16 | Welt in Scherben

Bitte beachtet die Inhaltswarnung am Ende der Geschichte! 


»Scheiße, ich muss los.« Mit fahrigen Fingern steckte Fede sein Handy in die Hosentasche zurück.

»Was isn?« Ich drückte mich von dem Pflanzenkübel hoch. Keine Frage. Egal, wie sehr ich gerade am abkacken war, ich würd den doch nicht allein lassen. Der Gedanke war so eklig kitschig, dass ich erst mal meinen Schleim die Nase hochzog und auf den Boden rotzte, zu Kippenstummeln und Glasscherben.

So umsichtig, wie Fede sich zum Ausgang fortbewegte, sich vorsichtig an den Leuten vorbeischob, sich hier und da entschuldigte, mal ein gestresstes Lächeln verlor, würde man nicht denken, dass er dabei so schnell vorankommen würde.

Als wir an der Kasse ankamen, nahm ich ihm bestimmt – na ja, das zumindest in meiner Vorstellung, in Wahrheit eher unkoordiniert – die Karte aus der Hand, knallte sie vor der Tante hin und meine dazu. »Zusammen«, blaffte ich.

Langsam hob sie die Augenbrauen und sah mich mit ausdrucksloser Miene an. »Gibt's dich auch in freundlich?«

Gar kein Bock auf so ein Theater jetzt. Ich nahm drei Fuffis aus meiner Tasche raus, warf sie auf den Tresen und folgte Fede, der bereits nach draußen trat. Auf meine Frage hatte er noch nicht geantwortet, aber wahrscheinlich hatte sich Leonardo mal wieder mit einer hirnlosen Aktion fast ins Nirwana befördert. Oder zur Abwechslung auch mal ohne das fast.

»Dir auch einen wunderschönen guten Abend!«, rief die Kassiererin mir hinterher und auch wenn ich sie gerade nicht sah, war ich mir sicher, dass sie den Kopf schüttelte. Machten Menschen doch so.

Draußen empfing uns ein kühler Windhauch, der eine zusammengeknüllte Mcces-Tüte über den Asphalt wehte. Ein paar Menschen standen beieinander und rauchten, aus dem Club wummerten die Bässe. Geradewegs marschierte Fede los und ich begann zu rennen, um zu ihm aufzuholen. Mit einer groben Bewegung packte ich ihn am Arm und er wirbelte herum.

»Was soll die Scheiße?«, brüllte er mich an. Die Augen zusammengezogen, sie loderten. Damit zog er die Blicke von ein paar der Rauchenden auf sich, die sich wohl fragten, ob sie sich einmischen sollten.

»Wohin willst du?«

Fede machte sich mit einem Ruck frei. Ich sah es nicht kommen und ließ ihn los. Mit ein bisschen weniger Alkohol und Drogen in meinem Blut wäre ihm das wohl nicht so leicht gefallen. »Nach Hause«, erwiderte er, sein Atem klang gehetzt.

»Okay. Scheiß auf Bahn. Ich rufn Kollegen an, der soll uns fahren. Geht schneller«, erklärte ich und nahm mein Handy raus. Entsperrte es und sah aus dem Augenwinkel, wie Fede widerwillig nickte.

Ich wählte Rashids Kontakt aus. Der meldete sich nach ein paar Sekunden. Zuverlässig, das war er. Das Gespräch ging schnell. Er verlangte keine Erklärungen, stellte keine Fragen. Ich brauchte ihn und er war da. So einfach war das.

Nach dem ich mein Handy wieder weggesteckt hat, trat ich an Fede heran und zog ihn in eine Umarmung. Erst blieb er ein wenig steif, dann lehnte er sich gegen mich. Der Geruch nach Bier stieg in meine Nase.

»Erzähls du mir jetz was los is, hm«, sagte ich sanft. Strich eine Locke aus seiner Stirn.

Fede zögerte. Sah zu mir hoch und suchte meinen Blick. Keine Ahnung, wie ich sein Zögern richtig deuten sollte. Ich wusste doch eh, was bei dem und seiner Familie abging, war ein bisschen spät, sich die Frage zu stellen, ob er mir überhaupt trauen kann. »Also ... meine Mutter und Leonardo hatten Streit.«

»Also wie immer.«

Er warf mir einen bösen Blick zu, weil ich ihn unterbrochen hatte, und fuhr dann fort. »Und er hat ihr auch damit gedroht, dass er sich was antut, dass er ja eh voll egal ist und niemand ihn braucht.« Fede presste die Zähne aufeinander. Diese Worte zu wiederholen, schmerzte ihn wohlmerklich. »Mamma hat gesagt, dass ... sie dann wenigstens eine Sorge weniger hat.« Wieder trafen sich unsere Blicke. Ein Sturm tobte in seinen Augen. »Scheiße, ey, das kannse doch nicht zu deinem eigenen Kind sagen! Sie hat ihm gesagt, dass es gut ist, wenn er sich umbringt, verdammt nochmal!« Seine Stimme wurde lauter und ich zog ihn enger in meine Umarmung.

»Geht gar nicht«, stimmte ich ihm zu. So, meine Alte hatte sich nie einen Dreck um mich geschert, und das war schon beschissen genug. Aber das warn anderes Level. »Und was is jetzt mit Leonardo?«

»Ich weiß es nicht. Er hat sich im Bad eingeschlossen, schon vor ner Stunde. Und meine Mutter hat geklopft und so, aber von Leonardo kam nichts mehr. Keine Antwort. Obwohl sie sich entschuldigt hat und ihn angefleht zu antworten und alles. Und du kenns Leonardo. Der kriegt das nicht hin, solange nichts zu sagen.«

»Fuck.« Meine Stimme klang tonloser als ich gedacht hätte. Aber irgendwas machte das mit mir. Es wühlte mich auf. Es dauerte ein paar Momente, bis ich so richtig verstand, was da in mir vorging. Sorge. Oder sowas. Auf keinen Fall wollte ich, dass dieser Pisser starb, ganz gleich, wie unfassbar nervig er war. Ich dachte an die Wunden an seinen Handgelenken, die ich ein paar Mal gesehen hatte, wenn sein Pulliärmel hochgerutscht war. Wie er diesen hektisch runterzog, wahrscheinlich im Glauben, niemand hätte davon was mitbekommen. Wie er dann irgendwann immer mit dem Bandana herumlief. Dachte an unser Gespräch vor einer Weile, dass wir auf dem Spielplatz geführt hatten.

»Okay, Fede, Faktencheck. Leonardo, ey, das is doch keiner, der sterben will. Der macht zwar viel lebensmüden Schwachsinn, aber drüber hinaus doch nichts.«

»Ja, eben. Der hat doch gar keinen Bezug zur Realität. Der hat keine Vorstellung von Konsequenzen.«

»Ich glaub schon. Der macht sowas nicht, weil er keine Ahnung hat, was passieren kann. Der braucht das Risiko. Die Herausforderung. Und das willst du nicht, wenn du schon längst abgeschlossen has und dich umbringen willst.«

»Aber man kann sich ja nicht nur geplant umbringen. Es kann auch ausm Affekt passieren. Du bist super emotional und dann machst du was, was du eigentlich nicht machen würdest.«

»Tatsächlich eher weniger. Weil Menschen schon'n starken Lebenswillen haben, von dem sie nicht immer was wissen. Aber, um den Schritt zu gehen, und sich umzubringen, das ist ne riesen Hürde. Drum gibt's auch so viel gescheiterte Selbstmordversuche. Weil der Lebenswillen doch zu stark ist.«

»Bist du jetzt Psychologe auf einmal?« Fede seufzte, doch über sein Gesicht huschte ein leichtes Grinsen.

»Nee, nur mal ne Doku gesehen. Über Suizid und so.« Ich strich über Fedes Rücken. »Und ich mein, dem seine Verletzungen, die sind doch nicht so tief. Das is sowas oberflächliches bei dem, das macht der um klarzukommen. Nicht, weil er sterben will.«

»Dann stimmts also.« Fede biss auf die Innenseite seiner Wange. Ich spürte, wie seine Anspannung anstieg.

»Hm?«

»Dass er sich verletzt.«

In diesem Moment hielt mit quietschenden Reifen ein Auto neben uns. Ich sah auf und erkannte Rashids Kombi. Ein uralter Volvo, der ständig Probleme machte, die Rashid zusammen mit Nadja selbst zu lösen versuchte. War nicht so, dass einer der beiden Ahnung hatte, was die da taten, aber bisher fuhr die Karre immer noch. Er ließ die Scheibe herunter und begrüßte uns mit einem Grinsen. »Taxi ist da. Einsteigen, die Herrschaften.«

Unauffällig strich ich über Fedes Rücken, während der sich schnell von mir löste und auf der Rückbank Platz nahm. Ich setzte mich nach vorne zu Rashid und der ging schon wieder aufs Gas, noch ehe ich die Tür richtig geschlossen hatte.

»Hab gehört, es ist eilig«, sagte er, während er sich in den Verkehr einreihte.

»Wie kommse drauf?«

»Du klangst so.«

Ich lachte. »Ey, du kennst mich. Was soll mich denn stressen? Is nich.«

»Bruder.« Rashid warf mir einen belustigten Blick zu. »Dich gibt's doch gar nicht in entspannt. Sagst du mir den Weg oder soll ich Navi anmachen?«

»Lieber Navi.«

Er griff in die Getränkeablage und warf mir sein Handy zu, das über ein Aux-Kabel mit den Boxen verbunden war. Daraus lief schlechtabgemischter Deutschrap, die Beats ein bisschen zu laut, die Stimme zu leise, und erst in diesem Moment erkannte ich, dass das die Mucke von Maxim war. MAXIMAL oder wie der sich nannte.

»Code?«

»1901.«

»Sag jetzt nich, dass das Datum is, an dem du mit deiner Alten zusammengekommen bist.« Ich gab den Code ein und öffnete Google Maps, ehe ich Fedes Adresse eingab. Die unterschied sich nur um einige Hausnummern zu meiner eigenen, deswegen war das kein Problem, diese im Kopf zu haben. Andernfalls wüsste ich das sicher nicht, als ob ich mir die Mühe machen würde, Alter.

»Klar. Außerdem hat sie'n Namen.«

»Nich dein Ernst.« Ich hatte das als Joke gemeint, konnte ja keiner damit rechnen, dass er den Beziehungskitsch bis zu so einem Level durchgespielt hatte.

»Bist ja nur neidisch, weil du immer nur für ne Nacht gut genug bist«, konterte Rashid und ging aufs Gas, weil die Straße vor uns frei wurde. Im Gegensatz zu Tarek musste man bei ihm nicht damit rechnen, dass man bald einen Sarg von innen sah. Da hing jemand an seinem Leben.

»Ich hab alles, was ich will«, erwiderte ich und wusste, dass das eine Lüge war. Die wahrscheinlich größte in meinem Leben. Einen Scheißdreck hatte ich, ganz ehrlich. Ich schluckte. Irgendwas war mir heute gar nicht gut bekommen.

Ich wandte mich nach hinten um. »Was isn da Ruhe auf den billigen Plätzen?«

Fede taktierte mich mit einem genervten Blick und ließ sich nicht zu einer Antwort herab. An seinen zusammengepressten Zähnen und den angespannten Kiefermuskeln war unübersehbar zu erkennen, wie sehr er gerade unter Strom stand. Kein Wunder. Mann, ich hoffte doch auch, dass der Kleine das packte.

»Erzähl lieber mal, wie euer Abend war«, lenkte Rashid meine Aufmerksamkeit von Fede ab, wohl um den in Schutz zu nehmen. Hatte der früher auch immer gebracht, so Aktionen. Er war einer der Typen aka Spaßverderber, die sich nicht dran beteiligten, andere fertigzumachen und der uns immer zurückhielt, wenns ihm zu weit ging.

Rashid und ich unterhielten uns oberflächlich über den Abend, über die Mucke, die lief. Darüber, dass letztes Wochenende eine fette Razzia im Xenon war und die Stadt versuchte, den Laden dichtmachen zu lassen, weil denen dort zu viel Scheiße abging. Dass dort immer mehr Bullen rumrannten und kleine Ticker Hops nahmen. Wir ließen das Tempelhofer Feld und den alten Flughafen hinter uns und bogen eine halbe Ewigkeit später endlich in die Straße ein, bei der Fedes Haus in zweiter Reihe stand.

»Du wartest draußen«, wies Fede mich an, als Rashid vor einer Reihe von Garagen mit verrosteten Wellblechtoren anhielt. Ein paar Kids hingen bei den Mülleimern herum und ein bulliger Glatzkopf mit winzigem Hund schlurfte über den Bürgersteig.

Ich nickte, sah Fede hinterher, wie er aus dem Auto sprang und zu dem Wohnblock stürmte. Fahrig den Schlüssel einsteckte, ein paar Versuche brauchte, die Tür zu öffnen. Dann rannte er hinein.

»Wasn los bei dem?«, erkundigte sich Rashid bei mir.

»Ach, kein Plan. Familie hat Probleme, dies das.« Ich winkte ab.

»Mit seinem Bruder?«

»Kein Plan. Nich meine Sache.«

»Ich hör manchmal krasse Storys von dem. Der ist letztens auf ne Baustelle, weiße, bei so nem halbfertigen Haus. Das hatte noch keine Treppen und so, aber die sind dann mit ner Leiter hoch ins höchste Stockwerk. Der lebt sein Leben, ey.« Rashid schüttelte grinsend den Kopf.

Ich ging nicht darauf ein, legte nur sein Handy in die Ablage zurück und streckte ihm die Hand entgegen. »Danke, Mann. Wir sehen uns.«

Ein paar Augenblicke später hörte ich seinen Volvo davon fahren, irgendein klapperndes Geräusch klang bei dem des Motoren mit. Langsamen Schrittes ging ich auf den Block zu, der jetzt bei Nacht hellgrau schien. Kramte meine Kippen hervor. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und sah zu dem vierten Stock, in dem sich die Wohnung der Familie befand. Die Fenster waren hell erleuchtet und noch während ich meine Zigarette anzündete, kamen Sirenen näher. Die unteren Stockwerke wurden in flackerndes blaues Licht getunkt und da stürmten die Sanis schon an mir vorbei. Scheiße.  



hey hey meine lieben, an der stelle wollte ich einfach mal danke danke danke sagen, dass ihr immer noch hier seid. so viele jahre erleben wir die geschichte von jay und fede schon zusammen und ihr habt mich immer noch nicht allein gelassen. ihr seid super. ich werde diese geschichte auch beenden, versprochen! egal, wie lange das dauert. mein ziel ist aktuell jeden tag 30 min zu schreiben und wieder in meine geschichten und meine leidenschaft dazu reinzufinden. ich hatte das letzte jahr über eine ziemliche krise, was das schreiben angeht, auch zusammenhängend mit dem veröffentlichen. aber es fehlt mir unfassbar und ich möchte wieder zurückkommen an den punkt, an dem all das hier mein leben war. und ich weiß, dass ich es schaffen werde (habe ich immer). also bis denne, danke für alles und irgendwie wirds weitergehen.  

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