13 | Paranoia

Ich lag auf meinem Bett und starrte an das Fenster, dessen zerdrückte Jalousien ich heruntergelassen hatte. Nur wenig Licht fiel in mein Zimmer und doch wurde das mit dem Pennen irgendwie nichts mehr. Was eine verfickte Scheiße.

Warum war das vorhin eigentlich so unglaublich schiefgelaufen? Okay, gut, eigentlich wusste ich die Antwort: In dem Moment, in dem ich angefangen hatte, mich wie ein mieser Wichser zu verhalten. Aber so war ich halt. Und wenn Fede damit ein Problem hatte, brauchten wir auch nicht miteinander zu chillen.

Seufzend schob ich die Decke von meinem Körper und richtete mich dann auf meiner Matratze auf. Hatte doch auch keinen Sinn, mir jetzt so unnötige Gedanken zu machen. Ich schnappte mir mein Handy, machte einen aggressiven Song von Hollywood Undead an und schmiss das Teil auf mein Kissen, ehe ich in Boxershorts den Raum durchquerte. Aus meiner Kommode holte ich das Gras, das ich dort zwischen paar Socken gelagert hatte, und begann damit mir einen Joint zu bauen.

Ich zündete ihn an und wippte mit dem Bein zum Takt der Musik. Was, wenn ich vorhin nicht so dumme Sprüche rausgehauen hätte? Wie wäre der Tag dann gelaufen?

Wahrscheinlich auch nicht anders.

Mit tiefen Atemzügen rauchte ich den Joint auf und saß auch danach noch eine Weile auf meinem Bett herum. Scrollte durch meine Chats und dachte über die Dinge nach, die ich heute noch zu erledigen hatte. Ein paar Deals, dann zu unserem Lieferanten fahren und dort neues Gras holen. Ab zu Tarek in die Wohnung, um den Scheiß in verkaufsübliche Mengen zu verpacken.

Ich wühlte mich durch die Klamotten, die auf meinem Boden herumlagen. Es brauchte ein paar Versuche, bis ich etwas gefunden hatte, das nicht total nach Schweiß roch. Meine Fresse, die Alte sollte echt mal wieder waschen. Aber war doch typisch, dass sie sich lieber von dieser fetten Missgeburt namens Tommy ficken ließ oder für den Supermarktchef Überstunden machte.

Ich schob mein Handy und meine Kippen in die Hosentasche und ging dann auf die Suche nach etwas Essbarem in die Küche. Dort stand Lexie am Herd und hantierte mit einer Packung Miracolí. Was Kochen anging, war sie nämlich genau so talentiert wie ich. Also so gar nicht. Aber es war halt nun auch mal absolute Zeitverschwendung, wenn man sich um ein Essen weniger als ein paar Minuten kümmern musste. Was juckte mich das, wie das schmeckte, war doch voll scheißegal.

»Oh, hi. Hast du Hunger?«, fragte sie mich, als sie ihren Blick zu mir umwandte.

»Alter, immer.«

»Okay, aber spar dir heute mal das mit: Ich bin Sportler, darum brauche ich viel Kalorien. Das kenn' ich mittlerweile auswendig«, sagte sie mit einem Grinsen auf den Lippen und füllte die Soße aus der Aluverpackung in einen Topf. In einem anderen kochten bereits die Nudeln.

Ich ließ mich am Tisch nieder und nahm meine Zigaretten aus der Hosentasche, um eine anzuzünden.

»Dass du und Mama hier auch immer alles vollqualmen müsst. Das nervt mich langsam echt.« Lexie seufzte und zog die Besteckschublade auf. Als sie darin nicht fand, was sie suchte, nahm sie einen dreckigen Kochlöffel aus der Spüle, wusch ihn flüchtig ab und rührte in dem Topf herum.

»Vergiss Tommy nicht«, sagte ich und zog den Aschenbecher an mich heran. Wie immer war das Teil vollkommen überfüllt.

»Der raucht wohl nicht mehr. Hat er neulich rumposaunt.« Verächtlich verdrehte sie die Augen.

»Als ob halt. Aber egal, der Wichser juckt mich nicht.«

»Meinst du, mich?«, erwiderte sie. Für einen Moment biss sie ihre Zähne aufeinander, dann rührte sie energisch in dem Topf herum. Sie trug einen übergroßen Batikpulli, der ihr über die Oberschenkel reichte, dazu nur kuschelige Socken.

Ich zog an meiner Kippe und ließ den Rauch über meine Lippen entweichen. »Alter, rasier dich mal, das ist echt ekelhaft«, meinte ich dann mit Blick auf ihre behaarten Beine. Sie wollte wohl unbedingt komplett die Öko-Weltverbesserin-Trulla-Schiene fahren.

»Hast du deine Beine rasiert, wenn Haare sowas ekelhaftes sind?« Grinsend hob sie die Augenbrauen und lehnte sich gegen die Arbeitsfläche, war wohl froh, von ihren Gedanken an Tommy abgelenkt zu werden.

»Das is' was anderes. Ich bin 'n Kerl.«

»Das ist ziemlich sexistisch, weißt du schon?«

»Ist mir echt egal.«

»Manchmal ist das echt hoffnungslos mit dir«, seufzte sie und stieß sich dann von dem Küchenschrank ab, um das Nudelwasser abzugießen. Dann klatschte sie die Spaghetti auf zwei Teller, gefolgt von einem Klecks Soße, ehe sie sich mit dem Essen und Besteck zu mir an den Tisch gesellte. »Hier, für den starken Mann«, grinste sie. »Gekocht von einer unterwürfigen Frau, wie sich das gehört.«

»Ey, weißt du, Geschlechter jucken mich einen Dreck«, meinte ich und zog den Teller an mich ran. »Also spar dir den Feminismus-Müll. Für mich gibt's schwache Menschen und starke, das is' das einzige, wie man das sinnvoll unterteilen kann. Die einen kassieren halt, die anderen teilen aus. Scheißegal, ob Kerl oder Mädel.«

»Das ist noch viel trauriger.« Lexie hob belustigt dunkelblonden Augenbrauen und rollte ihre Spaghetti auf ihrer Gabel auf. Jeden ihrer Fingernägel hatte sie noch immer in einer anderen bunten Farbe lackiert. Diesen kindischen Scheiß würde sie wohl nie lassen, auch wenn sie jetzt in besetzten Häusern rumhing, mit ranzigen Punks vögelte und sich schon mal auf Demos mit den Bullen angelegt hatte.

»Ich war gerade nur um dein Sexualleben bekümmert, das' alles.« Auch ich grinste und begann damit, das Essen hinunterzuschlingen. Langsam hatte ich echt Hunger und das rumorende Gefühl war aus meinem Magen verschwunden. »Mit behaarten Beinen will dich doch keiner flachlegen.«

»Als ob man so etwas ...«, setzte sie an, unterbrach sich dann aber selbst. »Okay, warte, ich mach's in deiner Sprache. Gibt genug Typen, die mich ficken wollen. Bist ja nur neidisch, weil Frauen nur mit dir schlafen, weil sie auf deinen Ruf abgehen.«

Kauend erwiderte ich: »Und wenn. Ich fick die. Der Rest is' egal.«

»Wow. Du hast echt Ansprüche.« Grinsend schüttelte sie den Kopf und zog ein paar Nudeln in ihren Mund.

»Sagt die, die immer so Kerle anschleppt, die sich noch nie gewaschen haben oder so«, lachte ich und schob meinen Teller in ihre Richtung. »Ey, gib' mal noch was, du has' eh nich' so viel Hunger.«

»Seit wann bist du so super hygienisch?« Sie hob ihre linke Augenbraue, in der sie ein silbernes Piercing trug, genau wie in der Nase und der Lippe.

»Halt die Fresse«, erwiderte ich grinsend. Für den Moment tat es echt gut, mich mit diesen geschwisterlichen Zankereien abzulenken.


Am Abend holte ich die Kohle, die ich in einer alten Lidl-Tüte, deren blaugelbe Farbe bereits verblichen war, im Bettkasten gebunkert hatte, hervor. Schulterte meine Sporttasche und machte mich mit ihr auf den Weg zur nächsten S-Bahn-Station.

Mit der S1 fuhr ich nach Zehlendorf. Es war eines dieser seltsamen Viertel am Stadtrand, in denen es sich ein wenig so anfühlte, als hätte man Berlin längst verlassen und wäre in der tiefsten Provinz gelandet. Am Arsch der Welt, wo ein Haufen Bäume am Straßenrand standen und es Plätze mit Kopfsteinpflaster und schmiedeeisernen Brunnen darauf gab.

Der Typ, bei dem wir unser Zeugs kauften, lebte in einer mit Efeu bewachsenen Villa, die von außen so spießig und langweilig aussah, dass es schon fast verdächtig war. Einem weißbeleuchteten Schild konnte man seine Arbeit als Zahnarzt entnehmen. Scheinbar warf das nicht genügend Kohle ab oder der Trottel brauchte den zusätzlichen Nervenkitzel, um sein Ego aufzupushen – wie auch immer, jedenfalls handelte er zusätzlich mit Cannabis. Das pflanzte er im großen Stil selbst an. Er verkaufte aber auch Valium oder andere verschreibungspflichtige Medikamente, an die er als Mediziner super rankam.

Ich durchquerte den verwilderten Vorgarten und stieg die ausgetretenen Stufen zur Eingangstür nach oben, ehe ich auf die Klingel drückte. Daneben war ein Namensschild aus Metall angebracht. Das war so unfassbar spießig, dass ich am liebsten kotzen gegangen wäre.

Es dauerte einen Moment, bis Falkner mir öffnete, mich mit einem knappen »Hallo« begrüßte und seine eisblauen Augen mich eingehend musterten. Dann die Umgebung.

Seine paranoide Art ging mir bei jedem Mal total auf den Sack, obwohl ich selbst auch nicht der entspannteste Mensch war. Aber meine Fresse, es ging immer noch um verficktes Gras und als ob ich mit einem SEK-Team im Schlepptau zu ihm kommen würde.

»Komm rein, Junge«, nickte er dann und trat zur Seite, sodass ich an ihm vorbei in die Praxis gehen konnte. Der Geruch von Desinfektionsmittel stieg in meine Nase und erinnerte mich daran, wie sehr ich es bei Ärzten hasste. Keine Ahnung, war richtig unangenehm, wenn fremde Menschen an einem rumhantierten. Schweigend liefen wir an der Rezeption vorbei, durch den langen Gang in sein Büro und dann ein weiteres Hinterzimmer. Das künstliche Licht war beinahe unangenehm hell, der Raum in schlichten Farben gehalten. Dort stand wie immer dieser muskulöse Typ mit dem durchleuchtenden Blick, den ich noch nie ein Wort sagen hatte hören.

Auch Falkner laberte nicht viel herum, das war verdammt angenehm. Kam direkt zum Punkt und maß es sich nicht an, meine Zeit zu vergeuden.

»Wie immer?«, fragte er und zog die Tür hinter mir zu. Er war um die vierzig, vielleicht fünfzig, und hatte ein verlebtes Gesicht mit vielen Falten. Irgendwas an seiner Ausstrahlung verriet, dass er schon scheiß viel mehr erlebt hatte als einfach nur langweiliger Zahnarzt zu sein.

»Ja.« Ich sah ihm mit verschränkten Armen dabei zu, wie er einen der weißen Schränke öffnete und dann zwei Plastiksäcke mit Gras auf den Tisch knallte. Es waren zwei Kilo, die wie für ein Vielfaches davon loswerden würden. Wenn ich direkt auf der Straße verkaufte, zahlten die Leute mindestens doppelt so viel wie ich heute. War vielleicht keine verfickte Goldgrube wie Kokain, aber die Gewinnspanne war trotzdem hoch genug, dass es sich für uns einigermaßen lohnte.

Dankend nickte ich ihm zu und überreichte ihm die Kohle. 6000 Euro und wie meistens fühlte es sich verfickt irreal, wieviel Geld in einer Woche durch meine Hände ging.

Wie immer holte ich auch die Drogen, die Tarek später verkaufen würde. Wir zogen den Scheiß gemeinsam durch. Ich war für ihn nicht irgendein kleiner Dealer, den er springen ließ, um sich selbst nicht die Finger schmutzig zu machen, sondern wir waren im Grunde fast Geschäftspartner. Einander ebenbürtig, auch wenn er derjenige mit mehr Erfahrung war. Aber so behandelte er mich zumindest. Das war ein verdammt geiles Gefühl.

»Wir sehen uns«, verabschiedete ich mich, als ich mit dem Gras in meiner Sporttasche vor Falkner über die Türschwelle trat.

»Meld dich.«

Ich nickte und wandte mich dann von ihm ab, ehe ich mich auf den Heimweg machte, die Hände in meinen Jackentaschen vergraben. Mittlerweile lagen die breiten Straßen im Dunkeln und es waren kaum noch Menschen unterwegs. Wachsam behielt ich meine Umgebung im Blick.

Als eine Polizeikarre an mir vorbeifuhr und etwas langsamer wurde, spannte sich mein Körper an. Ich warf ihnen ein Blick aus dem Augenwinkel zu und zwang mich zu einem unauffälligen Verhalten. Aber normalerweise hatte ich Glück bei sowas. Ich sah zu deutsch aus, um die Aufmerksamkeit der Bullen auf mich zu ziehen. Anders als Tarek, Moussa und viele andere aus meinem Bekanntenkreis, die oft nur kontrolliert wurden, weil einer dieser Rassisten was zum Wichsen brauchte.

In diesem Moment war das blauweiße Auto der Cops an mir vorüber und verschwand mit höher werdender Geschwindigkeit um die nächste Kurve. Tief atmete ich durch.

Ich war schon oft mit so großen Drogenmengen unterwegs gewesen, doch ich wusste ganz genau, dass sich keine Routine einstellen dürfte. Denn Leichtsinn war nichts als dumm und gefährlich und auf die zwei Jahre Knast, die ich locker dafür kassieren könnte, hatte ich keinen Bock. Nicht, dass die mir schaden würden, aber musste halt nicht sein.

Allein schon, weil's dort keine geilen Weiber gab.

Verdammt, wem machte ich eigentlich etwas vor? Ich blieb stehen, gab nach unter dem Gedanken, der so schrecklich abrupt kam.

Eigentlich hatte ich es mir doch schon lange eingestanden. Ich vögelte zwar mit Frauen, fand es ziemlich geil, meinen Schwanz in sie zu stoßen, aber irgendwie war es was anderes, Fedes Shirt hochrutschen zu sehen. Zu spüren, wie sein Arm meinen berührt.

Ich sollte es einfach akzeptieren.

Fertigmachen würde ich mich deshalb auf keinen Fall.

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