NEBELSCHATTEN

Soundtrack: In Extremo - Gaukler.

Mehr ein Theme als Soundtrack, aber nun - es ist Whispers Lied.

~

Naesat, an der Ostküste der kyrischen Provinz Laegyria, 448 nach der Eroberung


Die zwei Männer betraten die Taverne und brachten einen Schwall aus Seeluft und dem Geruch von warmen Sand mit sich. Fackeln und Kerzenflammen flackerten und ließen die Schatten der trinkenden Gäste tanzen.

Für einen Moment konnte Whisper die Wüste und das Meer riechen, bis der schwere Vorhang vor dem Türrahmen zurückfiel und die frische Luft aussperrte. Zurück blieb die klebrige, stickige Hitze, eine Mischung aus Talgkerzen und verschüttetem Bier, aus Schweiß und Fisch, aus Rauch und nassem Fell.

Whisper blickte kurz zu den Neuankömmlingen, während sie weitere Getränke zapfte. Einer von ihnen war ein Amphitere, mit fedrigen Flügeln und einem gezahnten Schnabel. Struppige, teerschwarze Federn fielen zu Boden, wo auch immer er ging. Der andere war ein Mensch, ein seltener Anblick in Eckoyr. Selten verirrten sich Menschen in diesen götterverlassenen Flecken Dreck an der Küste. Whisper musterte ihn, so unauffällig wie möglich, und doch fingen ihre geübten Augen nichts ein, das darauf hinwies, dass er etwas anderes als ein gewöhnlicher Mensch war. Kein Lykaner, kein Wandler, kein Jé-Rouge. Und doch riechen sie nach Ärger.

Mit ruhigen Bewegungen stellte sie die Becher mit den Getränken auf ein Tablett und machte ihre Runde durch die Menge der Gäste. Ein betrunkener Gryff versuchte, ihr an den Hintern zu greifen, doch sie legte ihren Flügel in seinen Weg, und er erwischte nichts außer einer einzelnen Feder. Sie beobachtete, wie der Amphitere sich mit dem Rücken zur Wand an einen der Tische setzte, an dem ein paar andere Männer Karten spielten, und wie der Mensch zur Bar schlenderte, sich auf der Theke abstützte und milde gelangweilt in die Runde blickte. Seine struppigen blonden Haare fielen ihm über die Augen. Whisper kannte diesen Blick. Er bedeutete stets Ärger.

Sie fing einen Blick von Máma hinter der Theke auf, und wusste, dass sie nichts anderes dachte. Máma ist zu lange im Geschäft, als dass sie Ärger nicht riechen kann. Zu lange besitzt sie schon eine Taverne in Naesat. Whisper wusste nicht einmal den richtigen Namen der massigen, dunkelhäutigen Frau aus Haracan, doch ihre Launen und ihr Wissen war legendär. Die anderen Gäste merkten den Umschwung des Windes ebenfalls. Einige Gespräche erstarben, ein paar griffen unauffällig nach ihren Waffen.

Ein paar Männer bestellten weitere Getränke, und Whisper kehrte hinter die Theke zurück. Gerade, als sie den ersten Becher Rum in den Händen hielt, sprach der Mann sie an.

„Dürfte ich auch einen Becher haben?"

Whisper verzog die Lippen zu einem verächtlichen Halblächeln, ohne den Blick zu heben. „Aye, natürlich. Was willst du?"

„Rum, bitte." Seine Stimme war weich und freundlich, geradezu verführerisch. Doch er rührte nichts in ihr.

Wortlos stellte sie den Becher auf den Tresen. „Danke." Kurz herrschte Stille, während sie mit steifen Fingern Getränke zapfte. „Wusstest du, dass der Nebelschatten in der Stadt ist?", durchbrach der Mann plötzlich die Stille.

Whisper schnaubte, als sie ihren legendären Diebesnamen hörte. „Woher bitte soll ich so etwas wissen?", stellte sie spöttisch dieGegenfrage.

Er zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck. „Du bist Schankmädchen. Schankmädchen hören viel." Sein Blick warverschwörerisch und erwartungsvoll. „Du erinnerst mich an sie. An den Nebelschatten."

„Bist du dem Nebelschatten denn schon einmal begegnet?", wollte sie wissen. Ich habe diesen Kerl noch nie gesehen.

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich habe gehört, dass sie keine Gryff und auch keine Panthera sein soll. Etwas dazwischen. Ein Nebelparder mit langen Krallen, grau geschecktem Fell und nur einem gefiederten Flügel. Und, seit einiger Zeit, auch mit gebrochenen Fingern, was ihrer Diebeslaufbahn ein unschönes Ende einbrachte." Er lugte über den Tresen und erhaschte wohl einen Blick auf ihre vernarbten, steifen Hände. „Hast du nun von ihr etwas gehört oder nicht?"

Whisper lachte leise. „Ich weiß alles über sie. Schankmädchen hören viel. Woher hast du es gehört?"

Er grinste süffisant und wedelte vage mit der Hand. „Von hier und von dort. Der Staubkönig hat überall seine Augen und Ohren in dieser Provinz."

Der Staubkönig. Klingt ebenfalls nach einer Menge Ärger. Und nach allem, was ich suche. „Wer ist dieser König?"

„Der ungekrönte Herrscher allen Übels von Laegyria. So nennt er sich zumindest." Der Mann zuckte mit den Schultern und lächelte verlegen. „Er hat ein Gespür fürs Dramatische."

„Und was will er?"

„Er hat dir ein Angebot zu machen."

Whisper dachte an das Messer, das sie an der Hüfte trug, versteckt unter ihrer Schürze. Es mag sein, dass meine Hände so oft gebrochen waren, dass sie nun vielleicht nie wieder zu etwas nutze sind. Doch ich habe genug mit Münzen und Messern meine Finger geschult, dass ich dir trotzdem mit einem Schnitt deine Eingeweide aus dem Körper schneiden kann. Sie tastete nicht nach der Klinge. Schnell genug war sie auch so. Stattdessen griff sie nach einem Lappen und begann, die verschüttete Flüssigkeit von den Tresen zu wischen. „Was für ein Angebot?"

„Diebe bleiben immer Diebe, selbst wenn sie sich hinter den Bechern und Flaschen einer Taverne verstecken. Und du warst eine der größten von allen. Der Staubkönig bietet dir an, wieder zum Nebelschatten zu werden, so, wie es einst war."

Whisper stockte für einen Moment in ihrer Tätigkeit und verfluchte sich dafür. Nichts möchte ich lieber. Wieder stehlen. Die Gefahr im Fell spüren, die Aufregung der Jagd, schnell wie der Wind durch Gassen und über die Dächer fliehen. Doch es wird niemals wieder sein. Schicksalsergeben blickte sie auf ihre Finger hinab, auf drei Finger, die sie nicht mehr beugen konnte, und auf fünf weitere, bei denen jede Bewegungen sich anfühlte, als knirsche Sand zwischen den Gelenken. Münzen über die Gelenke tanzen zu lassen, Klingen ebenso, und Messer allein mit zwei Fingern quer durch einen Raum werfen. Ich konnte alles, alles, was Fingerfertigkeit ausmacht, und diese Minotauren haben mir alles genommen. „Ich hoffe, er hat einen geheimen Weg, wie er mir meine Hände zurückgeben kann."

„Er lässt dich klein anfangen. Kleine Diebstähle, sodass du langsam wieder in Übung kommst. Das Geschäft nicht vergisst. So lange, bis du wieder der Nebelschatten bist und einem Dracon einen Diamanten aus den Zähnen stehlen kannst", lockte der Mann.

„Als Gegenleistung möchte er sicher, dass ich nur in seinen Diensten arbeite." Hoffnung wallte in ihr auf, und sie bemühte sich, klar zu denken.

„Oh nein, du kannst arbeiten, wo du willst. Nur nicht gegen den Staubkönig. Das ist sein großzügiges Angebot. Er möchte nur zwei Drittel deiner Beute, und du stehst unter seinem Schutz. Niemand in Laegyria wird es wagen, dir etwas anzutun, solltest du doch in Gefangenschaft geraten."

Unter anderen Umständen hätte ich das Angebot abgetan. Die Hälfte, mehr hätte ich ihm nie gegeben. Doch dass er mich zurück ins Geschäft bringt, zusammen mit seinem Schutz... Das ist mehr, als ich jemals hoffen konnte. Vorsichtig stellte Whisper die vollen Becher auf ihr Tablett, hob es an und trat auf die andere Seite des Tresens. Der Mann blickte ihr erwartungsvoll entgegen. „Sagt dem Staubkönig, dass ich sein Angebot annehme", sagte sie, ihre unbändige Freude sorgfältig unter ihrer Herablassung verborgen. „Und dass ich mich über eine fruchtbare Zusammenarbeit freue."

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