Der zweiunddreißigste Glückskeks

»Betrachte denjenigen, der Deine Fehler aufdeckt, als jemanden, der Dir etwas von einem verborgenen Schatz zeigt.«

Am nächsten Morgen ging es mir einigermaßen gut, ich aß sogar was von dem Frühstück, was Sam mir brachte. Danach folgte die Kontrolluntersuchung von Dr. Jones. Sie teilte mir auch gleich mit, dass mit der Operation alles geklärt wäre und sie dieses Mal noch optimistischer, dass dies nun wirklich die letzte OP sein sollte.

Ich nickte nur. Sie konnte mir viel erzählen, konnte aber nicht erwarten, dass ich ihr das glaubte. In ihren Augen konnte ich auch Angst und Respekt davor erkennen und das sollte doch eigentlich nicht so sein, oder?
Gerade hatte sie sich verabschiedet und die Tür war hinter ihr ins Schloss gefallen, als mein Handy piepte. Maggie.

9:47 Hast du das mit William geklärt?

Ja. 9:48

Es war ja keine Lüge, eigentlich. Okay, eigentlich schon, denn vor einer wirklichen Auseinandersetzung hatte ich mich gedrückt. Dachte ich jedenfalls.

Meine Tür wurde aufgerissen und William kam aufgebracht in mein Zimmer gestürmt, in der einen Hand den Brief.
Shit.
Warum hatte ich nicht daran gedacht, dass er danach das Gespräch mit mir suchen könnte?
Verdammt, Lauren!
„Was ist das?", wollte er wissen.
Ich schürzte die Lippen und zuckte mit den Schultern.

Er raufte sich die Haare, drehte sich um die eigene Achse.
„Lauren...Was zum Teufel, soll das?"
Wieder zuckte ich mit den Schultern, wich seinem Blick aus.
„Verdammt, rede mit mir!"
Doch ich sagte nichts, ich fühlte mich nur wie ein Häufchen Elend.

„Sieh mich wenigstens an!"
Die Verzweiflung und Verletztheit in seiner Stimme brach mir das Herz, wahrhaftig, sodass ich aufschaute.
„Lauren, ich...", fing er an, doch es war ihm anzusehen, dass er fertig mit den Nerven war und nicht in der Lage auch nur einen klaren Gedanken fassen zu können.
Und ich war der Grund dafür.

Er ließ frustriert die Schultern hängen und sah mich einfach nur eindringlich an, bis er langsam mit dem Kopf schüttelte.
„Das soll es jetzt wirklich gewesen sein? Einfach so?"
Ich konnte ihn nur anstarren, mich nicht rühren. Ich war nicht mal in der Lage mir die Tränen wegzuwischen, die sich den Weg über meine Wangen bahnten.

„Lauren, so läuft das nicht, okay? Ich...ich kann dich nicht einfach so aus meinem Leben streichen oder wie auch immer du dir das vorstellst."
„Und wenn ich bereits tot wär? Dann hättest du es auch gemusst!", schluchzte ich.
William trat neben mein Bett, nur wenige Zentimeter von mir entfernt.
„Das ist was komplett anderes! Lauren, du lebst, okay? Und das ist toll, wundervoll. Ich bin so dankbar dafür.", entgegnete er.
„Die Frage ist nur wie lange noch..."

„Okay, Lauren, es reicht! Du denkst du stirbst demnächst? Okay. Dann kann es dich doch einen Scheiß interessieren mit wem du die letzten Tage verbringst. Was dir dabei aber nicht egal sein sollte, ist, dass du diese Menschen weder davon abhalten kannst die Zeit, die ihnen noch mit dir bleibt auch mit dir zu verbringen, noch, dass du ihnen nichts mehr bedeutest! Du kannst nicht entscheiden, wer in deinem Leben eine Rolle spielen darf und wer nicht, wenn du in dem Leben dieser Personen eine so so Große und Wichtige spielst.", fluchte er.

Er war wütend, wirklich wütend.
Und doch berührten mich seine Worte so sehr, dass ich Angst bekam und ihn nur entgeistert anstarren konnte.
„William...", wollte ich jedenfalls sagen, raus kam ein Lufthauch.
„Zieh dir bitte was an, ich muss dir was zeigen. Ich bin in fünf Minuten zurück."
„Aber...", stotterte ich, vor allem verwirrt über die plötzliche Wendung.
„Bis gleich.", sagte er nun mit weicher Stimme und schloss hinter sich die Tür.

Jungs! Versteh die mal einer.
Da ich natürlich wissen wollte, was er mir auf einmal so Wichtiges zu zeigen hatte, schwang ich die Beine über die Bettkante und stand auf. Ich öffnete meinen Schrank und fischte eine Jeans, sowie ein T-Shirt, heraus.
Beides zog ich an, bürstete mir einmal durch die Haare, band diese anschließend zu einem Pferdeschwanz zusammen und schlüpfte in meine Chucks.

Dann trat ich aus der Tür und tippte William an, der an der Wand angelehnt dastand. Er sagte nichts weiter, griff nur nach meiner Hand und führte mich hinter sich her, aus dem Krankenhaus. Ich stolperte ihm nach, versucht nicht im nächsten Moment auf dem Boden zu liegen, und fragte mich mit jedem Schritt, was er vorhatte.

Wir traten durch die Tür, liefen die Treppe hinunter und Richtung Parkplatz.
„Sollte ich nicht einer Schwester Bescheid sagen, dass ich kurz weg bin?", stotterte ich.
„Ja, das würde ein anständiger Patient machen, aber das ist ein Notfall.", entgegnete William.
Ich fragte nicht weiter nach und ließ mich zu seinem Auto führen.

Er öffnete die Beifahrertür und ich ließ mich auf den Sitz plumpsen. William tat neben mir das gleiche. Wir schnallten uns an und nachdem William den Motor gestartet hatte, fuhren wir los.
Nicht mal zehn Minuten später erreichten wir Williams Zuhause. Ich fragte noch immer nicht nach und stieg wortlos aus. William verriegelte das Auto und schloss im Anschluss die Haustür auf.

Er bugsierte mich durch den Flur vor die Tür, von der ich vermutete sie würde zu seinem Zimmer gehören. Ich drehte mich zu William um, der hinter mir stand und im Begriff war die Tür zu öffnen.
„Wa-...", flüsterte ich, doch mir blieb das Wort im Halse stecken, als seine Tür aufschwang.

Mir stockte der Atem. Komplett. Mein Hirn setzte für einen Moment aus. Langsam machte ich einen Schritt in das geräumige Zimmer. Und noch einen.
Mein Kopf schwang zu William herum. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, den er nicht beantwortete. Er stand noch immer im Flur, die Hände in den Hosentaschen und den Blick auf den Boden gerichtet.
„William?"
Langsam wanderten seine Augen nach oben, zwar auf meine Augenhöhe, wichen meinem Blick jedoch aus.

„William, was ist das?"
Meine Stimme bebte.
Da er keine Anstalten machten was zu sagen, machte ich noch ein paar langsame Schritte, dann stand ich auch schon neben seinem Bett. Ich kniete mich vorsichtig an und musterte diese Gesichtszüge, dieses Lächeln, diese Augen, diese Lippen. Alles war mir so vertraut.

Vorsichtig hob ich meine Hand und legte den Zeigefinger auf die Leinwand. Mein Finger berührte die Stellen, an denen die Farben ver- und ineinander übergelaufen waren. Die untere rechte Ecke, in der Emilia stand.

Ich legte den Kopf schief und versuchte zu begreifen. Versuchte zu verstehen, wie es sein konnte, dass ich diesem Mädchen so ähnlich sah.
„Lauren..."
„Sie...ich..."
„Lauren, ich...", flüsterte William.
Ich drehte mich zu ihm um, sein Blick ruhte auf mir.
„William, wie...wie kann es sein, dass ich so aussehe, wie dieses Mädchen?"

Jetzt kam er vorsichtig auf mich zu, kniete sich neben mich und griff nach meiner Hand.
„Du...müsstest eher fragen, wieso dir dieses Mädchen so ähnlich sieht...weil...weil...du das bist, Lauren.", antwortete er sanft.
Meine Augen wanderten wieder zurück zu dem Bild und ich legte wieder meine Hand an die Leinwand. Meine Finger glitten über die verlaufene Aquarellfarbe, fuhren die Konturen des Kopfes, meines Kopfes, nach, welcher keine Haare besaß.

„William, was hat es damit auf sich?", wollte ich flüsternd wissen und drehte meinen Kopf wieder zu ihm.
Er sah mich an, intensiv, schüttelte nur mit dem Kopf, lächelte unmerklich. William war mir nah, sehr nah, das wurde mir gerade erst bewusst. Mein Atem ging schon wieder so schnell und stoßweise.

„William...", hauchte ich.
„Lauren, bitte...ich verspreche, dass ich dir gleich alles erklären werde, aber ich muss vorher etwas tun, okay? Das ist wirklich wichtig."
Seine Lippen schwebten über meinen, wie das letzte Mal, was Nervosität in mir auslöste. Seine Augen waren auf meine gerichtet, wanderten nun zu meinen Lippen. Die seinen öffneten sich leicht.
„Okay...“, brachte ich mit zitternder Stimme wenigstens eine Antwort zustande und schloss meine Augen.

Kurz darauf spürte ich seine weichen Lippen, die sich sanft auf meine legten.
Mein Schokokuchenjunge küsste mich.

_____________________________________

Jaja, jetzt ist es endlich geschehen. Die beiden haben sich tatsächlich geküsst! Ich weiß ja, dass ihr den beiden jedesmal am liebsten den Kopf abgerissen hättet, wenn es nicht dazu kam, aber es musste einfach sein. Und wenn ich euch jetzt noch dazu sage, dass der Kuss eigentlich für noch später geplant war, könnt ihr euch freuen, sehr freuen :D

Vielleicht sind Einige von euch bei dem Portrait ja nicht ganz so überrascht. Beziehungsweise auch darüber, dass William es Emilia genannt hat. Ihr könnt mir ja mal eure Vermutungen dazu in die Kommentare schreiben, würde mich voll interessieren! :-)
Die ''Auflösung'' kommt dann im nächsten Kapitel, auch, wenn ich persönlich finde, dass es ziemlich offensichtlich ist, haha.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top