Der dreißigste Glückskeks

»Der Wille gestaltet den Menschen, zum Erfolg braucht er jedoch Mut und Ausdauer.«

Als es am nächsten Morgen klopfte, hatte sich bereits wieder meine alte Einstellung breitgemacht – mir war alles egal.
Sam klopfte gegen halb neun an, um mir Frühstück zu bringen.
Ich sagte ihr, dass ich keinen Hunger hätte.
„Aber vielleicht ja später.", antwortete sie mit einem Seufzen.
Sie stellte das Tablett auf meinen Nachttisch und ließ mich wieder alleine. Ich griff nach meinem Handy. 3 neue Nachrichten.

23:57 Lauren? Es tut mir leid.

7:58 Dad und ich kommen heute Nachmittag vorbei. Hab dich lieb, Mum

8:16 Ist es okay, wenn ich heute Vormittag vorbeikomme? Maggie

Außer auf die erste Nachricht, tippte ich Antworten in mein Handy ein.

Okay, hab dich auch lieb 8:42

Mir egal. Lauren 8:42

Ich drückte die Displaysperre und drückte meinen Kopf tiefer ins Kissen.
Ich hatte auf das alles keine Lust mehr.
Bilder der letzten Wochen wirbelten in meinem Kopf umher. Wie glücklich ich gewesen war.
Desto länger ich darüber nachdachte, desto mehr bereute ich das alles.

Ich griff nochmal nach meinem Handy und schrieb Maggie eine weitere Nachricht.

Vielleicht solltest du es doch bleiben lassen. 8:47

Mum und Dad konnte ich leider nicht absagen. Nichts und niemand könnte sie von einem Besuch abhalten.
Mein Handy piepte.

8:49 Vergiss es. Ich komme! Bin in ca. einer Stunde bei dir.

Frustriert schlug ich mir die Hände vors Gesicht.
Wieso? Wieso? Wieso?
An allem war bloß William Schuld. Okay, und meine Eltern.
Ohne sie wäre ich nie zur Selbsthilfegruppe gegangen!
Ach verdammt!
Ich fluchte, griff dann nach meinem Handy um es auszuschalten und in die Schublade meines Nachttisches zu verfrachten. Dabei fiel mein Blick auf den Bücherstapel.

Als Dad gestern kam, hatte er eine Sporttasche dabei, mit Klamotten und einigen Büchern.
Falls mir mal langweilig sein sollte.
Ne, im Krankenhaus ist immer volles Kulturprogramm angesagt, Dad.“, hatte ich geantwortet.
Ich nahm die Bücher heraus.

Nur ein Tag. Eleanor & Park. Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie. Morgen kommt ein neuer Himmel. Forbidden. Maybe Someday.
Einige meiner Lieblingsbücher.
Ein kleines Lächeln entlockte es mir schon.
Dies erlosch aber sofort, als ich entdeckte, das sich dazwischen noch ein kleines gelbes Heftchen versteckt hatte.
Emilia Galotti.

Das durfte doch nicht wahr sein!
Darauf klebte ein kleiner Zettel. In Dads Handschrift standen dort die Worte: „Susanna wollte, dass du es noch einmal liest."
Ich riss ihn ab und zerknüllte ihn.
Dann legte ich alle Bücher an seinen Platz zurück.

Ich stemmte mich hoch und schlüpfte aus dem Bett. Mit zwei Schritten war ich am Fenster angelangt. Ich schob die Gardinen zur Seite und blickte nach draußen. Von diesem Zimmer aus hatte ich leider nur einen Blick auf den Krankenhausparkplatz. Ich ließ den gelben Stoff wieder vor die Fensterscheibe fallen und mich wieder ins Bett. Wenn ich schlafen würde, müsste ich wenigstens meine Gedanken nicht mehr hören.

Sanft rüttelte jemand an meiner Schulter. Ich schreckte hoch, riss meine Augen auf und blickte in Maggies Gesicht.
„Du dachtest doch nicht wirklich, dass das funktioniert hätte.", sagte sie lachend.
„Mensch, welch nette Begrüßung.", murmelte ich und setzte mich im Bett auf.
„Hey, Lauren. Wie geht's?"
„Großartig.", antwortete ich sarkastisch und unterdrückte ein Gähnen.

Maggie ließ sich auf dem Stuhl neben mir nieder.
„Hast du noch nichts gegessen?", wollte sie wissen und zeigte auf das unberührte Tablett.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Keinen Hunger."
Sie zog ihre Augenbrauen in die Höhe, sagte aber nichts.
„Du wirst diese Woche operiert?", fragte sie plötzlich.

„Anscheinend."
„Das ist gut. Ein weiterer Hoffnungsschimmer."
Ich zog die Augenbrauen zusammen.
„Nicht du auch noch. Was habt ihr alle mit Hoffnung? Hoffnung ist beschissen. Sie zerstört dein ganzes Leben."

„Nein, Lauren. Sie macht dein Leben besser. Natürlich ist jeder Tiefschlag eine Ernüchterung, aber wenn du dich an diese kleinen Momente voll Glück und Freude klammerst, bist du wenigstens nicht die ganze Zeit so unglücklich. Du bist davon überzeugt, dass du eh bald stirbst? Okay, dann kann es dir doch scheiß egal sein, wann. Verdammt, dann genieß die Zeit, die dir noch bleibt. Verbringe sie nicht mit Trübsal blasen, sondern ergreife jede Möglichkeit, die dein Leben um eine Minute verlängert! Und...scheiße, sag den Menschen, die du gern hast, dass es so ist, bevor es zu spät ist und stoß sie nicht vor den Kopf. Für sie ist das auch alles andere als einfach."

Ich biss mir auf die Unterlippe.
„Aber was bringt es mir, wenn ich die ganze Zeit so tue, als wäre alles gut, wenn ich doch weiß, dass die Wahrscheinlichkeit bei dem nächsten Eingriff zu sterben bei 87% liegt."
„Lauren, kannst du mal bitte mit Mathe aufhören? Nicht alles macht Sinn."

„Ihr habt doch keine Ahnung! Ihr tut alle so als wäre das alles ganz leicht, aber verdammt...das ist es ganz und gar nicht! Das Einzige, wobei ich mir im Leben sicher sein konnte, waren diese scheiß Zahlen. Bei egal was wurden sie mir gesagt, und meistens konnte ich darauf vertrauen. Deshalb entschuldige, aber ich versuche alles in meinem Leben mit Mathe zu erklären, weil das bisher eigentlich immer ganz gut funktioniert hat...bis auf...", redete ich mich in Rage und ließ dann die Schultern erschöpft hängen.

„Bis auf was? Bis auf William?", hakte Maggie nach.
„Was hat William denn jetzt damit zu tun?"
Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ach komm schon. Ich weiß doch, was das da zwischen euch ist."
„Ist ja schön, dass du deiner Meinung nach weißt, was da zwischen uns sein soll. Wir sind Freunde, wenn wir es überhaupt noch sind. Und das wars."

„Na, wenn du dir das einreden willst. Auf jeden Fall solltest du mit ihm reden. Erst recht nach dem, was da gestern war. Das hat er verdient, findest du nicht?"
Ich stöhnte.
„War ja klar, dass er dir das erzählen musste."
„Naja, kannst du ihm das verdenken? Ist doch klar, dass man nach sowas verwirrt ist und nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Für sowas sind beste Freunde da."

Ich nagte an meiner Unterlippe und starrte auf meine Fingernägel.
Natürlich hat sie recht, aber was soll ich ihm denn dann sagen?
Maggie stand auf.
„Ich ruf dich morgen an, okay? Ich denke nicht, dass ich es schaffen werde her zu kommen."
„Okay.", murmelte ich und sah Maggie dabei zu, wie sie zur Tür ging, diese öffnete und hinter sich ins Schloss fallen ließ.
Im selben Moment fasste ich einen Entschluss.

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