MITTWINTER

Lange haben wir nichts mehr gehört von meinem Lieblingsjunkie. Und auch diese Story ist nur entstanden, weil ich eine Weihnahctsgeschichte zur #mybookchallenge von Books on demand auf Instragram schreiben musste. Eigentlich hatte ich sie auf Weihnachten posten wollen, aber wie ihr seht, ist daraus nichts geworden. Also - ja. Frohe Weihnachten und so.

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Nahe Berrydham, im Norden von Murnersshire, 450 nach der Eroberung

Heruntergebrannte Kerzenstummel und aufsteigende Rauchfäden kündeten von dem erloschenen Licht der Kerzen. Der Geruch nach heißem Wachs stieg Solofar in die Nase, zusammen mit erkaltender, fettiger Bratensoße, glasiertem Fleisch und Früchten, unzähligen Gewürzen, die sich in dieser Gegend wohl nur die Reichsten leisten konnten, und dem schweren Geruch des Weins. Leise plätschernd rann der Rebensaft über eine Pyramide aus kunstvoll gestapelten Gläsern, beinahe übertönt von dem Schnarchen der Männer und Frauen an der langen Festtafel. Ein jeder von ihnen schlief, manche zuckten unter Träumen, die das Yluf ihnen brachte.

„Du warst erfolgreich, wie ich sehe."

Greasy Sade nahm das juwelenbesetzte Collier vom feisten Hals einer Frau und ließ es in den Röcken ihrer Dienerinnenuniform verschwinden. „Es war schwer genug. Manchen musste ich die Pasteten förmlich in den Hals schieben, andere hätte ich lieber im Wein ertränkt, als noch eine Sekunde zu warten, dass sie endlich einen Schluck davon nehmen. Ein paar der Wachen", sie nickte in Richtung der gläsernen Tür, die auf den Balkon führte, „musste ich mit Lokka außer Gefecht setzen. Wie eine gewöhnliche Hure." Sie verzog das Gesicht. „Ich musste wirklich lange nicht mehr danach greifen, und kaum muss ich einen Auftrag mit dir ausführen, brauche ich es wieder."

Solofar schritt die lange Reihe der prunkvollen Sessel entlang. Die Tafel glich einem Schlachtfeld. Verstreute Essensreste mischten sich mit verschüttetem Wein, Braten waren angeschnitten und danach mit Verachtung gestraft worden, gebratenen Hühnern hatte man nur die Beine abgerissen und den Rest unbeachtet zurückgelassen. Wachtelknochen lagen verstreut zwischen gebackenen Früchten. Männer und Frauen, die Haare schwimmend in Suppe, das Gesicht an die nun zermalmten Kartoffeln geschmiegt, schliefen neben jenen, denen die Reste des Bratens noch im Mund hing. Soßenflecken krochen Paradeuniformen empor und verdreckten feine Seidenkleider. Manchen war es noch gelungen, sich an seinen Nebenmann zu lehnen, einige hatten den Kopf mit offenen Mündern auf die eigene Stuhllehne gelegt, doch die meisten nutzten den mit Köstlichkeiten und deren Resten übersäten Tisch als Kissen. So viel Aufhebens für vier Morde. Es hätte sicherlich einfachere Wege gegeben. Doch was die Rhymers befehlen ist Gesetz, und wenn der Auftrag lautet, den gesamten Hof in Schlaf zu versetzen wie in einem burallischen Märchen, dann sei es so. Zumindest hat es seinen Vorteil, dass ich mich nicht einmal verstecken muss. Es braucht weit mehr als ein paar geraunte Worte und Schritte, damit man aus einer Mischung aus dem Langen Schlaf und Yluf wieder erwacht.

Solofar trat zu einem Mann, dessen Atem kleine Wellen über seinen Teller schickte, und stieß ihm den Parierdolch in den Hals. Blut vermischte sich mit der Suppe. Beinahe schien es, als habe sich nichts verändert. Einzig die nun spiegelglatte Flüssigkeit in seinem Teller verriet, dass er nicht mehr lebte. Der erste von vieren.

„Wir machen dem werten Lord Charlestone ein wirklich nettes Geschenk zu Mittwinter", bemerkte Sade trocken und hielt einen Ring gegen das Licht einer der wenigen noch brennenden Kerzen, die sich tapfer gegen die Dunkelheit stemmten. „Verdammt, der Stein ist nicht einmal echt. Was für arme Schlucker lädt Charlestone zu sich ein?"

„Ich meine mich zu erinnern, auf der Einladung etwas von einer Ehre, sich zu Charlestones besten Freunden zählen zu dürfen, gelesen zu haben", erwiderte Solofar mit mildem Spott. Eher zu seinen besten Speichelleckern.

Sade nahm ein Stück Braten vom Teller eines Mannes und stopfte ihn sich in den Mund. Zufrieden nickte sie. „So wenig Geschmack Charlestone in der Wahl seiner Freunde hat, so viel hat er beim Essen", sagte sie kauend. „Und selbst der Wein ist hervorragend. Eine Schande, dass niemand, der nicht gerade du ist, ihn noch trinken kann."

Solofar schnitt einer Frau in einem nun ruinierten rosafarbenen Kleid die Kehle durch. „Hast du das Gegengift gebraucht?"

„Leider. Ich habe immer noch Bauchschmerzen davon. Ein Offizier, der dort drüben", sie wies auf einen Mann, dessen Hand noch immer seinen umgekippten Weinbecher umschloss, „er hat mich genötigt, einen Schluck zu trinken, ich sähe so unglücklich aus. Heute ist Mittwinter, hat er gesagt. Da sollte niemand traurig sein."

„Wenn sie aufwachen, werden sie wohl alle zutiefst bestürzt über den Tod ihrer werten Freunde sein." Solofar trat zu einem Mann in der edlen, fein gemusterten Kleidung eines Händlers und rammte ihm den Dolch in den Hals.

Sade warf den falschen Ring in eine Terrine und band sich die braunen Haare neu zusammen. „Wenn du mir vor zwanzig Jahren gesagt hättest, dass ich einmal an Mittwinter etwas anderes tun würde als essen und schlafen, dann hätte ich dich für verrückt erklärt. Dass ich einmal an einem Festtag arbeiten würde, und dazu noch helfen, andere zu töten..."

Der letzte Mann fiel unter Solofars Dolch. Die Herren Ryhmer werden durchaus zufrieden mit uns sein. Unser Mittwintergeschenk an sie. „Ich kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal an einem der Feiertage nichts anderes getan habe, als zu essen und zu schlafen."

Sinnierend blickte sie zu den hohen Fenstern. „Es verliert an Bedeutung, wenn man keine Familie hat. Als ich ein Kind war, hat meine Mutter mit mir und meinen Geschwistern Winterbeerenzweige vor jedes Fenster in der ganzen Taverne gehangen. Genauso wie hier." Sie nickte zu den mit roten Bändern verzierten Blättern an den Fenstern. „Sogar in jedes Gästezimmer. In einem gab es nicht einmal ein Fenster, nur ein Gemälde, und ich habe auch eins davor gehangen."

„Warum?"

„Es ist ein Brauch, hier in den Königreichen. Man hängt an Mittwinter immergrüne Zweige vors Fenster, damit Schwester Schnee sie sieht, und sich daran erinnert, dass langsam wieder Zeit für Frühling ist. Ein alter Aberglaube aus der Zeit, bevor die Drachen die Großen Vier brachten. Als Dank für die Erinnerung lässt sie den Kindern kleine Geschenke da." Sie lachte leise. „Meine Mutter war wohl froh, dass sie nur drei Blagen hatte und deswegen nicht so viel sparen musste. Es gab eine Familie in unserem Dorf mit acht Kindern. Wir wussten immer, dass sie anfingen zu sparen, wenn der Vater nicht mehr jeden Tag bei uns einkehrte." Sie sah sich zu Solofar um. „Feiert man im Süden auch Mittwinter?"

Solofar wischte den Dolch am Tischtuch sauber. Beinahe war es, als wäre auch das Blut nichts als eine weitere ausgefallene Soße. „Meine Familie hat nie viel von Aberglaube gehalten. Mein Vater nannte es kindisch. Es war ein Feiertag, bei dem die Dienerschaft frei bekam, damit sie nicht rebellierte, sonst nichts. Als ich zum Knappen ernannt wurde und nach Ryvebridge ging, bekam ich jedes Jahr etwas. Hyatt machte sich nie die Mühe, uns etwas von einem Märchenwesen zu erzählen. Wie hätte er auch sonst erklären können, dass ich zuvor in Murrim nie ein Geschenk erhalten hatte?"

Sade lachte. „Hyatt hat schon immer sympathisch geklungen. Hast du noch etwas von damals?"

„Ich habe jedes Jahr Fechthandschuhe erhalten. Doch zu meinem Bedauern sind sie mir mittlerweile alle zu klein." Solofar schob den Dolch in die Scheide und wandte sich um. „Gehen wir."

Eisige Kälte empfing sie vor dem Jagdschloss. Fedrige Schneeflocken überzuckerten das Gestein, fingen sich in den Pelzkrägen ihrer Mäntel und stachen selbst durch Solofars Fell. Jedes Mal, wenn man mich im Winter für einen Auftrag in den Norden schickt, verstehe ich wieder, warum ich den Süden mehr schätze.

Der Schlamm der Allee war zu steinharten Wellen gefroren. Knirschend brachen sie unter den Klauen von Solofars Drachen und den Hufen von dem Pferd, das Sade ritt. Kahle Zweige griffen nach dem Nachthimmel. Im vollen Galopp jagten sie der Stadt entgegen, ein Band aus Lichtern am Horizont, vorbei an glatten, blau schimmernden Schneeflächen und den verworrenen Ästen von blattlosen Büschen. Der Wind fuhr unter Solofars Umhang und ließ ihn frösteln, seine Finger erstarrten um die Zügel. Dampf stieg mit mit jedem heftigen Atemzug seines Drachen in die Luft. Ich kann es kaum erwarten, die Tür der Kajüte hinter mir zu schließen. Noch bevor jemand bemerkt, was in Charlestones Jagdschloss geschehen ist, werden wir die Segel setzen, auf dem Weg in den hoffentlich wärmeren Süden.

Die Wachen am Stadttor ließen sie anstandslos passieren. Solofar sah, wie sie Flaschen hinter dem Rücken versteckten. Der kümmerliche Versuch, sich beim Dienst an Mittwinter ein wenig festliche Stimmung anzutrinken, immer mit wachsamen Augen zu den Offizieren. Die Straßen Berrydhams waren leer, die Schritte ihrer Reittiere waren die einzigen Geräusche. Dunkelheit lag hinter den Fenstern, nun, Stunden nach Mitternacht. Niemand begegnete ihnen. Sie alle schlafen wohl bereits, so wie das Schloss im Westen. Nur, dass dort vier nie wieder erwachen werden.

Sade drückte die Zügel ihres Pferdes einem Mann an den Docks in die Hand, Solofar führte seinen Drachen an Bord. Mit steifen Fingern nahm er dem Drachen Geschirr und Sattel ab, legte ihn in Ketten und nahm seine Satteltaschen. Allein der Gedanke an ihren Inhalt ließ seine Glieder erneut erzittern, doch nicht vor Kälte. Die wenigen Treppen zwischen hier und seiner Kajüte erschienen ihm plötzlich viel zu lang. Für einen absurden Moment lang erwog er, sich hier, im Laderaum, zwischen Kisten, Fässern, altem Stroh und den Beinen seines Drachen, der Erlösung von Schwarzgras und Ghora hinzugeben, doch er zwang sich zur Geduld. Mürrisch stieg er die engen Stiegen hinauf aufs Unterdeck.

Sade fing ihn ab, bevor er sein Bett erreichen konnte, die Wangen gerötet. „Hier bist du." Schaudernd hauchte sie sich in die Hände. „Die Mannschaft trinkt auf den Mittwinter. Kommst du mit?"

„Nein."

„Verdammt, Solofar! Warum nicht? Du hast deinen Auftrag ausgeführt. Wir können auch auf den Tod von Baron Hawthorne trinken, wenn dir das lieber ist." Sie grinste. „Ein Becher Wein. Komm schon."

Wortlos hob Solofar seine Satteltaschen.

Sades Lächeln erlosch wie eine Kerze. „Oh. Ich verstehe." Sie holte Luft für eine Erwiderung, doch trat nur zur Seite. Er hatte die Tür zu seiner Kajüte bereits geöffnet, als sie ihn aufhielt. „Solofar?"

Solofar blieb stehen, ohne sich umzusehen. Ich hoffe, dass sie mir nicht schon wieder eine Predigt halten will.

Sie trat zu ihm und umarmte ihn. Zögerlich erwiderte er die Umarmung. Sie roch nach Kälte. „Ein frohes Mittwinterfest, Solofar", flüsterte sie und drückte ihm ein Gebinde aus Winterbeerenzweigen in die Hand. „Hänge das vor dein Fenster. Vielleicht beschützt es dich."

Er lächelte halb. „Dir auch, Sade."

„Pass auf dich auf." Dann wandte sie sich um und schritt den Gang entlang, dorthin, wo die Seemänner sich ihrem einzigen erlaubten Becher Grog hingaben.

Solofar betrat seine Kajüte und drehte entschieden den Schlüssel im Schloss um. Die Kerze, die er entzündete, enthüllten die mickrigen Maße der Kammer, kaum groß genug für das schmale Bett, den Tisch, so lang und breit wie ein Unterarm, und den Stuhl davor. Die Luft war stickig, doch Solofar hielt die kleine Luke nach draußen geschlossen. Es muss niemand erfahren, was ich hier tue. Auch nicht riechen.

Er entledigte sich seiner Kleidung bis auf die Hosen und hängte sie sorgfältig an den Nagel an der Tür. Die Weinflasche, die er vom Captain verlangt hatte, widersetzte sich nur kurz seinen Bemühungen sie zu öffnen. Skeptisch roch er daran. Billig, aber mehr werde ich von dem Captain eines drittklassigen Handelsschiffes nicht verlangen können. Vielleicht muss ich dereinst mit den Rhymers über meine Reisemittel sprechen. So arm, dass sie mir nicht eine Überfahrt auf einem besseren Schiff kaufen können, können sie kaum sein. Er goss die Flüssigkeit in einen Becher.

Sorgfältig wog er die Mengen ab. Ghora. Der Lange Schlaf. Nur ein halbes Gramm zu viel, und selbst ich könnte nie wieder erwachen. Vorsichtig kratzte er das graue, feuchte Pulver in den Wein. Dazu drei Tropfen des Langen Schlafes. Genug, um ein Dutzend Männer in die Träume zu schicken.

Seine Finger zitterten, als er nach dem Beutel mit dem Schwarzgras griff, und er zwang sich zur Ruhe. Der schneidende Geruch von Kardamom und Minze stieg ihm in die Nase. Vorsichtig nahm er einen der schmierigen schwarzbraunen Klumpen aus dem Beutel, kaum größer als eine Erbse, und drückte ihn in die Pfeife. Gierig leckte die Flamme der Kerze an der Substanz. Rauch stieg auf. Solofar atmete ein, blies den Rauch in die stickige Luft und kippte den Inhalt des Weinbechers in einem herunter.

Die Schwere warf ihn mit aller Kraft auf das Bett, presste ihn auf die dünne Matratze hinunter, als wollte sie ihn darin ertränken. Jeder Herzschlag ließ seinen Körper vibrieren wie eine gewaltige Trommel, ein langsamer Rhythmus wie ein Totenmarsch, seine Atemzüge legten sich darunter wie lange, tiefe Saitentöne. Die Musik riss ihn mit sich in die Finsternis.

Als er erwachte, war ihm, als zerreiße er schier zwischen dem Willen seines Körpers, am Leben zu bleiben, und der klebrigen, zähen Masse des Rausches. Gleichmütig schlugen die Wellen gegen das Holz des Schiffes, das Knarren der Planken klang wie durch Watte zu ihm. Alles in ihm schien verklebt, seine Lunge, seine Augen, seine Ohren, sein Blut, seine Muskeln, als hätten sie sich mit jedem Zug zu dem zähen Sekret des Schwarzgrases verwandelt. Noch immer roch es in der Kajüte nach exotischen Gewürzen. Der Geschmack von Schärfe und Kohle klebte in seinem Mund.

Gierig schlug der Hunger nach einer weiteren Pfeife die eisigen Klauen in seinen Körper, und er zog fröstelnd seinen Umhang enger um sich. Es half nicht. Nur Schwarzgras würde ihn wärmen können, doch er musste ihm widerstehen. Das gefütterte Öltuch war steif und schwer, so sehr, dass es ihn schier mit der Matratze verschmelzen ließ. Nie wieder wollte er aufstehen, und doch wusste er, dass er musste. Das ist das Schwierigste. Sich immer und immer wieder erheben. Es wird den Süchtigen zum Verhängnis, dass sie nur noch für den nächsten Rausch aufstehen, und wenn ich so weit bin, kann mich niemand mehr retten.

Er musste aufstehen. Seufzend schloss er die Augen wieder. Nur noch ein wenig. Erneut ließ der Entzug ihn erzittern, und er zog fahrig den Umhang höher.

Seinen Umhang, den er in der Nacht zuvor an die Tür gehängt hatte.

Hastig richtete er sich auf, die Decke und der Mantel fielen von ihm ab. Schwärze tanzte vor seinen Augen. Die Luft musste warm und feucht sein, und doch fror er.

Der Stuhl, den er vor die Tür geklemmt hatte, stand wieder vor dem Tisch, doch die Tür selbst war noch immer verschlossen. Oder wieder? Seine Gifte lagen unberührt auf der Tischplatte, selbst das Gold in seiner Manteltasche war noch immer dort. Doch inmitten des Chaos aus Tiegeln, Phiolen und Lederbeuteln, neben dem Gebinde aus Winterbeeren, lag eine Pistole mit einer roten Schleife.

Zögernd trat er auf die Waffe zu und hob sie auf. Schwarzer Holzgriff, geschwärztes Metall. Sie lag perfekt in der Hand. Subatisches Fabrikat. Das Siegel der Branstoub auf dem Gegenblech. Wer auch immer sie gekauft hat, wusste, was er tut. Aber woher... Seine Finger streiften die Beschläge aus Altsilber. Ein Relief bildete ein Einhorn inmitten zweier verschnörkelter Buchstaben. S.D. Solofar Darke. Eine Auftragsarbeit. Eigens für mich.

Solofar sah sich in der engen Kajüte um, seine Gedanken schienen sich einzeln aus dem Sumpf des Schwarzgrases befreien müssen. Sein Blick fiel auf die Luke. Sie lag an der Flanke des Schiffes, kaum erreichbar von außen, und zu klein, als dass jemand hindurchkriechen konnte. Abwesend spannte er den Hahn der Pistole und löste ihn wieder. Das Klicken war unnatürlich laut in seinen Ohren.

Ein Stück Papier klemmte halb verborgen unter dem Tiegel mit Ghora, und er griff danach. Beinahe rutschte es wieder aus seinen eisigen, halb tauben Fingern. Die Schrift kannte er nicht. Große Buchstaben, unregelmäßig, wie die eines Kindes.

Sie kann dich nicht vor dir beschützen, aber vor allen anderen. Pass auf dich auf.
Ein wunderbares Mittwinterfest für dich.

Sade

Solofar spürte das Lächeln an seinen Mundwinkeln. Wärme stieg in seinem Inneren auf und vertrieb die Kälte seines Hungers aus seinen Gliedern. Ich hätte nie gedacht, dass sie so etwas für mich tun würde. Dass überhaupt jemand so etwas für mich tun würde. Seit ich zum Ritter geschlagen wurde, habe ich kein Geschenk zu Mittwinter erhalten.
Noch immer lächelnd legte er die Waffe auf den Tisch und schlüpfte in sein Hemd. Dann erstarrte er. Bei allen Höllen. Ich habe nichts für sie.

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„Sade."

„Solofar." Der eisige Wind zauste ihre Haare und ließ die Takelage singen, kein wenig wärmer als in der Nacht zuvor. Der Süden war noch fern.

„Ich habe dein Geschenk gefunden. Danke."

„Gern geschehen." Ihr Lächeln war warm wie die Strahlen der Wintersonne.

„Wie bist du in meine Kajüte gekommen?"

Verschmitzt klopfte sie mit den Fingern auf die Reling. „Ich verrate meine Geheimnisse ebenso wenig wie du, Darke."

Eine solche Antwort war zu erwarten. Kurz blickte er zu ihr, dann wandte er den Blick wieder ab. „Leider habe ich nichts, womit ich diese Gabe erwidern kann, und so bleiben nur meine Dienste."

Sie lachte auf. „Solofar, du bist ein Idiot. Ich verlange nichts von dir.

Er sah sie milde überrascht an. „Ein Gefallen von mir kann sehr nützlich sein."

„Ich bekomme auch so jeden Gefallen, um den ich dich bitte."

Er verzog das Gesicht. Das ist ebenso wahr.

„Ich habe sie dir geschenkt, weil du mein Freund bist. Und ich hatte das Gefühl, dass du ein Geschenk gebrauchen könntest. Ich will nichts dafür. Vielleicht, dass du nicht unfreundlich zu mir bist, nur, weil dir die Welt wieder gegen den Strich geht, oder weil du deine nächste Pfeife brauchst."

Solofar lächelte. „Ich werde mich bemühen."

„Sehr gut." Sie nickte zufrieden und blickte über die stahlgrauen Wellen nach Süden. „Vielleicht möchte ich aber auch ein neues Kleid für diese Soiree, zu der ich unlängst eingeladen wurde."

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