Der vierzigste Glückskeks

»Alles Geld der Welt ist nicht so viel wert wie zur rechten Stunde ein Becher besten Weines.«

Als es zur Mittagspause klingelte, brach eine merkwürdige Dynamik los. Alle Schüler strömten gut gelaunt und in Scharen auf die Mensa zu. Ich tat es ihnen gleich, wenn ich nicht eher mitgeschleift wurde. Ich schnappte mir ein Tablett und reihte mich hinter die anderen Schüler an die Essensausgabe. Als ich dran war, bestellte ich ein Sandwich. Die griesgrämig dreinschauende Essensfrau reichte mir wortlos einen Teller und richtete ihre Aufmerksamkeit bereits dem nächsten zu, als ich ein Dankeschön murmelte.

„Huhu, Süße. Lauren, wir sitzen hier!", hörte ich da eine Stimme rufen.
Natürlich wusste ich zu wem sie gehörte. Als ich mich umdrehte und in ihre Richtung sah, erkannte ich Sam, die mit drei weiteren Mädchen und vier Jungen an einem runden Tisch in der coolen Ecke saß. So hatten wir sie früher immer genannt, als es unser größter Wunsch war dort sitzen zu dürfen - das heißt, es war Sams Wunsch gewesen.

Sie hatten mir sogar einen Platz freigehalten, wie ich bemerkte. Ich zuckte nur mit den Schultern und wendete mich ab, tat so, als hätte ich sie nicht gehört. Ich verließ die Mensa und bog in den Westflügel ein. Am Ende des Flures durchquerte ich die geöffneten Türen und fand mich in der Bibliothek wieder. Nachdem ich mir einen Tisch gesucht hatte, nahm ich mein Sandwich in die Hand und begann zu essen.

Im Gegensatz zur Mensa hatte man hier Ruhe. Keine Schüler, die sich Dinge quer durch den Raum zuschrien oder auch mit Essen bewarfen. Nein, hier herrschte Ruhe. Außer mir hatte es noch fünf weitere Schüler hierherverschlagen, allerdings waren sie tief über Bücher gebeugt. Ihr Essen lag unberührt auf dem Tablett.

Als ich mein Sandwich aufgegessen hatte, griff ich nach meiner Tasche und dem Tablett. Das Tablett brachte ich zu den Geschirr-Wagen neben der Mensa, anschließend machte ich mich auf zu dem Raum, indem ich meinen nächsten Kurs hatte, und konnte so den Gedränge ausweichen, welches zwei Minuten später einsetzte.

einige Stunden später

Als ich an diesem Nachmittag wieder nach Hause kam, erwarteten Mum und Dad mich bereits sehnsüchtig. Sie stellten mir alle möglichen Fragen, auf die ich monotone, kurze Antworten gab. Ich wollte einfach nur in mein Bett, meine Ruhe. Und eine Antwort von William, ein Zeichen, dass es ihm gut ging.

Meinen Rucksack schmiss ich in die eine Ecke meines Zimmers, meine Schuhe kickte ich von meinen Füßen. Ich ließ mich auf mein Bett plumpsen und griff nach meinem Handy - noch immer nichts.

Seufzend rappelte ich mich auf und griff wieder nach meinem Rucksack. Ich schnappte mir mein Biologie-Buch und setzte mich damit an meinen Schreibtisch. Da ich bis morgen drei Kapitel lesen sollte, beschloss ich das lieber gleich hinter mich zu bringen. Immerhin konnte ich wenigstens so ein wenig Ablenkung gewinnen.

Das dachte ich zumindest. Zwei Stunden später war ich durch, jedoch hatte ich kaum etwas von dem Gelesenen behalten. Ich hatte mir zwar Notizen gemacht, jedoch verstand ich diese nicht wirklich. Und das alles nur, weil ich während des Lesens mit den Gedanken immer wieder bei William gewesen war.

Da ich wusste, dass Trübsalblasen keine Lösung bildete, schlurfte ich in die Küche, um mir Teewasser aufzusetzen. Während des Wartens griff ich nach meinem Handy und wählte Maggies Nummer. Tut. Tut.
„Ja?“
„Hi, Maggie.“
„Oh, hey, Lauren! Wie war dein erster Tag?“, fragte sie fröhlich.
„Ganz okay. Du, weshalb ich anrufe...“
„Ach, das freut mich ja! Was von William gehört?“, unterbrach sie mich.

„Deshalb rufe ich an, habe ich nämlich nicht. Ich dachte du hättest vielleicht in der Zwischenzeit was gehört.“
„Da muss ich dich leider enttäuschen, habe ich nicht.“, meinte sie traurig.
„Okay...aber du sagst bescheid, sobald du was weißt, ja?“, murmelte ich niedergeschlagen.
„Aber natürlich!“
„Okay, danke.“
„Kein Problem. Lass es dir gut gehen, Lauren. Bis dann.“
„Ja, du auch. Bis dann.“, verabschiedete ich mich und legte auf.

Die Sorge in mir wurde noch größer. Was war bloß, dass er nicht mal Maggie Bescheid gab?
Ich wandte mich wieder meinem Wasser zu, was mittlerweile kochte und goss es in eine Tasse. Gleichzeitig schwor ich mir, dass Sorge unbegründet war, bis ich nicht genaue Informationen hatte.

vier Tage später

Auch vier Tage später redete ich mir das ein, erfolglos. Mittlerweile war es Freitag und ich hatte noch immer nichts von Williams gehört - kein Anruf, keine SMS.

Ich kam gerade von der Schule, schloss die Haustür auf und brüllte meinen Eltern ein Bin zu Hause zu, als mein Hand klingelte.
William - eingehender Anruf. Sofort machte sich Erleichterung in mir breit. Ich drückte auf den grünen Hörer und hielt mir mein Handy ans Ohr. Währenddessen schlüpfte ich schnell in mein Zimmer und ließ meinen Rucksack von meiner Schulter rutschen.

„William!“
„Hey...Lauren.“, antwortete er leise.
Sofort sackte mir das Herz in die Hose. Etwas stimmte nicht. Ganz gewaltig nicht.
„William, was ist los? Wieso hast du dich nicht gemeldet?“
„Es tut mir leid, ich...“, meinte er mit zittriger Stimme.
„Schhh...ganz ruhig. Ist was passiert? Geht es dir gut?“
„Ja...nein...also ja, mir geht es gut.“
Weinte er?

„William, was ist los?“
„Ich...Lauren, ich...“
„William...okay, ich...ich komme zu dir! Okay?“
„Nein, Lauren, das...musst du nicht.“
„Doch, das muss ich. Mit dem Rad müsste ich in spätestens einer halben Stunde bei dir sein, ich beeile mich.“
„Ich kann dich gar nicht aufhalten, oder?“
„Exakt. Also bis gleich.“, sagte ich und legte auf.

Mein Herz schlug mir bis zum Halse und ich zitterte am ganzen Körper.
Lauren, reiß dich zusammen!
Mit wackligen Beinen raffte ich mich auf zu meinen Eltern. Ich murmelte etwas von einem Treffen mit Maggie und nachdem sie eingewilligt hatten, huschte ich aus dem Haus. Ich schloss mein Fahrrad ab und schwang mich drauf.

Und wirklich etwa eine halbe Stunde später knirschte der Kies unter mir, als ich Williams Haus erreichte. Ich stieg ab und schob mein Rad in den Vorgarten. Dann stieg ich die Stufen hoch und klingelte.
Im Bruchteil einer Sekunde wurde die Tür auch schon aufgerissen und William zog mich in seine Arme.

Ich schloss hinter uns die Tür und löste mich vorsichtig von ihm. Seine Augen waren stark gerötet und unglaubliche Müdigkeit spiegelte sich in ihnen. Die dunklen Schatten ließen ihn wie eine Leiche aussehen.
„Was ist passiert, William?“, fragte ich mit erstickter Stimme.

„Sie...sie...Lauren, sie...“, murmelte er und sah so aus, als würde er jeden Moment wieder in Tränen ausbrechen.
Ich nahm seine Hand vorsichtig in meine und führte ihn ins Wohnzimmer, wo ich mich gemeinsam mit ihm aufs Sofa setzte.
„Wer sie? Wen meinst du?“
„Meine Mum...“, murmelte er.
„Okay...und was ist mit ihr?“
„Sie...Lauren, sie...“

Oh. Nein. Bitte nicht.
„Geht es ihr nicht gut?“, versuchte ich zaghaft nachzufragen.
Wild schüttelte er mit dem Kopf und weitere Tränen rannen ihm die Wangen hinunter.
„Sie...sie hat es nicht geschafft, Lauren. Der...Krebs war stärker.“, antwortete William mit zittriger Stimme.

Mir sackte das Herz in die Hose. Meine Augen riss ich weit auf und schlang dann meine Arme um William. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, was ich darauf sagen sollte, geschweige denn wollte ich auf keinen Fall, dass er meine eigenen Tränen sah. Also hielt ich ihn, versuchte mich zu beruhigen und strich ihm über den Rücken. Ich versuchte ihm zu geben, was ich in solch einer Situation brauchen würde - Geborgenheit und Liebe, Sicherheit.

Ich gab ihm einen vorsichtigen Kuss auf den Scheitel, was zur Folge hatte, dass er seinen Kopf anhob. Seine vor Tränen glänzenden Augen trafen auf die meinen. Ich versuchte ein Lächeln aufzusetzen. Meine Augen wanderten zu seinem Mund, der sich zu einem gequälten Grinsen verzog. Sanft wischte er mir einige Tränen mit seinem Daumen von der Wange. Ich schloss die Augen und lehnte meine Stirn gegen seine. Sein Daumen strich weiter über meine Wange und kurz darauf spürte ich seine Lippen, die sich weich auf meine legten.

Ich lehnte mich zurück und öffnete die Augen.
„Schmecke ich da Bier?“, fragte ich.
„Ähm, könnte sein.“, meinte William zerknirscht.
„Ich glaube ich könnte auch eins vertragen.“
Überrascht riss er seine Augen auf, dann lächelte er verschmitzt. Er stand auf, ging in die Küche und kam, nur Sekunden später, wieder.

Er reichte mir eine geöffnete Flasche, die ich vorsichtig an meine Lippen legte. Die Flüssigkeit schmeckte bitter und absolut scheußlich, aber sie sorgte dafür, dass mir augenblicklich wärmer wurde und ich für einen Moment vergaß, was los war.
„Schmeckt das widerlich!“
William lachte.
„Aber es hilft.“
Ich nickte und nahm noch einen großen Schluck.

Etwa eine Stunde später hatte jeder von uns ungefähr drei Flaschen intus.
„Weischt du was wir jetzt tun sollten?“, murmelte William.
Ich schüttelte wild mit dem Kopf.
„Karaoke singen gehen.“
„Jetzt?“, fragte ich skeptisch.
„Ja, klar.“
„William, ich kann nicht singen.“
„Ist doch egal. Es geht um den Spaß.“
„Aber ich bin angetrunken.“
„Noch besser. Dann ist es dir nicht ganz so peinlich.“

„Ich glaube dafür brauche ich noch mindestens zwei dieser Flaschen.“
William lachte wieder.
„Okay, dann besorgen wir dir noch Bier und gehen anschließend zum Karaoke.“
Da er lächelte, willigte ich ein. Ich wollte, dass er einen Moment seine Traurigkeit und seine Mum vergessen konnte.

So kam es, dass wir kurze Zeit später in einer Bar hockten und ich an einem weiteren Bier nippte. Ich war nervös und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch vor mir. William umschloss sie mit seiner Hand.
„Die Leute hier sind so betrunken, dass sie sich morgen schon gar nicht mehr an uns erinnern werden.“
Mein Blick huschte durch den Raum. Er hatte recht. Einige dieser Leute hier, würden nicht mal mehr einen Schritt gehen können.

Ich nickte vorsichtig und kippte den Rest meines Bieres hinunter. William schob mir die zweite Flasche hin, die ich sofort zum Viertel leerte. Mit der Zeit wurde das Bier leider auch nicht leckerer.
Gerade stand ein junges Mädchen auf der improvisierten Bühne, sie war vielleicht sechzehn. Die Bühne bestand aus Bierkästen, die, umgedreht zu einem Rechteck angeordnet, aufgestellt worden waren. Bewegen konnte man sich da auf jeden Fall nicht, sonst konnte man auf einer Kiste wegrutschen, da sie nicht befestigt waren.

Das Mädchen hatte das Mikrophon in der Hand und nuschelte irgendwelche Worte, zu den Klängen von Yellow Submarine, hinein. Die Worte las sie von einem winzigen Bildschirm ab, der neben der Bühne stand.
Ich nahm einen weiteren großen Schluck und klatschte anschließend, weil das Mädchen geendet hatte.
Ich sah ihr dabei zu, wie sie vorsichtig von den Kästen hinunterkletterte und zu ihrem Tisch und ihren Freunden zurückwankte. Nach ihr war ein junger Mann an der Reihe.

„Anschließend sind wir dran, okay?“
Ich wendete mich wieder William zu und schluckte.
„Du wirst mich also nicht alleine lassen?“
„Ich glaube du kannst nach fünf Bieren nicht mal mehr wirklich stehen, also ja.“
„Ich bin noch foptit!“, meinte ich empört.
William lachte.
Meine Wangen erröteten, das spürte ich. Ob es am Alkohol lag, da war ich mir allerdings nicht so sicher.

Ich exte den Rest Bier und atmete nochmal tief durch. Der Junge endete gerade und wir standen auf. William hatte recht. Plötzlich drehte sich alles um mich herum. Schnell griff ich nach Williams Hand und ließ mich von ihm zu dem kleinen Podest führen. Er legte seine Hände an meine Taille und hob mich einfach hoch. Auf den Kästen setzte er mich ab und stand dann mit einem Schritt direkt neben mir. Er reichte mir eines der Mikrophone, nahm sich das zweite. Seine Augen trafen auf meine.

„Lass es und wie Troy und Gabrielle machen.“, meinte er augenzwinkernd.
„Du kennst High School Musical?“
„Maggie.“, meinte er schmunzelnd.
„Oh.“
Schüchtern lächelte ich.
Ich versuchte mir vorzustellen, dass diese ganzen Leute nicht hier waren. Dass William und ich allein waren.

Seine freie Hand umfasste meine und dann erklangen die ersten Töne von Up.
Kurz darauf begann William zu singen. Zu Anfang war er etwas unsicher, doch ich war überrascht, wie gut er singen konnte. Gab es irgendwas, was er nicht konnte?

I drew a broken heart,
right on your window pane.
Waited for your reply,
here in the pouring rain.
Just breathe against the glass,
leave me some kind of sign.
I know the hurt won't pass, yeah.
Just tell me it's not the end of the line.
Just tell me it's not the end of the line.

Er drückte meine Hand nochmal und dann begann ich, beziehungsweise versuchte ich meinen Part zu singen.

I never meant to break your heart,
and I won't let this plane go down.
I never meant to make you cry,
I'll do what it takes to make this fly.
You gotta hold on,
hold on to what you're feeling.
That feeling is the best thing,
the best thing alright.
I'm gonna place my bet on us,
I know this love is heading in the same direction.
And that's up.

Aufmunternd lächelte William die ganze Zeit über.
Wir wechselten weiterhin unsere Parts, bis wir daran waren gemeinsam zu singen.
Ich hatte nicht mehr das Gefühl auf diesen Kästen zu stehen, in dieser schmudeligen Bar. Ich hatte das Gefühl, dass William und ich uns hier etwas offenbarten. Dass wir das, was er sang und ich zumindest versuchte, dass wir das auch so meinten - und es dabei nur uns beide gab.

I'm gonna place my bet on us,
I know this love is heading in the same direction.
And that's up.

Und als wir diese letzten Zeilen sangen, die letzten Töne erklangen und wir uns da an der Hand haltend gegenüberstanden, wusste ich, dass ich da in was hineingeschlittert war, aus dem ich so leicht nicht wieder herauskam und ehrlich gesagt wollte ich das auch gar nicht.

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So, ihr Lieben!
Da habe ich es endlich geschafft einen neuen Teil zu schreiben...und auch einen längeren, das war ich euch definitiv schuldig!

Ich habe irgendwie das Bedürfnis etwas zu dem Lied zu sagen. Ich habe keinen wirklich Grund, wieso es dieses wurde. Erst wollte ich eins von High School Musical nehmen, aber das wär dann zu viel des guten gewesen, haha. Dann habe ich überlegt ein deutsches Duett zu nehmen, das fand ich dann jedoch auch nicht passend. Nach einer gefühlten Ewigkeit des Suchens wurde es dann dieses, weil ich doch so einige Parallelen gefunden habe, die aber vermutlich nicht alle sehen werden. (Vielleicht interpretiere ich auch nur wieder zu viel, dazu neige ich sehr oft haha)

Genug geredet - bis zum nächsten Mal <3
Julia

 





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