14 | Fast Geschäftspartner

»Boah, was macht das Drecksbalg hier?«, seufzte ich, als ich hinter Tarek in das Wohnzimmer trat. Auf dem dunklen Parkettboden mit dem roten, orientalischen Teppich darauf saß die Tochter seiner Schwester und spielte mit einem Feuerwehrauto. Als würde das nicht reichen, gab sie nervige, piepsige Geräusche von sich.

»Ich spiel heute Babysitter, weil Suraya feiern will«, erklärte Tarek, während ich mich auf seine fette Ledercouch fallen ließ. Auch er nahm darauf Platz und ließ ein Seufzen von sich verlauten.

Die eine Wand wurde beinahe gänzlich von einem große Flachbildfernseher eingenommen. Dazu fette Boxen, die einem das Gefühl gaben, man säße im Kino. Aber keine Ahnung, warum er so viel investiert hatte, wenn er darauf eh nur RTL2 guckte und keine geilen Filme.

In diesem Moment kam Suraya aus der Küche und ihr süßliches Parfum stieg in meine Nase. »Oh, hi, Jonathan«, grinste sie. Seit Tarek ihr einmal erzählt hatte, dass ich gar nicht Jay hieß, machte sie sich einen Spaß daraus, mich bei meinem vollen Namen zu nennen. Richtig kreativ, auf die Idee war ja noch keiner gekommen.

Irgendwie fand ich's richtig lustig, wenn Leute mich damit abfucken wollten und es mich hart nicht juckte. Meine Fresse, es ging um einen Namen, nichts, das mich provozieren würde.

»Findest du nicht, dass es 'ne scheiß Idee ist, das Kleine allein mit zwei Dealern zu lassen?« Ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, den Abend ohne diese nervige Kreatur zu verbringen. »Ich mein', vielleicht geb' ich ihm ja bisschen Kokain zum Spielen. Rein zufällig natürlich«, fuhr ich mit einem fiesen Grinsen fort.

»Ach, ich vertrau meinem Bruder. Der ist insgeheim superlieb und dich hat er ja bestens im Griff.« Sie grinste und es war einzig meiner Loyalität zu Tarek zu verdanken, dass ich ihr nicht längst in die Fresse geschlagen hatte.

Wie immer trug sie ihr Kopftuch locker um die braunen Haare geschwungen, die an manchen Stellen darunter hervorguckten. Dazu auffälliges, dunkles Make-up und große, goldene Ohrringe.

»Los jetzt, du kommst noch zu spät«, meinte Tarek, der seine Füße auf dem Couchtisch zwischen seiner Zigarettenschachtel, der Glasschale mit den Sonnenblumenkernen und der Fernbedienung abgelegt hatte.

»Also viel Spaß euch, Jungs, und schön brav bleiben, ja?«, grinste Suraya und schulterte ihr schwarzes Handtäschchen, ehe sie ihrer Tochter lächelnd durch die Haare wuschelte und uns dann zuwinkte.

»Such dir irgendein' reichen Kerl«, grinste Tarek, als sie das Zimmer verließ. Für einen Moment war noch das Klackern ihrer hohen Schuhe zu hören, dann wie die Wohnungstür ins Schloss gezogen wurde.

»Vorschlag: Wir werfen das Kind aus'm Fenster«, meinte ich, während mein Kumpel seine Füße vom Tisch schwang. Er erhob sich von der Couch, zog seine ausgeleierte Jogginghose hoch und trat durch die offenstehende Küchentür. Der Raum grenzte direkt an das Wohnzimmer.

»Was hast du eigentlich gegen Kinder?«, hörte ich ihn lachen, als er in der Küche rumorte.

Ich schmiss das Gras auf den dunklen Tisch und bemerkte, wie mich das Kind neugierig ansah. Zwei kurze, braune Zöpfe standen von ihrem Kopf ab, dazwischen waren pinke Haarspängchen befestigt.

»Schmeckt das gut? Kann man das essen?«, fragte sie und deutete auf die Drogen auf dem Tisch, während sie mit der anderen Hand weiterhin das Feuerwehrauto herumfahren ließ.

»Nerv mich nicht, du Missgeburt«, pampte ich die Kleine an, auf deren Gesicht ein wütender Ausdruck auftauchte.

»Das ist voll fies! Mama sagt, das darf man nicht sagen!«

»Alter, Jay, is' gut jetzt.« Tarek kam mit einer Feinwaage, einer Aldi-Tüte voll kleinen Plastiktütchen, zwei Gläsern und einer Flasche Whisky auf dem Arm zurück. All die Sachen stellte er auf dem Couchtisch ab. »Du wirst es überleben, mal'n Abend mit 'nem Kind zu verbringen.«

Ich biss die Zähne aufeinander, weil wahrscheinlich jede Antwort lächerlich gewirkt hätte. Die Couch senkte sich ein wenig, als Tarek darauf Platz nahm und wir machten uns daran, das Gras abzuwiegen und in kleine Portionen zu verpacken. Das kleine Mädchen sah uns nochmal neugierig an, ehe es sich wieder seinem Feuerwehrauto widmete und mit brummenden Geräuschen herumfuhr. Wenigstens nicht so scheiße hyperaktiv wie Federicos Schwestern.

»Ich liebe Assi-TV«, seufzte Tarek mit etwas Gras in der Hand und stellte den Ton ein wenig lauter. Auf dem Fernseher war zu sehen, wie sich so eine fette Olle vor ihrem Date in Frischhaltefolie einwickelte, um dünner zu wirken. Keine Ahnung, was das für Hurensöhne waren, die so minderbemittelte Drehbücher schrieben, aber ich fand sie echt bemitleidenswert. »Das macht mich irgendwie glücklich.«

»Wie Klassik beim Autofahren hören und damit alle Leute abfucken. Dich machen echt seltsame Sachen glücklich.« Ich griff nach meinem Whiskyglas und nahm einen Schluck daraus.

Kopfschüttelnd lachte er, ehe er mir seinen Blick zuwandte. Etwas Ernsthaftes tauchte darin auf, irgendwie auch ehrlich Interessiertes. »Was macht dich eigentlich glücklich?«

Ich warf eines der fertiggepackten Tütchen zu den anderen und zögerte einen Moment. Keine Ahnung, Glück war doch irgendwie eine komische Sache. Die meisten Sachen, die glücklich machten, brachten einem auf lange Sicht betrachtet irgendwie gar nicht so viel. Ich konzentrierte mich lieber auf meine Ziele. Die Sachen, die ich noch erreichen würde. »Sport. Sex. Dummen Schlampen die Seele aus'm Gehirn ficken«, antwortete ich dann.

»Dafür hast du erstaunlich wenig Sex.« Grinsend hob er die Augenbrauen.

»Wenn ich will, könnte ich jedes Weib dieser verdammten Stadt flachlegen. Find' das nur meistens ziemlich zeitverschwendend.«

»Jaja.«

»Außerdem, was war das letzte Mal im Xenon?«

»Okay, okay, schon gut. Wir halten fest: Jay, der krasseste Aufreißer von ganz Berlin.«

»Denk halt, was du willst.« Ich verdrehte meine Augen und widmete mich wieder dem, was zu tun war. Schweigend gingen wir unserer Arbeit nach. Während die Stille nur manchmal von Tareks Gelaber über die Fernsehshow und seinem kurzen Anruf beim Lieferservice durchbrochen wurde, wanderten meine Gedanken an den Morgen zurück. Dass es eigentlich zuerst richtig cool gewesen war mit Fede, als er das Brot geschmiert hatte. Wir hatten miteinander gelacht und irgendwie war das alles so kumpelhaft wie früher gewesen.

Ein paar Grasbündel auf die Waage legen, immer ein bisschen weniger als exakt ein Gramm. Dann rein in das Tütchen, nächstes. Mechanische Arbeit, die manchmal nervtötend und manchmal echt entspannend sein konnte.

Ach, fuck.

Ich hätte mich wahrscheinlich echt anders verhalten sollen. Nicht nur, weil meine Aktion echt verdammt uncool gewirkt haben musste, sondern auch, weil's irgendwie ein doofes Gefühl war, dass Fede so genervt von mir gewesen war. Weil es dadurch jetzt auch richtig lächerlich wirken würde, würde ich nochmals bei ihm auftauchen.

Das würde ich auf keinen Fall tun. Scheiß auf den.

War jetzt halt so.

»Du bis' so ruhig, Alter. Was los?«, vernahm ich auf einmal Tareks Stimme von der Seite. Er hatte seine dicken, in der Mitte beinahe zusammenwachsenden Augenbrauen zu einem nachdenklichen Blick zusammengezogen.

»Junge, ich bin keiner, der rumlabert, sollteste langsam wissen.« Ich stopfte das Gras in eines der Tütchen und schmiss es zu den anderen.

»Aber normal bist du für jedes Gespräch über Weiber zu haben. Und auch wenn du nur sagst, dass es zeitverschwendende Scheiße ist, darüber zu reden.«

»Nerv nicht, alles gut, Alter«, erwidere ich gereizt und greife nach der Whiskyflasche, um mir nach zu schenken.

In diesem Moment legte sich das Schrillen der Wohnungsklingel über seine Stimme. »Geil, Mann, das muss das Essen sein«, grinste Tarek und erhob sich schwerfällig.

Es dauerte ein paar Augenblicke und aus dem Flur drang die Unterhaltung zwischen ihm und der Lieferbotin zu mir, dann kehrte er mit einer Plastiktüte in der Hand zu mir ins Wohnzimmer zurück. Ich schob das Gras zur Seite und schaffte so Platz für die Essensboxen aus Styropor, die er nun auspackte. Wir hatten bei dem Inder bestellt, bei dem wir immer mal wieder was holten. Der hatte echt geiles scharfes Zeug und es war Tarek echt zu Gute zu halten, dass er einen vernünftigen Geschmack hatte.

»Ich will auch!«, meinte in diesem Moment die Kleine und schob das Feuerwehrauto schwungvoll aus Tareks Wohnzimmerschrank aus dunklem Holz.

»Komm her«, lachte er und schlug mit den Händen auf seine Oberschenkel.

Sie kletterte auf seinen Schoß und patschte mit ihren Kinderhänden auf seiner Brust herum. »Hunger!«

Ich machte mich über mein Curry her und sah auf den Fernseher, wo mittlerweile eine dieser komischen Messie-Sendungen lief. Währenddessen teilte Tarek sein Essen mit der kleinen Nervensäge, die schmatzende Geräusche von sich gab.

»Was' das mit Kiral jetzt eigentlich?«, fragte er irgendwann und schob sich die Plastikgabel in den Mund.

»Hab' für ihn so 'nem Kerl auf die Fresse gehauen und er meinte, dass er sich nochmal meldet. Also Kiral, nicht der Typ.«

Tarek ließ seinen Blick für einen Augenblick nachdenklich auf mir ruhen und fuhr mit der Zunge über die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen. »Warum musst du dich eigentlich genau immer mit den Leuten einlassen, vor denen ich dich warne?«, seufzte er, während das Kind von seinem Schoß rutschte und sich die Fernbedienung schnappte.

»Ich spiele gerne mit dem Feuer.« Ich kratzte den letzten Rest des Reises aus der Verpackung, die ein ekelhaft quietschendes Geräusch von sich gab. Dann schmiss ich sie auf den Tisch, die Plastikgabel purzelte zur Seite.

»Hast jetzt das Drehbuch von irgend'nem Gangsterfilm auswendig gelernt?«, spottete Tarek.

Ich warf ihm einen genervten Blick zu, während über den Fernseher die verschiedensten Programme flackerten. Tagesschau. Sport. Eine kitschige Liebeskomödie.

»Ohne Witz, ich frag' mich, was man tun kann, um dich mal nicht genervt zu sehen. Obwohl, das bist wahrscheinlich nicht mehr du.«

»Haha.« Ich verdrehte die Augen und legte meine Füße auf dem Couchtisch ab. Dort lag immer noch das Gras, von dem wir noch eine ganze Menge einzupacken hatten. Ich spürte Tareks Blick auf mir ruhen, als ich mein Handy herausnahm und meine Naschrichten checkte. Etwas Bedeutendes war nicht dabei.

»Ey, Jay, du weißt, dass ich sowas nicht sag', weil ich dir auf'n Sack gehen möchte, sondern, weil du mir wichtig bist«, fuhr er fort. Ernsthaftigkeit lag in seiner Stimme.

Ich hob meinen Kopf und sperrte mein Handy, das ich in meiner Hand behielt. »Kitsch nicht so rum.«

»Du kennst die Geschichte mit meinem Bruder.« Tarek stellte seine leere Verpackung auf die meine und schob dann ein bisschen von dem Gras zur Seite, um Platz auf dem Tisch zu schaffen.

»Der abgestochen wurde und seither im Rollstuhl sitzt. Ja.«

»Was nicht passiert wäre, wäre ich damals kein egoistischer Wichser gewesen und ihn da nicht mit reingezogen hätte, um mehr und mehr Kohle zu machen.« In diesem Moment schnappte sich die Kleine eines der Tütchen, doch Tarek reagierte schnell und riss es ihr aus der Hand. »Hey, shile idik! Haydol mich la ilik«, ermahnte er sie. Sein Tonfall klang streng, jedoch nicht aggressiv.

»Und jetzt hast du irgendeinen Helferkomplex«, sagte ich schulterzuckend und streckte mich, um meine Kippen vom Tisch zu nehmen. Ich schob mir eine zwischen die Lippen.

»Kann man mit dir eigentlich keine ernsthaften Gespräche führen?« Auf einmal klang er ziemlich gereizt. Er schmiss das Gras auf den Tisch und stützte seine Hände auf seinen Oberschenkeln auf.

Ich ließ mein Feuerzeug aufflammen. »Tun wir doch gerade.«

»Wär' einfach schön, wenn dann nicht immer irgendeine angepisste oder herablassende Antwort kommen würde, sondern du mir zuhören würdest.«

»Ich hab' halt keinen Bock, dass du einen auf Vater machst und mir die ganze Zeit vorschreibst, was ich tun soll. Alter. Meine Eltern hat es nich' mal gejuckt, als ich klein war«, erwiderte ich und inhalierte.

»Weißt du, ich kenn' Kiral von früher. Der Typ hat absolut keine Moral und der braucht Leute wie dich, für die die Scheiße ausbaden. Wart's ab, der fängt mit so harmlosem Scheiß an und bald lässt er dich für seine eigene Kohle ins offene Messer laufen. Ist dir das echt wert?«

Ich zuckte mit den Schultern und streckte mich mit der Kippe im Mund, um dem Kind die Fernbedienung aus der Hand zu reißen. Ich stellte den Ton ein wenig lauter. Gespräch beendet.

Er würde eh nie raffen, warum es mir so wichtig war, mich mit mächtigen Leuten wie Kiral gutzustellen. Warum ich immer mehr haben wollte. Tarek war anders als ich. Er war zufrieden mit dem, was er hatte – er hatte nie nach mehr gestrebt. Solange er genug Kohle für Fressen hatte und gutes Koks ziehen konnte, fehlte ihm nichts.

Aber andererseits hatte er schon weit mehr erreicht als ich, das musste man ihm lassen. Er verkaufte längst nicht mehr an die Leute auf der Straße, sondern nur noch größere Mengen an Dealer, die das Zeugs weitervertickten.

Aber egal, auch das war nur noch eine Frage der Zeit.

Wenn ich mich nicht ablenken ließ.



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Hey, shile idik! Haydol mich la ilik! – Hey, nimm deine Hand da weg! Das ist nicht für dich!


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