VORD
Nelson's Treasure, Isla Furiga, Racheinseln, 443 nach der Eroberung
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Vords krallenbewehrte Finger schlossen sich um das schmierige Leder. Stück für Stück rutschten die Satteltaschen unter dem niedrigen Sofa hervor, das er dem Ipotame zugewiesen hatte. Das Geräusch kratzte laut in seinen Ohren und ließ ihn schaudern, doch der Ipotame bemerkte es nicht. Zuckend lag er unter seiner Decke, schwarzen Schleim auf den Lippen. Der Geruch nach Gewürzen und Kohle, nach Zimt und Kardamom und Minze hing über seinem verschwitzten Fell.
Verächtlich blickte Vord auf ihn hinab. Es gibt Gründe, warum ich keine Rauschmittel in meinem Haus dulde. Eine Welle der Übelkeit rollte über ihn hinweg, und er verzog das Gesicht. Er glaubt wohl, dass ich schlafe, dass nichts, weder Schüsse noch der Zorn von Licht und Schatten mich aus dem Schlaf reißen kann, und er in Ruhe seiner Sucht nachgehen kann. Doch er irrt sich. Ich sehe die klebrigen Weinbecher mit den Ghora-Resten darin, ich schmecke Salva, wenn ich an seinem Lager vorbei gehe. Ich rieche das Schwarzgras in seinem Fell, ich sehe, wie er zittert, wenn er in aller Frühe aus dem Haus tritt und zum Strand hinunter geht. Er schwimmt bis in die nächste Bucht, und läuft den Weg zurück, damit der Schweiß und das Salz die Drogen überdeckt und sie aus seinem Blut treibt.
Vorsichtig öffnete er die Klappe der ersten Tasche und versuchte, das Zittern seiner Finger zu unterdrücken. Er mag recht haben, dass ich die Nacht verabscheue, doch ich fürchte sie nicht. Der Beutel mit dem weißen Blättern fiel ihm als erstes in die Hände. Ein versiegeltes Fläschchen mit einer kristallklaren Flüssigkeit, eines, dessen Wachsversiegelung ihm über die Finger rieselte. Es war leer. Weiße Hemden, gewaschene und schweißfleckige, weitere Kleidung und eine Maske in der Form eines Vogelschädels, sorgfältig in weichen Samt eingeschlagen. Eine Waage, eine Schachtel mit Gewichten. Darunter weitere Beutel mit Blättern, Phiolen mit Pulvern und am Grund, zwischen verschütteten Krümeln und dem Dreck von all jenem, was jemals in den Taschen gewesen war, eine Pfeife und ein kleiner Beutel aus öligem Leder. Ganz unten, als könnte ich es so nicht finden.
Nachdenklich schnürte er den Beutel auf und hob ihn an die Nase. Der Geruch nach Gewürzen und Erde schlug ihm entgegen, ein verbotener, schwerer Duft, nach Verlangen, nach Trägheit und Gewalt. Angewidert zog er die Schnürung an und ließ ihn zurück in die Tasche fallen. Die Schmiere klebte an seinen Fingern. Heftig wischte er sie an seiner Hose ab. Es fühlte sich an, als hing nun alles, was er mit Schwarzgras verband, an ihm. Etwas ballte sich in seiner Kehle zusammen, und er presste sich die Hand auf den Schnabel, bis er sicher war, sich nicht übergeben zu müssen. Bei dem Licht der Sonne, ich hasse die Nacht.
Vord kniete nieder und legte die Taschen wieder unter das Bett, die Spitzen seiner Flugfedern streiften den Boden. Das angelaufene Glas der Fensterscheiben reflektierte das Licht der Laternen, mit denen Vord die Nacht zu vertreiben suchte, die Flammen flackerten im leichten Wind, der seinen Weg durch die klappernde Tür und die stümperhaften Fensterrahmen fand. Ein Haus, gewonnen beim Würfelspiel von einer Mistress und einem Luden. Ich durfte nicht zu viel erwarten, als Verbannter meines Ordens, so weit fort von der Wüste und den Stummen. Das Meer sang im gleichen Klang mit dem Wind in den Palmen.
Stumm blickte er auf den schlafenden Ipotame hinab, sein schemenhaftes Spiegelbild tat es ihm nach. Das Kerzenlicht glitt über die goldenen Einlegearbeiten des Rapiers, das in seiner Scheide über der Lehne des Sofas hing. Die Scheide des passenden Dolches war leer. Vord konnte sich denken, wo er sich befand.
Erneut ließen die Krämpfe die schmutzige Decke und das schwarze, schweißnasse Fell darunter erbeben. Das Holz der Liege klapperte leise gegen die weiß getünchte Wand dahinter. Der Ipotame murmelte etwas im Schlaf, schwarze Spucke rann auf das fleckige Kissen.
Etwas schien Vord zu packen, ein plötzlicher, rasender Zorn, als krampften sich all seine Muskeln gegen eine plötzliche Kälte zusammen. Etwas zuckte in seiner Wange. Heftig ballte er die Hände zu Fäusten, seine Krallen schnitten in seine knochigen Hände. Er schloss die Augen, konzentrierte sich auf das Meer, zwang das Zittern aus seinem Atem. Der Wind kroch in seine Federn. Er ist es nicht wert. Dies ist genau der Grund, warum die Stummen mich aus ihrem Orden warfen, warum ich nun am Ende der Welt weile und für einen Shilling gebrochene Knochen, Schusswunden und andere Nichtigkeiten heile, warum ich den Schmugglern von Furiga Dämonen für ihre Luftschiffe bändige statt den Herren der Türme in Skygate. Mühsam rang den Zorn nieder, das Gefühl, etwas zerstören zu müssen, ein Zittern in seinem Rücken, als wollten seine Flügel sich mit Gewalt einen Weg in den Himmel bahnen. Der Schmerz in seinen Händen nahm zu.
Das Klappern der Liege riss ihn aus seiner gezwungenen Ruhe. Er kommt in mein Haus. Er will mein Wissen erlernen. Und er missachtet meine Regeln.
Seine Hände fuhren vor, bevor er wusste, was er tat. Krallen packten die Mähne des Ipotame, wie Eisenschellen schlossen sich seine Finger um sein Handgelenk, der Weinbecher auf dem wackeligen Tisch neben dem Bett fiel klappernd zu Boden, und mit einem erstickten Wutschrei schleuderte er ihn gegen die Wand.
Er hatte erwartet, der Ipotame würde liegen bleiben, benebelt vom Langen Schlaf und Ghora. Doch er hatte sich geirrt. Als der Ipotame sich erhob, die Augen weit aufgerissen, die Pupillen so groß, dass sie wirkten wie das Meer bei Nacht, die Hand um den Parierdolch verkrampft, wusste Vord, dass er einen Fehler gemacht hatte.
Ohne zu zögern stürzte er sich auf den Faroun, den Dolch erhoben. Die Schrammen, die Vords Angriff hinterlassen hatte, schien er nicht wahrzunehmen. Doch das Zittern in Vords Flügeln ließ nicht nach. Er packte den Ipotame am Nacken und nutzte seinen Schwung, um ihn in den massiven Tisch taumeln zu lassen.
Der Ipotame keuchte, als der Aufprall ihm die Luft aus den Lungen trieb, wirbelte herum und stürzte sich auf Vord. Dem ersten unkontrollierten Angriff, einem kräftigen Faustschlag, wich er aus, doch der Dolch zog eine brennende, fransige Spur von seiner Schulter bis zu seiner Hüfte.
Der Schmerz fraß den Zorn aus seinem Geist. Oh, ich hätte mich nicht hinreißen lassen sollen. Ein Mann, berauscht mit Schwarzgras, ist wie ein Tier. Ich habe ihn angegriffen. Er wird erst vor mir ablassen, wenn einer von uns tot ist. Und selbst wenn ich sterbe, wird er auf meinen Körper einstechen wie eine Bestie.
Heftig stieß er den Ipotame von sich fort, der Gestank nach Schweiß und Drogen erfüllte den Raum wie Gift. Seine Krallen schnitten dünne Fäden aus Blut in die Brust des Ipotame, doch er ließ sich nicht beirren. Die Ohren waren eng an den schweißnassen Hals angelegt, die Augen glommen ohne jede Vernunft darin, und er erinnerte Vord mehr an ein wütendes, durchgehendes Pferd als an den ruhigen, beherrschten Ipotame, der zu ihm gekommen war, um die Wege der Stummen zu erlernen.
Erneut schnellte er mit erhobenem Messer auf ihn zu, und Vord stieß ihn durch das Fenster. Das Kreischen des splitternden Glases schien nach der rauschenden Stille unnatürlich laut. Vord trat vor, presste ihn gegen den Fensterrahmen und wand ihm den Dolch aus der Hand. Hastig trat er zurück.
Blut vermischte sich mit dem Schweiß des Ipotame. Glassplitter steckten in seinem Hals und in seiner Brust. Fahrig schüttelte er den Kopf, als wolle er den Rausch mit den Scherben aus seiner Mähne treiben. Seine Hände öffneten und schlossen sich, als vermissten sie das Gefühl einer Waffe.
„Ich will dich nicht töten, Solofar Darke", raunte Vord. Nicht mehr.
Der Ipotame erwiderte unverwandt seinen Blick. Ratlos verlagerte er das Gewicht. Sein Atem ging schnell, ein scharfer Atemzug nach dem nächsten. Doch Vord ahnte, dass sein Herz so langsam schlug, dass sein Körper Mühe hatte, ihn auf den Beinen zu halten.
Er schwankte, und Vord nutzte die Gelegenheit. Mit aller Kraft schlug er ihm mit der Faust ins Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite, Schweiß und Blut sprühte, und der Ipotame fiel auf den unebenen Lehmboden. Stöhnend wand er sich im Staub.
Vord ließ sich auf dem feuchten Bett zusammensinken. Der Wind strich eisig durch das offene Fenster hinein und fraß sich in seinen schweißnassen Rücken. Ich sollte ein Tuch davor hängen, fiel ihm ein, doch er fühlte sich plötzlich derart ermattet, dass er neben dem Ipotame zusammengebrochen wäre, wenn er sich erhoben hätte. Sein Mageninhalt schien gegen seinen Hals zu drücken. Mit zitternden Fingern steckte er den Dolch in die Scheide und blickte auf den Ipotame hinab, ohne ihn wahrzunehmen. Der Schnitt in seiner Brust war ein dumpfes Brennen.
„Ich habe dich angegriffen, nicht wahr?" Die Stimme des Ipotame klang, als klebe ihm das Schwarzgras im Hals fest.
Beinahe erschrak Vord über den rauen Klang. „Aye."
Der Ipotame schwieg.
„Ich habe dich zuerst angegriffen."
Der Ipotame stieß ein keuchendes Husten aus. „Ich habe es wohl verdient."
Vord blickte an ihm vorbei in die Flammen der Laterne. Sie verschwamm vor seinen Augen. „Aye."
Kurz herrschte Stille. Sie klang, als versuchte Darke seine Lunge auszuatmen, ein feuchtes, fauchendes Keuchen. Ein Zittern lief durch seinen Körper, verzerrte seinen Atem zu einem Husten. Zischend verbarg er die Augen unter den Händen. Seine Schultern begannen zu beben.
Vord wandte sich ab und konzentrierte sich auf das Heulen des Windes. Doch es konnte das unterdrückte Schluchzen nicht vollends überdecken. Es kratzte an seiner Kontrolle, weckte das Verlangen, den Ipotame mit einem Tritt zur Vernunft zu bringen, doch er wollte, dass Darke seinen Fehler auskostete. Es war keine Genugtuung. Eher stieß es ihn ab, auch nur die Klauen an seinen Füßen mit dem stinkenden Fell dieses elenden Ipotame in Berührung zu bringen.
„Seit wann?", fragte er schließlich.
Darke schwieg. „Seit ich von den Selketien geflohen bin", raunte er schließlich und nahm die Hände vom Gesicht. Blut klebte nun um seine Augen.
„Warum?"
Er seufzte, es klang, als erstickte er an sich selbst. „Ich habe Nebelessenz genommen, bis ich immun dagegen war. Und Hels, Stramger, Fhirre und Aschbart."
Vord klapperte mit dem Schnabel. „Stramger und Aschbart", echote er missbilligend. „Allein wären sie kaum schlimm genug."
Ein seltsames Geräusch drang aus Darkes Kehle, und Vord merkte, dass es eine makabre Karikatur eines Lachens war. „Zusammen mit Hels und Nebelessenz sind sie die Höllen."
„Du hast Schwarzgras geraucht, um schlafen zu können, nicht wahr?"
„Ja. Die Selketien nehmen Stramger und Hels sorgsam getrennt von Nebelessenz und Fhirre, und gegen Aschbart sind sie nicht gefeit. Ich wollte besser sein als sie. Ich hatte nicht viel Zeit."
Vord schloss gereizt die Augen. „Und dein erster Gedanke war Schwarzgras?"
„Nein. Ghora und der Lange Schlaf. Ich habe mich mehrmals an den Rande des Todes gebracht, mich in die Bewusstlosigkeit getrieben, ich bin beinahe an meinem eigenen Erbrochenen erstickt. Gezzarro hat nie etwas bemerkt." Er wälzte sich auf den Rücken und blickte regungslos auf die Holzbalken der Decke. „Schwarzgras habe ich mir stets verboten. Es ist eine Droge der Toten, der Verlorenen, jener, die jegliche Wertschätzung vor sich selbst verloren haben", knurrte er bitter. „Aber nachdem wir geflohen waren, als wir Kushan und schließlich Bashur erreicht hatten, konnte ich nicht mehr. Ich hatte seit einem halben Jahr nicht mehr geschlafen. Mir war ein Dämmern geblieben. Kein Ersatz für Schlaf und Träume. Gezzarro war gegangen. Ich war beinahe froh darüber. Niemand kannte mich in Bashur. Ich musste für niemanden einen Mann von edlem Blut spielen, in diesen elenden, verkommenen Städten im Süden. Und so betrat ich dieses Haus, das nach verlorenen Seelen und Gewürzen roch."
Vord blickte auf ihn hinab. Noch immer schwammen seine Augen im Rausch, und er erkannte den Schimmer des Schweißes, der ihn bald frierend unter seine Decke treiben würde. „Wie oft seit jenem Tag?"
„Jeden einzelnen." Seine Stimme war voller Abscheu. „Tagsüber konnte ich die Dunkelheit kaum erwarten, doch ich wollte es nur für den Schlaf nutzen."
„Ist es dir gelungen?"
„Ja. Ich war stets reizbar und ruhelos, doch ich habe es geschafft." Er ballte die blutige Hand zu Faust. „Jeden einzelnen Tag auf diesem verfluchten Schiff."
Er kann sich selbst im Zaum halten. Durchaus respektabel. Vord erhob sich und hielt Darke seine Hand hin. Der Ipotame ergriff sie und kam schwankend zum Stehen. „Du willst lernen, was ich bei den Stummen lernte, nicht wahr?"
Darke biss die Zähne zusammen. „Deswegen bin ich hier."
„Schön." Vord ließ seine Hand los, und Darke stützte sich schwer an die Wand. „Dann wirst du dem Schwarzgras entsagen. Du wirst alles erfahren, was ich weiß, jedes Geheimnis der Stummen, das ich mitnehmen konnte. Und du wirst lernen, deine Sucht zu kontrollieren."
Widerspruch flammte in Darkes Augen auf, doch er schwieg und wischte sich den schwarzen Schleim vom Mund. Du bist nicht süchtig, das willst du sagen, nicht wahr? Oh doch, du bist es, und das weißt du.
„Du wirst den Schlaf vermissen, du wirst dich nach ihm verzehren. Nun, da du weißt, was Schlaf bedeutet, in einer Welt des Dämmerns. Du wirst lernen, ohne ihn auszukommen, doch das Verlangen wird dich nie verlassen. Und ich werde ihn dir gewähren. Als Belohnung. Doch solltest du ohne meine Erlaubnis zur Pfeife greifen, werde ich dich aus meinem Haus werfen. Und du wirst enden wie die bedauernswerten Gestalten, die im Schwarzgras ihren Namen verloren haben. Am Ende der Welt, weit fort von deinen Zielen." Vord blickte ihn eindringlich an. „Hast du verstanden?"
Darke verlagerte vorsichtig das Gewicht. „Das habe ich."
„Schön." Vord trat einen Schritt zurück. „Morgen werden wir beginnen. Nun schlaf." Ein letztes Mal tief, bevor du die Höllen kennen lernst.
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Ihr dachtet, Solofar sei edgy? Gestatten, Vord Zahash, und meine Edgyness ist schärfer als meine Krallen.
Ihr dachtet, ihr bekommt ein letztes edgy Solofar-Kapitel vor Ende des Jahres. Oder gar einen Teaser auf Sindrak Herreras drittes Abenteuer. Aber nein! Der Maskenball ist noch nicht fertig und hat schreckliche Probleme mit Grammatik, Stil und Continuity. Stattdessen bekommt ihr also einen wehleidigen Rückblick auf 2018.
Denn dieses Jahr war, kreativ gesehen, ein Desaster. Ich habe fünf Storys meines geliebten Mantel-und-Degen-Giftmischers geschrieben, und das von Writer's Block geplagte zweite Abenteuers meines werten Lieblingsfeiglings Sindrak geschrieben. In sechs fucking Monaten! Ebenso habe ich nur fünf lächerliche Bilder gemalt – die ich euch eines Tages in meinem Artbook zeigen will. Letztes Jahr waren es 15 Bilder, eine in einem Monat herunter geschriebene Sindrak-Story, und sicherlich 20 Solofar-Kurzgeschichten. Der Writer's Block hat mich, und er gedenkt nicht, mich loszulassen, nur weil ich nett darum bitte.
Doch mein Leben könnte besser nicht laufen. Bachelor fertig. Freunde. Liebe (igitt). Hobbys. Familie. Job. Worüber beschwere ich mich eigentlich.
Deswegen werde ich einfach fortfahren. Mal sehen, vielleicht bringt das neue Jahr auch Inspiration mit.
Genug, um Sindraks drittes Abenteuer zu plotten, zu schreiben und euch zu zeigen. Diesmal länger als nur sechzig Seiten. Versprochen.
Frohe Weihnachten, und ein fancy neues Jahr, meine fröhlichen Bitches.
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