Der erste Glückskeks
»Ein lächelnder Mensch bietet dir Freundschaft und Verständnis.«
"Beobachtest du immer Leute, während sie lesen?", wollte er wissen und wieder verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln.
"Möglich.", antwortete ich.
Der Junge trat einen Schritt näher auf mich zu und schloss die Tür hinter sich.
"Bist du krank?"
"Nein, ich verbringe gern meine Freizeit im Krankenhaus." Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Sein Blick schweifte durch das Zimmer. An den trostlos aussehenden, pissgelben Gardinen blieb er hängen.
"Nett hast du es hier."
Seine Augen wanderten wieder zu mir. Ich konnte die Falte spüren, die sich zwischen meinen Augenbrauen gebildet hatte.
Was will er von mir?
"Ja, es hat einen gewissen Charme.", antwortete ich kurz.
"Magst du keinen Smalltalk?", fragte er und ließ sich auf dem, neben meinem Bett stehenden, Stuhl nieder.
"Was hast du vorhin für ein Buch gelesen?", fragte ich anstelle eine Antwort zu geben.
Seinen Blick wendete er nicht von mir ab, es schien eher so als würde er ihn noch intensivieren. Ich hatte das Gefühl seine Augen versuchten mich zu durchbohren, um in meinen Kopf hineinsehen zu können. Meine Nackenhaare stellten sich auf.
"Über dich reden, tust du nicht gerade gerne, was?", sagte er lachend.
Es war ein schönes Lachen, ein ehrliches.
"Kommt darauf an.", entgegnete ich.
"Worauf?", wollte er wissen.
Ich zuckte mit den Schultern.
"Ob es den Gegenüber interessiert."
"Es interessiert mich.", antwortete er und in seinen Augen war so viel Aufrichtigkeit zu erkennen, dass es fast weh tat.
"Dann würdest du mit mir aber keinen Smalltalk führen wollen.", erwiderte ich.
"Wie soll ich denn sonst ein Gespräch mit dir beginnen?"
Er lachte wieder. Selbst seine Augen schienen zu leuchten.
"Jedenfalls nicht mit so etwas Belanglosem. Da habe ich nicht das Gefühl, dass es dich interessiert. Es scheint dann so, als würdest du dich dazu verpflichtet fühlen ein Gespräch mit mir führen zu müssen, ohne es zu wollen."
Nachdenklich blickte er mich an, öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch schloss ihn dann gleich wieder.
Die Tür ging auf.
"So, hier ist deine Heiße Schokolade. Ich war so frei und habe dir auch gleich noch etwas zu Essen mitgebracht. Du weißt ja deine Mutter macht sich sonst wieder Sorgen, dass du zu wenig isst."
Mein Dad kam, ein Tablett auf dem Arm balancierend, herein.
"Oh..."
Überrascht schaute er von mir zu dem Jungen und wieder zurück.
"Das ist...", begann ich, ohne zu wissen, wie sein Name war.
Der Junge sprang auf, hielt meinem Vater die Hand hin und antwortete: "William, Sir. Aber Sie können auch gern Will sagen."
Immer noch verwirrt, schüttelte mein Vater seine Hand.
"Freut mich, Will. Ich bin Harry."
"Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Harry."
Eine unangenehme Stille machte sich breit. Ich starrte auf meine Fingernägel.
William räusperte sich: "Ich...ähm, ich muss dann auch mal wieder. Harry, machen Sie es gut."
Mein Vater nickte ihm zu.
Williams Blick suchte meinen.
"Wir sehen uns..."
"Lauren.", führte ich seinen Satz zu Ende.
Wieso verriet ich ihm meinen Namen?
William lächelte.
"Ein schöner Name."
Ich lächelte nicht zurück, sah ihn nur weiter ausdruckslos an.
Er räusperte sich wieder und hob zum Abschied die Hand.
Nachdem die Tür hinter ihm zugefallen war, überkam mich ein Gefühl von Kälte. Würde ich den Jungen mit dem ehrlichen Lachen wohl jemals wiedersehen?
"Wer war das?"
"William", antwortete ich.
Dad stöhnte.
"Ich meine, woher kennt ihr euch?"
"Ich kenne ihn nicht", sagte ich.
Aber ich würde ihn gern wiedersehen.
Nein, nein, nein!
Ich würde eh bald tot sein.
"Und wieso war er dann hier? Was wollte er von dir?", versuchte mein Vater weiter irgendwelche Informationen aus mir herauszubekommen.
"Er wollte Smalltalk mit mir führen."
"Und wieso?"
"Das weiß ich doch nicht. Er kam einfach in mein Zimmer und hat angefangen, mit mir zu reden."
"Das ist gut. Kontakt tut dir gut."
Bitte was?
"Habt ihr Nummern ausgetauscht?", wollte Dad wissen.
Ich schüttelte mit dem Kopf.
"Hmm, aber du weißt, wann er wieder hier sein wird?"
Wieder schüttelte ich den Kopf.
Dad sah mich verständnislos an.
Seufzend reichte er mir meine Heiße Schokolade.
"Dad?", fragte ich, nachdem ich einen Schluck genommen hatte.
Überrascht sah er mich an.
"Bist du dir sicher, dass die Ärzte das nächste Woche hinbekommen werden?"
Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit.
"Aber sicher, mein Schatz. Alles wird wieder gut."
Na hoffentlich bedeutete das, dass ich das hier alles hinter mir lassen konnte. Dieses Leben machte doch keinen Sinn mehr.
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