Der siebzehnte Glückskeks
»Das Wertvollste im Leben ist die Zeit. Leben heißt, richtig mit der Zeit umzugehen.«
Meine Mum tanzte um den Tisch und jubelte: „Harry, ich hab es dir doch gesagt. Ich habe es dir gesagt!"
Ja, sie freute sich darüber, dass ich ihr mitgeteilt hatte, heute ein weiteres Mal zur Selbsthilfe-Gruppe zu gehen. Dass ich vor allem hinging, um William zu sehen, sagte ich ihr natürlich nicht. Vermutlich konnten sie sich gar nicht mehr an ihn erinnern.
Dieses Mal war es anders. Ich kannte den Weg von der U-Bahn zum Jugendclub bereits und auch eine andere Sache, war dieses Mal neu. William. Er wartete vor dem Eingang auf mich.
Als er mich sah, kam er lächelnd auf mich zu und zog mich in seine Arme.
„Hey."
„Na du.", erwiderte er.
„Wie geht es dir?"
Drohend hob ich den Zeigefinger.
„Kein Smalltalk, mein Lieber."
„Und wie soll ich dann erfahren, ob es dir gut geht?"
„Ist das denn wichtig?"
„Ja, mir ist das sehr wichtig.", sagte er ernst. „Hm, okay. Es...geht mir gut, nur ein bisschen Bauchschmerzen die letzten Tage." Besorgt musterte William mich, sagte aber nichts weiter dazu, wofür ich ihm sehr dankbar war.
„William, huhu!", hörten wir da plötzlich eine Stimme hinter uns.
Erschrocken wichen wir auseinander. Maggie kam auf uns zu gehüpft.
„Ah, Lauren! Hey. Wie schön dich wieder zu sehen. Und wie ich sehe, hast du Will auch kennengelernt."
Ich spürte Williams verwirrten Blick von der Seite.
„Hi Maggie.", begrüßte ich sie.
Sie umarmte William und dann beschlossen wir reinzugehen.
Jackson bestand darauf dieses Mal zu Beginn ein Lied zu singen. Es hörte sich aber eher nach Gemurmel, als nach Gesang an. Das lag vermutlich daran, dass es jedem peinlich war vor den anderen zu singen und deshalb vor sich hin nuschelte. Nicht mal Jackson sang mit, da er zu sehr darauf konzentriert war, die richtigen Akkorde auf der Gitarre zu spielen.
Nachdem die wohl merkwürdigsten drei Minuten vergangen waren, lächelte Jackson kurz in die Runde, bevor er ernst sagte: „Hallo, meine Lieben. Mir geht es heute nicht so gut."
„Oh wieso denn das, Jackson?", ertönte es im Chor.
„Ich musste meinen Kater Henry einschläfern lassen."
Während die Gruppe einheitlich die Worte: Du bist nicht alleine. murmelte, beugte William sich zu mir rüber und flüsterte: „Jackson ist sehr einsam, Henry ist der Einzige, mit dem er viel Kontakt hatte."
Ich warf ihm einen entsetzten Blick zu.
Das war ja furchtbar. Jackson musste ja schrecklich einsam sein.
„Deshalb hat er auch diese Gruppe hier ins Leben gerufen."
Ich konnte nur nicken.
Jeder nacheinander erzählt, wie es ihm zur Zeit ginge und jedes Mal erwiderte die Gruppe dieselben Worte.
Damit jeder das Gefühl hat, jemand ist für ihn da, aber vor allem auch, jemand interessiert sich für sein Wohlbefinden.
Als ich an der Reihe war, blickte ich William an und lächelte kurz.
„Mir geht es eigentlich sehr gut. Ich habe meine Operation gut überstanden. Und ich habe jemanden kennengelernt, seitdem scheint alles bunter und fröhlicher in meinem Leben."
William berührte leicht meine Hand mit seiner. Jackson strahlte mich an und die Gruppe sagte: „Deine Freuden sind auch Unsere."
Kurz lachte ich und sah dann William neben mir an. Er war an der Reihe.
„Mir geht es auch gut. Meiner Mum geht es super, wenn das so weitergeht, kann ich vielleicht bald mein Studium weiterführen."
Überrascht sah ich ihn von der Seite an und stimmte dann in den Chor mit ein: „Deine Freuden sind auch Unsere."
Nachdem auch die letzten ihre Gedanken losgeworden waren, erklärte Jackson die Gruppe für beendet. Ich verabschiedete mich von Maggie und umarmte William zum Abschied.
„Können wir nicht noch etwas Zeit miteinander verbringen?", flüsterte er an mein Ohr.
Bedauernd schüttelte ich den Kopf.
„Meine Mum holt mich ab. Ich ruf dich an, ja?"
Ich konnte aus den Augenwinkeln Maggie erkennen, wie sie uns beobachtete. Als ich den Keller verließ, hörte ich noch wie sie ihn fragte, was da zwischen uns liefe.
Wieder zuhause lümmle ich mich in mein Bett und schlage mein Mathe-Buch auf. Ich muss leider für die morgige Stunde mit Susanna noch Einiges wiederholen, sonst kommen wir nicht voran. Ich hatte nicht mal ein Kapitel gelesen, geschweige denn verstanden, da piepte mein Handy.
18:06 Maggie hat gefragt, was das zwischen uns ist.
Achso? 18:07
18:08 Ja.
Und was hast du geantwortet? 18:09
Nachdem er nicht mehr antwortet, legte ich mein Handy beiseite und versuchte mich wieder auf den Stoff zu konzentrieren. Doch das ging nicht, weil mein Handy auf einmal klingelte.
Eingehender Anruf – William.
„Du hältst mich vom Lernen ab, William."
„Mensch was für eine nette Begrüßung."
„Was gibt's?", fragte ich.
„Ich lenke dich ab, ja?", wollte William wissen und ich hörte sein Grinsen durch das Telefon hindurch.
„Bilde dir darauf ja nichts ein.", sagte ich lachend.
„Ich doch nicht."
„Natürlich nicht...Also? Du lenkst vom Eigentlichen ab. Weshalb rufst du an?"
„Maggie wollte wissen, was das zwischen uns ist."
„Das hast du mir bereits geschrieben."
„Sie dachte, dass wir uns das letzte Mal erst kennengelernt haben. Deshalb war sie verwirrt, weshalb wir so...vertraut miteinander umgehen. Ich habe ihr gesagt, dass wir uns schön länger kennen und woher. Ich hoffe das ist okay?"
„Klar, wieso sollte ich was dagegen haben? Ich konnte ihr das das letzte Mal nicht erklären, ist doch okay. Ich meine ihr seid ja auch sehr gut befreundet, also kein Problem.", erklärte ich.
„Okay."
Ich konnte hören, wie erleichtert William über meine Antwort war.
„Das hättest du mir doch aber auch schreiben können, William."
„Ich wollte aber deine Stimme hören, Lauren."
In diesem Moment war ich mehr als froh, dass er durchs Handy nicht sehen konnte, wie ich rot anlief.
„Die hast du doch aber erst vorhin gehört..."
„Hat mir aber nicht ausgereicht."
„William?"
„Ja, Lauren?"
„Ich muss jetzt wirklich weiter Mathe lernen."
„Hm na gut. Wir sollten uns die nächsten Tage treffen und einen neuen Punkt auf der Liste abarbeiten."
„Ich hoffe, dass das möglich ist. Wie wär's: Ich ruf dich morgen nach dem Unterricht an, okay?"
„Ich nehm' dich beim Wort!"
Lachend verabschiedete ich mich und legte auf. Ich robbte auf meinem Bett in Richtung meines Nachttischs und öffnete die Schublade.
Den Umschlag, auf den William meinen Namen geschrieben hatte, zog ich heraus. Ich öffnete ihn und faltete die Liste auseinander. Punkt 7 – Picknicken, Punkt 13 – Glückskekse essen und Punkt 15 – unter einem echten Sternenhimmel liegen hatten wir bereits abgearbeitet. Hinter die Punkte hatte ich kleine Kreuze gemalt.
Blieben nur noch 17 und die fünf freien Punkte.
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