Der fünfte Glückskeks
»Die Stärke an einem Gefühl erkennt man an den Opfern, die man bereit ist dafür zu geben.«
Mittlerweile war eine gute dreiviertel Stunde vergangen. William las und ich beobachtete ihn dabei.
Wie seine Augenbraue nach oben wanderte, wenn er überrascht war. Wie sich sein linker Mundwinkel belustigt hebte, wenn er ein Lachen zu unterdrücken versuchte. Wie sich die Falte zwischen seinen Augenbrauen kräuselte, wenn er über das Gelesene nachdachte.
"Lauren."
Ertappt sah ich auf meine Finger.
"Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du mich beobachtest."
Ich schmunzelte.
"Es war nicht meine Absicht dich abzulenken."
William lachte.
Wieso war sein Lachen nur so schön?
Ich sah ihn an. Er beobachtet mich mit einem Lächeln auf den Lippen.
"Wieso ist deine Mum hier?", wollte ich wissen.
Das Lächeln verschwand nicht, doch ich konnte seine innere Anspannung merken.
"Ich will dich mit so etwas nicht langweilen."
"Tust du nicht.", entgegnete ich.
Kurz wich er meinem Blick aus, sah mir jedoch dann wieder direkt in die Augen.
"Lass uns lieber über was Schönes reden.", sagte er und klappte das Buch zu.
"Und was ist für dich schön?"
Es kam mir so vor, als wollte er etwas sagen, doch er schwieg.
"Lass uns ein Spiel spielen.", antwortete er dann nach einer kurzen Pause.
"Ein Spiel?"
Genervt hob ich die Augenbrauen an.
"Ein Assoziations-Spiel. Ich sage ein Wort und du nennst das Nächstbeste, was dir dazu einfällt."
Ich seufzte genervt, doch nickte dann ergeben.
"Bereit?", wollte William wissen.
Wieder nickte ich.
"Buch."
"Wort."
"Nacht."
"Sternenhimmel."
"Emotionen."
"Kindheit."
"Fantasie."
"Freundschaft."
"Freiheit."
"Ozean."
"Abschied."
"Neubeginn."
"Sommer."
"Eiscreme."
"Grün."
"Wiese."
"Kunst."
"Farbklecks."
"Ähm...Liebe."
"Allein."
Ich wartete darauf, dass William mir das nächste Wort nannte, doch er blickte mich nur nachdenklich an.
"Was ist?", wollte ich wissen.
"Frage. Wieso assoziierst du mit Liebe allein?"
"Liebe wird überbewertet."
"Wieso?", fragte William.
"Allein ist man besser dran. Man ist von niemandem abhängig."
"Inwieweit ist man sonst von jemandem abhängig?"
„Von seinen Launen, Gefühlen...einfach abhängig halt."
William kaute auf seiner Unterlippe herum.
"Lauren?"
"Ja, William?"
"Du warst noch nie verliebt, oder?"
Verwirrt blickte ich ihn an.
"Wieso?"
"Wenn man verliebt ist, dann will man jede Sekunde mit der anderen Person verbringen, alles. Da ist es egal, ob diese Sekunden mit Freude, Wut oder Trauer verbunden sind - du willst es gemeinsam erleben. Du bist glücklich, vielleicht ein bisschen bescheuert, aber das ist okay."
"So was brauche ich nicht."
"Das sagst du nur, weil du es noch nicht erlebt hast. Du weißt nicht, wie es ist, wenn dir die Luft wegbleibt, nur, weil dir dein Gegenüber direkt gegenüber steht. Dein Herzschlag überschlägt sich beinahe vor Freude, wenn du diesen Menschen siehst und in deinem Bauch fliegen Schmetterlinge wild umher, wenn dieser Mensch lächelt. Du kannst in seiner Gegenwart nicht mehr richtig denken und bei der kleinsten Berührung fühlst du tausend Stromschläge deinen Körper durchfahren."
"Igitt.", erwiderte ich kühl.
Er musterte mich und kaute, in Gedanken versunken, auf seiner Unterlippe herum.
"Und weshalb ist Freundschaft für dich Fantasie?"
"Hm?"
Wovon spricht er jetzt?
"Als ich Fantasie gesagt habe, hast du Freundschaft geantwortet.", erklärte William seine Frage.
Das hatte ich bereits wieder vergessen.
"Wenn ich gewusst hätte, dass ich meine Antworten noch erklären muss, hätte ich nein zu dem Spiel gesagt."
"Also?", fragte William und ein Lachen umspielte seine Lippen.
Ich seufzte.
"Alle reden immer davon, dass es sowas wie Seelenverwandtschaft gibt. Menschen, mit denen man über alles reden kann, die einen verstehen. Ich glaube nicht daran an diesen ganzen Beste-Freunde-Quatsch. Ich hatte noch keine Freundschaft, von der ich behaupten würde, dass ich ohne sie nicht könnte. Ich habe keinen Menschen in meinem Leben, für den ich alles geben würde. Es gibt auf der Welt niemanden, der so denkt wie ich und immer für mich da sein wollen würde."
"Du hattest noch nie so etwas wie einen besten Freund?"
"Nein.", antwortete ich.
"Dann werde ich jetzt dein bester Freund."
Entgeistert blickte ich ihn an.
"Ich bezweifle, dass wir so etwas wie Seelenverwandte sind oder werden können, William."
Gespielt verletzt zog er einen Schmollmund.
"Außerdem bin ich, denke ich, keine gute beste Freundin.", fügte ich lachend hinzu.
"Lauren, ich werde dein bester Freund, okay? Gut."
"Ich brauche aber keinen Freund, ich kam bisher ganz gut allein zurecht.", sagte ich.
"Jeder braucht jemanden bei dem er sich fallen lassen und er selbst sein kann. Jemand, der einem in allem unterstützt, einem Mut macht. Und dieser Jemand bin ich. Wirst du schon noch merken."
Mit diesen Worten beugte er sich vor, drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verließ mein Zimmer.
Verdattert blickte ich ihm nach.
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