Die Vergangenheit holt jeden einmal ein...
Edna und ich waren in Kalispell los gefahren, in Richtung Tampa, St. Pete, wo ich noch gute alte Freunde hatte, die mich nicht anzeigen würden.
Die Landschaft zog am dreckigen Autofenster ihres BMW 5ers schneller vorbei als ich gucken konnte. Wir fuhren schon viele Stunden. Letzte Nacht hatten wir irgendwo zwischen Omaha und Kansas City auf einem Parkplatz geschlafen, auch wenn ich kein Auge zu gemacht hatte.
Enda hielt still das Lenkrad in ihren Händen. Sie war noch immer sauer auf mich. Ich hätte längst ein wenig schlaf gebraucht, doch ich traute mich nicht. Was ich sah, wenn ich die Augen schloss ertrug ich nicht. Ich fühlte mich wie die laufende Tod, als wir nach 40h Fahrt ankamen. Finsterste Nacht umgab uns. Wir zerrten unsere Taschen aus dem Kofferraum. Es waren nur zwei Sporttaschen, die wir in Eile zusammen gepackt hatten. Eine Freundin, die ich schon kannte, als ich noch nicht mal meinen Namen sagen konnte, wohnte in einer kleinen Seitenstraße von St. Pete. Als wir bei ihr klingelten, dauerte es eine ganze Weile, bis Licht aus dem kleinen Küchenfenster drang. Sie schob den Spitzenvorhang zur Seite und sah misstrauisch nach, wer geklingelt hatte. Bei meinem Anblick huschte ein Ausdruck über ihr Gesicht, den ich nicht recht deuten konnte. Es war Verwirrung und Besorgnis und etwas, das ich nicht erkannte.
Wenige Sekunden später hatte sie uns die Tür geöffnet und uns hinein gebeten. Ich umarmte sie und erklärte ihr in wenigen Sätzen, dass wir einige Nächte bei ihr Schlafen müssten. Sie nahm uns selbstverständlich bei sich auf und stellte uns Mattratzen zur Verfügung. Eine knappe Stunde später lag ich unter einer ihrer dünnen Sommerdecken, in vollkommener Dunkelheit und fror. Die Kälte kam nicht nur von außen, durch das offen stehende Fenster, hinter dem man den klaren Winterhimmel sah, sie kam von innen. Die Angst nagte an mir und höhlte mich von innen aus. Auch wenn mich hier so schnell keiner finden würde, wusste ich, dass ich eines Tages gefunden werden würde. Immer wenn ich die Augen schloss, sah ich die Bilder wieder und wieder. Die starren Augen. Der Schrei. Meine zitternden Hände. Der Regen auf meinem Rücken. Das Gesicht meiner Schwester, als ich ihr mit kaum hörbarer Stimme und Tränen auf den Wangen erzählte, was geschehen war. All diese Erinnerung schlugen auf mich ein, bis ich ganz in sie versank.
Geweckt wurde ich durch leichte Schläge auf meine Wange.
„Viola!" Flüsterte die sanfte Stimme meiner kleiner Schwester. Ich öffnete die Augen. Mein ganzer Körper schmerzte. Ich fühlte mich schweißgebadet und erschöpft.
„Was ist Edna?" fragte ich heiser.
„Du hast geschrien und um dich geschlagen", flüsterte sie und half mir auf. Durch den Schweiß und den kalten Wind, der durch das immer noch offen stehende Fenster hinein wehte, zitterte ich am ganzen Leib.
Beim Frühstück sprachen wir nicht viel. Edna genoss die warmen Brötchen, während ich kaum einen Bissen hinunter bekam. Meine Freundin fragte nicht nach, wieso ich so plötzlich bei ihr aufgekreuzt war. Vielleicht sah sie es mir an, dass ich nicht darüber reden konnte, vielleicht dachte sie sich ihre eigene Geschichte.
Als sie zur Arbeit fuhr, blieben Edna und ich allein zurück.
Auch wenn sie sich entspannt hatte, warf sie mir immer wieder vorwurfsvolle und verständnislose Blicke zu. Der Tag verging schneller als ich dachte. Edna hatte wieder zu zeichnen begonnen und führte neben her ein Gespräch mit meiner Freundin. Ich hörte nur leise ihre Stimmen aus dem Wohnzimmer unter mir. In den Himmel blickend saß ich auf meiner Matratze und versuchte nicht zu denken, doch die Bilder kamen wieder mit der nahenden Nacht. Immer und immer wieder hörte ich den Schluss, den Widerhall. Spürte den Rückstoß. Sah das Blut auf den weißen Fliesen. Dachte die Gedanken, die in diesem Moment über mich hinein brachen. Eines wurde mir klar, als ich so allein in der Dunkelheit saß. Ich konnte mich vor der Polizei verstecken, vielleicht konnte ich der Strafe entgehen, doch meine eigenen Erinnerungen, mein eigenes Gewissen würde mich schließlich umbringen.
Der Wind fuhr durch meine Haare, als ich die schwach beleuchtete Straße entlang ging. Kein Mensch überquerte zu dieser Zeit die schmale Brücke, welche über die Autobahn führte. Die Autos unter mir lärmten und doch umgab mich Stille. Ich atmete die letzten tiefen Züge als ich an der höchsten Stelle die Arme ausbreitete. Meine Zehen standen direkt an der Kante und das erst mal seit Tagen vergaß ich alles. Ich konnte die Augen schließen ohne Blut und Tränen zu sehen.
Doch auf einmal rief jemand meinen Namen.
„Viola!" Es war mehr ein weinen als ein rufen.
Ich zuckte zusammen, klammerte mich an das Geländer über das ich stiegen war und drehte mich um.
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XO Rose
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