Der fünfundzwanzigste Glückskeks

»Güte in den Worten erzeugt Vertrauen; Güte beim Denken erzeugt Tiefe; Güte beim Verschenken erzeugt Liebe.«

Verdattert starrte ich ihn an.
Was meinte er denn damit?
William legte eine Hand an meine Wange und strich zaghaft mit dem Daumen über meine Haut. Es fühlte sich an, als würden seine Berührungen winzig kleine Stromschläge durch meinen Körper schicken – und doch – breitete sich eine angenehme Wärme in mir aus.
„William?"
„Ja, Lauren?", raunte er mir an mein Ohr und lehnte seine Stirn gegen meine.
Ich schloss die Augen.

„Wir sind uns schon wieder so nah."
„Ich weiß, Lauren."
Wir standen lange so da, sehr lange. Keiner von uns beiden rührte sich auch nur einen Millimeter. Es war diese Art von Berührung bei der man Angst hat, der andere würde bei der kleinsten Bewegung zurückweichen.
Und das wollte ich unter keinen Umständen.
Williams Körper strahlte eine unglaubliche Wärme auf mich ab und wie er mich so hielt, gab mir das Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit.

Ich wünschte ich könnte ihm oft so nah sein, immer so nah sein.
Doch negative Gedanken schoben sich in meinen Kopf. Wie groß sollte die Wahrscheinlichkeit schon sein, dass er genauso empfand, genauso dachte? Und dann war da noch dieses Mädchen...Emilia. Ich wollte unter keinen Umständen der Grund sein, der dem Glück der beiden im Weg stünde. Ja, Glück. Denn dieses Mädchen hatte ein Riesenglück, dass William Interesse an ihr zeigte.

Ich wollte es nicht, doch ich wusste es würde sonst schlimmer werden, also löste ich mich ein Stück von ihm. Soweit mir das eben möglich war, an die Küchentheke gedrängt. Ich nahm meinen Kopf nach hinten und schob ihn sanft von mir fort.
„Unsere Heiße Schokolade wird noch kalt.", sagte ich leise und wies auf unsere Tassen. Williams Blick schien mich wieder einmal zu durchbohren, versuchte in meinen Augen eine Erklärung für mein plötzliches Verhalten zu finden.

Ich wandte meine Augen ab und griff nach meiner Tasse. Mittlerweile war die Schokolade nur noch lauwarm, aber sie schmeckte trotzdem sehr lecker.
„Es ist schon sehr spät.", sagte William plötzlich.
„Möchtest du heute hier übernachten? Wir haben ein Sofa...", fügte er hinzu.
Ich lächelte und nickte.
„Sehr gern, danke."
Für einen kurzen Moment konnte ich so etwas, wie Erleichterung in seinen Augen lesen.

„Ich besorge dir Bettzeug.", murmelte er und verschwand aus der Küche.
Ich schlürfte in der Zeit meine Schokolade aus. Er brauchte ganz schön lange bis er wieder in der Küchentür auftauchte,fand ich, doch ich fragte nicht nach.
„Das Sofa steht im Wohnzimmer, mein Schlafzimmer liegt am Ende des Flurs. Wenn was ist, ich bin da.“
Ich nickte und trat auf ihn zu. Flüchtig drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange und murmelte: „Gute Nacht, danke für den schönen Tag."

Ich senkte den Kopf und ging an ihm vorbei aus der Küche ins Wohnzimmer und ließ mich in die Kissen auf dem Sofa fallen. Wenn meine Eltern wüssten, wo ich gerade bin kam es mir in den Sinn, bevor ich in einen tiefen Schlaf sank.

Am nächsten Morgen wachte ich auf, rieb mir über meine müden Augen und war im ersten Moment verwirrt. Dann fiel es mir wieder ein.
Dieses lichtdurchflutete Zimmer, in dem ich mich befand, war Williams Wohnzimmer. Ich schlug die Bettdecke zur Seite und ging hinüber in die Küche.
Zu meiner Überraschung traf ich dort auf William, der gerade Rührei in einer Pfanne zubereitete.

„Guten Morgen.", murmelte ich und ließ mich auf einem der Stühle nieder, die um den Esstisch standen.
„Oh hey.", sagte William und drehte sich freudestrahlend zu mir um.
„Gut geschlafen?", wollte er wissen.
„Wie ein Stein. Bist du schon lange auf?"
„Mhm, nicht sehr lange. Tee?"
Ich nickte und er stellte eine dampfende Tasse vor mir auf den Tisch.
„Wann kommen deine Eltern heute wieder?"
„Mittags...", antwortete ich.

„Dann bringe ich dich wohl nach dem Frühstück wieder zurück, was?"
Ich nickte.
Ich war mir nicht sicher, doch ich glaubte dieselbe Betrübtheit in Williams Augen lesen zu können, die auch ich empfand.
Aus dem Regal nahm er zwei Teller und stellte sie auf den Tisch, einen vor mich. Dann öffnete er ein Schubfach und griff nach Besteck. Anschließend landete auf jedem unserer Teller Rührei mit Schinken und Toast.

Es schmeckte wunderbar und ich wünschte mir mehr solcher Sonntage, an denen wir gemeinsam frühstückten.
„Und was machst du heute noch so?", wollte ich kauend wissen.
„Ich weiß noch nicht genau...vielleicht meine Mum besuchen...oder meine Bewerbung für die Uni schreiben."
Ich riss vor Überraschung meine Augen weit auf.
„Uni? Also ich weiß ja...also bei der Selbsthilfegruppe meintest du ja du würdest dein Studium wieder beginnen...aber...tut mir leid ich...will dich nicht ausfragen und du musst auch nicht antworten, aber..."

„Lauren.", unterbrach er mich.
Ich sah ihn an und biss mir auf die Unterlippe.
Hätte ich doch nur meine Klappe gehalten.
William lächelte.
„Ich rede gern mit dir darüber. Immerhin habe ich es ja erwähnt. Ist doch klar, dass du dann fragst. Also nein vielleicht auch nicht, aber bei Leuten, die man mag..."
Jetzt schien er sich in seinen Worten zu verrennen.
Ich schmunzelte.

„Okay. Also welches Fach?"
„Kunst."
„Du studierst Kunst?"
„Also, naja ich habe und will es wieder, ja."
Ich musterte ihn. Irgendwie hatte ich damit nicht gerechnet. In demselben Moment frage ich mich aber auch, womit ich eigentlich gerechnet hatte.
„Und weshalb hast du aufgehört?", wollte ich wissen und im selben Moment schlug ich mir mit der Hand gegen die Stirn.

„Wegen meiner Mum. Ich wollte sie oft besuchen und musste mich ja selbst erstmal wieder in den Griff bekommen, das Studium hätte mir dazu keine Zeit gelassen."
Ich nickte verständnisvoll.
„Und warum ausgerechnet Kunst?", wollte ich wissen.
Er zuckte mit den Schultern.
„Auch so eine Sache, die du einfach so konntest?", fragte ich grinsend.

„Irgendwie schon."
„Darf ich mal was von dir sehen?", fragte ich.
„Ähm...ja."
„Wenn es dir unangenehm ist, musst du auch nicht. Ich kann das verstehen."
„Okay, danke.", sagte er.
Stille herrschte bis wir aufgegessen hatten.
Dann ging ich ins Bad, schlüpfte wieder in meine Sachen und gab William seine zurück.

„Ich fand ja eigentlich, dass sie dir viel besser gestanden haben, als mir.", sagte er grinsend.
Ich streckte ihm die Zunge heraus. Er lachte und hielt mir die Haustür auf.
Wir traten hinaus und gingen zu seinem Wagen.

Nach nicht einmal zehn Minuten Autofahrt kamen wir bei mir an. Wie William so war, bestand er auch dieses Mal wieder darauf mir die Tür aufzuhalten und hielt mir seine Hand hin, um mir herauszuhelfen. Anschließend zog er mich in eine feste Umarmung.
„Danke für den schönen Tag, Lauren. Und danke, dass du mich in dein Leben gelassen hast. Und, dass du meine Sachen angezogen hast.", flüsterte er in mein Haar.

Ich lachte und löste mich von ihm. Ich lächelte ihn an und entgegnete: „Ich danke wohl eher dir für den Tag. Und, dass ich bei dir übernachten durfte. Wirklich, danke."
Auch William lächelte, dann hob er die Hand und setzte sich ins Auto.
Er schloss die Tür und startete den Motor. Ich stand vor unserem Gartentor und wartete darauf, dass er losfuhr.
Plötzlich kurbelte er das Fenster runter und sagte ernst: „Bitte zieh dieses Kleid das nächste Mal nicht wieder an, wenn wir uns sehen."

Verwundert sah ich ihm dabei zu, wie er losfuhr.
Was sollte das denn jetzt bitte heißen? Jungs, pf.
Ich schüttelte den Kopf und beschloss nicht weiter darüber nachzudenken.
Ich schloss die Haustür auf und betrat das Haus. Nach einem Blick in den Spiegel im Hausflur beschloss ich unter die Dusche zu springen und anschließend in frische Klamotten zu schlüpfen.

Als ich anschließend in meinem Zimmer auf mein Bett sank, fiel mein Blick auf die Liste, die ich an der Dachschräge über meinem Bett mit Klebeband befestigt hatte. Ich griff nach meinem Kugelschreiber und malte kleine Kreuze neben die Punkte 1 und 4. 14 Punkte blieben noch.

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