LEBEWOHL
Bashur, im Südosten von Santaca, 443 nach der Eroberung
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„Solofar, du siehst aus wie der Tod."
Schwer atmend ließ Solofar sich neben seinen Freund auf die niedrige Mauer sinken. Seine Beine waren weich, als hätte er zu viel getrunken. „Das mag sein", erwiderte er knapp.
Gezzarro bedachte ihn mit einem weiteren skeptischen Blick. Hadernd umklammerte er das Bündel in seiner Hand fester. „Und du bist dennoch sicher, dass du nicht mit mir zurück nach Norden willst."
„Im Norden gibt es nichts, was ich suche."
„Bei allen Höllen, Solofar! Hast du dich mal im Spiegel gesehen? Du bist dürr wie ein Zweig, gehst, als hättest du mehr gesoffen als eine Herde Zentauren und dein Fell hat die Farbe von Staub."
„Staub bleibt nicht aus, wenn man fast eine Woche lang durch die Steppe reitet und danach in dieser von allen Göttern verlassenen Stadt am Ende der Welt landet."
Gezzarro verdrehte gereizt die Augen. „Du weißt, was ich meine. Du siehst krank aus. Wie einer von denen." Er wies auf einen Minotauren, der im Schatten einiger Netze lag, die Fischer zum Trocknen über hölzerne Gestelle gehängt hatten.
Solofar folgte seinem Blick. Regungslos, als würde er schlafen. Eine Pfeife in der Hand, aber weder Nasenbluten noch der manische Blick oder die Zuckungen, die die Schwarzgrassüchtigen haben. Salva-Blätter, denke ich. Wenn Gezzarro wüsste, dass ich weit schlimmer bin als dieser Minotaur... Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht habe ich mir eine dieser Steppenkrankheiten eingefangen. Übertragen von Mücken", log er bemüht leichtherzig.
Gezzarro blieb skeptisch. „Kannst du deswegen nicht schlafen?", fragte er zweifelnd.
Ich hätte nie gedacht, dass er bemerkt, wie ich jede Nacht aufstehe und durch die Straßen wandere. In der Hoffnung, dass die Drogen wenigstens so weit nachlassen, dass ich müde werde. Dass mich das Laufen erschöpft. Denn das tut es, so sehr, dass ich mehrmals in Hauseingängen in ein Delirium gefallen bin, das sich unmöglich Schlaf nennen lässt. Und doch greife ich sofort nach einer neuen Prise, ohne die ich nicht wieder aufstehen könnte. Scheinbar gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Ich bin nicht müde." Angestrengt versuchte er, etwas Kraft in seine Stimme zu bringen, weniger nach dem ausgebrannten Süchtigen zu klingen, der er war. „Solange ich nicht schlafen kann, kann ich zumindest im Buch der Selketien lesen. Oder mich nach einer Passage nach Osten umsehen. Kein Grund, mit offenen Augen im Bett zu liegen."
Gezzarro holte Luft für eine weitere Frage, doch atmete nur langsam die frische Seeluft aus. Seine Finger nestelten an den Gurten seines Seesacks.
„Wann legt dein Schiff ab?", wechselte Solofar das Thema.
Der Panthera warf ihm einen scheelen Blick zu, als wisse er genau, dass er von sich ablenken wollte. „Bald. Lannigan sagt mir Bescheid." Er nickte zu dem rothaarigen Mann, der neben dem Steg stand, an dem die Handelsbrigg vertäut war, und mit einer Frau in den freizügigen Kleidern einer Hure schäkerte.
Lannigan. Es ist ein Wunder, dass er die Reise hierher überlebt hat. Er und Gezzarro hatten Tag für Tag Probleme, sich auf den Pferden zu halten. Wir hätten Monate gebraucht, um nach Bashur zu kommen, wenn wir in der Wüste nach Tagen des Umherirrens keine Karawane getroffen hätten, die uns erst nach Kushan und dann nach Süden gebracht hätte. Ohne Nazare, die uns den Weg weisen konnte. Ohne Wagen, in denen Lannigan und Gezzarro sich ausruhen konnten, auf Stoffbündeln und Säcken voller Felle, seltener Handelsgüter und Rotkraut. Das Bild seines besten Freundes, wie er sich verschwitzt und fiebernd unter den dünnen Laken wand, hatte sich in seinen Kopf gegraben. Es war der Grund, warum er nicht versuchte, Gezzarro aufzuhalten. Er soll zurück in den Norden. Dort, wo Gifte nicht verbreitet sind. Wo er mit seinen Waffen kämpfen und auch siegen kann. Ich will nicht, dass er erneut in Gefahr gerät. Beinahe war ich glücklich, als er sagte, er würde zurück nach Hastator gehen.
Dem Roten Magier war es nicht anders ergangen. Trotz des Gegengiftes, das Solofar gebraut hatte, trotz aller Bemühungen, schwoll die Wunde an seinem Arm an, begann zu eitern und zu stinken, und er hatte mehr noch als Gezzarro um sein Leben gekämpft. Ich will nicht wissen, wie schmutzig dieser Einhornstachel war. Solofar hatte Battistari und einen der Heiler, die die Karawane begleiteten, gebeten, ein Auge auf ihn zu haben.
Solofar hatte es gehasst, nicht schneller vorwärts zu kommen, als die drahtigen Wüstenpferde, die die Wagen zogen, es erlaubten. Gezzarro und Lannigan waren zu schwach gewesen, um zu reiten, und so hatten sie die Reise in quälender Langsamkeit hinter sich gebracht.
Die Angst vor den Selketien hatte sie nicht verlassen. Weder auf der Reise, noch in dem billigen Gasthaus, in dem er sich und Gezzarro untergebracht hatte. Und das wird sie auch nicht, bis wir sicher an unseren Zielen angekommen sind. Lannigan, Battistari und Gezzarro fahren in den Norden. Gezzarro nach hause, nach Hastator. Lannigan will die Staaten sehen. Battistari will sich ein neues Leben in den Tierras Santas aufbauen. Und ich segle zu den Racheinseln.
All die Zeit, in der er nicht schlafen konnte, hatte er dafür genutzt, um sich nach Vord Zahash zu erkundigen. Langsam und mit der gebotenen Vorsicht, falls Zenit gelogen hatte und zu den Selketien zurückgekehrt war, und sie gewarnt hatte, dass Solofar Darke, der schwarze Ipotame, nach dem Abtrünnigen suchte. Lange war er im Dunkeln getappt, viele Nächte hatten nichts erbracht oder Spuren, die in Sackgassen führten, beinahe wäre er ausgeraubt, umgebracht oder als Sklave gefangen worden. Doch eine Faroun-Heilerin, eine ehemalige Novizin der Stummen, hatte ihm verraten, wo er ihn finden konnte. Wo er zuletzt gewesen war. Er ist auf ein Schiff nach Punto Alegre gegangen, hat sie gesagt. Dort werde ich nach ihm fragen. Sein Schiff in die Stadt jenseits der Gesetzlosen See würde morgen ablegen.
Trotz der Gefahr, in der Gezzarro geschwebt hatte, war er traurig, dass der Panthera ihn nicht begleitete. Wir haben so viel zusammen durchgemacht, dass es eine Schande ist, dass wir nicht das Ende meiner Reise gemeinsam erleben. Doch er würde Gezzarro nicht aufhalten. Zu sehr war er in Gefahr geraten. Ich werde nicht auch meinen zweiten wahren Freund der Gifte wegen verlieren.
„Und du wirst in den Osten segeln", sagte Gezzarro, den Blick auf eines der auslaufenden Schiffe gerichtet. Bashur war, trotz seines Chaos, der korrupten, brutalen Regierung, offensichtlich unter der Herrschaft der Lykaner und der Drogen und des Alkohols, die wie Wellen die Straßen fluteten, eine florierende Handelsstadt.
„Das werde ich." Solofar unterdrückte den Drang, nach der Dose mit dem Stramger zu greifen. Der Hunger nach dem roten Pulver wurde mit jedem Tag stärker. Doch er nahm nur die Dosis, die er brauchte, um seine Immunisierung voranzutreiben. Er zwang sich eisern dazu, selbst wenn der Verzicht auf mehr mit der Erschöpfung einherging. Jene Erschöpfung, die ihn auf sein Lager warf, zusammen mit Ghora, dem Langen Schlaf, Hels, Aschbart und all den anderen Substanzen, die er nahm, bevor jemand anders sie gegen ihn verwendete. Er spürte, wie die Alchemie in seinen Adern tobte, wie sie ihn zu zerreißen schien. Nacht für Nacht versuchte er, den Schlaf zu finden, mit Ghora, dem Langen Schlaf und Hels. Er versuchte, die Dosierung an die Grenzen zu treiben.
Eines Morgens war er aufgewacht, befleckt mit seinem eigenen Erbrochenen, aus seinem todesähnlichen Schlaf gerissen von jemandem, der panisch an seinem Arm rüttelte. Eine flache Hand hatte sein Gesicht getroffen. Es hatte mehrere Augenblicke gedauert, bis er begriffen hatte, dass er Gezzarro vor sich gehabt hatte. Ich habe behauptet, ich hätte mich zu sehr betrunken, als er gefragt hat, was mit mir geschehen war. Danach habe ich für jeden Versuch das Gasthaus verlassen. Er hatte seinen Freund zurückgelassen, der noch immer gegen die Reste des Atems der Skorpia und des Tajeels kämpfte, und versucht, seine eigene Erlösung zu finden. Jeden Morgen war er müde, schlaflos und noch schwächer als sonst zurückgekehrt. Jeden Morgen fühlte er sich mehr und mehr wie die ausgezehrten, gierigen Gestalten, die die Straßen bevölkerten. Er fühlte sich an, als krieche die Essenz Bashurs durch seine Venen. Er wollte nicht enden wie sie. Und doch fürchtete er, einen der drei letzten Schritte zu gehen. Eine Klinge in die Pulsadern. Alle Drogen ins Hafenbecken werfen und auf den langsamen Tod des Verzichts warten. Oder einen Versuch wagen, nach dem es kein Zurück geben würde.
Der Panthera schielte aus dem Augenwinkel zu ihm. „Willst du nicht mit mir in den Norden kommen? Nach Hastator zurück. Chigrio und die anderen finden. Wieder die Sanverenas verhauen. Ein paar Hochadeligen in den Arsch treten. Feiern. Wir könnten nach Ilron gehen und dir ein hübsches Mädchen suchen."
Solofar sah ihn milde amüsiert an. „Du weißt genau, dass ich nicht nach Mädchen suche."
Gezzarro seufzte. „Aber nach Kämpfen."
„Die werde ich hier im Süden ebenfalls bekommen. Und im Gegensatz zu den Fechtern der Universität sind es Kämpfe mit einer gewissen Herausforderung."
„Das war das Duell gegen den Conte di Seste auch."
Solofar spürte, wie sich seine Mundwinkel zu einem mürrischen Lächeln verzogen. „Ich will wissen, Gezzarro. Ich will wissen, wie Gifte funktionieren. Wann und wie ich sie einsetzen kann. Wie man sie nicht nur zum Spielen, wie die Alchemisten, sondern auch zum Töten nutzen kann."
„Es ist reichlich unfair, Gifte in Duellen zu nutzen."
„Mit einem Gift wie Aschbart oder Lokka in einem Duell könntest sogar du gegen den Conte di Seste bestehen."
„In einem Duell der Ehre? Halte ich nicht für richtig."
Dieses Gespräch habe ich schon einmal geführt. Ich hoffe, Gezzarro versteht es, anders als Sliv. „Oder gegen die Selketien."
Gezzarro schwieg.
„Sie sichern dein Überleben, wenn du unterlegen bist. Sie sind wie fünf weitere Mann an deiner Seite, die dir helfen, dich aus einer hoffnungslosen Situation zu winden."
„Wenn du in Hastator bist, wirst du keine imaginäre fünf Mann brauchen. Dann hast du Chigrio, Ivorne, Nicola und Lanci, die mit Rapier und Parierdolch neben dir sind. Und mich natürlich." Er grinste gewinnend.
„Ich werde nicht immer euch an meiner Seite haben. Es wird Zeiten geben, in denen ich allein fechten muss, und diese Kämpfe möchte ich gewinnen." Er sah zu Gezzarro. „Davon einmal abgesehen sind Chigrio, Ivorne, Nicola und Lanci miserable Fechter."
Gezzarro lachte. „Da hast du recht. Irgendwo verstehe ich deinen Punkt auch. Dass du alles wissen willst. Ich würde auch jede noch so ungerechte Finte lernen wollen. Bei den Höllen, ich kämpfe auch mit einer Handvoll Sand, wenn es sein muss." Er lachte leise.
„Dann wisse, dass ich bereit bin, die tödlichsten Sande für meine Zwecke zu nutzen."
Gezzarros Lachen klang nervös. „Wenn das so ist, müsste ich dich jetzt noch einmal meinen Schuldnern vorstellen. Damit sie mir meine Schulden erlassen."
„Sie werden dich sicher vergessen haben."
„Wir waren nur zweieinhalb Jahre weg. Arenzo wird mich bei all dem Gold kaum vergessen. Eher empfängt er mich in vollen Ehren im Hafen und fragt, wo seine fünfzig Kreuzer sind."
Solofar lächelte spröde. „Dann solltest du ein Gift nutzen, um ihn loszuwerden."
Gezzarro sah zur Seite. „Bei den Höllen, Solofar. Du bist grausam geworden." Er musste Solofars Gesichtsausdruck bemerkt haben. Hastig sprach er weiter. „Selbst, wenn deine Taten in Hastator kaum zu übertreffen sind. Welchen Grund sollte es sonst geben, um einen arglosen Studenten vor Mittag zu wecken?"
Es stimmt. Ich habe mich verändert. Aber mein Hunger nach Wissen ist der gleiche geblieben. Selbst, wenn nun andere Verlangen hinzu gekommen sind. Der Ipotame schnaubte. „Es mag sein, dass ich grausam geworden bin. Doch vielleicht bin ich auch eher an diese Welt gewohnt. Eine Welt der Tode statt der Duelle bis zum Ersten Blut."
„Du schreckst auch vor keinem Kampf zurück, oder?" Gezzarro klang zugleich bewundernd und ängstlich.
Vor keinem. Weder vor den Selketien, noch vor den Banden in Hastator. Manche Banden boten mir Geld, damit ich auf ihrer Seite kämpfte, und wenn es keinen Grund gab, wie es mir oder den Studenten schaden konnte, nahm ich an. Jeder, der den Kampf mit mir sucht, soll ihn bekommen. „Oh nein." Beinahe war er stolz auf sich.
„Noch nie?", fragte der Panthera zweifelnd. „Keine Angst?"
„Vielleicht ein leichtes Unwohlsein. Es besteht die Möglichkeit, dass es sich dabei um Vorfreude handelte." Gezzarro stieß ihn in die Rippen, und er lächelte. „Der erste und letzte Kampf, vor dem ich mich wirklich fürchtete, war mein erstes Duell auf Leben und Tod."
Gezzarros Hände an den Kordeln des Seesacks erstarrten. „Was ist passiert?"
Solofar sah aufs Meer hinaus. Der Wind hatte aufgefrischt, die Schiffe schossen über das Wasser. Während ich mich wie ein Wrack fühle. „Kurz vor meinem Ritterschlag, in meinem letzten Jahr als Knappe, forderte ich einen jungen Ritter zum Duell. Sein Name war Sir Cray Irester, ein unbedeutendes Haus unter Healstead. Er hatte es gewagt, mein Haus zu beleidigen. Für ihn war es jedoch eine Beleidigung, dass ein Knappe ihn zum Duell forderte, wie viele Ritter zuvor, und so beschloss er mir ein für alle Mal das Handwerk zu legen. Er wählte die Waffen, den Ort und das Duell bis zum Tode. Ich nahm an. Ich würde nicht nachgeben, selbst wenn ich mich fürchtete. Zwar hatte ich bereits viele Duelle geschlagen, doch nie war etwas Schlimmeres geschehen als zwei Schnitte auf meinem Arm oder eine Prügelei, wenn die gegnerischen Knappen das Ergebnis nicht akzeptierten. Doch nun ging es um mein Leben."
Das Gefühl des Grases unter seinen Hufen, der Tau an seinen Fesseln. Die Angst in Slivs dunklen Augen, als er ihm die Waffen reichte. Ich denke, er hatte genauso viel Angst vor Hyatts Bestrafung wie vor meinem Tod. Das Leder seiner Handschuhe, das sich um seine Finger schmiegte. Die Farben seines Hauses, glänzend im Morgenlicht. Slivs dünne Stimme bei der Ansprache vor dem Kampf. Am heutigen Tage, dem Midellyn des Jahres 435 , treten zum Kampfe bis zum Tode an: Solofar aus dem Hause Darke von Murrim, und der Geforderte, Sir Cray aus dem Hause Irester! Duellanten, tretet vor!
„Ich habe gekämpft und ihn getötet. Der Kampf war einfach. Der Todesstoß hätte es nicht sein dürfen. Und doch war er es. Ich kehrte mit Sliv zu Hyatt zurück, ohne jedes schlechte Gewissen, nur mit einem ekelhaft süßen Gefühl von Stärke. Ich hatte ein Leben genommen, und die Verdammung, von der ich geglaubt hatte, sie würde mich jeden Moment ereilen, blieb aus. Hyatt bestrafte mich für meine Tat. Weniger hart, als ich dachte. Sliv hielt ihn davon ab, mich mit dem Rapier zu schlagen, und Hyatt sagte, er fürchtete den Weg, den ich wählen würde."
„Er tat recht daran, oder?"
Solofar dachte daran, wie Hyatt reagieren würde, wenn er wüsste, dass er nun mit Giften kämpfte. Vermutlich würde er mich selbst zum Duell fordern, um mich aufzuhalten. Und ich würde gewinnen. Der Gedanke war zugleich faszinierend und verboten widerwärtig. „Das tat er."
Gezzarro schluckte. „Meinen ersten Toten hast du miterlebt."
Und ich erinnere mich noch gut genug an dein Erbrochenes auf den Pflastersteinen daneben, mitten im Kampf gegen die Collemezzanos. Er nickte mit dünnem Spott auf den Lippen.
„Nun, dann verstehst du, warum ich für die Gassen von Hastator gemacht bin und nicht für den Süden."
„Schade."
„Das ist es. Genauso schade, dass dir Hastator zu langweilig ist."
Solofar entging sein schnippischer Tonfall nicht. „Versuchst du, mich mit schlechtem Gewissen zu ködern?"
Gezzarro lachte. „Ich versuche, dich vor dir selbst zu beschützen. Sieh dich an. So siehst du aus, wenn ich zu krank bin, um auf dich aufzupassen. Wie soll es erst sein, wenn ich fort bin?"
Solofar senkte den Blick auf seine staubigen Hosen. Das Zittern in seinem Brustkorb drohte, sich einen Weg in seine Gliedmaßen zu bahnen. „Ich kann auf mich aufpassen, Gezzarro."
„Nicht besonders gut, fürchte ich. Du..." Ein ferner Ruf unterbrach ihn. Sie wandten sich um. Lannigan stand neben Battistari neben dem Schiff und winkte. Segel wurden gehisst. Gezzarro verzog das Gesicht. „Ich muss gehen", sagte er leise, der fröhlich tadelnde Tonfall war verschwunden.
„Das sehe ich." Solofar erhob sich steifbeinig.
Einen Moment lang standen sie einander linkisch gegenüber. Schließlich trat Gezzarro einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn fest. Zögerlich erwiderte Solofar die Umarmung, unschlüssig, was er tun sollte. „Pass auf dich auf, Solofar", flüsterte Gezzarro. Solofar meinte, Tränen in seiner Stimme zu hören.
„Das werde ich. Und du auf dich. Stell keine Dummheiten an."
„Wenn du alles bei diesem Zahash gelernt hast, kommst du nach Hastator und erzählst mir von allem, was du erlebt hast. Versprich mir das."
„Ich verspreche es."
Gezzarro drückte ihn ein letztes Mal, dann ließ er widerstrebend los. „Wir sehen uns, Solofar."
Solofar nickte ihm zu. „Gezzarro."
Gezzarro lächelte traurig, dann wandte er sich um und schritt auf das Schiff zu. Die letzten Meter rannte er.
Solofar blickte dem Schiff nach, bis Gezzarro nur noch ein Fleck an Deck des Schiffes zu sehen war, dann wandte er sich um und schlug sich in das Gewirr der Gassen von Bashur. Die Einsamkeit schlug die Krallen mit aller Kraft in sein Herz, und zu seinem Unbill spürte nun auch er einen Anflug eines Knotens im Hals. Mehr als zwei Jahre reisten wir, von Hastator über Skygate nach Skorpia. Und nun, in Bashur, trennen sich unsere Wege. Er würde ihn vermissen. Seine ständigen Liebeleien. Seine Beschwerden über die Hitze, die Kälte, das schlechte Essen. Die Übungskämpfe. Sich betrinken und wegen seiner Worte in Schlägereien geraten. Jemanden an seiner Seite zu haben, dem er vertrauen konnte. Nun würde es niemanden geben, mit dem er die Racheinseln erkunden würde. Er würde allein ein Schiff besteigen und allein Zahash finden.
Fest biss er die Zähne zusammen und konzentrierte sich auf das sich ausbreitende Zittern in seinem Körper. Sofort bereute er es. Der Hunger nach dem Stranger befiel ihn wie eine Krankheit, fraß sich in seine Glieder und schien ihn auf den schmutzigen Boden hinabzuzerren. Keuchend lehnte er sich gegen die Wand des Gebäudes neben sich. Dunkle Punkte tanzten vor seinen Augen. Ich bin so, so müde. Und doch werde ich nicht schlafen können... Er bemerkte die abfälligen Blicke in den Augen der Passanten. Manche betrachteten ihn abschätzend, als überlegten sie bereits, wie viel Geld ihnen er und seine Waffen einbringen würden.
Er bemühte sich, ihre Blicke so herausfordernd zu erwidern wie nur möglich, selbst wenn er sich nicht sicher war, ob er sein Schwert ziehen konnte. Doch es schien zu wirken. Die ersten senkten die Blicke wieder auf ihre Füße. Es hat durchaus Vorteile, groß, finster und grausam zu wirken. Und mein Blick wird der eines Süchtigen sein, dem man seine nächste Prise nicht verwehren will.
Er ließ sich zu Boden sinken und beobachtete die Passanten, ohne sie wirklich zu sehen. Schließlich schloss er die Augen, genoss das schwankende Gefühl des Schlafens, lauschte auf die schlurfenden Schritte um ihn herum. Die Abendsonne war warm auf seinen Beinen. Die Scheiden seiner Waffen drückten gegen seinen Körper.
Langsam atmete er die stinkende Stadtluft aus. Beinahe hatte er das Gefühl, nicht mehr einatmen zu können, so erschöpft war er. Doch in seinem Kopf rumorte es, gestaltlose, unfassbare Gedanken, flüchtig wie Rauch, eine summende, heulende Ruhelosigkeit, die den Schlaf zu fangen und zu zerreißen schien wie eine Meute wilder Hunde einen einsamen Wanderer. Doch seine Überreste blieben. Solofar fühlte sich, als hätte man Blei in seine Adern gegossen. So werde ich Vord Zahash niemals finden.
Der Gedanke war ein Funken Licht im Dunkel der Lethargie. Ich muss es schaffen. Ich muss diesem Sumpf entkommen, bevor er mich gänzlich nach unten zieht. Und es gibt nur einen Weg, wie ich leben kann, ohne Tag für Tag mich dem Stramger hinzugeben. Denn eines Tages werde ich so immun gegen es sein, dass ich mich mit einer einzigen Dosis ruinieren werde. Finanziell als auch körperlich. Ich brauche jetzt schon so viel davon, dass es jemanden, der gerade mit ihm beginnt, töten würde. Ein wenig war er stolz auf sich, dass die Wege der Selketien ihm nicht verwehrt blieben. Er hatte erreicht, was er wollte. Niemand würde ihm mit einer gewöhnlichen Prise Stramger gefährlich werden können.
Ich werde zum Gasthaus zurückkehren. Und einen weiteren Versuch mit Ghora und dem Langen Schlaf wagen. Denn nun... nun gibt es niemanden mehr, der mich finden kann. Vor dem ich mich verstecken muss. Der Gedanke kam mit einer so schrecklichen Endgültigkeit, dass ihm beinahe erneut die Tränen in die Augen traten. Er hatte niemanden, nach dem er sehen musste, niemanden, dem er vorspielen musste, ein gewöhnliches Leben zu führen. Gezzarro fehlte ihm plötzlich so sehr, dass es wehtat. Er hatte keinen Grund, sich wieder von seinem Lager zu erheben. Bis auf Vord Zahash. Und er wird mir kaum weglaufen. In diesem Zustand kann ich so oder so nichts von ihm lernen. Ergo muss ich ihm entkommen. Und es gibt nur einen Weg, in dem ich dies lebend tun kann. Genauso weiß ich, dass es danach wahrscheinlich kein Zurück geben wird. Sollte es funktionieren. Wenn nicht... dann weiß ich zumindest, dass ich alles versucht habe.
Er stemmte sich auf die Beine und stolperte voran, einen Huf vor den anderen. Sein Weg durch die Gassen war lang und verworren. Wahrlich eingestehen, wohin er wollte, konnte er nicht. Er strich um den Bezirk, in dem sich die Drogenhöhlen sammelten, herum wie ein streunender Hund um ein Gasthaus. Was Gezzarro wohl von mir denken würde? Vermutlich hätte er Mitleid. Er hat so vielen Bettlern und Süchtigen auf den Straßen seine Münzen gegeben. Seine eigenen, Arenzos und die vieler anderer. Er würde mich retten wollen, so, wie er es mit der Welt tun will. Nur unangenehm, das ich mich noch tiefer in die Fänge der Gifte begeben werde, zu einer Substanz, die selbst ich verabscheue. Ein Gift der Verlorenen. Der Sterbenden. Jener, die sich selbst bereits aufgegeben haben.
Solofar blieb stehen und musterte das Gebäude neben sich prüfend. Es war eines der üblichen aus billigen Steinen und Stroh gebauten Häuser des Südens, Fenster und Tür vernagelt. Doch der Zugang zum Kohlenkeller stand offen. Der Geruch von Schweiß und Dunkelheit, von seltenen Gewürzen, Erde und Selbsthass strömte beißend in die Abendluft. Solofar ahnte, dass er ihm im Fell kleben bleiben würde. Jeder wird es riechen können, und jeder wird mich dafür verurteilen. Doch wer bin ich, dass es mich kümmert? Bevor er seiner Verachtung nachgeben und zurück zum Gasthaus gehen konnte, betrat er das niedrige Zimmer.
Der letzte Sonnenstrahl, der durch die Öffnung hineinfiel, war neben einigen angelaufenen Laternen die einzige Lichtquelle. Dicker Qualm hing in der Luft, setzte sich in Solofars Lungen und schien ihn würgen zu wollen. Gestalten lagen auf Nestern aus schmutzigen Kissen, auf niedrigen Holzliegen, aufeinander, nebeneinander, ohne ihre Bettgefährten wahrzunehmen. Manche blickten stumpf ins Nichts, andere wiegten sich zu Melodien, die nur sie verstanden. Ein paar lagen dort wie tot, die Atemzüge nur unmerkliche Bewegungen, neben jenen, die geschüttelt wurden von den Jagden in ihren Fieberträumen. In diese Höhlen gehen nur jene, die die Welt vergessen wollen. Substanzen wie Stramger, mit denen man sie mit neuen Augen wahrnehmen kann, bereit für Taten, werde ich hier nicht finden. Zumindest nicht jene, die sie nehmen.
Er blickte zu dem Gryff hinter der Theke. Sein Gesicht war vernarbt, sein Schnabel lag schief aufeinander, was ihm den Eindruck eines stetigen hämischen Lächelns gab. „Dich habe ich noch nie hier gesehen", sagte er heiser. Wie man nun einmal klingt, wenn man Tag für Tag in betäubenden Dämpfen steht.
„Nein."
„Was willst du?"
Solofar atmete tief ein. „Schwarzgras."
Der Gryff hob eine Augenbraue, doch enthielt sich eines Kommentars. „Hast du eine Pfeife?"
„Nein."
Der Gryff legte eine Pfeife mit langem Stiel und einen kleinen, schmierigen Lederbeutel auf den Tisch. „Macht zwei Kreuzer."
Ich verstehe, wie sich die Süchtigen ruinieren. Er legte das Gold auf den Tisch, nahm seine Ware und schritt in die hinterste Ecke, dort, wo er mit dem Rücken zur Wand lag. Ich sollte zum Gasthaus zurückkehren. Doch ich kann kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Beinahe schämte er sich, dass er hier war.
Mit den Hufen schob er ein paar Kissen zu einem provisorischen Bett zusammen und setzte sich hinein. Sie stanken nach Schweiß und Kardamom. Das Wachs der Kerze, deren Flamme er in den Pfeifenkopf hielt, tropfte auf den Stoff.
Er nahm einen Zug, einen vorsichtigen weiteren. Die Müdigkeit schien ihn in den Kissen versinken zu lassen. Er schnallte seine Waffen ab, legte die Pfeife beiseite, umklammerte seinen Parierdolch und wartete.
Das Schwarzgras flutete erst zögerlich in seinen Körper, wie die Berührungen einer schüchternen Frau, eine Wolke aus Dunkelheit in seinem Kopf, die in seine Glieder floss und sein Herz packte, es beruhigte, es zu streicheln schien wie eine Katze, bis es seinen hektischen Schlag verlangsamte. Sein eigener Atem erschien Solofar plötzlich laut, sein Puls donnerte in seinen Ohren. Er spürte ihn in jedem Körperteil, und er wusste, er würde nicht schneller werden, komme, was wolle.
Die Müdigkeit brach über ihm zusammen, und er schloss die Augen, genoss das Gefühl, in einen tiefen, traumlosen Schlaf hinüber zu gleiten. Wer auch immer mich wecken wird, wird es bereuen.
Die Erlösung kam, und er versank in Dunkelheit.
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Vielleicht bekommt ihr noch ein bisschen Solofar-Darkness (huehuehue) und Gezzarro-Cuteness bis Weihnachten. Es sei denn, ich schaffe es noch, die Sache mit dem Maskenball zu schreiben vor Weihnachten. Aber ich bezweifle es übel.
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