Der sechsundzwanzigste Glückskeks

»Die Wissenden reden nicht viel, die Redenden wissen nicht viel.«

Die Tage nach unserem gemeinsamen Wochenende lief ich wie eine Idiotin grinsend umher. Mum und Dad beäugten mich misstrauisch, doch das war mir egal. Ihr Wochenende konnte auch nicht so schlecht gewesen sein, denn sie hatten mir mit keiner Silbe vorgeworfen, dass ich Samstagabend vergessen hatte bei ihnen anzurufen, wann ich wieder zuhause gewesen war beziehungsweise wäre.

Heute war Donnerstag, was bedeutete, dass die Selbsthilfegruppe stattfand. Jackson war wieder gesund, was mich sehr freute. Die Treffen brachten mir ein wenig Ablenkung von dem Ganzen, neben den Unterrichtsstunden.
Da meine Eltern es mir immer noch nicht erlaubten groß das Haus zu verlassen, freute ich mich geradezu über diese Möglichkeit. Die Diskussion darüber, dass sie doch einfach übers Wochenende weggefahren waren und mir da doch auch nichts passiert war, hatte ich aufgegeben.

Anscheinend sei dies etwas völlig anderes gewesen. Muss man nicht verstehen!
Ich saß in der U-Bahn, hatte Ohrstöpsel in den Ohren und schaute aus dem Fenster, als mein Handy vibrierte.

16:37 Ich muss dir was zeigen.

Verwirrt blickte ich auf die Nachricht. Sie ergab einfach keinen Sinn.
Wir würden uns gleich sehen und er wollte mir etwas zeigen? Ich beschloss die Nachricht erst einmal zu ignorieren und ihn gleich darauf anzusprechen.
Zehn Minuten später stieg ich aus der Bahn und die Stufen nach oben hinauf. Der Weg kam mir heute noch kürzer vor, als die letzten Male.

Weder William, noch Maggie standen vor dem Eingang, weshalb ich gleich das Jugendzentrum betrat und die Treppe in den Keller nahm. Ich fühlte mich unwohl, wenn ich irgendwo rumstand und aussah, als wäre ich versetzt worden.

Im Raum saßen bereits einige Gruppenmitglieder, weshalb ich mir von dem Essenstisch einen Keks schnappte und auf einen Stuhl gleiten ließ. Kurze Zeit später ging die Tür auf und ich hörte jemanden lachen. Mein Kopf schwang nach hinten und erkannte Maggie und William. Anscheinend hatte er ihr gerade etwas Witziges erzählt. Ich will es auch hören, William dachte ich.
Oh Gott, was war bloß los mit mir?

Maggie erblickte mich und quiekte. Ich stand auf und ließ mich in eine Umarmung ziehen. Sie setzte sich auf den Platz links von mir. Als Williams Blick den meinen traf, verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. Er umarmte mich und legte seine Lippen an mein Ohr.
„Ich muss dir was zeigen.", flüsterte er.
Dann trat er zurück und setzte sich auf den Platz neben Maggie. Verdutzt ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und wartete, dass Jackson den Keller betrat.

Nachdem Jackson die Gruppe für beendet erklärt hatte, verabschiedete sich Maggie von uns. William trat einen Schritt auf mich zu.
„Komm, ich zeige es dir jetzt."
„William, ich..."
Er hatte meine Hand gegriffen und war bereits auf dem Weg zur Tür. Abrupt blieb er stehen.
„Ja, Lauren? Du?"
„Meine Mum, sie holt mich ab."
„Oh."
„Ja.", sagte ich betreten.
„Kannst du nicht lügen und ihr sagen die Gruppe wäre länger gegangen?"

„Und wie soll ich das bitte machen? Sie wird uns sehen, wenn wir aus dem Eingang treten."
„Es gibt einen zweiten Eingang.", entgegnete William grinsend.
„Aber...", wollte ich schon protestieren, doch er unterbrach mich.
„Bitte, Lauren. Es dauert auch nicht lange. Ich setz dich auch hinterher wieder hier ab und du steigst zu deiner Mum ins Auto, sie wird nichts merken. Bitte."

Ich seufzte und gab mich schließlich geschlagen.
„Okay."
William lächelte breit, küsste mich flüchtig auf die Stirn und führte mich dann die Treppe nach oben.
„Du wirst es nicht bereuen."
Als wir im Erdgeschoss ankamen, traten wir durch die große Tür und liefen durch den Gemeinschaftsraum. Ich entdeckte neben den Tischkichern und Bücherregalen noch einige Computer und Brettspiele.
William führte mich durch einen kleinen Flur hinaus auf einen zweiten Parkplatz. Sofort erkannte ich auch seinen Wagen. Wir stiegen ein und er fuhr los.

Der Weg dauerte keine fünf Minuten und doch waren wir außerhalb der Stadt. Hier fand man nur Landstraßen und Felder soweit das Auge reichte. William fuhr in einen kleinen Feldweg ein und parkte das Auto.
Wir stiegen aus und mir stockte für einen Moment der Atmen. Vor uns erstreckte sich ein riesiges Sonnenblumenfeld. Es strahlte so viel Wärme und Fröhlichkeit aus, dass ich anfing zu lächeln.

Vorsichtig ging ich den Feldweg ein weiteres Stück entlang und fuhr sanft mit den Fingerspitzen über die Blüten einer Sonnenblume.
Ich drehte mich zu William um, der an sein Auto gelehnt dastand und mich beobachtete. Er lächelte und ich lächelte zurück, dann hob ich meine Arme rechts und links von mir ein Stück und rannte den Feldweg entlang, streifte die Blütenblätter und genoss den Rausch, der mich erfüllte. Man fühlte sich frei, hier außerhalb der Stadt. Man fühlte sich unbeobachtet und das war eines der schönsten Gefühle der Welt. Niemand konnte einen schief ansehen, nein. Man konnte den Moment wirklich genießen.

Ich drehte mich einige Male um die eigene Achse, dann rannte ich den Weg zurück zu William. Lachend fiel ich ihm in die Arme.
„Das war toll, dankeschön."
Ich hob meinen Kopf und grinste ihn an.
„Nichts zu danken.", erwiderte er und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Das tat er wirklich oft, schoss es mir durch den Kopf. Doch von mir aus, konnte er es auch weiterhin tun. Es war eine liebevolle Geste.

Und auch dieses Mal erschauderte ich und meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich räusperte mich und wich zurück.
„Na komm, ich bring dich zurück, damit deine Mum nicht noch den ganzen Jugendclub auf den Kopf stellt, weil ihre Tochter verschwunden ist."
Ich biss mir auf die Unterlippe und nickte. Wir stiegen ein und William fuhr zurück. Er parkte wieder auf dem Parkplatz beim Hintereingang und ich hüpfte schnell aus dem Auto.

Zum Abschied hielt ich meine Hand in die Höhe, dann schloss ich die Tür und lief zur Hintertür. Bevor ich sie öffnete, drehte ich mich noch einmal um und grinste William an. Anschließend schlüpfte ich durch die Tür und lief durch den Gemeinschaftsraum. Als ich durch den Haupteingang trat, erblickte ich sofort Mums Auto. Ich ging zu ihr und stieg ein.
„Da bist du ja, Lauren."
Ich schnallte mich an.
„Ja, die Sitzung ging heute etwas länger.", log ich.
„Achso, okay. Und wars schön?"
Ich zuckte mit den Schultern.
Ja, das war es.

_____________________________________

Tut mir leid, dass das Kapitel so kurz geworden ist, doch morgen beginnt mein FSJ Kultur, für mich alles sehr aufregend & in den letzten Tagen hatte ich dafür einiges zu erledigen. Ich hoffe euch gefällt das Kapitel trotzdem.

Julia

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top