57 | Braun, Gelb, Grün
»Na, Jay, wie geht's?«, grinste Nadja und trat einen Schritt zur Seite, um mich hereinzulassen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich mehr mochte, seit Rashid für mich arbeitete und sie dank mir genug Kohle für einen Haufen neue Tätowierungen hatte.
Ich nickte ihr zu, streifte dann meine Schuhe ab und ging ins Wohnzimmer, wo ich Rashid vor seiner Konsole vorfand. Er hob dann Kopf. »Alles klar, Bruder?«
»Immer. Kohle her.« Mit ausgestreckter Hand schmiss ich mich auf die Couch. Meine Geschäfte liefen gut, ich konnte mich echt nicht beklagen. Auch wenn ich nach wie vor viel mit Fede rumhing, blieb das nicht auf der Strecke.
Ich kannte meine Ziele, ich wusste, wer ich war und damit gab es nichts, das mich noch aufhalten konnte.
»Morgen kriegse neue Ware«, verkündete ich. Siegesgewiss war mein Grinsen, als ich den Geldstapel von Rashid entgegen nahm. Blätterte kurz durch, denn Rashid wusste wie alle anderen, dass mit mir nicht zu spaßen war. Hatte er schmerzhaft genug gelernt, als ich vor ein paar Monaten seine Fresse poliert hatte.
Braun, gelb, grün. Alles war dabei und das reichlich.
So viel Kohle dafür, dass er die Arbeit gemacht hat und ich ihm nur den Stoff besorgte. Scheiße, war das Leben geil. Zufrieden verstaute ich die Scheine in meiner eigenen Hosentasche, nahm ihm seinen Controller ab und machte mich daran, ihn auch bei GTA zu ficken.
Oder er mich, dieser Wichser.
Schon was vor am Samstag?, las ich auf der Benachrichtigungsleiste, als ich das nächste Mal mein Handy in die Hand nahm. Fedes Name auf dem Display reichte, dass ich die Wut in mir grummeln spürte. Warum meldete sich dieser Bastard überhaupt, wenn das mit mir für ihn eh nur bisschen Rummachen war?
Ich schmiss den Controller auf die Couch, drückte mich auf die Beine und verkündete: »Gehe mal rauchen.« Rashid war einer dieser komischen Menschen, die Zigarettenrauch in der Wohnung nicht ertragen konnte.
Auf dem Balkon ließ ich mich auf den vergilbten Plastikstuhl sinken und meinen Blick über die unzähligen Plattenbauten gleiten. Der Himmel hinter ihnen war dunkel, nur viereckig Lichter hoben sich davon ab. Noch immer war klirrend kalt, sodass ich meine Kapuze über den Kopf zog und dennoch bereits fror, als ich meine Kippe anzündete.
Ich sah wieder auf Fedes Nachricht. Warum tat es so scheiße weh, dass er mir geschrieben hatte? Warum war da wieder dieser intensive Wunsch, seine Worte vor ein paar Tagen hätten anders gelautet?
Das machte doch alles keinen Sinn. Und irgendwie war es doch besser, wenn er sich meldete als wenn er komplett auf mich scheißen würde. ,
Muss gucken
Warum, tippte ich ein und aschte in das übervolle Gewürzgurkenglas, das als Aschenbecher herhalten musste. Sah wieder auf die Plattenbauten und beobachtete eine Frau, die Sport vor ihrem Fernseher machte.
Aykan lädt paar leute ein und ich geh auf jeden hin, magst du auch kommen?
Wieder presste ich meine Zähne aufeinander. War doch auch klar, dass er nicht allein was mit mir machen wollte, sondern lieber mit seinen dummen Freunden. Aber eigentlich war es doch auch schön, dass er mich dabei haben wollte, oder?
Auf einmal war ich so genervt von mir. Was sollte dieses scheiß Gefühlschaos denn? Warum regte ich mich die ganze Zeit über alles auf, was Fede tat?
Schwungvoll brachte ich mich auf die Beine. Griff das Glas auf dem Plastiktisch und schmiss es dann kräftig Richtung Straße, wo es auf einem der geparkten Autos landete. Hoffentlich hatte die Karre jetzt eine ordentliche Delle.
Mein Herz schlug schnell. Eigentlich ... war da nur der Wunsch, wieder so mit ihm zu kuscheln wie vor ein paar Wochen. Nicht über das zu reden, was das war mit uns und zu beschließen, dass es nichts war. Nicht auf irgendwelche komischen Feiern bei Aykan zu gehen.
Tief inhalierte ich. Vielleicht pennte er danach bei mir oder ich bei ihm. Vielleicht hatte er seine Worte neulich auch gar nicht so gemeint ... brauchte einfach Zeit ...
Lern lieber alter und nerv nicht, verkackst sonst safe dein abi, tippte ich ein. Kaum, dass ich mein Handy gesperrt hatte, vibrierte es schon wieder, doch seine Antwort interessierte mich nicht. Die Kippe folgte dem Glas den Balkon runter und ich wandte mich ab von den Plattenbausilhouetten und der fetten Frau vor dem Fernseher.
»Ey, Rashid, scheiß mal auf Zocken«, beschloss ich, als ich die Balkontür hinter mir ins Schloss warf. »Das macht mehr Spaß.« Ich grinste und schmiss ein Briefchen mit Koks auf den Tisch.
Mit einer Whiskyflasche in der Hand stapfte ich in den vierten Stock hoch. Der Aufzug funktionierte immer noch nicht, als wäre ich heute nicht schon genug in der Stadt rumgerannt. Es war dreizehn Uhr nachmittags und der Whisky war teurer gewesen als die neue Waschmaschine meiner Alten.
»Was machs du hier, ey?«, grinste Leonardo begeistert, als er mir die Tür öffnete.
Statt einer Antwort hob ich meine Hand mit dem Alkohol hoch und schob mich an ihm vorbei.
»Find ich gut. Weiße, Fede und seine komische Freundin haben unser Zimmer belagert. Wird Zeit, dass ein bisschen Abwechslung reinkommt«, sprudelte Leonardo los und schloss die Tür hinter mir.
Ich kickte meine Sneakers zu dem Haufen, der aus dem Schuhschrank herausquoll. »Seine komische Freundin?«, hakte ich nach. Klang wahrscheinlich zu wachsam. Aber egal, der kleine Spast konnte denken, was er wollte.
»Bahar. Die is genau so ne Streberin wie er.«
Keine Ahnung, aber irgendwie war ich erleichtert. Gerade hatte das anders geklungen.
»Michele, vieni qui! Puoi aiutarmi?«, klang die Stimme der Mutter aus dem Wohnzimmer.
Leonardo seufzte. »Ich komm gleich zu euch, ja, ich soll ihr so'n komischen Brief übersetzen. Wegen Steuern oder so. Seh ich aus, als würd ich das checken? Nee, Mann. Früher hat die immer Fede gefragt, aber jetzt will sie ihm lieber Zeit zum Lernen lassen.« Er verdrehte die Augen und rutschte auf Socken durch den Flur, während ich auf die Tür zu meiner Rechten zusteuerte und sie aufriss. Wer brauchte schon Klopfen. Manieren wurden überbewertet.
»Was geht?«, grinste ich, als ich wie selbstverständlich eintrat. Während Fede im Schneidersitz auf seinem Stuhl saß, hatte sich Bahar auf seinem Bett niedergelassen. Von irgendwoher klang Metal in der schlechten Qualität eines Handylautsprechers.
Fede hob seinen Kopf und wandte mir den Blick zu. »Jay«, lachte er überrascht auf. Aber nicht negativ. Tja, da freute sich einer, mich zu sehen. Der Gedanke hinterließ ein wohliges Kribbeln in meinem Bauch.
Einen Moment lang grinsten wir einander an. »Danke, dass du mich erinnerst, wie ich heiß.«
Mir entging nicht, dass Bahar ihm einen Blick und ein vielsagendes Grinsen zuwarf. Alter. Ich spürte die Anspannung in meinen Kieferknochen, die sich in meinem Gesicht verbreitete. Meine Mimik, die einfror. Garantiert hatte er ihr von der Sache zwischen uns beiden erzählt. Es konnte nicht anders sein.
Verdammt, für wen hielt er sich eigentlich? Ich hatte ihm das nicht erlaubt und dann hatte er gefälligst auch die Fresse zu halten. War es sinnvoller, Fede darauf anzusprechen oder darauf zu scheißen? Aber verdammt, ich wollte nicht, dass er das rumlaberte. Sollte keiner wissen, dass ich ein paar Gefühle zu viel für den hatte.
Ich schmiss mich auf Leonardos Bett, über dem auf einem Poster eine halbnackte Olle hing. Wollte mir lieber nicht vorstellen, wie der kleine Pisser darauf wichste. Die Bettdecke lag auf dem Boden, begrub das restliche Chaos unter sich.
»Was machst du hier?«, fragte Fede.
Ich hob den Whisky hoch. »Vortrinken. Für Aykans komische Feier.«
»Jay, weiß ja nich, ob du die Existenz von Uhren vergessen hast, aber wer zur Hölle trinkt um dreizehn Uhr vor?«
»Man kann nie früh genug damit anfangen.«
»Was mit dir? Trinkse auch mit?«, wandte ich mich an Bahar. Die hatte sich über ihren Collegeblock gebeugt und schrieb irgendwas, sah immer mal wieder auf das Buch vor ihr. War auch geil, wie die so viel lernen und nie das Geld bekommen würden, das ich machte.
»Nee, ich hab später noch ein Fußballspiel«, erklärte sie. Griff nach ihrem Handy und skippte ein paar Songs, bis Limp Bizkit lief. Zumindest hatte sie einen vernünftigen Musikgeschmack, musste man ihr lassen.
»Auch schön, wie ich gar nicht mehr gefragt werde«, lachte Fede an mich gewandt.
»Ja. Ich hab ja schon beschlossen, dass du heute mit mir säufst.«
»Wenn du das sagst.«
Skeptisch hebe ich eine Augenbraue. Halte den Whisky hoch. »Das ist scheiß Glenfiddich, das kannse dir nich entgehen lassen.«
»Chill, ich hab ja gar nichts gesagt.« Fede grinste, drückte sich von seinem Stuhl hoch und ließ sich neben mir aufs Bett sinken. Mein Herz beschleunigte sich ein wenig, als unsere Knie einander berührten. Er streckte seine Hand nach der Flasche aus und ich überließ sie ihm. Dachte daran, wie schön es jetzt wäre, ihn ins Bett zu drücken.
»Ich dachte, trinken um dreizehn Uhr geht nich klar?«, grinste ich, als er die Flasche ansetzte. Mein Blick blieb an seinen Lippen hängen und wie die Flüssigkeit seinen Rachen runterrann, wie er schluckte. Oh, fuck.
Ich ließ meine Hand zu seinem Rücken wandern, schob sie unter sein Shirt. Wollte seine warme Haut unter meinen Fingern spüren, ihn so geil machen wie er mich gerade. Bewegte langsam meine Fingerkuppen, schob sie langsam unter den Saum seiner Boxershorts.
Womit ich nicht rechnete, war, dass Fede sich verkrampfte. Dass er einen Moment später mein Handgelenk packte und meine Hand zurück schob. Kurz begegneten sich unsere Blicke.
Also bitte, das war jetzt absolut lächerlich. Er hatte Bahar eh jedes Detail von uns erzählt, da konnten wir doch vor ihr einander berühren. Und da beim Billard spielen hatte es ihn auch nicht gejuckt.
In diesem Moment kam Leonardo zurück ins Zimmer. Fedes Blick huschte zu ihm, dann trank er nochmal aus dem Whisky und überreichte ihn mir. »Hattest recht, das Zeug ist echt lecker.«
Hatte er ernsthaft Schiss, vor seiner Familie zu zeigen, was zwischen uns lief?
»Oh, besäufste dich jetzt«, lachte Leonardo und ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen. »Aber mir immer Ansagen machen, was?«
»Nerv nich, fratellino. Im Gegensatz zu dir hab ich auch mein Leben im Griff und muss mich nich auf der Bullenwache abholen lassen.«
»Was mit dir, Alter? Lässt mich doch safe nich im Stich«, grinste ich und streckte Leonardo den Whisky entgegnen, behielt Fede im Augenwinkel im Blick. Selbst schuld, wenn der sich so anstellte. Wenn ich nicht bekam, was ich wollte, konnte er es gerne zu spüren bekommen.
»Immer.« Auf Leonardos Lippen tauchte ein erfreutes Grinsen auf und er streckte seine Hand aus, um deren Gelenk er ein dunkelblaues Bandana gebunden trug. Wie jedes verfickte Mal, wenn ich ihn sah. Keine Ahnung, ob der mittlerweile so ein dummes Emokind geworden war, dass sich die Pulsadern aufschlitzt, zuzutrauen wars dem.
Ehe er den Whisky entgegen nehmen konnte, packte Fede meinen Unterarm und riss ihn grob zurück. »Jay, versuch es gar nicht erst«, zischte er. Sein Ton machte mir nur allzu deutlich, wie ernst er das meinte.
»Seit wann gibst du mir Befehle?«, höhnte ich. Mit einer schnellen Bewegung machte ich mich frei. »Lass den doch saufen, wenn er Bock hat.«
»Find ich auch.« Leonardo grinste breit. »Außerdem, Fede, weißt doch, dass ich an Alk komm, wenn ich will. Ob Jay oder wer anders, macht halt auch kein Unterschied.«
»Gib ihm den Whisky und du warst das letzte Mal hier.« Fede fixierte mich mit seinem Blick und fuck, warum machte mich das schon wieder so heiß. Dass er es wagte, in diesem Ton mit mir zu reden und dass es ihm wert war, den Kontakt zu mir abzubrechen, nur weil ich mit seinem Bruder soff.
Mein Herz klopfte schneller. Ich könnte es drauf anlegen, aber ich wusste auch, dass Fede kein Mensch für leere Drohungen war. Der zog das nachher noch durch und wegen so einer Scheiße ein paar Jahre nicht mit ihm reden, schon wieder, das wollte ich nicht riskieren.
»Junge, entspann dich. Lern weiter. Ich bin kein kleiner Pisser mehr, der mit Babys saufen muss, um sich geil zu fühlen«, lachte ich und ignorierte den bösen Blick, den Leonardo mir und Fede zuwarf. Lehnte mich auf dem Bett zurück.
»Hey, Leonardo. Dein Bruder meints nur gut mit dir, ja?«, merkte Bahar an, doch ich nahm sie nur am Rande wahr.
Noch einen Moment lang brannten Fedes Augen auf mir, dann löste er sich und grinste siegesgewiss. »Kannst ja doch gute Entscheidungen treffen.« Dummer, arroganter Wichser. War offensichtlich, wie viel er sich drauf einbildete, mich unter Kontrolle zu haben.
Sollte er mal ruhig.
Mehr war das nämlich nicht. Eine Einbildung.
Ich dagegen war derjenige von uns, der rational dachte und lieber mal seine Grenzen austestete. Einen Scheiß hatte der mich in der Hand.
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