26 | Ertrunken in Wut
Ganz gleich, wie fertig ich war, mir war schon bewusst, dass das keine besonders gute Idee war. Bisher war es noch nie eine gute Idee gewesen, nachts besoffen bei Federico aufzutauchen. Und doch ließ ich meinen Finger über die endlose Reihe an Klingelknöpfen gleiten. Fuck, was mussten hier auch so elendig viele Menschen wohnen. Konnten die nicht einfach alle verrecken? Das würde meinen heutigen Abend erheblich vereinfachen.
Ich schwankte zurück und der ganze Spaß ging von vorne los. Aydin ... Phan ... Bolschakow ... Dass sich das Schild mit den vielen Namen die ganze Zeit nach rechts und nach links bewegte, nach oben und nach unten, machte mich auch wahnsinnig. Warum konnte das Teil nicht einfach ruhig halten?
Was ein Wichser.
Da, endlich. Ich presste meinen Finger auf den passenden Knopf und sah nicht ein, ihn wieder zurückzuziehen. Wäre nämlich echt zu viel Arbeit, wieder draufzudrücken, sollte keiner rangehen.
»Hallo?«, blaffte mich eine männliche Stimme an. Sie gehörte wohl seinem Vater und es gab keinen Zweifel daran, dass er wütend war.
»Ähm, dings ...«, lallte ich und brauchte einen Moment, bis mir wieder in den Sinn kam, was das hier werden sollte. Schnell erklärte ich: »Ich will zu Fede.«
»Es ist mitten in die Nacht!«, klang seine Antwort mit deutlich empörtem Unterton aus dem Lautsprecher. »Komm anderes Mal wieder«, gefolgt von einem Knacken in der Leitung.
»Du verdammter Hur'nsohn, lass mich rein! Es is' wichtig!«, fuhr ich ihn an, doch es regte sich nichts mehr. Ich spürte die Anspannung, die durch meinen Körper jagte, für einen Moment die Erschöpfung aus meinen Knochen vertrieb. Die Härte meiner Muskeln, als ich ausholte und wütend meine Faust gegen die Betonwand hinter den Klingelschildern schlug. Schmerz durchzuckte meine Knöchel und ich taumelte zurück.
»Fuck«, keuchte ich, während der Druck aus meinen Knochen nicht verschwand. Ich biss meine Zähne aufeinander. Starrte vor mich hin. Asphaltboden, ein Abflussgitter.
Warum konnte ich nicht einfach ruhig stehen bleiben? Irgendwie funktionierte das nicht. Da, endlich. Ich spürte den unebenen Putz unter meinen Fingerkuppen und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand. Erschöpft schloss ich meine Augen.
Am besten würde ich einfach hier pennen. So im Stehen, war doch auch eine Möglichkeit. Und wenn ich schlafen würde, dann müsste ich mir auch keine Gedanken um diese elendige Ratte namens Kiral machen.
Ratten waren echt erbärmliche Tiere. Vor allem waren da die Eier so groß wie das halbe Vieh. Musste voll anstrengend sein, immer seine eigenen Hoden hinterherzuschleppen.
»Hey, Jay«, vernahm ich mit einem Mal eine Stimme neben mir. Auch sie war männlich, doch klang deutlich jünger als die von vorhin. Schwerfällig öffnete ich meine Augen, während jemand an meiner Schulter schüttelte. Da war die verrostete Eingangstür, die offenstand. Ich bewegte mich ein wenig zur Seite, blinzelte. Dort entdeckte ich auch die dunklen Locken am Rande meines Blickfelds und als ich mich noch ein wenig drehte, Fede, der vor mir stehen geblieben war. Er steckte in einer dunkelroten Sweatjacke, seine Haare waren durcheinander und das Gesicht wirkte zerknautscht.
»Alles gut bei dir?«, fragte er und ließ seine Hand auf meinem Oberarm ruhen.
Ich brauchte einen Moment, um die passenden Worte zu finden. Reden war schon irgendwie kompliziert. »Ja ... Also echt«, erklärte ich und richtete mich etwas mehr auf. So gut es ging halt. »Richtig gut.«
»Achso.« Skeptisch hob Fede die Augenbrauen und führte seine Hand von meinem Arm vor seinen Mund. Er gähnte ausführlich. »Und was machst du hier?«
»Dich besuch'n.«
»Klar, ist ja auch üblich, das nachts um vier zu machen«, lachte er, während mein Blick auf den Boden absackte. Seine Schuhe hatte er nicht geschnürt. »Bald kann ich nicht mehr zählen, wie oft du hier besoffen aufgetaucht bist.«
»Mhm.«
Einen Moment lang zögerte er, ehe er weitersprach. »Wollen wir vielleicht noch bisschen draußen rumlaufen? Ich will lieber warten, bis mein Vater pennt, bevor wir in die Wohnung zurückgehen, der war gerade nämlich echt abgefuckt. Ich hab' keinen Bock jetzt mit dem zu streiten.«
Ich schaute auf. »Nein, ich will nich' raus«, sagte ich schnell.
»Wieso?«
»Egal.«
Für ein paar Sekunden ließ Fede seinen Blick auf mir ruhen. Keine Ahnung, was der schon wieder in seinem Kopf zusammenbraute, aber es konnte mir echt am Arsch vorbeigehen. Darum schloss ich meine Augen. Auch wenn das mit dem Gleichgewicht noch anstrengender war.
»Wollen wir einfach im Treppenhaus chillen?«, fragte er. »Nur so bisschen, Papà braucht eh nicht lange, bis der einpennt.«
»Mhm.« Ich schlug die Lider wieder auf. Für einen Moment kamen mir Fedes Schultern ein wenig näher, dann wurde ich wieder zurückgedrückt. »Warum denks' du so viel, ey? Denk'n is' scheiße, niemand sollte denk'n.«
»Komm rein.« Fede hielt mir die Tür auf und ich trat ins Innere des Treppenhauses. Das gleißende Licht brannte in meinen Augen, ließ sie zu schmalen Schlitzen zusammenkneifen. Ein paar Schritte stolperte ich nach vorne, dann waren dort endlich die Stufen, auf die ich mich sinken ließen. Der Beton unter mir fühlte sich verdammt kühl an, genau wie die durchnässte Jogginghose, die an meinen Beinen klebte.
Ich ließ meine Lider zufallen und bettete den Kopf auf meinen Knien, ehe ich ihn unter meinen Händen vergrub. Neben mir fühlte ich einen leichten Lufthauch.
»Ist dir kalt?«, vernahm ich direkt neben mir. »Du zitterst.«
Entschieden schüttelte ich den Kopf und drehte ihn so, dass ich Fede von der Seite sehen konnte.
»Ich könnt' dir nur meine Jacke anbieten.« Lachend griff er an den Saum seiner Sweatjacke und hob den Stoff an, ehe er ihn wieder fallen ließ.
»Nee ... passt.«
»Aber ernsthaft, Jay, Respekt.« Auch ohne ihn zu sehen, war ich mir sicher, dass er gerade ein fettes Grinsen auf den Lippen hatte.
»Mhm?«
»Für deinen Gestank. Dieses Level muss man auch erst einmal schaffen.«
Es war so bequem, meinen Kopf auf den Knien abzulegen. Endlich mal nicht zu stehen, tat so verdammt gut. Türenschlagen war zu hören, hektisches Klappern von Schuhen in dem Treppenhaus, Fede, der meinen Arm streifte. Geruch von Parfum, wieder Türenschlagen.
»Ey, du«, lallte ich. »Könntes' du jemand' erschieß'n?« Die Worte verließen nur langsam meine Lippen und erst spät wurde mir klar, was ich hier für einen unfassbaren Bullshit laberte. Fede mochte vielleicht heiß aussehen, aber das war kein Grund, ihm die Scheiße aus meinem Gehirn anzuvertrauen. Verdammt.
»Nein.« Im Gegensatz zu meiner Aussage kam seine Antwort viel zu schnell und entschlossen. War doch typisch, ganz ehrlich. Dass er einer dieser Typen mit besonders viel Moral war, die sich für was Besseres hielten, weil sie niemanden erschießen konnten. Wow. Da hatte er wirklich was erreicht.
»Kann auch keine Mensch'n töt'n.« Meine Stimme war leise, ihre Stille verlor sich in dem mittlerweile dunklen Treppenhaus. Was zum Fick auch immer mit dem Licht passiert war.
»Musst du zum Glück ja auch nicht.« Fede warf mir ein aufmunterndes Grinsen zu, das ich nicht erwidern konnte. Es auch gar nicht wollte, dafür fühlte sich auf einmal alles viel zu beschissen an.
Vor allem seine Antwort. War doch typisch, dass ein Streber wie er absolut keine Ahnung hatte.
»Alter, weißt du was?« Ich gab mir Mühe die Augen aufzuhalten und Fede mit meinem Blick zu fokussieren, auch wenn das gar nicht so einfach war.
»Mhm?«
»Manchmal hass' ich dich. Du has' so'n richtig ekliges Klugscheißer-Grinsen. Verdammt, das sollt' dir en'lich einer ausser Fresse schlag'n.« Der Ernst in meiner Aussage war definitiv nicht zu überhören, auch wenn ich nicht verstehen konnte, warum ich auf einmal so wütend klang.
Fede ließ sich nicht von meinen Worten verunsichern und hob nur provokant die Augenbrauen. »Mach doch. Wir wissen alle, wie's beim letzten Mal geendet ist, als wir uns geprügelt haben.«
Mein Blick blieb an seinen Lippen hängen und für einen Moment fühlte sich die Knarre, die ich immer wieder vor meinem inneren Auge aufflackern sah, gar nicht mehr so echt an. Da war viel mehr die Vorstellung, wie ich ihn packen würde. Meine Hände in seinen dunkelbraunen Locken vergraben und meine Lippen auf die seinen pressen.
Vielleicht sollte ich es echt machen. Ihn einfach küssen.
Diesem Wichser entging es nicht. »Das war jetzt keine Anspielung darauf, dass ich dich nochmal küssen wollte«, grinste er und ich nahm mir fest vor, irgendwann sämtliche Selbstgefälligkeit aus ihm rauszuprügeln. Oder zu vögeln, könnte ja auch eine Option sein. »Sondern auf deine Unterlegenheit damals.«
»Bastard«, zischte ich und wischte mir mit dem Handrücken über den Mund. Sabber blieb auf meiner Haut zurück. »Weiß'e eigen'lich, wie viele Weiber aus dieser Stadt mit mir ficken woll'n? Warum sollt' ich dann mit dir rumlecken?«
Hoffentlich tat ihm das weh. Genauso wie ich eben das Stechen in meinem Brustkorb gefühlt hatte, dieses unangenehme Zusammenziehen, wie wenn man dort bei einer Prügelei einen zu harten Schlag kassiert hatte.
»Du nervs'«, fuhr ich fort, als um seine Lippen herum nur ein belustigter Zug auftauchte. Ich stieß ihn grob zurück. Naja, so grob wie ich es schaffte. Irgendwie war mein Griff nämlich nicht besonders fest und Fede bewegte sich kaum nach hinten.
»Klar, darum tauchst du auch immer wieder bei mir auf.«
»Is' doch auch egal, ganz ehrlich. Von dir kann man eh keine Hilfe erwart'n, weil du die ganze Zeit damit beschäftigt bis', dich geil zu fühl'n. Du bis' wie andere immer denken, dass ich bin«, presste ich hervor, während der Alkohol die Welt um mich herum verschwimmen ließ. Sie war wahrscheinlich eh längst in der grenzenlosen Wut dieses Abends ertrunken.
»Fick dich«, setzte ich noch hinzu und versuchte, mich auf die Beine zu bringen. Nach ein paar Versuchen und mithilfe des Treppengeländers gelang mir das auch und ich steuerte auf die Eingangstür zu. Warum musste die eigentlich so weit entfernt sein? Und irgendwie schien sie auch nicht näher zu kommen. Nur das Geländer schwankte von rechts nach links. Und wieder umgekehrt.
Wer dachte sich eigentlich so einen Scheiß aus? Und so etwas sollte lustig sein?
In diesem Moment fühlte ich, wie sich Finger um mein Handgelenk legten und mich so am Weitergehen hinderte. Ich wirbelte herum, meine Umgebung begann zu rasen. Treppen. Tür. Vollgekritzelte Wand. Immer abwechselnd. Dann gleichzeitig.
»Jay, ich glaube, es ist besser, wenn du hier bleibst«, sagte Fede mit fester Stimme und suchte meinen Blick. Aber das konnte er mal lange versuchen, ich würde den garantiert nicht erwidern. Nicht, dass mein Kopf wieder auf so eine dumme Scheiße kam und sich vorstellte, den zu küssen.
»Warum brauchst du meine Hilfe?«, hakte Fede nach. Die Frage klang ehrlich, aber ich hatte dennoch keinen Bock mehr auf ihn. Heute war ein schlechter Tag, um sich über mich lustig zu machen und nach allem, was geschehen war, konnte ich das garantiert nicht gebrauchen.
»Lass mich, du Wichser«, zischte ich und versuchte mich loszureißen. Doch das klappte weniger gut als gewollt und der einzige Schritt, den ich erreichte, was, dass ich ein bisschen zurückstolperte.
Fede zog mich wieder an sich heran. Seit wann war dieser Typ eigentlich so stark und konnte so mit mir umspringen? Das machte doch keinen Sinn. Überhaupt nicht.
»Was ist passiert, Jay?« Ernsthaft ruhte sein Blick über mir.
Fast fluchtartig verließen die Worte meinen Mund und nichts fühlte sich besser an, als ich sie ausgesprochen hatte. Jetzt wurde es nur noch realer. »Kiral wird mich verdammt nochmal zerfick'n. Weil ich den Typ nich' getötet hab, verstehs' du?«
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