3 | König von Berlin
Ekelhaft helles Licht fiel auf mein Gesicht und es half auch nichts, die Lider fester zuzupressen. Es war da und verschwand nicht einfach wieder. Blinzelnd öffnete ich die Augen und sah direkt in die Sonnenstrahlen, die unterhalb der teilweise heruntergelassenen Jalousien mit den zerdrückten Lamellen in mein Zimmer drangen.
Stöhnend drehte ich mich auf die andere Seite und schaute in Sellys Gesicht, die noch friedlich und mit leicht geöffnetem Mund schlief. Die schwarze Wimperntusche war verschmiert. Schwarze Klümpchen klebten unter ihren Augen, die Rückstände des Lipgloss oberhalb ihrer Lippe. Aber naja, gut hatte sie ohnehin noch nie ausgesehen. Meine Decke war halb auf den Boden gerutscht und offenbarte ihren nackten Körper, den ich jetzt halb so geil fand wie in der letzten Nacht. Eigentlich gar nicht. So Titten waren auch echt nichts Besonderes.
Ein paar Momente lang störte lediglich das Klingeln in meinen Ohren die Ruhe, der Nachhall der Discomucke von gestern Abend. Ich streckte meine Hand aus und schüttelte sie an der Schulter. »Hey, ey, wach mal auf.«
»Was?«, murmelte sie schlaftrunken und schlug die Augen auf. Als sie mich entdeckte, lächelte sie ein wenig. Ihre Fahne stieg mir in die Nase und erschlug mich beinahe, ich wollte nicht wissen, wie hart ich selbst nach Alk stank. »Morgen«, gähnte sie und schlang ihre Arme um meine Kissen, machte es sich wieder gemütlich darauf.
»Gut geschlafen?«, fragte ich sie und rieb mir über die Schläfen. Die betäubende Müdigkeit wollte auch dann nicht verschwinden.
»Mmh.«
»Perfekt, dann kannste dich ja jetzt verpissen.« Ich verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen.
»Was?«, fragte sie entgeistert. Der friedliche Ausdruck verschwand aus ihrem Gesicht, als sie erneut ihre Augen öffnete und mich ansah.
»Hast mich schon verstanden.« Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. Verdammt, ich genoss das Gefühl, das ich in Momenten wie diesem verspürte. Wenn ich mit anderen Menschen tun konnte, was ich wollte, weil ich eh keine Konsequenzen zu befürchten hatte. »Oder wir können auch nochmal ficken, wenn du willst. Denk bloß nicht, dass es bei mir Frühstück oder andere verkitschte Scheiße gibt.«
Sie zog ihre dünn gezupften Augenbrauen ein wenig weiter nach oben. In ihrem Gesicht tauchte ein wütender Ausdruck auf. »Der Sex gestern war übrigens echt beschissen, also führ dich nicht wie so ein verdammter Wichser auf, klar?«, fuhr sie mich dann an und richtete sich in meinem Bett auf.
»Was bildest du dir eigentlich ein, he?«, maulte ich sie an und packte grob ihr Handgelenk, riss sie an mich heran. Drohend verengte ich meine Augen. Für wen hielt sich diese Schlampe eigentlich? »Hab mal bisschen Respekt, ey.«
»Ganz ehrlich, komm mal wieder runter von deinem Trip«, erwiderte Selly kopfschüttelnd. Mit einer schnellen Bewegung riss sie sich von mir los und kletterte aus dem Bett, ehe sie damit begann, ihre Klamotten zusammenzusuchen. »Du bist irgendein besoffener Verlierer. Führ dich nicht auf, als wärst du der König von Berlin.«
»Jaja«, stöhnte ich. Ich war definitiv zu verkatert, um mir jetzt so einen Streit zu geben. »Verpiss dich jetzt. Und mach' noch die Jalousien ganz runter.« Meine Stimme hatte einen befehlenden Unterton angenommen.
Sie warf mir einen abwertenden Blick zu – und tat es. Zerrte aber so fest daran, dass sie beinahe herunterkrachten, ehe sie durchs Zimmer stapfte.
Ich bedankte mich spöttisch. Natürlich hatte auch ich ein paar Manieren. Nicht viele, aber völlig ausreichend.
Mit einem lauten Knall schmiss sie die Tür hinter sich ins Schloss, so fest, dass sie im Rahmen wackelte. Seufzend tastete ich nach dem bereits aufgebrochenen Energy Drink, der auf dem verstaubten Fenstersims neben meinem Bett stand. Ich kippte den Inhalt hinunter. Aber das abgestanden und widerlich süß schmeckende Zeugs konnte die stechenden Kopfschmerzen auch nicht vertreiben.
Zu allem Überfluss war meine Zigarettenschachtel bis auf ein paar Tabakkrümel leer.
Ich ließ mich wieder in das Bett mit dem löchrigen, fleckigen Spannbetttuch sinken und zog die Decke über mich. Es war schon jetzt ein scheiß Tag. Und Aufstehen bedeutete eigentlich nur, dem Tag noch zehntausend Möglichkeiten zu geben, viel schlimmer zu werden. Solange wie möglich blieb ich im Bett liegen und hing an meinem Handy rum, gab mir Zeugs auf YouTube. Ein Snippet mit ein paar krassen Kickboxern, dann ein Video über verschiedene Kampftechniken und irgendwann auch so kernbehinderten Scheiß wie die Aufnahmen russischer Dashcams.
Schließlich schleppte ich mich zum Pissen ins Bad und dann in die Küche, weil mein Magen nervig am Knurren war. Meine Alte saß am Tisch und stopfte sich Zigaretten. »N'Abend, Jonathan«, begrüßte sie mich mit einem erschöpften Lächeln.
Ich nickte ihr zu und öffnete das Gefrierfach, aus dem ich eine Fertigpizza rausholte. Pizza Diavolo, das war definitiv der geilste Scheiß, allein weil sie scharf genug war, um als vernünftiges Essen durchzugehen. Die Pappverpackung stopfte ich in den Müll, der am Überquillen war.
»Kannst du nicht versuchen, ein bisschen mehr Rücksicht zu nehmen?«, fragte mich die Alte. »Und außerdem, das kommt nicht in den gelben Sack. Mach das mal da rüber.«
Ich tat es nicht, sondern schob die Pizza in den Ofen und stellte den Timer auf fünfzehn Minuten ein. Die Alte hatte vor ein paar Wochen einen neuen Backofen besorgt, weil der vorherige den Geist aufgegeben hatte und jammerte jetzt die ganze Zeit herum, wie knapp doch die Kohle deshalb war.
Auch jetzt seufzte sie. » Weißt du, für uns alle ist das echt eine große Belastung, wenn du nachts immer so laut bist.«
»Und jetzt? Denkste, das juckt mich?«, meinte ich und griff mir eine ihrer eben fertig gedrehten Kippen vom Küchentisch. Direkt daneben thronte die Katze und haarte mal wieder alles voll. Manchmal wunderte ich mich, dass das scheiß Viech noch immer nicht verreckt war, schließlich reichte oft genug am Monatsende die Kohle nicht mehr für das Katzenfutter.
»Solltest du nicht langsam deine rebellische pubertäre Phase überwunden haben?« Sie zog die Augenbrauen zusammen.
»Halt die Fresse. Du laberst eh nur nach, was dein Stecher sagt«, erwiderte ich und zündete die Kippe an, ehe ich die Küche verließ, um duschen zu gehen. Sie sollte sich endlich mal ihre dummen Sprüche sparen, brachte doch jetzt auch nichts mehr. Mit ihrer Erziehung hatte sie längst versagt.
Und ich war verdammt froh drum.
Es war schon wieder dunkel, als ich die Stufen von der U-Bahn-Station nach oben stieg. Bis zum Einkaufszentrum war es von hier aus nicht weit. Viel war nicht mehr los, nur am Eingang hingen ein paar Pisser herum und hörten mit einer billigen Bluetooth-Box Deutschrap. Dank der miesen Qualität klang der nur noch schlechter als ohnehin schon.
Sie hatten eine Flasche Wodka bei sich und reichten sie im Kreis herum. »Boah, Bruder, ich fick dich! Ich fick dein Leben und ich fick deine Mutter!«, brüllte einer von ihnen und stürzte sich auf seinen Kumpel. Lachend gingen die beiden zu Boden.
Sie erinnerten mich daran, wie ich früher selbst mit meinen Freunden, mit Maxim, Samu, Rashid und all den anderen Wichsern, an genau solchen Orten rumgehangen hatte. Meistens auf dem Supermarktparkplatz, der nicht weit von der Schule entfernt lag.
Damals, als wir uns fühlten, als wären wir die Könige der Plattenbauten, deren Königreich die ganze Siedlung umschloss und bis hinauf zu den Bahntrassen reichte. Als hätten wir wirklich was erreicht und wären nicht nur ein paar Idioten mit viel zu großer Fresse gewesen.
Ich war verdammt froh, dass diese Zeiten vorbei waren. Jetzt ging es in meinem Leben nicht mehr darum, herumzublödeln und sinnlos irgendeinen Müll zu bauen, sondern ich setzte meine ganze Energie dafür ein, der krasseste Dealer dieser verfickten Stadt zu werden.
Und was sollte ich sagen, bisher lief es verdammt gut.
Ich steuerte auf das Kino zu, das im Erdgeschoss lag und von außen zu erreichen war. Es war so heruntergekommen wie das restliche Einkaufszentrum auch und wahrscheinlich würde es nicht mehr lange dauern, bis der Laden schließen würde. Die Filmplakate neben der Eingangstür waren verblasst
Ich drückte die überraschend blankgewischte Glastür auf und betrat das Innere, in dem es recht dunkel war. Im Gegensatz zu dem äußeren Eindruck wirkte es hier recht gemütlich, mit dicken, roten Teppichen auf dem Boden und einem großen Schwarz-Weiß-Bild von Marilyn Monroe an der Wand.
Ein paar junge Leute standen an der Kasse, während ein Kinomitarbeiter eine Tüte mit Popcorn für sie befüllte. Der Typ war Südländer und in meinem Alter. Ich ließ mein Blick durch den Laden gleiten, verschaffte mir einen Überblick über die Lage. Wer weiß, vielleicht ging das gleich total nach hinten los, dann würde es nicht schaden, würde ich wissen, wie man hier am besten wieder rauskam.
»Boah, ich freu' mich schon richtig auf den Film, bin richtig gespannt. Ich hab' im Internet gelesen, dass-«, meinte ein Mädel, das am Tresen stand. Der Geruch nach frischem Popcorn stieg mir in die Nase.
»Bitte! Keine Spoiler, Mann«, lachte ihr Kumpel und boxte sie spaßeshalber gegen den Oberarm, als sie ihr Popcorn entgegennahm.
In diesem Moment sah der Kerl hinter der Kasse in meine Richtung. Mein Blick blieb an ihm hängen und dann schaffte ich es nicht mehr, wegzugucken. Es war Fede.
Fede, den ich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Mit dem ich schon seit Monaten nicht mehr geschrieben hatte und den ich eigentlich vergessen wollte. Genau wie unseren Kuss damals.
Fuck.
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