9 | Kopflose Pläne

Manchmal war Dealen verdammt langweilig. Ich lehnte mich an das metallene Brückengeländer, das über und über mit Stickern beklebt war. Ein eisiger Wind wehte über die Schienen und erinnerte daran, dass mittlerweile Winter war. Trotz dass ich schon die ganze Zeit am Saufen war, wurde mir nicht wirklich warm. Was ein Dreck.

Ich hatte noch genug Pillen loszuwerden, bevor ich mich auf den Weg ins Shisha-Café machen würde, um einen entspannten Abend mit Tarek und den anderen zu verbringen. Fette Bässe wummerten und vermischten sich mit den ausgelassenen Stimmen der vielen Menschen, die es auch an einem so kalten Freitagabend auf die Warschauer Brücke zog. Hier kamen die unterschiedlichsten Leute zusammen. Vollgekiffte Ökos in Kartoffelsackklamotten, die bei den Straßenmusikern rumstanden. Irgendwelche dummen Touris, die mich schon durch ihre Existenz aggressiv machten. Wer ernsthaft Schlager rumbrüllte und sich für krass hielt, weil er kein Bild vor dem Fernsehturm machte, sondern in einem der überteuerten Fotoboxen hier auf der Partymeile, gehörte echt verprügelt. Dann gab es eben auch asoziale Gangstertypen aus meinem Viertel, die im Vollsuff die restlichen anpöbelten.

Ich klemmte meine Bierflasche, die mir vorhin ein Bekannter in die Hand gedrückt hatte, unter den Arm und wollte meine Kippen herausnehmen. In diesem Moment schwankte eine junge Frau auf mich zu, die vielleicht ein paar Jahre älter war. Trotz der Kälte trug sie obenrum nur ein weitausgeschnittenes Top und ich war mir sicher, dass sich über ihre Schultern eine Gänsehaut ziehen musste.

Keine Ahnung, warum die Weiber immer dachten, dass wir es geil fänden, wenn sie sich den Arsch abfroren.

»Ey, du dealst doch, nich'?«, sprach sie mich an und hielt mir ihren Plastikbecher einem orangenfarbenen Getränk darin, wahrscheinlich Wodka-O, zum Anstoßen hin.

Ich musterte sie einen Moment lang und stieß dann mit meinem Bier an. »Ja«, meinte ich dann und trank einen Schluck, ließ meinen Blick wieder über meine Umgebung wandern. Ein paar Autos fuhren über die Brücke, während der Bürgersteig ziemlich überfüllt war. Menschen, die auf dem Weg zu den Clubs waren oder die keine Kohle hatten und einfach hier auf der Brücke soffen.

»Haste 'n paar E's für mich?«, fragte das Mädel mich.

»Wieviel?«

»Zehn.«

»Sechzig Euro«, meinte ich. Sie begann damit, in ihrer kleinen goldenen Handtasche herumzukramen. Eines der Dinger, deren Sinn ich eh nicht verstand, da passte ja noch weniger als in die Hosentasche rein.

»Ey, mach' ma', hab nich' ewig Zeit«, fuhr ich sie an.

»Chill halt.« Sie seufzte. Mit einer fahrigen Bewegung drückte sie mir dann endlich ein paar zerknitterte Scheine in die Hand. Flüchtig zählte ich nach und reichte ihr mit einem flüchtigen Blick über die Schulter die beiden Tütchen mit je fünf Pillen.

»Danke«, grinste sie und prostete mir nochmal mit dem Plastikbecher zu. Natürlich nicht, ohne ein bisschen zu verschütten und gegen mich zu stolpern. Für einen Moment verlor ich ein wenig mein Gleichgewicht, dann schob ich sie grob zurück und wandte mich ab. Dieser Tag nervte schon. Irgendwelche dummen Kunden, die meinten, mir auf den Sack gehen zu müssen und Kiral hatte sich seit unserem letzten Treffen vor einigen Tagen auch nicht mehr gemeldet.

Weil es die Pillen die letzten waren, die ich bei mir hatte, machte ich mich auf den Weg über die Brücke. Vorbei an der S-Bahn-Station, vor der man in mehreren kleinen Kiosken Alk und anderen Krams kaufen konnte. Verdammt, ich war noch viel zu nüchtern, dabei spürte ich langsam die Wirkungen. Die Welt fühlte sich weicher an, verschwamm an den Rändern zu einem dunklen Schatten.

Am Ende der Brücke hatte ich an einer schwer einsehbaren Stelle im Gebüsch das übrige MDMA versteckt, das ich nun mit einem schnellen Blick über meine Schulter in meiner Hosentasche verschwinden ließ. Das Risiko, alles mit mir rumzuschleppen, das ich heute Abend loswerden wollte, würde ich mir nie antun.

Zurück bei den feiernden Menschen, die sich auf der Brücke tummelten, entdeckte ich bei einer saufenden Gruppe Jugendlicher einen Typen, den ich lose kannte. Ferhat oder so, ganz sicher beim Namen war ich mir nicht. Er lehnte an dem Geländer, das den Bürgersteig von der Straße trennte, und sah so aus, als hätte er für heute mit dem Leben abgeschlossen. Dabei war es noch nicht einmal besonders spät.

»Was geht, Alter?«, sprach ich ihn an und trank mein Bier in einem einzigen Zug leer. Der Kerl hatte schon ein paar Mal von mir gekauft und hing öfter mit Maxim rum, ich hatte ihn auch schon zusammen mit Kat und Leonardo gesehen.

In diesem Moment bahnte sich eine dumpfe Idee in mir an. Okay, Planänderung. Scheiß auf Shisha-Café, Tarek und entspannten Abend.

Ich rülpste, dann schleuderte ich die Glasflasche in einem hohen Bock in Richtung der Schienen, die unter der Brücke verliefen.

»Ja ... nichts, bei dir?«, erwiderte Ferhat schleppend. Seine blutunterlaufenen Augen verrieten mir, dass er stoned as fuck sein musste. Abgesehen davon erinnerte er mit seiner nagelneuen Jacke an einen kleines Bonzenkind, das definitiv zu viel Kohle in den Arsch geschoben kam.

»Ey, Jay, auch hier?«, grinste einer von seinen Kumpels. Was für eine krasse Feststellung.

»Klar, immer.« Mit einer fahrigen Bewegung nahm ich meine Kippen raus und schob mir eine zwischen die Lippen, ehe ich ihm eine anbot.

Dankend nahm er eine entgegen. »Was hast'n heut dabei?«

»Emma.«

»Ja, fein, Bruder. Kannste Gedanken lesen oder was?«, lachte der Typ, der wie Ferhat ein wenig jünger als ich war, und klopfte mir auf den Rücken. Seine Füße steckten in diesen komischen roten Sneakern, die seit ein paar Wochen alle trugen. Und keiner raffte, dass das ja wohl absolut hässlich aussah. Total nach Clown, mehr nicht. »Ich bin vorher aufgewacht und dachte so: Boah, heute wär' Emma richtig übertrieben fett.«

»Siehste. Ich erfülle Träume.« Mit einem Handschlag tauschten wir Geld gegen Ware und auf seinen Lippen tauchte ein zufriedenes Grinsen auf, als er die Pillen in seine Jackentasche schob. Irgendein mir bekannter Dealer hatte mal gemeint, er würde den Job nur dafür machen. Für die Freude der Kunden. Was für ein unfassbarer Bullshit, der Kerl war so durch.

»Wills'e?« Der Typ streckte mir eine zerdrückte Plastikflasche hin, in der sich eine bräunliche Flüssigkeit befand. Ich nahm sie entgegen und stieß dabei mit der Faust gegen seine Brust. Alter. Dass der Scheiß manchmal auch so verzögert reinhauen musste. »Ohne Scheiß, wir saufen heute eh wieder nur hier. Die anderen wollen noch weiter in'n Club, aber denkste, die lassen hier paar Kanacken rein? Is' nicht.«

»Drecks Rassisten halt.« Ich setzte den Alkohol an meine Lippen und schmeckte das süße, klebrige Energyzeugs, das sich auf meiner Zunge ausbreitete. Dann den Wodka, dank dem sich ein wenig Wärme in meinem Inneren ausbreitete.

»Eben. Und dann sind die Türsteher selber oft Türken oder so, gar keine Logik.« Er verdrehte die Augen. Wir wechselten noch ein paar Worte miteinander und ich trank weiter von dem Wodka-E, dann wandte ich mich wieder an Ferhat, der sich mittlerweile einen Joint gebaut hatte. Noch einen, als wäre er nicht schon dicht genug. Keine Ahnung, was der Trottel vorhatte.

»Ey, du hängs' doch immer mit Leonardo rum? Diesem nervigen Italiener?«, wollte ich wissen. Noch bevor ich überhaupt nachdenken konnte, ob das eine gute Idee war, hatte ich meine Frage schon ausgesprochen. Vielleicht hatte ich in den letzten Stunden doch mehr getrunken als gedacht.

Aber egal, würde schon was werden.

»Mmh ... ja.« Ferhat nickte und zog nochmal an seinem Joint, ehe er ihn mir hinhielt. »Geht halt in meine Klasse.«

Ich nahm ihn entgegen. »Sag dem mal, er soll kommen.« Meine Stimme hatte einen befehlenden Unterton angenommen, auch wenn die Worte nicht mehr so klar meinen Mund verließen.

Ferhat sah ein wenig fragend aus, hakte aber nicht nach, stattdessen zog er sein Handy raus und tippte mit langsamen Bewegungen etwas ein. Ich zog am Joint und ließ den Rauch in die kalte Nachtluft entweichen, meinen Blick über die Brücke schweifen. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, bis eine Antwort auf seinem Display aufleuchtete.

»Er kommt«, meinte er dann und wischte sich übers Gesicht.

»Perfekt.« Ich grinste und lehnte mich ebenfalls ans Geländer.


Wenig später – ich hing mit Ferhat und seinen Leuten rum und wurde noch ein paar meiner Pillen los –, tauchte Leonardo zwischen den Feiernden auf und steuerte mit einem breiten Grinsen auf den Lippen auf uns zu. Er hatte sich kaum verändert, seit wir uns vor ein paar Monaten zum letzten Mal gesehen hatten.

Ihm folgte ein großer Kerl mit grünem Irokesen, der Springerstiefel und eine nietenbesetzte Lederjacke trug. Verschiedene Patches waren darauf aufgenäht und in weißer Farbe konnte man auf dem Ärmel den Schriftzug Fuck Police Brutality lesen.

»Was geht, Mann?«, fragte Leonardo und sein Grinsen wurde noch ein wenig breiter. Der Punk blieb schweigend neben ihm stehen und verzog keine Miene.

»Alter, schlimmer als meine Schwester. Hängt auch immer mit so Zecken rum, irgendwelchen Hausbesetzern. Die sind alle komplett durch. Aber komplett.« Ich schüttelte grinsend den Kopf und schlug in Leonardos Hand ein, die er mir entgegenstreckte.

Sein Kumpel warf mir nur einen aggressiven Blick aus dunklen Augen zu, mehr nicht. Ich mochte ihn nicht. Irgendwie spürte ich die Ablehnung mir gegenüber, die von ihm ausging. Und seine Art, wie er nichts sagte und nur dumm guckte, ging mir hart auf den Sack. Neben Leonardo war das schon eine ziemliche Leistung.

»Nee, Vince ist voll korrekt, okay?«, widersprach der jetzt und vergrub die Hände in den Taschen seiner schwarzen Winterjacke, deren Stoff an den Ärmeln bereits zerschlissen war und einen Blick auf das Futter gewährte. Die Familie hatte wohl immer noch nicht mehr Kohle als damals, als ich mit Fede rumgehangen war. »Weißt du, wir waren gerade noch da an diesem Güterbahnhof am Stadtrand, das ist richtig geil da. So ein verlassenes Ding, 'n riesen Gelände, und eigentlich darf man da gar nicht drauf, okay?«

»Is' ja krass«, meinte ich, der Spott in meiner Stimme war unüberhörbar. Sein Kumpel holte eine Packung Tabak aus der Innentasche seiner Jacke und begann zu drehen, während Fedes kleiner Bruder sich auf die Unterlippe biss. Irgendwie war's verdammt lustig, wie leicht man ihn aus der Fassung bringen konnte, ganz im Gegensatz zu Fede.

»Und jetzt, Leonardo«, grinste ich und streckte ihm die Flasche mit Berentzen-Kirsch entgegen, die ebenfalls von Ferhats Kumpel stammte, »saufen wir hart. Ich bin nämlich der Meinung, dass wir uns abschießen sollten.«


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