nun endlich stand, versprühte den Duft der Ruhe. Das Ziel seiner Plagerrei. Und als er das antike Holz öffnete und seine Füße auf den weißen Marmor im Inneren setzte, erstrahlten die Fackeln im blauen Licht.

Moh saß bereits dort, bewunderte das weiße Reptil das vor ihm pfiff.

„Wahrlich ein Drache! So stimmt es was in den Schriften steht. Beschaue seine Schuppen und sein Schönheit so rein und weiß. So perfekt und wahrlich ehrfurchterregend. Ich Elyon habe ihn gefunden."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top