WEIN, WEIB UND GIFT
Soundtracks:
PJ Harvey - Catherine. Das Lied, weswegen dieses Kapitel exisitiert. Hört es nachts, während alles still und dunkel ist, und der Bass in euren Ohren widerhallt.
Und Tom Waits - Clap Hands. In dieser Reihenfolge abgespielt.
https://youtu.be/krjxyEme5vM
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Orenst, Subat, an der Grenze zu Hiron, 450 nach der Eroberung
Der Nebel in seinem Kopf erstickte jeglichen Gedanken. Solofar fühlte sich leicht, als weiche mit jedem langen, schweren Atemzug die Welt von ihm fort, als sackte sie unter ihm ab und ließ ihn in warmen, samtweichen Wolken zurück. Zugleich schien ihn eine mächtige Faust auf die durchgelegene, miserabel gestopfte Matratze zu drücken, als wiege die dünne Decke auf seinem Körper so viel wie ein Drache. Er spürte jedes Glied seines Körpers, nahm überdeutlich wahr, wie sein linker Zeigefinger sich langsam krümmte, wie eine Strähne seiner Mähne an der Spitze seines rechten Ohres kitzelte, wie die Luft in seine Lungen hinein strömte und wieder hinaus. Er lauschte seinem Herzschlag, so langsam, dass er bei jedem leisen Wummern in seinen Ohren vermutete, es sei sein letzter. Sein gesamter Körper schien zu pulsieren, an seiner linken Seite schien er regelrecht zu glühen. Seine Augenlider schienen aufeinander geklebt zu sein, und für einen absurden Moment lang fürchtete er, er hätte vergessen, wie man die Augen öffnete. Der Geschmack von Erde und Gewürzen klebte auf seiner Zunge, von Minze, Zimt und Kardamom und einem Hauch von Schärfe und Kohle.
Wie Würmer wanden sich Geräusche in seine Gehörgänge, das Poltern auf Holzplanken und leise Klatschen im Matsch von Schritten, das Klirren von Waffen, das wütende Rufen einer Frau, das Knirschen von Wagenrädern. Sie alle klangen weit entfernt, wie durch unzählige Lagen Stoff hindurch. Etwas raschelte in unmittelbarer Nähe, eine Maus vielleicht. Ich sollte nachsehen, bemerkte Solofar abwesend, doch der Gedanke rutschte ihm aus den Fingern, kaum dass er ihn zu Ende gedacht hatte.
Er atmete ein, und fühlte, wie kühle Morgenluft durch seinen Hals strömte, klar und frisch. Sein Brustkorb hob sich, die Decke auf seiner Brust drückte ihn zu Boden. Der Geruch von Rauch stand in der Luft, erneut ein Hauch von den Gewürzen und schlammiger, matschiger Erde, der sich in seiner Nase wie auch in seinem Mund fest gesetzthatte. Irgendwo schlich sich das Aroma von Kerzenwachs dazu, und, wie ein grellroter Streifen in einem Bild aus Erdfarben, ein Flüstern von Blumenparfum.
Träge öffnete Solofar die Augen und blinzelte mehrmals, um die Schlieren von ihnen zu wischen. Sein Arm fühlte sich zu schwer an, als dass er ihn anheben konnte, um sich die Augen zu reiben. Helles, verwaschenes Morgenlicht fiel durch das kleine Fenster in das lächerlich kleine Zimmer des Gasthauses und beleuchtete sein schmales, durchhängendes Bett, die Kleiderhaken, an denen sein Umhang, seine Rüstung und seine Waffen hingen, und den winzigen Tisch, auf dem verstreut Fläschchen, eine lederne Mappe mit den Utensilien eines Heilers, eine heruntergebrannte Kerze und eine Pfeife lagen. Daneben, auf einem hölzernen Hocker, saß eine junge Frau.
Beinahe hätte er sie nicht bemerkt, so reglos, wie sie dort saß und auf die Seiten eines Buches blickte, die Beine säuberlich übereinander geschlagen, den Rücken geradezu adelig gestreckt. Fast scheint es, als wäre sie selbst Teil der Ausstattung.
„Ich meine mich zu erinnern, die Tür verschlossen zu haben", murmelte Solofar träge und zuckte beinahe beim Klang seiner eigenen Stimme zusammen. Sie klang, als klebte ihm Schlamm in der Kehle, rau und verschwommen.
Sie blickte auf und lächelte süffisant, die Lippen hoben sich dunkelrot gegen ihre weiße Haut ab, wie Blut auf Milch. Ihre grünen Augen blitzten. „Du solltest wissen, dass kein Schloss für mich ein Hindernis ist, Solofar", sagte sie und schloss das Buch. „Du siehst aus, als hätte dich dein Drache gefressen und wieder ausgespien. Richtig beschissen."
Solofar blickte sie ausdruckslos an. „Ich wusste gar nicht, dass du lesen kannst, Sade."
Greasy Sade kicherte und hob das Buch an. „Du klingst auch scheiße. Natürlich kann ich lesen, nicht gut, aber es reicht halbwegs. Und das ist die heilige Schrift irgendeiner Feuersekte. Ich sehe mir nur die Bilder an und versuche, den Sinn von diesem Gesülze zu verstehen."
„Und was behaupten die Drachen?"
„Ich habe keine Ahnung." Sie legte das Buch beiseite und griff stattdessen nach der Pfeife. Spitzfingrig hob sie sie ins Licht. „Rückfall gehabt?"
Solofar nickte schweigend.
Sie ließ die Pfeife sinken. „Du solltest wissen, dass das Zeug tödlich ist, wenn man damit übertreibt. Gerade, wenn man was getrunken hat. Und was hast du noch?" Mit dem Pfeifenstiel schob sie die Gegenstände auf dem Tisch umher. Misstrauisch musterte sie die Fläschchen und Tiegel, die Beutel mit Kräutern und die Phiolen. „Ghora, Salva-Paste, und", sie zog ein Taschentuch aus dem Dekolletee ihres blaugrünen Kleides und hob eines der Behältnisse an, „den Langen Schlaf." Entgeistert strich sie sich durch die rotstichigen, dunkelbraunen Haare. „Solofar Darke, willst du dich umbringen?"
„Ich habe es genau abgemessen. Wie viel ich brauche, um einen gewissen Zustand zu erreichen, weiß ich", nuschelte er.
Greasy Sade stellte das Fläschchen zurück und schlug mit der Pfeife ein Stakkato gegen die Tischkante. „Du hast Ghora in Wein aufgelöst und dann Schwarzgras geraucht, habe ich recht?", knurrte sie.
„Hör auf mit diesem Geräusch", murrte Solofar. Das Klacken der Pfeife gegen den Tisch fraß sich wie Säure in seine Ohren.
„Hast du nun oder nicht?"
„Ja."
Sie seufzte und warf die Pfeife auf den Tisch. „Warum schicken die großen Männer immer mich, um dir deine nächsten Anweisungen zu übergeben?", schnaubte sie theatralisch und zog sich die Haarnadeln aus den Haaren, nur um sie erneut zu einem unordentlichen Knoten zusammenzustecken. „Jedes Mal muss ich mich mit dir und deinen verdammten", sie trat leicht gegen das Tischbein, „Substanzen herumschlagen. Bei den Göttern, Alkohol und Schwarzgras. Normale Menschen sterben davon, Solofar!"
„Ich bin kein Mensch, Sade."
„Auch Ipotame sterben davon, Pferdegesicht. Lass die Haarspalterei", fuhr sie ihn an.
„Ich weiß. Ich töte mit eben diesen Substanzen." Ein kühler Windhauch blähte die fadenscheinigen Vorhänge und ließ ihn frösteln. Unwillig zwang er seine schweren Glieder zur Zusammenarbeit und zog die dünne Decke höher. „Was tust du hier? Außer mir Vorträge zu halten, wie ich meine Erlösung zu finden habe?"
„Rede keinen Scheiß, Mann. Wer seine Erlösung durch das", sie fuchtelte mit dem Taschentuch in die Richtung des Tisches, „finden muss, weil es ihm anders nicht möglich ist, ist schon eine besonders arme Sau."
„Sade. Bitte. Ich verurteile dich auch nicht für," die Kälte fuhr ihm plötzlich wie ein Pfeil in die Glieder und er schüttelte sich, „deine mannigfaltigen Verfehlungen." Etwas an seiner Seite riss, und der gleißende Schmerz vermischte sich mit der spürbaren Kälte, die der Entzug des Schwarzgrases durch seine Adern drückte. Der Hunger fiel ihn an wie ein tollwütiger Hund und erfüllte ihn mit dem Verlangen nach dem Geschmack von Erde, Kohle und Gewürzen.
Wortlos erhob sie sich, nahm seinen Umhang vom Haken und warf ihn ihm zu. Fahrig tastete er danach und breitete ihn zitternd über sich aus, während sie ihn dabei beobachtete. „Ich bin hier, um dir deinen neuen Auftrag zu überbringen." Sie strich mit dem Daumen über ihr Mieder, dort, wo sie wohl den Brief versteckt hatte. „Aber so, wie du aussiehst, wird es noch etwas dauern, bis du ihn annehmen kannst."
Solofar streckte eine zitternde Hand aus. „Ich bin in bester Verfassung. Gib ihn mir."
Sie schlug seine Hand weg, und sein Arm fiel auf das Bett zurück. „Du sollst aufhören, Scheiße zu reden, Darke. Du siehst aus wie der Tod persönlich und riechst und klingst auch so. Du bleibst in diesem Bett liegen, bis er erste Anfall vorbei ist, und dann gebe ich dir diesen verfluchten Brief. Warum, bei allen Göttern, hast du dich überhaupt so abgeschossen?" Sie grinste hinterhältig. „Der Rattenfänger, mal wieder?"
Solofar verdrehte die Augen. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sie von unserer Fehde erfährt. Dafür, dass ich es für immer von ihr geheim halten kann, ist sie zu gut. Außerdem redet Avory Rhymer gerne, und sie hört bisweilen gerne zu. „Nein. Ein Roter Magier. Ich habe ihn getötet, und er hat seine Spuren hinterlassen." Er hob die Decke an und entblößte die Binden, die er um seinen Körper gewickelt hatte. An der linken Seite war sie leuchtend rot verfärbt.
Sade schnappte nach Luft. „Du hast einen Roten Magier getötet? Nicht übel. Wann hast du es verbunden?"
„Gestern."
Sie verengte die Augen. „Hast du die Verbände danach gewechselt?"
„Nein. Ich ritt zur Garnison, gab ihnen die Krone von Stalfeyr und verriet ihnen, wo der Verantwortliche zu finden war. Sie wollten mich beauftragen, den Dieb zu fassen, und ich sagte ihnen..."
„...dass du kein Jäger bist, natürlich." Sie bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. „Wie lange bist du geritten?"
„Lange. Ich brach am frühen Nachmittag auf und erreichte Orenst kurz vor der Schließung der Stadttore."
„Im vollen Galopp?"
„Ja."
Sie hob die Augenbrauen. „Du bist einen halben Tag lang im vollen Galopp geritten, mit einer Stichwunde im Bauch, und hast nicht einmal nachgesehen, wie es unter den Verbänden aussieht?"
Solofar zog die Decken höher und nickte beinahe unmerklich. Immer noch schüttelte das Zittern seinen Körper. „Könntest du das Fenster schließen? Bitte."
Heftig schlug sie die Läden zu, die dicken Scheiben vibrierten. „Du bist verdammt dumm, das weißt du hoffentlich. Statt eine Wunde zu behandeln, schießt du dir die Schmerzen mit Salva weg, das Hirn mit Schwarzgras und kippst fein säuberlich mit Ghora und dem Langen Schlaf hinterher, damit du auch glücklich einschlafen kannst und dich nicht einmal Tarnovecs Wiederkehr wecken könnte." Sie trat an den Tisch und durchsuchte das Chaos nach Nützlichem. „Mach die Verbände ab. Ich schaue mir den Mist an, bevor dir dein Bauch wegfault."
Solofar starrte sie an.
„Dafür musst du dich aufsetzen", erinnerte sie ihn barsch.
Zitternd setzte er sich auf die Bettkante, der Schmerz ließ ihn das Gesicht verziehen. Seine Muskeln, strapaziert durch den harten Ritt, protestierten. Er legte sich den klammen Umhang um und begann, vorsichtig die Binden abzulegen. „Warum hilfst du mir, Sade? Ich schaffe es auch allein."
„Rede keinen Unsinn, Darke. In diesem Moment schaffst du rein gar nichts. Außerdem ist mir noch nicht danach, mich in meine Kutsche ans Meer zu setzen. Da kann ich auch für ein paar Momente deine Mutter spielen." Sie stellte eine neue Kerze in den Halter und zündete sie an. „Und deine Gesellschaft ist wenigstens halbwegs interessant, besser als die eines Kutschers oder Dieners."
Das Blut hatte den Stoff mit seinem Fell verklebt, und seine zitternden Hände rissen sie auseinander. Solofar sog scharf Luft ein. Der Stich selbst tat nicht halb so weh. Frisches Blut rann über sein Fell in seinen Hosenbund und durchnässte den dunklen Stoff. Fahrig wischte er es mit dem alten Verband auf.
„Sieht köstlich aus", bemerkte Greasy Sade und hielt ein Fläschchen ins Licht der Kerze. Zufrieden entkorkte sie es und roch daran. „Hattest du sie genäht?"
Solofar nickte steif. Ich hasse es, mich so lächerlich schwach zu fühlen. Von jemandem wie ihr abhängig zu sein. Im Stillen nahm er sich vor, die Tür zu verklemmen, bevor er sich erneut den Drogen hingab. Sie mag Schlösser knacken können, doch stark ist sie nicht.
„Scheint wohl, als verträgt deine Stickarbeit keinen Ritt. Leg dich hin. Halt die Verbände auf die Wunde. Und sieh zu, dass du alles auffängst, was ich verschütte. Die Wirtin ist eine Furie und versteht keinen Spaß mit ihren Bettlaken." Mit dem Fläschchen, neuen Binden sowie Nadel und Faden trat sie zu ihm. „Bereit?"
Er nickte knapp und biss die Zähne zusammen. Die Essenz brannte eisig kalt in der Wunde, so sehr, dass er leise aufstöhnte.
Greasy Sade schnaubte verächtlich. „Immer, wenn die Wirkungen aufhören, bist du ein verfluchter Schlappschwanz. Ein richtiges Häufchen Elend. Hör auf zu zucken, sonst nähe ich genauso schlecht wie du."
Missmutig sah Solofar zu, wie sie mit präzisen, sauberen Stichen die Wunde zusammenflickte. Sie hat recht. Wenn die Wirkung des Schwarzgrases nachlässt, verliere ich jegliche Stärke. Die Sucht flüstert mir ein, dass ich sie erst zurückgewinne, wenn ich erneut zur Pfeife, zum Weinbecher, zum Pulverbeutel greife, und ich weiß, dass ich widerstehen muss, bevor ich zu einem wahren Süchtigen werde, wie jene, die ihre Seele für einen Hauch ihrer Droge verkaufen. Und doch... kann ich dem Verlangen nicht für immer die Stirn bieten. Plötzlich fragte er sich, ob er es überhaupt wollte. Oder ob ich mir die flüchtigen, kleinen Freuden der Ruhe und Erlösung bewahren möchte.
„Warum holst du dir eigentlich kein Mädchen, das dich zusammenflickt, wenn du mit den Resten vom Schwarzgras im Hirn und einer Stichwunde im Bauch in einem Gasthaus liegst?", durchbrach Sade plötzlich seine Gedanken.
Er lachte schwach, und sie machte ein warnendes Geräusch. „Ich bitte um Verzeihung. Doch ich habe dich. Was soll ich mit einem Mädchen?"
Sie lachte leise. „Verzeih mir, Solofar, aber du bist nicht das, was ich suche. Selbst wenn du in beeindruckender körperlicher Verfassung bist", bemerkte sie süffisant und stach mit dem Finger in seine Bauchmuskeln. „Und ich bin nur zufällig da. Du solltest in deiner eigenen Rasse suchen, statt mir nachzugaffen."
„Ich starre dir nicht hinterher."
Sie seufzte. „Natürlich nicht. Du starrst niemandem hinterher. Und genau das ist es, was mich verwirrt." Sie sah ihn an. „Gestern Abend habe ich dich beobachtet, aus purer Langeweile. Du standest unten im Schankraum, an den Tresen, wissen die Götter, was du schon genommen hattest. Wahrscheinlich Salva und das Schwarzgras, denn ich habe noch nie jemanden so langsam gehen sehen wie dich gestern. Du hast die Wirtin nach dem Wein gefragt, und sie wollte ihn dir nicht geben. Nun, und da kommt diese Frau an. Eine Ipotame, das Fell perlweiß, mit einem silbernen Schimmer. Das Gesicht wie gemeißelt, so edel, dass ich sie gekauft hätte, wenn sie ein normales Pferd gewesen wäre, einen Ausschnitt bis hier", sie wies auf die Gegend um ihren Bauchnabel, „und so große Titten, dass ich grün vor Neid wurde. Ihre Mähne hat meine Haare wie Rattenschwänze aussehen lassen, nie vorher war ich so neidisch. Sie tritt auf dich zu, streicht dir über den Arm, spricht zu dir, und bestellt bei der Wirtin den Wein für dich. Verdammt, sie hat ihre Titten in dein Gesicht gehalten, so wie ein Faroun-Priester seine Arme der Sonne entgegen reckt." Sie lachte leise. „Und was tust du?"
Solofar blickte sie an. Ich kann mich kaum erinnern. Fetzen von weißem Fell, der Glanz der Kerzen auf den Goldfäden des Mieders und dem Geruch nach dem teuren Parfum der Frau schwammen auf dem Geschmack nach Zimt und Kohle davon. „Was tat ich?"
„Du nimmst ihr den Wein ab, grummelst etwas, was mit viel gutem Willen als Danke zu verstehen ist, und wankst die Treppen wieder hoch." Sie sah ihn spöttisch an. „Heilige Götter, Darke. Jeder Ipotame hätte sie flachgelegt, verheiratet oder nicht. Verdammt, nicht einmal du hättest dich wehren können, und bei dir steht nicht einmal die Ehre im Weg. Zum Ersten hast du keine Frau und zum Zweiten hast du keine Ehre. Ich würde behaupten, die Drogen seien schuld, aber es ist nicht das erste Mal. Du wimmelst mehr Frauen ab, als gut für dich ist."
„Von wie vielen weißt du?", murmelte Solofar, ein wenig peinlich berührt.
„Von allen. Ich spioniere, hast du das vergessen? Niemand hat mich auf dich angesetzt, schau nicht so entgeistert, aber wenn ich dich in einer Taverne sehe, beobachte ich dich und warte, bis die Huren kommen. Keine lässt du in dein Zimmer. Warum nicht?"
Er seufzte. „Mir verlangt es nicht nach ihnen."
Sie blickte ihn skeptisch an, dann hellte sich ihre Miene auf und sie grinste hinterhältig. „Die Männer also. Solofar. Ich hätte nie..."
„Greasy Sade, du kennst mich nicht gut genug, um derartige Vermutungen zu treffen. Nein, auch nach Männern suche ich nicht." Das ist allein Gezzarros Gebiet.
„Nach was suchst du dann?", bohrte sie weiter.
„Nach Mord, nach den Geheimnissen der Gifte und nach dem Kampf." Langsam begannen ihre Fragen lästig zu werden.
Sie verdrehte die Augen, machte einen letzten Stich und verknotete den Faden. „Und nach Schwarzgras, Salva, Ghora und dem Langen Schlaf. Natürlich. Und du willst nicht einmal so richtig durchgevögelt werden?"
„Ich wurde bereits, und es war weit weniger befriedigend als Ghora."
Sie nahm einen Tiegel vom Tisch und strich die süßlich riechende Paste darin auf die Wunde. Das Brennen verschwand und wurde zu einem leichten Jucken. „Dann hattest du die Falsche."
Gereizt wickelte er sich in den Umhang. Das Zittern wollte nicht nachlassen. „Es waren viele, glaube mir. Und nein, ich werde es nicht erneut versuchen. Es zieht mich nicht zu ihnen, so, wie du dich niemals dem Schwarzgras hingeben wirst."
„Weil Ficken verdammt noch mal nicht tödlich ist!", hielt sie dagegen.
Das ist die Wirkung wert. Das Risiko, nie wieder zu erwachen. Die Gefahr, der Verlockung immer und immer wieder nachgeben zu müssen. „Du musst es nicht verstehen. Doch es ist, wie es ist." Er setzte sich auf, und sie griff nach neuen Verbänden.
„Du bist verflucht seltsam, Darke. Wahrscheinlich, weil dir der ganze Saft zwischen die Ohren steigt und dir aufs Hirn drückt." Sie lachte über seine gereizte Miene. „Ich höre schon auf. Aber was ist mit, wie soll ich es sagen, einfach einem süßen Mädchen, das auf dich wartet, wenn du nach Hause kommst? Die dich vermisst und dich freudig begrüßt, wenn du zurückkehrst?"
Er zuckte matt mit den Schultern. „Ich habe kein Zuhause, zu dem ich zurückkehren kann." Ich habe nur die Burg meines Bruders, und dort bin ich ebenso fremd wie in einem Gasthaus in Subat. Und ein Zimmer in Alpha Centauri. „Ich habe Gold und Gift in den Taschen, und einen Drachen, der sie und mich von einem Ort zum anderen trägt."
„Schon einmal darüber nachgedacht, dass das daran liegen könnte, weil du niemanden hast, zu dem du gehen könntest?"
„Oft genug."
„Vermisst du es nicht?"
„Bisweilen."
Sie lächelte mitleidig. „Du vermisst es oft, habe ich recht? Jedes Mal, wenn du so zerschlagen aufwachst wie heute. Wenn niemand da ist, der sich um dich kümmert."
„Ich kann mich um mich selbst kümmern. Wenn du nicht hier gewesen wärst, hätte ich noch mehrere Stunden geschlafen, meine Wunden behandelt, und dann wäre ich ziellos durch die Stadt gegangen. Ich weiß, wie ich mit mir umgehen muss." Sie hat recht. Jedes Mal, wenn ich in den Zimmern in Alpha Centauri liege, wünsche ich mir, ich wäre nicht allzu allein. Die Einsamkeit trieb ihn auf die Straßen, zu den Büchern, in die Tavernen und zu den Drogen. Sie trieb ihn zu den Fechtringen, den illegalen Straßenkämpfen und den Turnieren auf dem ganzen Kontinent. Und doch schätze ich es, auf niemanden achten zu müssen. Niemandem verpflichtet zu sein. „Wer macht dir zurzeit den Hof?", fragte er, in der Hoffnung, das Thema wechseln zu können.
Ihre Miene hellte sich auf. „Ein junger Sir Elon van der Velde. Haracanischer Landadel. Gutaussehend und sehr talentiert mit dem Schwert." Sie lächelte anzüglich.
Solofar unterdrückte ein verächtliches Schnauben. „Gab er dir schon einen Ring?"
„Den wird er mir überreichen, wenn ich von meiner Tante zurückgekehrt bin." Sie warf ihm einen vielsagenden Blick voller Spott zu.
„Was geschah mit deinem Askaroner? Diesem verwitweten Erben?", erinnerte Solofar sich an das, was sie von ihrem letzten Verlobten erzählt hatte. Ich verliere bei ihren Betrügereien stets den Überblick.
Sie machte eine wegwerfende Handbemerkung. „Das Übliche. Er gab mir den Ring, ich war entzückt, und verabschiedete mich kurz darauf zur Beerdigung meiner Großmutter. Ich kam nie zurück und ließ ihm einen Brief zukommen, dass ich leider an einer Lungenentzündung gestorben war. Wie schade."
„Wer hätte gedacht, dass dereinst so viele edle Männer hinter dir her sind", murmelte Solofar. Hinter ihr, der Tochter einer Schankmaid und eines fahrenden Spielmanns, die ihre Schönheit und ihre Gerissenheit nutzt, um zu stehlen, zu betrügen und zu verführen.
Sie wickelte sich lasziv eine Haarsträhne um den Finger. „Es ist kein Wunder, bei meinem atemberaubenden Aussehen", versetzte sie gespielt überheblich.
Er lächelte halb und wartete ab, bis sie den Verband gerichtet und verknotet hatte. „Danke, Sade", sagte er schließlich und zog den Umhang enger um seine Schultern.
Greasy Sade betrachtete kritisch ihr Werk und erhob sich mit verzerrtem Gesicht. „Du brauchst Ruhe. Warte ab, bevor du deinen neuen Auftrag beginnst, bis die Wunde halbwegs verheilt ist. Keine Ritte, keine Morde, keine Kämpfe mit Roten Magiern. Auch keine mit den Duellisten der Dracones", ermahnte sie ihn.
„Jawohl, Mylady van der Velde", stichelte er milde amüsiert.
Sie verdrehte die Augen. „Du musst du zugeben, dass es wesentlich angenehmer ist, wenn jemand auf dich wartet. Wenn du mit jemanden reden kannst."
„Eher werde ich anmerken, dass es wesentlich besser ist, allein zu sein, statt mit jemandem reden zu müssen, der unerträgliche Fragenstellt."
Sie lachte laut auf. „War schön, mit dir zu plaudern." Sie griff in ihr Mieder und zog einen zerknitterten Brief hervor, eingeschlagen in ein dünnes Leinentuch. „Deine Anweisungen von den Herren Rhymer persönlich. Wie ich schon sagte, lass dir Zeit. Du nutzt niemandem etwas, wenn du an einem lächerlichen kleinen Dolchstich verreckst." Nachlässig warf sie den Brief auf sein Bett und schlüpfte in ihren Mantel. „Man sieht sich, Solofar Darke. Und wenn du nicht willst, dass wir uns wiedersehen, verschließe deine Türen anständig." Ein letztes süffisantes Grinsen, und Greasy Sade trat hinaus auf den engen Flur des Gasthauses.
Solofar lehnte sich auf dem Bett zurück und atmete langsam aus. Das Zittern wich für einen Moment aus seinem Körper und kehrte beinahe sofort zurück. Gedankenversunken lauschte er Sades Schritten, wie sie die Treppen hinunter trat und schließlich das Klatschen ihrer Stiefel im Matsch vor seinem Fenster. Als er sich aufsetzte, konnte er einen blaugrünen Schemen in einem dunkelblauen Mantel sehen, der zügig und elegant die Straße hinaufschritt, eine Menschenfrau in einer Stadt der Dracones. Stets erfrischend, deine Gesellschaft zu genießen, Greasy Sade. Selbst wenn der Name, den dir die Flüsterer, die Trinker und die Tavernen gaben, kaum schmeichelhaft ist.
Immer noch leicht benommen griff er nach dem Brief, brach das Siegel und überflog die Zeilen, geschrieben in John Rhymers präziser Handschrift. Die Buchstaben tanzten vor seinen Augen, doch das Wesentliche begriff er. Ein Conte der Löwen. Im Norden von Nyradon. Der Tod seines aufrührerischen Bruders. Schnell und grausam, auf dass es seine Anhänger das Fürchten lehrt.
Nyradon ist ein ganzes Land entfernt. Einmal quer durch Hiron, bis das Reich der Zentauren endet und das der Pantheras beginnt. Es wird ein langer Weg, und mir ist es verboten, zu reiten, zu kämpfen und zu töten. Welch ein langweiliges Leben. Steifbeinig und schwankend erhob er sich von dem Bett und begann, seine Substanzen in gepolsterte Kisten zu legen, eine nach dem anderen. Seine Finger streiften die Pfeife, und er legte sie beiseite, zusammen mit einem Beutel weißer Blätter. Ich werde mich verfluchen, wenn die Wunde verheilt ist, doch ohne werde ich mich nicht auf dem Drachen halten können.
Kurze Zeit später ritt Solofar aus den Toren von Orenst, im zügigen Schritt, und ignorierte nach Kräften das Ziehen seiner Wunde und das Verlangen nach der Pfeife, die in seinen Satteltaschen schlummerte.
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