V. Münzen und Blut


Grenzgebiete zwischen Subat und Hiron, 450 nach der Eroberung

~

„Da drin versteckt er sich?"

„Aye." De Guille schwang sich vom Rücken ihres Pferdes und zupfte mürrisch ihre Kapuze zurecht.

„Ich hab schon Bordelle auf den Inseln gesehen, die besser aussahen." Lannigan kniff die Augen zusammen und blickte an dem verfallenen Tempel vor ihnen hoch. Kletterpflanzen rankten an den gräulichen Mauern empor. Zwischen dem hohen Gras, das die gesprungenen Marmorfliesen der Treppenstufen beinahe vollends verbarg, ragten Teile der zerstörten Säulen auf wie verrottete Zähne. Die zweiflügelige Eingangstür, wohl einst hoch und herrschaftlich, hing schief in den Angeln, grünlich angelaufen und von Sand und Wind zerfressen. Wen die Reliefs darstellen sollten, war nicht zu erkennen. Der dünne Regen, der ihnen aus aufgetürmten, dunklen Wolken ins Gesicht peitschte, ließ das alte Heiligtum noch trostloser erscheinen. „Allerdings sind Hurenhäuser auch beliebter als die Tempel von, nun, wer auch immer hier verehrt wurde."

Es macht kaum den Anschein eines Ortes, an dem sich ein Usurpator verstecken würde. Vor allem nicht jemand, der ein so wertvolles Artefakt wie die Stalfeyr-Krone für sich verlangt. Andererseits... niemand würde sie hier, nahe einem namenlosen Dorf in Hiron vermuten. „Ich hoffe für euch beide, dass Silberstad in der Tat hier ist. Wenn dies eine Falle ist...", begann Solofar.

„Oh nein", unterbrach Lannigan ihn. „Es ist keine Falle." Stachelige Büsche rahmten das ehemals heilige Gebäude ein, ein paar verkrüppelte Bäume hielten neben der verfallenen Tür Wache, zusammen mit einigen Dracones. Keine Wappen zierten ihre dunklen Rüstungen.

Sie wollen wohl kein Aufsehen erregen. Kein Hinweis darauf, dass sie Silberstads Männer sind. Solofar stieg von seinem Drachen und kettete ihn ein gutes Stück von den Pferden der anderen an einem Steinbrocken fest. Die Wachen beobachteten sie, so wie er die Dracones nicht aus den Augen ließ. Sie hatten ihre Waffen gezogen und sahen abwartend zu, wie De Guille Solofar, Lannigan und Nastura auf den Tempel zuführte.

„Stehen bleiben!", bellte einer von ihnen, die Stimme rau wie die wettergepeitschten Felsen um sie herum. Der zweite hob warnend seine Muskete. „Wer sind diese Bastarde? Du kennst die Bestimmungen, Weib!"

De Guille ging unbeirrt weiter. „Aye, keine Fremden, ich weiß. Leider haben diese Bastarde", sie wies auf Solofar und Lannigan, „mich überfallen und wollen die Krone für sich. Und den Tod von Silberstad." Ein grimmiges Lächeln färbte ihre Stimme.

Der Mann mit der Muskete drückte ab, noch bevor sie ihre Worte zu Ende gesprochen hatte. Die Kugel verfehlte Lannigan um wenige Fingerbreit, der Rote Magier warf sich fluchend zur Seite. Solofar riss seine Schwerter aus den Scheiden und parierte Nasturas Angriff, der Schlag ließ seinen Arm erbeben.

„Master Nastura, bei aller Freundschaft, Euer Plan, uns schon jetzt zu ermorden, ist wahrlich erbärmlich." Funkensprühend trafen die Klingen aufeinander, und Solofar stolperte unter der Wucht einen Schritt rückwärts. Er kämpft wie ein Gossendieb. Keine Technik, keine Regeln. Wie unzivilisiert. Elegant tänzelte er zur Seite, überwand seine Verteidigung und landete einen Schnitt am Oberarm des Sireas.

Nastura fauchte vor Schmerz, doch ließ keinen Moment verstreichen. Unbeirrt setzte er seine Angriffe fort. „Und warum?", knurrte er.

Münzen klirrten, und aus dem Augenwinkel sah Solofar, wie Lannigan zwei silberne Shillinge in die Luft warf. Mit einer schnellen Geste aus dem Handgelenk schickte er sie auf die beiden sich nähernden Wachen zu. Das Metall durchschlug ihre Stirne, als wären sie aus nichts anderem gemacht als aus Papier. Zuckend gingen sie zu Boden.

Stumm stürzte De Guille sich mit gezogenen Messern auf den Magier. Er schrie überrascht auf und rettete sich mit einem Sprung hinter einen Säulentrümmer, sie trat auf den Brocken zu, bereit zum Angriff.

Mit einem rauen Krachen zerbarst der Fels in unzählige Stücke. Schwere Steine flogen auf die Diebin zu, trafen dumpf auf ihren Körper, und sie schrie auf. Ein letzter Brocken traf sie an der Schläfe. Rücklings fiel sie ins Gras, die Messer locker neben ihr. Lannigan ließ seine rot schimmernde Hand sinken, schnippte sich ein paar Staubkrümel vom Ärmel und grinste gehässig.

Nastura war für einen Moment abgelenkt, und Solofar nutzte die Gelegenheit. Schnell wie eine Schlange schlug er ihm den Säbel aus der Hand und setzte ihm sein Rapier an die Kehle.

„Deswegen. Weil man sich nicht mit Roten Magiern anlegt. Und auch nicht mit mir", raunte Solofar.

Nastura fletschte die Zähne und knurrte. Ein Klicken erklang, und Solofar erkannte es, zusammen mit dem Druck an seinem Bauch. „Ich lasse mich nicht von dir abstechen. Das solltest du wissen", grollte er und drückte die Pistole fester in seine Magengegend.

„Doch das habt Ihr bereits." Solofar blickte auf die Wunde an Nasturas Arm.

„Wenn du denkst, dass...", begann er verächtlich, doch plötzlich schien ihm ein Licht aufzugehen. „Bei den verfluchten Göttern!", brüllte er.

Solofar befreite sich mit einer schnellen Drehung und einem Tritt aus seiner Bedrohung. Nastura stolperte nach hinten, der Schuss peitschte durch die feuchtwarme Luft und streifte Solofars Hals. Kaum mehr als ein Kratzer. Es kann warten. Der Rattenfänger warf die Pistole von sich und tastete fahrig nach seinem Schwert, doch das Gift tat seine Wirkung. Er taumelte und fiel besinnungslos zu Boden, noch bevor er seine Waffe in den Händen hielt.

Lannigan stieß ein milde beeindrucktes Pfeifen aus. „Das hast du also in Santaca gelernt. Wie du deine komischen Wässerchen gegen Feinde einsetzt. Nicht schlecht."

Solofar betrachtete prüfend seine Schwertklinge. „Auf meine Art beherrsche ich ebenfalls Magie, Lannigan."

Der Magier warf einen spöttischen Blick zu dem zerstörten Felsen und sah wieder zu Solofar. „Stellt sich nun die Frage, wessen Magie die bessere ist", sagte er überlegen.

Solofar verdrehte abschätzig die Augen und trat zu De Guilles Pferd. Mit fliegenden Fingern durchsuchte er die Satteltaschen, und fand sie schließlich, unter Hemden, Essen, weiteren Messern und Diebesausrüstung. Mattschwarz glänzte die Krone im Regen, eingeschlagen in ein schmutziges Leinentuch. Winzige, rötliche Steine schimmerten wie Sterne im dunklen, schweren Stahl. Die Zacken waren so spitz und scharfkantig, dass er die Klingen durch die Handschuhe hindurch spürte. Die alten Drachenkönige müssen wahrlich stark gewesen sein, wenn sie dieses Artefakt auf ihren Häuptern trugen. Ich verstehe, warum es ein Symbol der Macht ist. Für einen Moment war er versucht, die Krone auf den eigenen Kopf zu setzen, doch er wickelte nur die Enden des Tuches um sie.

Mit der Krone in den Händen trat er auf De Guille zu, die noch immer regungslos auf dem steinigen Boden lag. Unsanft trat er sie in die Seite. Sie stöhnte leise auf. „Lannigan, die Messer, wenn ich bitten darf."

Elegant erhoben sich die Klingen in die Luft und landeten in den Händen des Magiers, der sie unwohl betrachtete. „Geschwärzter Stahl, wie es sich für eine Diebin gehört", bemerkte er und schob sie in seinen Gürtel.

Solofar unterdrückte ein gereiztes Seufzten. Heftig schlug er dem Nebelschatten mit der flachen Klinge ins Gesicht. „Wacht auf, Miss."

Langsam öffnete sie die Augen und blinzelte in den immer stärker werdenden Regen. „Was...", murmelte sie, versuchte, aufzustehen und ließ sich fauchend vor Schmerz wieder zurücksinken.

Solofar setzte ihr die Spitze seines Rapiers an die Kehle. „Ich hoffe, Ihr habt nun gelernt, dass Ihr keinen Widerstand leisten solltet. Erhebt Euch."

Keuchend kämpfte De Guille sich auf die Füße. Vorgebeugt umklammerte sie ihren Oberkörper und tastete mit der anderen Hand nach der Platzwunde an ihrer Schläfe. Wütend blickte sie auf das Blut auf ihren Fingern. „Verfluchte Scheiße", knurrte sie und spuckte Blut und einen Zahnsplitter aus. „Du hast mich voll erwischt, du Bastard!"

„Du wolltest mich umbringen, und ich hab diesen Gefallen nicht vollends erwidert. Du solltest dankbar sein." Lannigan grinste selbstzufrieden.

„Für angebrochene Rippen weigere ich mich, dankbar zu sein!"

„Seid still, alle beide. Miss de Guille, führt uns zu diesem Silberstad. Keine Spielchen mehr, habt Ihr mich verstanden? Sonst schneide ich Euch noch im gleichen Moment die Kehle durch." Die Spitze von Solofars Rapier zuckte.

Sie spuckte erneut aus, doch nickte mürrisch. „Wo ist Tiborazo?"

„Ihr könnt später nach ihm sehen. Doch er lebt, macht Euch keine Sorgen. Los jetzt." Langsam wurde Solofar ungeduldig. De Guille sah sich schnell um, und er hob warnend das Schwert. Sie seufzte und ging voran. Kurz angebunden winkte er Lannigan zu sich und trat auf den Eingang des Tempels zu.

„Warum ist Nastura nicht tot?", wollte Lannigan wissen.

„Mir wurde einst verboten, ihn zu töten."

„Warum das denn? Ihr seid allerbeste Feinde, warum..."

„Das geht dich, bei aller Freundschaft, nichts an."

Lannigan gab ein unzufriedenes Geräusch von sich. „Jetzt zieh mal den Stock aus dem Arsch, Darke! Wir sind alte Freunde!"

Ich kann es kaum erwarten, ihm den Dolch in die Rippen zu stoßen. „Um es kurz auszudrücken: wenn ich ihn töte, gerate ich in Schwierigkeiten mit einigen ungekrönten Königen."

De Guille schnaubte. Lannigans Schritte hinter ihm verstummten. „Ungekrönte Könige, was? Ich glaube, du bist in noch größerer Scheiße, als ich dachte."

„Das mag sein."

„Hast du dich mit der Unterwelt angelegt? Mit wem?"

Solofar winkte ihn erneut zu sich, ohne sich umzusehen, und lauschte, wie Lannigans Schritte erneut durch das Gras schlurften. „Du müsstest wissen, dass man einige Fragen besser nicht stellt. Diese gehört zu jenen, die man niemals stellen sollte."

Lannigan kicherte. „Natürlich." Kurz herrschte Stille. „Darke, es interessiert mich wirklich brennend, wer dich bezahlt."

„Stalfeyr."

Lannigan seufzte. „Die Wahrheit."

„Wenn du alle Wachen tötest, denen wir begegnen, sage ich es dir." De Guille holte Luft, und er legte ihr warnend das Schwert in den Nacken. Sie schwieg.

Der Rote Magier grinste breit und entblößte gelblich verfärbte Zähne. „Hervorragend."

„Gibt es weitere Wachen?"

„Nein. Doch. Drei Männer, die sich auf der Galerie über dem Eingang verstecken. Sie wollen uns wohl erschießen, wenn wir im Tempel sind."

Solofar nickte knapp und öffnete die Tür. Das Holz bröselte unter seinen Fingern. „Nach dir, Lannigan."

Der Magier machte eine Geste, und drei Münzen schwebten aus seiner Tasche. Rotes Licht schimmerte um das kalte Silber. „Mit Vergnügen." Er wirbelte herum und rannte in den Tempel. Schüsse hallten durch den schmalen Vorraum, von den hohen, kahlen Wänden zu Donnerschlägen verstärkt, doch die Kugeln verfehlten ihr Ziel. In der Mitte des Raumes wandte Lannigan sich um und stieß die rechte Hand nach vorn, im gleichen Moment, in dem ein Dracon mit erhobenem Schwert wie ein grotesker Raubvogel auf ihn zuschoss.

Die Münze, die für ihn bestimmt war, durchschlug seine Stirn, noch während er fiel. Mit einem würgenden Geräusch erschlaffte er und landete dumpf auf den gesprungenen Marmorfliesen. Lannigan trat einen affektierten Schritt zur Seite, verneigte sich und blickte Solofar und De Guille um Beifall heischend an.

Solofar trat unbeeindruckt durch die Tür, ohne ihn zu beachten, auf das hohe, herrschaftliche Tor zum Hauptsaal des Tempels zu. Rostige Metallbeschläge bedeckten das fahle Holz. Dahinter muss er sein. „Miss de Guille, wenn ich bitten darf. Geht voran", raunte er. „Und keine weiteren Versuche, Euch oder Euren Geliebten zu töten." Er zog das Rapier und stellte sich neben die Tür, Lannigan tat es ihm gleich.

Sie warf ihm einen seltsamen Blick zu, doch warf theatralisch die Tür auf. Das Klicken von gespannten Gewehren erklang, dutzende Male, von den hohen Wänden hundertfach zurückgeworfen. „Silberstad, ich grüße Euch. Was soll dieser Unsinn mit den Musketen?", fragte sie vorwurfsvoll.

„Wir haben Schüsse gehört", vernahm Solofar die tiefe Stimme eines Dracons. Silberstad. „Ich war besorgt, dass es zu Scherereien kommen könnte."

„Nur ein paar gewöhnliche Banditen, die mir das Leben schwer machen wollten." De Guilles Schritte flüsterten auf dem kalten Steinboden.

Solofar spürte, wie die Anspannung durch seine Adern perlte, wie ein Gift, das nicht tötete, sondern zu Höchstleistungen fähig machte. Goldpfeffer. Rotes Kraut. Oder schlicht und ergreifend der Hunger nach dem Tod. Er hörte, wie Gewehre gesenkt, doch nicht gesichert wurden. Rüstungen knarzten, Gewänder raschelten. Krallen scharrten über Gestein, ein kleines Trümmerteil klackte leise gegen ein anderes.

Lannigan blickte ihn süffisant an, rotes Licht spielte um seine Finger. „Darf ich?"

Solofar nickte ihm zu. „Überlasse Silberstad und De Guille mir. Die Wachen mögen durch deine Hand den Tod finden", raunte er.

„Schön gesagt, Darke." Er sprang auf und trat gänzlich unbeeindruckt in den Saal.

Solofar lugte um die Ecke und beobachtete ihn. Dünnes Licht und Regen fielen durch Löcher in der Decke in den Saal, die Fliesen waren durchsetzt mit Gewächsen. Kleine Ableger der stacheligen Büsche sprossen durch die Lücken zwischen den Marmorplatten. Die Statuen in den Nischen waren zerstört oder verschwunden. Ein paar wenige letzte Opfer an die Götter wehten traurig im leichten Wind, zertreten von den krallenbewehrten Füßen der Dracones.

Silberstad bemerkte ihn sofort. „Wer seid Ihr?" Gewehre wurden angelegt, Schwerter klirrten.

Solofar atmete tief durch und schob das Rapier in die Scheide. Die Krone in seiner Hand fühlte sich eisig kalt an. So leise er konnte, zog er den Dolch.

Lannigan ballte die Hände zu Fäusten und hielt sie vor sich, als wolle er jemanden schlagen, das rote Licht schien sich zusammenzuballen. Münzen erhoben sich aus seinem Beutel, eine nach dem anderen, Gold, silbern und bronzefarben, und bildeten einen Zirkel um ihn, wie zuvor in der Taverne in Trece. „Einer der Banditen", sagte er. Schnell breitete er seine Arme aus, die Finger weit gespreizt.

Die Münzen schossen in alle Richtungen davon, jede traf ihr Ziel. Soldaten sackten tot in sich zusammen, die Stirne zerschlagen durch das Metall. De Guille schrie auf und warf sich zu Boden. Solofar stürzte sich auf Lannigan und rammte ihm den Parierdolch bis zum Heft in die Rippen, knapp unter den Armen.

Lannigans überraschte Miene wich belustigter Erkenntnis. „Heilige Scheiße", keuchte er, beinahe empört. Blut spritzte über seine Lippen.

„Der Orden befahl den Rhymers, dich zu töten. Ich stehe in ihrem Sold", raunte Solofar und trat einen Schritt zurück, das blutige Messer fest in den Händen. Etwas in seiner Seite schmerzte, schickte mit jedem Herzschlag Wellen aus Pein durch seinen Körper, doch er hielt seinen Blick fest auf Lannigan gerichtet.

Lannigan lächelte spöttisch, Blut färbte seine gelben Zähne. Er fiel, rotes Licht spielte um seine schmutzigen Hände. Aus dem Augenwinkel sah Solofar, wie De Guille und Silberstad sie beide entgeistert anstarrten.

Als der Rote Magier auf dem Boden aufschlug, schien die Welt in unzählige Trümmer zu zerbersten. Rotes Licht explodierte unter Lannigans Händen, zerfetzte die uralten Steinplatten zu Scherben und die Mauern zu Staub und Steinen. Der Boden wölbte sich donnernd, als lebte eine Bestie darunter, die von einem langen Schlaf erwachte. Wellen aus Energie rissen das Erdreich auf, fraßen sich durch die Wände und ließen die Steine wie Kanonenkugeln nach außen schießen. Die Säulen brachen knirschend in sich zusammen. Leichen wirbelten durch die Luft, zusammen mit Felsbrocken, Staub und Buschwerk.

Die rote Energie riss Solofar mit sich und schleuderte ihn gegen den Überrest einer Säule. Der Aufschlag trieb ihm jegliche Luft aus den Lungen, der Schmerz in seiner Seite explodierte, und er keuchte leise auf. Schwärze breitete sich in seinem Sichtfeld aus, und er blinzelte heftig, beinahe blind.

So schnell und mit welcher Wucht Lannigan seine Macht auch entfesselt hatte, so schnell verschwand sie wieder. Regen fiel auf Solofar nieder, wusch den Staub von seiner Rüstung und durchnässte seine Mähne, sein Fell und seine Kleidung. Benommen, ohne jede Orientierung blickte er sich um, die Stille klang dumpf in seinen Ohren, als er den Kopf wandte. Gedanken schossen durch seinen Kopf, ohne, dass er einen von ihnen fassen konnte. Immer noch pulsierte der Schmerz durch seinen Körper, und er tastete fahrig danach. Seine zitternden Finger stießen gegen etwas Hartes, und es schien, als drückte jemand geschmolzenen Stahl in seinen Leib. Heftig schnappte er nach Luft und blickte verwirrt an sich herab.

Whisper de Guilles Dolch steckte in seinem Körper, knapp über seiner Hüfte, nur eine Handbreit weit. Lannigans letzter Versuch, mir zu schaden. Nein, sein vorletzter. Bevor er den Tempel zerstört hat. Um ihn herum stand nichts mehr, bis auf einige niedrige Mauerteile. Tote Dracones lagen zwischen ihnen verstreut. Etwas entfernt, unterhalb des nun aufgeworfenen marmornen Podests, auf dem der Tempel gestanden hatte, konnte er den immer noch bewusstlosen Nastura erkennen, nur knapp verfehlt von einem Steinbrocken von der Größe einer Kutsche. Eines der Pferde war getroffen worden, tot lag es neben seinen vor Angst besinnungslosen Artgenossen. Der Drache riss an seinen Ketten. Wahrscheinlich hungrig, ging es Solofar abwesend durch den Kopf.

Plötzlich fühlte er sich derart ermattet, dass er nie wieder aufstehen wollte. Stumm blickte er auf das Chaos, das Lannigan zurückgelassen hatte, und spürte, wie ihm der Regen in den Nacken lief. Der Schmerz fühlte sich eisig kalt an, und erinnerte ihn daran, dass er aufstehen musste. Schwankend und mit verzerrtem Gesicht erhob er sich und blickte sich langsam um.

Der Tempel war dem Erdboden gleichgemacht worden, nur noch eine leichte Erhöhung aus Marmor und die Trümmer erinnerten an das einstige Gotteshaus. De Guille lag bewusstlos in den Dornenbüschen, und Solofar konnte sich selbst in seiner Erschöpfung eines Anflugs der kindischen Schadenfreude nicht erwehren. Silberstad lag, eingeklemmt unter einem Holzbalken, der wohl das Dach gestützt hatte, vor der Rückwand des Tempels, dort, wo wohl einst eine Götterstatue gestanden hatte. Blutflecken zeigten sich auf seinen schuppigen Lippen und benetzten seine edle Kleidung. Solofar erkannte kaum das Wappen, das in dem blauen Stoff eingestickt war.

Steif wie ein alter Mann hob Solofar den Dolch und die Krone auf, die einige Schritte entfernt auf den Steinen lagen, und trat auf den Drachenfürsten zu. Sein Atem klang rasselnd. Der Balken hat ihm sicher die Rippen gebrochen und in die Lunge getrieben. Er wird sterben, und er wird es mir danken, wenn ich sein Leiden verkürze.

Bei jeder Bewegung spürte er das Messer in seinem Leib. Doch wenn ich es jetzt herausziehe, bevor ich mich verbinden kann, bin ich verblutet, ehe ich meinen Drachen erreichen kann. Neben Silberstad kniete er nieder und stieß ihm den Parierdolch von unten in den Kopf. Silberstad zuckte, dann lag er still.

Solofar erhob sich und kehrte zu seinem Drachen zurück. Vorsichtig holte er eine lederne Mappe hervor, schnallte die Waffengurte ab und ließ sich auf einem Trümmer nieder. Er zog das Messer aus der Wunde, streifte so schnell es ihm möglich war, seine Kleidung ab bis auf Hemd und Hose, und griff nach einem kleinen Fläschchen mit einer kristallklaren Flüssigkeit. Blut rann über seine Hose, und er wischte es mit einem Stoffetzen fort.

„Ist er tot?", erklang plötzlich De Guilles Stimme. „Silberstad."

Solofar hielt inne. „Ja", sagte er nach einem Moment und goss die Flüssigkeit auf seine Wunde. Es brannte, als hätte er sein eigenes Fleisch angezündet. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie sie sich schwer atmend gegen ein Stück einer Säule lehnte.

„Was wirst du nun tun?", fragte sie. Schmerz verzerrte ihr Gesicht, und sie hielt sich die Rippen.

„Ich werde über die Grenze reiten. Der ersten Garnison der Dracones sagen, dass sich ihre Krone in meinem Besitz befindet und ich den Verantwortlichen getötet habe. Ich werde ihnen verraten, wo seine Leiche liegt, und danach werde ich verschwinden." Solofar nahm Nadel und Faden und begann, die Wunde zu nähen. Trotz des Schmerzes, den der Stich des Messers durch seinen Körper trieb, schien die gebogene Hornnadel kaum weniger unangenehm.

„Und was wird aus mir?"

„Ich werde die Wahrheit sagen. Wenn sie mich auf Euch ansetzen, nun, dann werde ich ihnen höflich erklären, dass ich kein Jäger bin, und dass sie einen anderen konsultieren sollen."

De Guille stieß ein schnaubendes Lachen aus, endend in einem leisen Schmerzenslaut. „Und das werden sie hinnehmen?", keuchte sie.

„Das müssen sie."

Sie schwieg. „Warum jagst du mich nicht selbst?", fragte sie schließlich.

Er seufzte gereizt. „Ich sagte es bereits. Ich bin kein Jäger. Ich töte nur."

„Solche wie Lannigan." Beinahe klang sie beeindruckt.

„In der Tat. Auch Männer wie Lannigan."

„Wie hast du das geschafft?"

„Ich wartete, bis er abgelenkt war, und stieß ihm ein Messer ins Herz." Dafür, dass es sich dabei um einen Roten Magier handelte, der Gebäude allein mit seinen Gedanken zerreißen kann, war es erstaunlich einfach. Mit geradezu obszön wenig Schaden für mich selbst.

„Hattest du es von Anfang an so geplant?", wollte sie wissen.

„Seht, Miss", er verknotete den Faden und durchtrennte ihn mit ihrem Dolch, „ich bin weder in Stimmung noch in der Verfassung für derartige Gespräche. Ich wartete, bis er seinen Nutzen erfüllt hatte, und erledigte dann meinen Auftrag." Er wusch die Nadel ab und blickte sie an. „Reicht Euch das?" Es hat nur funktioniert, weil ich wusste, wer er war und wie er handelte. Weil ich wusste, dass er gerne mit Münzen und Wesen aus Erde kämpft, und dass er für derartige Handlungen viel Konzentration benötigt. So viel, dass er nicht mehr darauf achten kann, was hinter ihm liegt.

Sie nickte langsam. Solofar griff nach einem kleinen Ballen Stoff und wickelte ihn umständlich um seinen Körper. Mit steifen Fingern schloss er das Ende, erhob sich und warf sich seinen Umhang um, als Schutz vor dem Regen und dem auffrischenden Wind. Seine restlichen Sachen stopfte er unordentlich in die Satteltaschen, bevor er sich seine Waffen umschnallte und sich auf den Rücken des Drachen schwang. Das Tier machte einen Schritt, der an seiner Wunde riss, und Solofar versteifte sich. Ich bin nicht erpicht auf das, was folgt, doch nun, wenn ich noch heute in Subat ankommen will, werde ich reiten müssen. Ich werde schnell reiten müssen, und ich werde jede Sekunde davon verfluchen. Der Regen ließ sein Hemd an seinen Armen kleben.

„Was ist mit Tiborazo?", hielt De Guille ihn auf, bevor er von dannen reiten konnte.

„Er wird schlafen, vielleicht bis morgen Abend, vielleicht wacht er auch bereits zuvor auf. Seine Kopfschmerzen werden ihn umbringen wollen." Er lächelte, ein wenig schadenfroh, und warf ihr ihren Dolch vor die Füße. „Doch er wird es überleben."

„Kann ich etwas tun, um ihm zu helfen?" Sie klang beinahe flehend.

„Seid fort von hier, bevor die Drachen kommen." Solofar riss den Drachen herum und trieb ihn in einen schnellen, schmerzhaften Galopp, durch den peitschenden Regen, und ließ den Nebelschatten mit dem bewusstlosen Rattenfänger zurück.

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