35 | Niemals
Mein Herzschlag raste, als ich meine Augen schloss und Fede näher kam, meine Lippen auf seine legte. Dieses Mal fühlten sich seine Wange nicht glatt unter meinen Fingern an, sondern rau dank der Bartstoppeln. Seine Haut fühlte sich warm an. Vorsichtig begann ich damit, ihn zu küssen, versenkte grob meine Hand in seinen Haaren, während mein verficktes Herz beinahe meinen Brustkorb auseinanderriss.
Endlich war ich ihm so nahe, wie ich mir das die letzten Tage über so oft ausgemalt hatte.
Meine Küsse wurden ein wenig länger, intensiver. Wollte mich auf ihn einlassen, noch länger seine rauen Lippen auf meinen spüren. Nur noch diesen Moment erleben. Und tief in mir war wieder das Verlangen, die Leidenschaft, die auch damals zwischen uns gewesen war. Doch dann spürte ich, wie Fede seine Hand auf meine Brust legte.
Mich bestimmt zurückdrückte.
Es dauerte einen Moment, bis ich realisieren konnte, was das zu bedeuten hatte. Fede hatte keinen Bock darauf, mich zu küssen. Und das tat weh. Fuck. Ein schmerzhafter Stich, der sich tief in meine Brust bohrte, immer weiter.
»Jay, ernsthaft, ich mag das nicht, wie du immer anderen deinen Willen aufzwingen willst«, erklärte Fede und suchte meinen Blick. Obwohl er sich offensichtlich um einen erklärenden Tonfall bemühte, konnte er nicht verhindern, dass er aufbrausend klang. »Ich muss mich nicht wie so eine Marionette behandeln lassen, ehrlich.«
Keine Ahnung, was gerade in Fede vorging und warum in seinen Augen ein wütendes Funkeln aufgetaucht war. Ich konnte das nicht wirklich deuten. Genauso wenig, was diese ganze Scheiße hier überhaupt sollte. Alter.
Warum ich ihn so abgefuckt hatte, obwohl er doch bei unseren letzten Gesprächen definitiv so gewirkt hatte, als wäre er ebenfalls interessiert. Verdammt, ich konnte mir das doch nicht eingebildet haben. Wie er ebenfalls meine Nähe gesucht und Anspielungen gemacht hatte.
Allein, dass Fede wissen hatte wollen, wozu ich wichste.
»Ja, okay«, sagte ich mit ausdrucksloser Stimme. Hey, klang ja besser als erwartet. Nicht eingeschnappt. Ich musste unbedingt alles tun, damit das hier nicht noch zu einer größeren Lachnummer wurde. Ich hatte ihn geküsst. Er wollte nicht. Na und, so etwas passierte. War doch nichts dabei. »War eh nur'n Spaß so.«
Einfach cool bleiben.
Mir nichts anmerken lassen.
Keine Emotionen. Fede war mir egal. Der Schmerz in meiner Brust existierte nicht.
Alles runterschlucken.
»'n Spaß?«, fragte Fede nach und lachte. Gott, wie sehr ich ihn für diese Überheblichkeit hasste. Er hatte absolut kein Recht, sich über mich lustig zu machen. Er war noch nur so ein lächerlicher Streber. Ein Niemand.
Ich wollte ihm irgendwelche Beleidigungen an den Kopf werfen. Ihn so verletzen, wie er mich verletzt hatte. Oder meine Fäuste sprechen lassen. Doch für einen Moment bekam ich nichts raus, konnte die tief in mir lodernde Wut nicht freimachen. Sie war da, doch mein Mund war wie verschlossen.
Zu groß die Ungewissheit, die Unschlüssigkeit, all das, das ich nicht verstand.
»Naja, also, bis bald dann«, sagte ich und klang seltsam belegt dabei. Tief vergrub ich meine Hände in den Hosentaschen und bemühte mich um meinen unbeteiligten Blick. Bisschen Grinsen. Und Arroganz nicht vergessen. Ging doch irgendwie.
Für einen kurzen Moment sah Fede aus, als wolle er noch etwas sagen und fände die richtigen Worte nicht. Als wolle er mich zurückhalten. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn biss er auf seine Unterlippe und schaute mich unschlüssig an. Tief in mir kam diese dumme Hoffnung auf, dass er jetzt einfach vortreten würde und mich mit einem Grinsen an sich ziehen. »Hab dich nur verarscht, du Trottel«, würde er lachen und dann seine Lippen auf meine drücken.
Doch nichts davon passierte.
Stattdessen zerrte ich eilig an der Klinke, nickte ihm noch einmal zu. Trat in den Flur und ließ die Tür ins Schloss fallen, ehe ich mit immer größer werdenden Schritten zum Treppenhaus eilte. Nur weg von hier. Weg von dem Gestank nach Essen und der kurdischen Musik, die von irgendwoher klang.
Ich stürmte nach unten, die ganzen vier Stockwerke, ohne noch einmal innezuhalten. Nach draußen, wo mir die kalte Luft ins Gesicht schlug und ich einen Moment lang tief durchatmete. Entschlossen ballte ich meine Fäuste, versuchte, das Stechen in meiner Brust zu ignorieren. Und doch war es da, verschwand nicht einfach.
Sollte diese Missgeburt doch. Dann konnte er mich aber auch am Arsch lecken. Ich würde mich niemals jemanden aufdrängen, gleich wie heiß er war. Gleich wie schön ich es gefunden hatte, so viel mit ihm zu reden. Egal. Sollte er.
Ich würde ihm nicht hinterherlaufen. Sein Pech, nicht meines.
Erst zuhause entflammte die Wut auf Federico, diesen miesen Wichser. Ich schlug zu. Die Faust geballt, mit viel Schwung aus der Körpermitte. Wieder und wieder. Das dünne Sperrholz meines Schranks gab schnell mit einem schwachen Ächzen nach, doch es interessierte mich nicht. Das einzige, was noch zählte, war, dass die ganze Scheiße nach draußen kam. Vielleicht würde dann ja dieses dumme Stechen in meinem Herz verschwinden. Ich wollte nicht, dass diese Missgeburt mich verletzlich machte, doch verdammt, genau das hatte er geschafft. Er hatte es hinbekommen, dass ich mich wie so ein Verzweifelter an ihn ranmachte und er mich einfach abwies.
Ich fuhr fort mit meinen schnellen, festen Schlägen. Das braune Holz splitterte auf, bohrte sich in meine Finger und irgendwann wurde der Schmerz so stark, dass ich meine Hand zurückzog.
»Verdammte Scheiße!«, hörte ich mich dann brüllen. Ein wenig verzögert, nachdem die Worte schon meine Lippen verlassen hatten, ganz so, als wäre nicht ich derjenige gewesen, der das gesagt hatte.
Ich sah auf meine zitternde Hand. Starrte wie paralysiert. Blutstropfen quollen aus den Wunden, die sich über meine Knöchel zogen. Die waren ohnehin noch ein wenig blau, von den Schlägen, die ich den Junkies verpasst hatte.
»Was ist los?«, erklang auf einmal die Stimme von Lexie neben mir und als ich mich zur Seite drehte, sah ich sie dort im Türrahmen stehen. Verdammt, ich hatte nicht mal gehört, dass sie eingetreten war.
»Verpiss dich!«, schrie ich sie an. Eine nervende kleine Schwester war das letzte, dass ich noch gebrauchen konnte. »Sonst kriegst du aufs Maul!«
»Komm, Jay, beruhig dich.« Grob packte sie mich am Ärmel und zog mich zu meinem Bett. Sorgte dafür, dass ich mich darauf niederließ und setzte sich dann zu mir.
Meine Atmung ging hektisch, war für einen Moment alles, auf das ich achten konnte.
»Ich bin ja echt nicht pingelig«, lachte sie, offensichtlich darum bemüht, mich abzulenken. Ich kannte den Tonfall. »Aber deine Matratze ist jedes Mal ne besondere Herausforderung.«
Mit viel Kraft presste ich meinen Kiefer aufeinander, fühlte das Ziehen, das sich von dort aus durch meinen Körper zog und mir Halt gab. Noch immer konnte ich den Blick nicht von meiner blutenden Hand lösen. Die rote Flüssigkeit verließ meine Knöchel und tropfte auf das ohnehin schon fleckige Spannbetttuch. Ich wischte darüber, doch direkt darauf trat neues Blut aus der Wunde.
»Willst du reden?«, bot sie mir an und zog den Ärmel ihres übergroßen, löchrigen Sweatshirts runter.
»Nein!«, fuhr ich sie aggressiv an an. »Ganz ehrlich, geh mir jetzt nicht auf den Sack mit deinen dummen Hilfsversuchen. Das brauch ich nicht, das braucht niemand, verstanden?«
Lexie ließ sich nicht von meinen Worten beirren. Sie blieb einfach neben mir sitzen und schwieg einen Moment lang. Pulte mit ihrem Finger an dem Loch in ihrer Leggings herum und vergrößerte es ein wenig, während mir nach und nach klar wurde, wie viel eben aus mir herausgebrochen war. Und wie unangemessen das war.
»Fuck«, entwich es mir mit zitternder Stimme und ich zog meine Beine an, verbarg mein Gesicht zwischen den Händen. Es war absolut falsch, so viele Gefühle zuzulassen und schon gar nicht wegen so einer dummen Sache. Das hatte doch alles nichts zu bedeuten. Außerdem war es sowieso besser für mich, wenn aus der Sache mit Fede nichts wurde.
War ja nicht so, dass ich sonst niemanden abkriegte. Mein Körper spannte sich an, erneut fühlte ich die Wut. Wäre ich bloß nie bei ihm vorbeigegangen.
Ich spürte, wie Lexie mir ihre Hand auf den Rücken legte. Sie streichelte mich nicht, ließ ihre Finger einfach dort ruhen. Und ich unternahm nichts, schlug sie nicht weg. War schon okay so.
Eine halbe Ewigkeit lang saßen wir nur nebeneinander da. Keine Ahnung, woher Lexie den Mut und das Selbstbewusstsein aufbrachte, zu bleiben, obwohl ich ihr so eindeutig gesagt hatte, dass sie sich verpissen sollte. Doch jetzt war ich fast schon ein wenig froh, dass sie hier war. Es tat gut, nicht allein zu sein.
Immer wieder tauchte der Gedanke an Fede auf und daran, wie schön der Tag bei ihm gewesen war. Mein Magen zog sich mit jedem Mal schmerzhaft zusammen, die Scham stieg wieder in mir auf. Verdammt, das war so peinlich.
Schließlich richtete ich mich ein wenig auf und schob grob ihren Arm weg.
»Ey, bau mal ein'«, trug ich ihr auf und deutete auf meine Kommode. »Da is' mein Gras drin.«
»Seh ich aus, als wär' ich deine Bedienstete?«, lachte Lexie, erhob sich aber und öffnete die oberste Schublade, auf die ich gezeigt hatte.
»Bist ja auch die Frau.« Über mein Gesicht huschte ein leichtes Grinsen, es war klar, dass das nicht ernstgemeint war.
»Trottel.« Sie boxte nach mir, doch ich packte ihre Hand mit Leichtigkeit und schlug zurück. Im Gegensatz hatte sie es nie für nötig gehalten, Sport zu machen, sondern lieber ihre Freizeit in dem verdreckten Tierheim verbracht. Aber eins musste man ihr lassen, sie hatte genug Eier, sich Schmerzen nicht anmerken zu lassen. So verzog sie auch jetzt nicht einmal ihr Gesicht, obwohl ich sie fest genug getroffen hatte.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass das ne gebrauchte Boxershorts ist. Du bist widerlich, Jay«, kam es von Lexie, die die Schublade durchwühlte. Sie schmiss das Kleidungsstück in meine Richtung und fand schließlich das Gras, das bei all dem Krams lag, den ich in die Kommode gestopft hatte.
Während Lexie das Gras zerbröselte und dann auf das Longpape legte, suchte ich zwischen meiner Decke nach meiner Fernbedienung. Schaltete mich durch die Programme, ehe ich auf Comedy Central hängen blieb. Es gab eh keine bessere Kombination, als Weed und dumme Zeichentrickserien.
Lexie und ich teilten uns den Joint und kaum, dass sie ihn in meinem Aschenbecher ausgedrückt hatte, forderte ich sie auf, noch einen zu bauen.
»Jetzt bist du dran«, erwiderte sie und drückte mir das Bauzeugs in die Hand.
Es brauchte noch einen weiteren, bis ich das Stechen in meiner Brust nicht mehr spürte, und noch einen, bis sich so etwas wie Zufriedenheit über mich legte. Die Zeit wurde zähflüssiger, genau wie meine Gedanken. Sie machten alle verdammt wenig Sinn und waren gleichzeitig auch lustig, konnte eigentlich nicht besser sein.
Mein Zimmer war bereits ziemlich verraucht, als ich in meiner Hosentasche das Vibrieren meines Handys spürte. Keine Ahnung, welche Missgeburt sich das überhaupt ausgedacht hatte. Als hätte man immer einen Taschenvibrator mit sich oder was.
»Ja?«, meldete ich mich und hielt Lexie den Joint hin. Sie nahm ihn mir ab und drehte sich auf den Bauch, um besser auf den Fernseher schauen zu können, wo sich Eric Cartman über Hippies ausließ.
»Jay, du Wichser, wo steckst du?«, erklang es aufgebracht von dem anderen Ende der Leitung. Es war Adnan, einer meiner treuesten Ecstasykunden. »Wir waren verabredet. Du weißt schon, Bruder.«
»Halt's Maul«, schnauzte ich ihn an und drückte ihn weg, ehe ich mein Handy nahm und es mit einer trägen Bewegung in das andere Eck meines Zimmers warf. Es kam mit einem Poltern neben meinen Boxhandschuhen zum Liegen.
Lexie, die gerade den Joint an ihre Lippen führte, begann zu kichern. Ihre violetten Strähnen hingen ihr verwuschelt ins Gesicht und der silberne Ring in ihrer Unterlippe war ein wenig entzündet.
»Was ist so lustig, du dumme Fotze?«, fragte ich nach, doch dann konnte ich nicht anders, als ebenfalls in ihr Lachen miteinzufallen. War doch irgendwie auch alles ziemlich amüsant. Allein, dass wir jetzt hier hingen und kifften.
»Du. Du bist lustig«, prustete sie und begann zu husten, weil sie zu tief eingeatmet hatte. »Fuck.«
»Ha ha.« Ich verdrehte die Augen und nahm ihr die Tüte aus der Hand, um selbst daran zu ziehen. Während ich inhalierte, wandte ich mich ihr zu. »Erzähl mal was«, forderte ich sie auf.
»Was willst'n hören?«
»Red einfach, meine Fresse.«
»Hm, okay ...« Lexie legte ihre Stirn in Falten. »Ich erzähl dir einfach von dem coolsten Ort, den ich kenne. Das Haus, das vor ein paar Wochen besetzt wurde.«
Während sie von dem Garten, der im Hinterhof lag, in dem einer ihrer Kumpels Gemüse anbaute, von Träumen und Utopien und so einem Scheiß, von verwaisten, verletzten Katzen und von den größten Gurken, die sie je gegessen hatte, fühlte sich die Welt so harmlos an. Ohne Wichsgeburten wie Kiral und seine Knarren, ohne meine Dealerfreunde, denen ich was schuldig war. Ohne irgendwelche dreckigen Junkies, die mich um Stoff anflehten, obwohl sie keine Kohle hatten.
Und ohne Fede, auf den ich gut und gerne verzichten konnte.
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