16 | Nur ein bisschen cool

Irgendwie war es schon in dem Augenblick klar, dass es Fede sein musste, als ich dort ‚Jay' las. Kein Mensch laberte einen so oft mit dem eigenen Namen an wie er. Das war auch so eine Sache, die ich echt unnötig fand.

Ich ließ meinen Blick für einen Moment auf dem Display ruhen. Irgendwie war das ziemlich krass. Ich hatte nicht ansatzweise damit gerechnet, eine Nachricht von ihm zu bekommen. Scheiße, das war cool. Also ein bisschen halt. Weil das so unerwartet war und so, mehr nicht.

»Was grinst du eigentlich so bescheuert?«, drang im Moment Tareks dunkle, immer ein bisschen schleppende Stimme zu mir durch. Moussa quatschte noch immer mit den anderen Typen oder besser gesagt: ließ sich volllabern. Er machte natürlich nicht besonders oft den Mund auf.

»Nichts«, lachte ich und sperrte mein Handy, ehe ich es auf den Tisch mit den Kratzern im dunklen Lack legte. »Mir hat nur so 'n Weib geschrieben, dass sie's nötig hätte, ordentlich durchgefickt zu werden, aber Alter, denks'e, ich bin bescheuert? Als ob ich zweimal dieselbe Olle fick'.«

»Manchmal bist du echt komisch. Was'n so schlimm dran, zweimal dieselbe zu ficken?«, seufzte Tarek und lehnte sich breitbeinig zurück, ehe er seine Hände über seinem Bauch verschränkte. »Oder zehnmal?«

»Erstens machen die sich dann voll die Hoffnungen, als ob ich die gleich heiraten will oder so, und nee, das kann ich echt nicht brauchen. Und da ist auch das Risiko, dass ich nachher so 'ne Fotze am Hals kleben hab', die sich total in mich verliebt hat.«

»Das tun die doch eh nicht«, grinste er. »Ich mein', so scheiße wie du zu Frauen bist, müssten die ja lebensmüde sein und dings, wie heißt das?«

»Keine Ahnung, was du meinst.«

»Wenn man darauf steht, dass andere einem wehtun. Maso-irgendwas.«

»Was auch immer.« Ich griff meine Zigarettenschachtel vom Tisch und schob mir eine zwischen die Lippen.

»Ich würd' mich jedenfalls nich' in dich verlieben, wenn ich ein Weib wär'«, lachte Tarek. »Nee, echt nicht.«

»Denkst du, ich würd' mich in dich verlieben? Im Leben nich'.« Der Spott in meiner Stimme war nicht zu überhören. »Hätte doch keinen Bock, beim Sex zerquetscht zu werden oder so, oder mit meiner Lippe in deiner Zahnlücke feststecken zu bleiben.«

Er schüttelte grinsend den Kopf. »Endlich wirst du mal kreativ, was deine Beleidigungen angeht. Ich dachte schon, du bleibst für immer dabei, mich einfach Wichser zu nennen.«

»Aber ich bin eh grundsätzlich gegen Verlieben«, fuhr ich fort und legte das Feuerzeug zurück auf den Tisch, nachdem ich mir eine Kippe angezündet hatte. »Zum einen ist das hart die Zeitverschwendung, zum anderen sind Gefühle sowas richtig unnötiges, das einen schwach macht. Das brauch' ich nicht.«

»Tu mal nicht so einen auf krass. Jeder verliebt sich mal.« Tarek seufzte und wieder einmal machte er auf buddhistischen Mönch, der mir gerade die Welt erklären wollte oder so. So etwas hatte mir gerade noch gefehlt. Ich wusste schon, was ich aus meinem Leben machte, da brauchte ich keine ach so weisen Ratschläge.

»Sagst du nur, weil du nicht über deine komische Ex hinweg bist, aber genau das is' doch das Problem daran.« Ich hob die Augenbrauen, wohlwissend, dass ich damit in einer Wunde herumstocherte. Schließlich trauerte Tarek dem Weib immer noch hinterher, obwohl seit ein paar Monaten Schluss war, weil er ihrer Meinung nach zu wenig aus seinem Leben machte.

»Bei dir kommt auch noch eine, auf die du richtig hart stehst. Das' menschlich. Und irgendwie bin ich mir total sicher, dass sie so 'ne richtig große Fresse haben wird und sich nicht so scheiße von dir behandeln lässt wie andere Frauen.«

Spöttisch lachte ich auf. Der sollte mal weiter träumen, grundsätzlich fickte ich nämlich nur irgendwelche Ollen, die sich von mir alles gefallen ließen. »Als ob ich was mit jemanden anfang', der kein' Respekt hat.«

»Jaja.« Tarek schüttelte grinsend den Kopf und griff nach seinem Shishaschlauch, den er auf dem Tisch abgelegt hatte.

Ich verdrehte die Augen und sah auf den Bildschirm, wo das Fußballspiel mittlerweile beendet war und der Moderator einen Spieler interviewte, dessen viele Tattoos seine hässliche Hackfresse auch nicht mehr wettmachen konnte.

Eine Weile später erhob ich mich. »Bin mal pissen«, verkündete ich und schob mein Handy, das bisher neben der Schale mit den Salzstängelchen auf dem Tisch gelegen hatte, in die Hosentasche. Als ob ich das hier lassen würde. War dann auch wieder zu viel an Vertrauen.

Schon seit ich regelmäßig in diesem Laden ging, funktionierte bei einem von zwei Pissoirs die Spülung nicht mehr. Genauso wenig tat das Licht seinen Dienst, sodass Pinkeln direkt viel nerviger war. Als ich fertig war, lehnte ich mich ohne Hände waschen an die verflieste Wand und entsperrte mein Handy. Öffnete meine Chats und ignorierte die neue Nachricht einer Kundin, sondern drückte auf Fedes Profilbild.

Er saß auf einer grünen Wiese, die Beine in den Schneidersitz gezogen und unterhielt sich mit jemandem, den man auf dem Bild nicht sehen konnte. Ein Lachen lag auf seinem Gesicht und die Augen hatte er in der Sonne ein wenig zusammengekniffen. Die rechte Hand hielt er gestikulierend in der Luft. Er trug seine ausgelatschten roten Chucks, dazu eine schwarze Hose mit einem Loch am Knie. Sein Langarmshirt war ausgeleiert und er hatte es an den Ärmeln hochgeschoben.

Was auch immer er an den Teilen so geil fand. Die gehörten neben Hemden und Anzügen zu den Sachen, die ich nie, absolut niemals anziehen würde. Zum einen sah darin selbst ein Kerl mit Stiernacken wie ein Lauch aus, zum anderen war diese Art von Kleidung langweiligen Strebern vorbehalten.

Wie Fede halt.

Ich las die Nachricht nochmal, dann entschied ich mich, erst später zu antworten. Schließlich hatte ich noch bessere Sachen zu tun, als die ganze Zeit am Handy zu hängen. War ja kein so'n hobbyloser Spacko.

Warum meldete er sich überhaupt wieder, nachdem er letztens so hart abgefuckt von mir gewesen war? Aber naja, konnte mir auch egal sein.

Als ich mich wieder zu meinen Kumpels an den Tisch setzte, klopfte mir Tarek lachend auf die Schulter. »Hast Verstopfung oder was ging das so lang?«

»Halt die Fresse, du Missgeburt«, zischte ich und bedachte ihn mit einem aggressiven Blick. Bisher hatte ich ihm noch nie aufs Maul gehauen, aber heute zog ich es definitiv in Erwägung.

»Ich liebe es, dass du so ein unfassbar freundlicher Mensch bist. Du hast immer so eine friedliche Ausstrahlung.« Tarek lehnte sich grinsend zurück, während ich mich wegdrehte und ich mich in dem kleinen Hinterzimmer umsah.

»Ey, Alter, hast nochmal welche?«, wandte ich mich an Aziz, der mit einem Metallkörbchen voll glühender Kohlen vorbeilief und sie bei dem ein oder anderen austauschte.

»Immer«, sagte er mit einem breiten Grinsen und nutzte seine Metallzange, um die Kohlereste von dem Kopf meiner Shisha zu nehmen. Mit geübten Bewegungen tauschte er die Stückchen aus. Stimmengewirr erfüllte den kleinen Raum, legte sich über das Gelaber aus dem Fernseher und meine Gedanken wanderten an die Nachricht zurück. Was ich zurückschreiben könnte.

Alter. Darüber wollte ich jetzt echt nicht nachdenken. Eigentlich spielte es gar keine Rolle, dass er mir geschrieben hatte.

Ich ließ mir Zeit mit meiner Antwort, bis ich ein paar Stunden später auf meinem Bett saß. Vor mir eine fette Salamipizza mit scharfen Peperoni und daneben mein Laptop mit einem Stream von Scarface in der Originalfassung. Ich liebte diese alten Gangsterfilme, die nicht so ein überzogener Bullshit waren wie das Zeugs, das man heute im Kino sehen konnte. Unzählige langweilige Explosionen waren nichts im Vergleich zu der drückenden, beklemmenden Atmosphäre, die in solchen Filmen herrschte. Das war einfach geiler Scheiß.

Während das Intro über den Bildschirm flackerte, nahm ich mein Handy in die Hand und öffnete den Chat mit Fede. Keine Ahnung, was ich darauf jetzt schreiben sollte.

Durch meine Jalousien fiel ein wenig Licht von den Straßenlaternen her herein, ansonsten erhellte nur das Flackern meines Laptops und das bläuliche Leuchten meines Handydisplays den Raum. Nachdenklich ließ ich meinen Finger über der Tastatur schweben.

Verdammt, das konnte doch nicht so schwierig sein. Es ging nur um eine bescheuerte Nachricht.

Und irgendwie auch um mehr. Um eine weitere Chance, dass wir uns doch nochmal besser kennenlernen konnten. Anfreunden und sowas.

Was erwartest du, antwortete ich dann. Also wie ich dich anschnauzen werde

Ich legte mein Handy zur Seite und schob mir das erste Pizzastück in den Mund, das langsam kalt wurde. Während ich den Aufstieg von Tony Montana von einem lächerlichen Aushilfsjobber zu einem gefürchteten Drogenbaron verfolgte, bekam ich keine neue Nachricht von Fede.

Wahrscheinlich pennte der Streber schon. Musste morgen früh in der Schule natürlich fit sein, um sich ja auch in jedem Fach unzählige Male melden zu können und den Lehrern sein Wissen in die Fresse drücken.

Wenig später stand ich in Boxershorts vor unserem verschmutzten Spiegel mit dem vollgestellten Ablagefach – von leeren Nagellacken über pinke Damenrasierer, deren Klingen mit dunklen Haaren verstopft waren, tummelte sich da aller möglicher Scheiß. Zähne putzen war auch so eine nervige Scheiße, die ich auf ein absolutes Minimum beschränkte. Gelangweilt fuhr ich mit der Bürste in meinem Mund herum, als mein Handy aufleuchtete.

Okaaay, also: Irgendsowas standartmäßiges wie "Halt die fresse" oder "fick dich, scheiß streber" (weil es dir scheinbar sehr viel spaß macht, mich so zu nennen), hatte Fede geschrieben.

Direkt darauf tauchte eine weiße Sprechblase in dem Chat auf. Oder du zeigst mir einfach den Mittelfinger, aber ich weiß nicht ob ich sowas krasses verkraften würde

Und noch eine. Ganz vielleicht drohst du mir damit, wieder mit leonardo zu saufen oder so.

Einhändig begann ich zu tippen. Okay krasse theorien, streber

Sonst keine beleidigung?

nope

Scheiße, mann, du wirst langweilig

Ich spuckte die Zahnpasta ins Waschbecken und legte die Bürste, an der ein paar weiße, vertrocknete Reste klebten, bei den anderen Sachen ab. Ne. Nur unvorhersehbar, erwiderte ich, während ich das Bad verließ und durch den Flur lief. Aus keinem der anderen Zimmer drang noch Licht, die Wohnung lag in friedlicher Stille da. Ganz im Gegenteil zu unseren Nachbarn, von denen immer wieder streitende Stimmen zu hören waren.

Wenn das so ist

Eigentlich fand ich es absolut bescheuert, so sinnlos mit Menschen hin- und her zu schreiben und versuchte so dummes Gelaber am Handy immer so weit wie möglich zu vermeiden, aber bei ihm war das irgendwie anders.

Was machst du?, tippte ich darum ein, als ich zurück in meinem Zimmer war und mich dort auf meinem Bett niederließ. Ich lehnte mich gegen die Wand. Im Flur waren Schritte zu hören, wahrscheinlich hatte meine Alte wieder Frühschicht.

Ich guck noch ne doku auf youtube, über kosmische strahlung und esse mandorlini. Und du?

Ob er gerade wohl auch in seinem Bett lag? Vielleicht war das Licht schon aus und er hatte Kopfhörer in den Ohren, weil Leonardo auf der anderen Seite pennte.

Was das

Eine ganze Weile lang wurde mir neben seinem Profilbild angezeigt, dass er gerade tippte, bis dann seine neue Nachricht auftauchte. Also kosmische strahlung ist mega faszinierend. Stell dir vor, sie prasselt ständig auf uns ein und hat eine extrem hohe energie aber wir bemerken davon gar nichts. Können sie weder sehen noch spüren. Woher genau sie kommt ist auch noch nicht endgültig geklärt obwohl es viele theorien gibt. Je weiter man sich von der erde und ihrem magnetfeld entfernt dest so höher ist, deshalb muss man das bei raumfahrt auch mit ein kalkulieren

Wahrscheinlich platzte er gleich vor Begeisterung, endlich mal wieder über seine komischen Sterne reden zu können. Das wollte mir auch nicht in den Kopf reingehen. Warum Leute so krass leidenschaftlich von einem Thema sprechen konnten.

War jetzt auf das mandodingsda bezogen. Als ob mich so astrozeugs juckt

Aber italienisches gebäck tut es oder was?, schrieb er zurück und auch wenn ich ihn nicht sehen konnte, war mir klar, dass ein freches Grinsen über sein Gesicht huschte. Verdammt, ich konnte es mir viel zu gut vorstellen. Das ist so zeugs aus mandeln, das ist echt geil

Mandwln sind wiederlich, antwortete ich. Die Dinger waren echt fast so schlimm wie Kokos. Allgemein Nüsse. Wer sich sowas freiwillig gab, musste ja auch komplett durch sein.

Probiers mal wenn du kommst, das kann man nicht nicht geil finden :D

Ok, schrieb ich und sperrte dann mein Handy, ehe ich es auf der staubigen Fensterbank ablegte. Reichte jetzt auch, kein Bock noch weiter so sinnlos rumzuschreiben.

Ich drehte mich auf die Seite und zog mir meine Bettdecke über den Körper. Angenehme Wärme umhüllte mich. Die Heizung gab nervige Geräusche von sich, so ein Blubbern, dann ein Rauschen, aber heute nervte mich das noch nicht einmal. Kurz kam mir Tarek in den Sinn und wie er neulich gefragt hatte, was mich denn glücklich machen würde. Ich dachte daran, dass ich ihm das garantiert nicht so sagen würde – aber dieses Gespräch hatte es irgendwie geschafft.

Und eigentlich war's doch ganz schön, glücklich zu sein.

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