Kapitel 1 - Der Wächter

Der alte modrige Tempel verströmte seinen gammeligen Geruch durch die engen Steingänge. Wilder Efeu und schnell wachsenden Ranken eroberten zurück, was einst die alte Zivilisation schuf. So begann der antike Tempel, mit dem dichten Unterholz des Dschungels zu verschmelzen. Unauffindbarer, versteckt und verdammt auf Ewigkeit unter den dicken braun-grünen Wurzeln.

Die Stimmen der exotischen Vögel mit ihren langen Gefiedern und ihren prächtigen Tänzen drangen nicht durch die massiven Steinwände hindurch.Sie waren in Stille gehüllt und von tiefschwarzer Farbe, wie die Nacht, wenn Wolken den Mond und die Sterne verdecken.

Nur ein einzelner Gang wurde von einem schwachen Fackelschein erhellt, der zitternd vor sich hin flackerte. Aus improvisierten Hölzern gefertigt, brannte es immer nur von kurzer Zeit und ihre Leuchtkraft war verschwindend gering. Doch es genügte, dass Elyon die alten Schriften vergilbter spröder Papieren entziffern konnte. Wie lange er sich nun schon an den uralten Symbolen die Zungen ausbiss, konnte er nicht mehr sagen. Er hatte aufgehört die Jahre zu zählen – genauso wie er aufgehört hatte die wilde bunte Natur der Außenwelt zurückzudrängen. Und so waren dicke braune Wurzeln durch die grünen moosbewachsenen Steinen mit ihren goldenen Polyedern und widernatürlichen Symbolen durchgebrochen. Zulange studierte der Mann in seinem dunklem Kämmerchen der alten Tempelanlage die mysteriösen Schriftformen, doch es war zum Haareraufen. Stattdessen begann sein Verstand ihm wilde Streiche zu spielen. Er sah dunkle Schatten, die im Spiele des glimmenden Feuers seiner Fackel tanzten. Sie säuselten ihm längstvergessene Gedichte in die Ohren. Einer Sprache, die er nicht kannte. Anfangs suchte er die Schuld beim Wind der ihn in den eisigen Monaten frieren ließ. Doch inzwischen Verstand er, dass es die Einsamkeit war, die ihn Dinge halluzinieren ließ. Er versuchte sie zu ignorieren, diese schreckenhaften Gestalten in ihren schwarzen rauchigen Gewändern. Doch nicht allzu oft erwischte er sich dabei sich mit den Dingen zu unterhalten, ihnen Fragen zu stellen. Doch nie antworteten sie, sondern summten nur schiefe Töne in ihrer kryptischen Sprache.

„Hinfort mit Euch!", schrie Elyon, als Verzweiflung über den Nichtfortschritt seiner Arbeit ihn erneut frustrierte. Er schwang seine Fackel in alle Richtungen, um das Nichts zu vertreiben. Um seine Einbildung zu bekämpfen.

"Hinfort! Hinfort! Hinfort!", brüllte er wie ein Verrückter. Erst als er sich vergewissert hatte, dass all seine Hirngespinsten vertrieben waren und die gewohnten braunen verzweigten Wurzeln zurückkamen, setzte er sich wieder hin und vergrub seinen Kopf in seinen Händen. Tränen liefen unaufhörlich seinen Wangen herunter. Tränen der Verzweiflung. Doch er würde nicht aufgeben, die Alten Schriften zu entziffern und ihr Geheimnis zu öffnen. Die Schrift von Manevis, die er fand und die seine Suche in Gang setzte, war der einzige Hoffnungsschimmer, an dem er sich festhielt Egal wie verrückt er in all den Jahren würde aber er wollt eine Antwort auf die verzweigten Symbole.

Er bemerkte, dass die Wurzeln feucht waren. Es war unüblich, dass das Wasser sich durch den erodierten Stein kämpfte. Dies tat es nur dann, wenn der Regen der Oberwelt von solch heftigen Ausmaße war, dass man kaum die Hand vor Augen sah. Monsunartiger Niederschlag, der ungebremst auf den Dschungel niedersauste.

Wann hatte er zuletzt den Regen gesehen? Er konnte sich nicht entsinnen.

Als ein ohrenbetäubender Donner ihn erschreckte. Er zuckte zusammen in seiner zerschlissenen Kleidung.

Die Unüblichkeit, dass sich dieser laute Schlag durch das fette Gemäuer des alten Tempels fraß, war kaum erdenklich. Elyon kannte die Akustik gut und das entstehende Echo verhalft ihm oftmals Fremde zu verscheuchen. Aber in diesem Moment wurde er zum Opfer des Widerhalls. So hämmerte der Klang in den endlos verzweigten Gängen und schallte wieder und wieder und wieder und wieder auf den vereinsamten Mann nieder. Als säße er in einem Orchester, dass nur aus Pauken bestände und jeder den anderen mit einem lauteren Wummern übertönen wollte. Er drückte seine Handflächen an seine Ohren, um den Widerhall des abscheulichen Tones zu unterdrücken. Aber es gelang ihm nicht. Er musste raus. Die sichere Unterkunft, der er so lange angekettet an den Büchern und den alten Schriften war, verlassen und in die tobende Unruhe des Außens treten. In jenen fürchterlichen Sturm, der gar die dicksten Bäume entwurzelte.

Der Regen peitschte ihm erbarmungslos ins Gesicht und die frisch gewaschene Luft lies ihn husten. Die Bäume schwangen im Gewittersturm als flögen sie gleich auf und davon, hinweg in die Schwärze, die nur hie und da von einem grell leuchtenden Blitz aufgehellt wurde.

Er bereute seine Entscheidung den sicheren Tempel verlassen zu haben. Doch das Innere des monströsen urzeitlichen Gebäudes schien noch immer nicht aufgehört zu haben mit dem Klängen zu spielen.

Als er mit seinen zerfallenen Schuhe auf etwas unebenes trat. Anders als der aufgeweichte, feuchte Boden gab es nicht nach und schmatze auch nicht. Sondern bewegte sich elastisch wieder in die Ausgangspostion. Als er seinen Blick nach unten lenkte und sich erneut die Wassertropfen aus seinem Gesicht wischte, erkannte er einen Jungen. Er lag bewusstlos in Mitten der Unwetters. Ein Pfeil ragte aus seiner Schulter und zahllose Kratzer zerrissen nicht nur seine Haut sondern auch die Kleider die er trug. Das leichte Senken des schmächtigen Brustkorbes gab weg, dass der Junge noch am Leben war.

Vor Anstrengung gegen den unnatürlichen Sturm anzukämpfen, ging Elyon auf die Knie und betrachtete die Schusswunde. Mit zitternden Händen berührte er die Schulter und betrachtete die frisch blutende Wunde. Der Pfeil hatte sich tief in das Fleisches des Jünglings gebohrt, und der Mann wusste, dass wenn er ihm helfen wollte er sich beeilen müsste.

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