12 | Eklige Idylle

 Wenn das Leben einfach so gut lief, dann begegnete ich dem schon immer mit ner gewissen Skepsis. Ja, ich glaubte an Glück und es gehörte den Arschlöchern dieser Welt, aber das wurde sich hart erarbeitet. Gute Dinge fielen einem nicht in die Schoß. Wenn du Drogen geschenkt bekamst, konnteste ja meistens auch nur gestreckte Scheiße erwarten.

»Bruder.« Tarek schmiss seine Kippenschachtel auf den Tisch, ehe er sich in einen der gemütlichen Sessel sinken ließ. Auch wenn es nachmittags war, herrschte im Hinterzimmer dieselbe angenehme Dämmerung wie immer. »Wir haben n Date.«

»Was für Date, Alter?« Blubbern der Wasserpfeife legte sich über das Geplapper von Ashton Kutcher aus der Siebziger-Jahre-Soap, die im Hintergrund lief. Keine Ahnung, auf was für einem Film Aziz mal wieder hängen geblieben ist. »Nimm hundert Kilo ab, dann reden wir nochmal drüber.«

»Gib mal.« Er streckte seine Hand nach meinem Mundstück aus, ehe er mir seinen Blick zuwandte. »Das letzte Mal war mein Gewicht in der Grundschule Grund zur Belustigung, ya kelb. Und das auch nur, weil ich mich auf die Pisser gesetzt hab, die gelästert ham.«

Ich holte mir meine Shisha zurück, und in dem Moment klirrte ohnehin der Perlenvorhang, weil Aziz eintrat und Tarek seine eigene hinstellte, auf seinen Lippen ein höfliches Lächeln wie immer. »Ja ja. Aber wasn jetzt der Plan?«

»Du und ich. Und paar andere Typen, um die ich mich noch kümmer. Wir fahren morgen nach Tschechien runter, denn ich hab da so'n Fisch an der Angel. N fetten, wenn alles gut läuft. Der Typ von letztens, du erinnerst dich, der hat seinem eigentlichen Kunden abgesagt und ist bereit mit uns zu reden.«

Ich sah ihn an und nickte langsam. Wurde Zeit, dass wir unsere Probleme bezüglich der Lieferungen klären konnten.


Und da saßen wir schon im Auto. Mitten in der tiefsten Nacht, 180 auf der linken Spur und im Radio laberten die etwas davon, wie die Karrierepowerfrau von heute Familie und Job unter den Hut kriegen konnte. Tarek schwieg, rauchte am Steuer. Ich dagegen schrieb hin und wieder Fede, der noch wach war und sich einen Livestream von der ISS reinzog. Irgendwo vor uns war Moussa in seiner Karre, hinter uns ein anderer Kerl, beide mit jeweils einem Beifahrer.

Da wurden wir langsamer. Ich hob meinen Blick und sah grelles Scheinwerferlicht vor uns, ein kleines Häuschen. Zwei Beamte, die nicht einmal in unsere Richtung guckten und doch machte ich mich bereit, dass die uns gleich filzten. Es war noch lange nicht hell und wir sahen nicht aus wie die liebe Karrierepowerfrau mit ihren Bälgern auf dem Rücksitz, die safe problemlos durchkommen würden.

Tarek noch immer übel auf entspannt. Summte zu dem Popsong mit, der mittlerweile im Radio lief. Ich hielt mich davon ab mich umzusehen, weil keine Ahnung, wie der Scheiß ablief. Nie im Ausland gewesen.

Einer der Männer nickte uns zu und wir fuhren weiter.

»Hä, Bruder, wars das?« Ich versuchte, nicht ungläubig zu gucken, während der Grenzposten im Rückspiegel kleiner wurde und aus den unzähligen Spuren wieder nur drei wurden.

»Klar, offene Grenzen, dies das. Und wir wollen aus Almanya nach Tschechien rein, was wolln wir schon schmuggeln. Die haben eh alles und alles billiger.« Tarek grinste und klopfte auf meinen Oberschenkel. »Du kannst wieder lockerlassen.«


Nach der Grenze veränderte sich ... nichts. Obwohl, doch. Unsere Geschwindigkeit, wir hatten jetzt Schilder, an die wir uns hielten. Schwarze Hügel hoben sich vor etwas weniger schwarzer Nacht ab und als der Morgen graute, empfingen uns die Tore der Stadt. Prag. Verfallene Häuser, Autohandel und verblichene Werbeanzeigen. Weit mussten wir nicht mehr fahren, ehe wir inmitten der Vorstadtristesse ein Gebäude ansteuerten, das sich von seiner Umgebung abhob wie die Pickel in Lexies Gesicht.

Vor uns thronte ein Glaskasten und spiegelte den wolkenlosen Himmel. So'n Ding, in das man Banker und Manager stopfte, die sich dann bei dem Gelaber über Aktienkursen die Eier kraulten und das als »Marktwirtschaft« glorifizieren.

Die beiden anderen Karren kamen ebenfalls auf dem ummauerten Hof vor dem Gebäude zum Stehen. »Sind wir hier richtig?«, fragte ich skeptisch in die Runde, nachdem wir alle ausgestiegen waren. Ich hatte alles erwartet, eine dreckige Lagerhalle oder den Keller eines sympathischen Etablissements namens Erotik Center 24.

»Das finden wir jetzt raus.« Tarek grinste, klopfte auf meinen Rücken und steuerte als Vorhut unserer Gruppe auf das Gebäude zu. Am Eingang empfing uns eine verschlossene Tür und eine Sprechanlage. Tarek drückte eine Klingel und eine Stimme erklärte uns in brüchigem Englisch, wo wir hinmussten.

Es lief gut. Im zweiten Stock, Aussicht auf eine Betonfront, verhandelte Tarek mit ihm. Gute Preise, gute Konditionen, fairer Deal, geschlossen auf einer eleganten schwarzen Couch mit einem Typen, der aussah, als wäre er direkt aus Fight Club entsprungen und nur hier, um das stilvolle Ambiente zu stören.

»That's Jay. You will see him more often, he's my man for the deliveries«, erklärte Tarek noch, bevor wir wieder abzogen, seine Hand auf meiner Schulter. Und verdammt, das fühlte sich an, als hätte man mich geadelt.

Während wir die Treppen in das Erdgeschoss hinuntergingen, musste ich mir ein Grinsen verkneifen. Tarek traute mir was zu. Er übertrug mir Verantwortung, einfach so. Scheiße, Mann, es hatte sich gelohnt.

Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, als wir nach draußen auf den Hof traten. Ein paar Strahlen kratzten an den umliegenden Lagerhallen, blendeten mich. Vielleicht deswegen, vielleicht auch, weil ich in Gedanken war.

Wie auch immer.

Auf jeden Fall checkte ich viel zu spät, dass wir umzingelt waren. Vermummte Gestalten, einer in einem schwarzen Mantel, aus dem eine Machete herausragte. »Its our deal, you german bastards«, zischte der Kerl und schwang im nächsten Moment das geschliffene Schwert.

Alter.

Kurz sah ich Tareks Kopf bereits rollen. Zack, ab damit und kugelnd über den schmutzigen Parkplatz. Die Sache mit dem Atmen funktionierte nicht mehr so, es fühlte sich an, als dränge keine Luft zu meinen Lungen durch. Ich tastete nach meinem Messer, ich war bereit. Musste.

Da machte Tarek eine schnelle Bewegung. Ich sah zwischen seinen Fingern eine dunkle Waffe. Entsichern, zack. Der Schuss war ohrenbetäubend. Tat weh und zerriss mein verficktes Trommelfell. Lauter als in dem Filmen und er hörte einfach nicht auf.

War noch immer in meinen Ohren, während der Mantelträger nach hinten taumelte. Tarek hatte ihn direkt in der Brust getroffen.

Kein Kampf.

Nur ein Schuss und die Machete fiel zu Boden. Dann der Typ. Plopp einfach. Wie so'n Boxsack, so'n Standding, gegen das du zu fest getreten hast. Plopp.

Da lag er, verbreitete eine Blutlache. Blut auf dreckigem Asphalt. Die aufgegangene Sonne blendete in meinen Augen und auf der Straße fuhr ein Auto vorbei, aus dessen Boxen fucking Back Street Boys klang.

Ich sah, wie die anderen mit ein paar gezielten Schlägen auf unsere Umzingler losgingen, ich tat es ihnen gleich. Ein Tritt in die Seite, nochmal, da bewegten sich Moussa und der Rest schon zu den Autos. Auch Tarek rannte jetzt.

„Du fährst." Er schmiss mir den Schlüssel zu und steuerte die Beifahrertür an.

Ich schaffte es gerade noch, das Ding zu fangen.

Ach, du Scheiße.

Autofahren und ich, das war eh so ne Sache. Aber jetzt? Mein Herz schlug noch ein wenig schneller, aber ich musste funktionieren. Musste einfach.

Der Schuss hallte noch immer nach. Ging das überhaupt?

Fahrig riss ich die Fahrertür auf, startete den Motor. Langsam die Kupplung kommen lassen, langsam. Dabei schon auf das Gas, meine Hände fühlten sich verschwitzt an. Ich kann das, verdammt. Kurzer Blick in den Rückspiegel, ich sah die Typen in eine Karre steigen. Da rollten wir los, Moussa hinterher, der mit Vollgas vom Parkplatz bretterte. Auch ich drückte aufs Gas.

Scheiße, Tarek war wahnsinnig geworden. Keine Ahnung, warum er dachte, es war eine gute Idee, mich fahren zu lassen. Das Blut pochte in meinen Ohren und ich umklammerte das hellrosa Plüschlenkrad mit voller Kraft. Konzentrierte mich auf den Kofferraumdeckel von Moussa. Solange ich immer genau dahin fuhr, wo er war, konnte nichts schief gehen. Einfach hinterher.

Abbiegen. Rote Ampel, die wir überfuhren. Über irgendeine Landstraße. Immer wieder ein hektischer Blick in den Spiegel.

„Is alles gut, Bruder. Die sind uns nicht hinterher", sagte Tarek in seiner verfickt ruhigen Stimme. In seiner Stimme, die so ruhig wie immer klang, obwohl er gerade einen Menschen getötet hatte. Mit einer fließenden Bewegung, Alltäglichkeit, wie ne Fliege schlagen.

Dabei musste es das auch sein.

Es war immer erst unser Leben, dann das der anderen.

Grüne Hügel zogen an uns vorbei, Sonnenblumenfelder, ein paar Heuballen. Oder Stroh, was weiß ich. Verfickte Idylle. Bald ein Traktor vor uns, den wir überholen mussten, kurz wieder Herzrasen.

In meinen Ohren immer noch der Schuss.

Vor meinen Augen wie der Typ in sich zusammensackte. Ich sah die Straße, ich sah die eklige Idylle, aber eigentlich sah ich sie gar nicht. Sah nur das.

Und scheiß drauf, wie egoistisch ich dachte, wie sehr ich auf meinen Vorteil bedacht war, das anzusehen war ungeil.

Wenn Leute sterben, geht das ganz langsam. Du kannst richtig sehen, wie das Leben aus ihnen weicht. Nicht wie in den Filmen, in denen sie bäm, tot sind und fertig. Nein, du siehst es. Du siehst diesen Prozess. Wie sie im einen Moment noch atmen und wie dann die letzte Luft ihren Körper verlässt. Ganz langsam. Und dann hebt sich ihr Körper einfach nicht mehr. Sonst fällt das gar nicht so auf, dieses seichte auf und ab, aber dann ist es auf einmal ... gruselig, diesen Menschen zu sehen, wie er da liegt und blutet und blutet und nicht mehr atmet. Du weißt genau, er ist tot. Er schläft nicht einfach. Dieser Körper wird sich nie mehr bewegen.

»Bruder, ich hab die höchste Stufe von Integration erreicht. Einfach Deutscher genannt worden«, vernahm ich Tareks Stimme mit einem Grinsen neben mir. Es gelang ihm nur semi, und schon gar nicht schaffte er es, die Vorahnung in mir zu vertreiben: Das war nicht der letzte Mensch, den ich sterben hatte sehen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top