Der sechsunddreißigste Glückskeks
»Es genügt nicht, an den Fluss zu gehen mit dem Wunsch, Fische zu fangen. Man muss auch ein Netz mitbringen.«
Ich schloss die Augen, unterdrückte den Drang genervt zu stöhnen.
„Ach ja?", stellte ich mich blöd.
Natürlich wusste ich genau, wovon er sprach. Genauso wie ich wusste, dass William klar war, dass ich wusste, was er meinte.
Aber ich wollte einfach nicht darüber reden, auch wenn es vermutlich das Richtige wäre, da meine Gedanken sich in meinem Kopf einen unerbittlichen Kampf lieferten.
„Ja, also ich will dich damit nicht belasten. Ich weiß, dass es im Moment alles noch ganz schön viel für dich ist, aber...ich denke irgendwann sollten wir da mal drüber reden oder so...", stammelte William.
„Aber wäre es...nicht besser wir würden das persönlich machen?", wagte ich einen Versuch um das Ganze noch ein wenig weiter rauszuschieben.
„Ja, vermutlich.", seufzte er.
„Ich frage meine Eltern nachher mal, ab wann ich wieder Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen darf. Ich sage dir dann bescheid, okay?"
Mehr konnte ich dazu im Moment einfach nicht sagen.
„Ja, okay."
Beim Abendessen versuchte ich ganz nebenbei auf das Thema zu sprechen zu kommen. Ich kaute auf meinen Bohnen herum, während Mum und Dad über irgendeine Sendung diskutierten, die sie letzten im Fernsehen geschaut hatten.
„Ähm...", ich räusperte mich und unterbrach dann einfach ihren Redeschwall.
„Habt ihr eigentlich was dagegen, wenn ich mich die nächsten Tage verabrede?"
Mum machte große Augen, Dads Mundwinkel hoben sich.
„Also vormittags hast du noch ein paar Termine mit Susanna.", meinte Mum.
„Und nachmittags?", hakte ich nach.
„Da kannst du dich sicherlich mal mit Maggie treffen."
Ich nickte, konnte sehen, wie mein Dad mir zuzwinkerte, was mich erröten ließ. Schnell wandte ich mich ab und wieder meinem Essen zu.
kurze Zeit später
Also wir können uns bald sehen. 19:34
19:35 Was heißt bei dir bald?
Weiß nicht genau. 19:36
19:36 Kommst du übermorgen zur Selbsthilfegruppe?
Weiß nicht, ich denke schon. 19:37
Ich biss mir auf die Lippe.
Ich hatte solche Angst vor dem nächsten Treffen mit William. Sicher ich konnte einem Gespräch irgendwie aus dem Weg gehen, davor flüchten, aber ihn zu sehen, würde nichts erleichtern. Außerdem würde Maggie merken, dass etwas nicht stimmte und uns garantiert zu einem Gespräch zwingen.
Keine Ahnung, weshalb er nicht antwortete, doch es kam keine Nachricht mehr. Den ganzen Abend schaute ich auf mein Handy, doch nie zeigte es eine neue SMS, bis ich es irgendwann aufgab.
Am nächsten Morgen erklärten mir meine Eltern beim Frühstück, dass sie erst am Abend wieder zurück wären. Arbeiten und danach hätten sie wichtige Erledigungen zu machen.
Susanna würde wie gehabt um elf vorbeikommen.
Ich nahm das alles mit einem Nicken zur Kenntnis und witterte eine Chance.
Letzte Nacht hatten mich einige Gedanken wachgehalten. Ich musste mir eingestehen, dass es besser war das Ganze so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen, weil es so nur zwischen William und mir stand.
Susanna war gerade aus der Haustür, da wählte ich auch schon Williams Nummer.
Tut. Tut. Tut.
„Ja, hallo?", meldete er sich.
„Hey, William. Also meine Eltern sind heute den ganzen Tag nicht da, sprich ich...könnte heute.", sprudelte es aus mir heraus.
„Ähm, okay. Soll ich vorbeikommen? Ich könnte in einer viertel Stunde da sein."
„Äh, ja... Also, wenn dir das nichts ausmacht.", murmelte ich.
„Bin gleich bei dir.", sagte William und legte auf.
Nervös lief ich durchs Haus, kletterte auf die Küchentheke und wieder runter, um mir was zu Trinken in ein Glas zu füllen und räumte die Spülmaschine aus. Als es dann klingelte, musste ich erst einmal tief durchatmen, dann durchquerte ich den Flur und öffnete die Tür.
Unmerklich lächelte William mich an, seine Hände, wie gewohnt in den Hosentaschen vergraben.
„Hey, Lauren."
„Hi, komm am besten rein.", entgegnete ich schüchtern.
William nickte und ging dann an mir vorbei ins Haus.
Hinter ihm schloss ich die Haustür wieder und ging in die Küche.
„Willst du was trinken?", fragte ich.
„Ein Wasser wäre toll."
Ich nickte, nahm ein Glas aus dem Schrank und hielt es unter den Wasserhahn. Anschließend reichte ich es William und ließ mich auf einen Hocker am Esstisch fallen.
Er setzte sich mir gegenüber und nippte an seinem Wasser.
„Also...", fing er an.
„Also...", wiederholte ich.
„Ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dann doch...so schnell von dir zu hören. Ich dachte irgendwie du würdest versuchen einem Gespräch aus dem Weg zu gehen."
„Naja, das ist auch nicht ganz falsch, aber...mir war klar, dass diese Unterhaltung unausweichlich ist."
William nickte nur gedankenverloren und starrte in sein Glas.
„Ähm, ja...", murmelte ich vor mich hin.
Wenigstens sorgte es dafür, dass er seinen Blick hob und mich ansah.
„Lauren, ich...", begann er und fuhr sich nervös durch die Haare.
„Ja?", hakte ich nach, da ich keine Ahnung hatte, wie ich dieses Thema am ehesten ansprechen sollte.
„Ich, also...", stammelte William und schloss kurz die Augen, atmete einmal tief durch.
„Okay, also, Lauren, hör zu. Sicherlich hast du bereits gemerkt, dass ich dich mag. Die Wahrheit ist, ich mag dich viel viel mehr noch. Und wenn du jetzt sagst, dass du das noch nicht bemerkt hast, dann redest du dir da was ein. Und du...kannst mir auch nicht sagen, dass es dir damit nicht ähnlich geht. Da ist etwas zwischen uns...und wenn du das jetzt abstreitest, wäre ich nicht nur am Boden zerstört, sondern würde auch an meiner Menschenkenntnis zweifeln."
Er sah mir direkt in die Augen, jedes Wort kam tief aus seinem Herzen, das spürte ich. Seine Hand griff sanft nach der meinen und ich ließ es zu.
„Und, erinnerst du dich noch, als ich dich im Krankenhaus gefragt habe, ob wir mal ausgehen würden?"
Natürlich.
Zaghaft nickte ich.
„Ich meinte verständlicherweise nicht, dass wir abhängen würden, als Freunde. Ich meinte ausgehen, wie...ein Date halt. Lauren, ich...ich hab jetzt einen Teil von dir kennenlernen dürfen und er gefällt mir, sehr sogar. Ich will aber auch noch den Rest von dir erfahren – was ist dein Lieblingsessen, deine Lieblingsfarbe, welche Serie hast du während deiner Kindheit gesehen – keine Ahnung, das und noch viel mehr."
William mühte sich ein Lächeln ab und ich auch. Es rührte mich und ich war mir sicher, dass es das Süßeste war, was ich je gehört hatte. Es war besser, als jede Liebeserklärung, von der ich je gelesen hatte.
„Also, Lauren...gehst du mal mit mir aus? Bitte?"
Meine Mundwinkel hoben sich noch ein weiteres Stück, wenn das denn überhaupt möglich war. Ich stand auf, trat neben seinen Stuhl und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
„Ist das ein Ja?"
Ich nickte und grinste blöd, da erhellte sich auch Williams Gesicht und auch seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen.
„Ich schätze ich bin dir eine Erklärung schuldig.", meinte ich und meine Lippen zierte kein Lächeln mehr.
Ich rutschte wieder zurück auf meinen Stuhl und druckste vor mich hin.
„Es tut mir leid, dass ich so abweisend war. Ich hab gemerkt, dass du mich magst, ja, aber ich...ich hab mir irgendwie eingeredet, dass das alles freundschaftlich ist. Dabei wusste ich, dass ich dich auch mehr mag...aber ich hatte Angst alles irgendwie kaputt zu machen. Ich hätte nicht gewusst, wie ich ohne dich im Leben klar hätte kommen sollen. Und dann war da der Kuss...ich dachte vielleicht wäre das ja nur aus einer Laune heraus gewesen, oder so. Ich hatte Angst davor zu hören, dass du nicht so fühlst und dir das alles egal ist, es nichts bedeutet hat."
Ich spürte Williams Finger sanft über meinen Handrücken streichen.
„Aber so ist es nicht, Lauren.", meinte William lächelnd.
„Ja, so ist es nicht, stimmt.", antwortete ich und musste ebenfalls lächeln.
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