III. Ein Gasthaus im Nirgendwo

Der Graue Mann war sichtlich erleichtert, als sie den letzten Hügelkamm erreichten, ohne einem einzigen Räuber zu begegnen. Im Tal, gerade von den letzten Sonnenstrahlen beschienen, lag eine kümmerliche Ansammlung von Häusern, die sich ängstlich um einen Turm scharten, umgeben von einem nutzlos erscheinenden Palisadenzaun, der sie von den umliegenden Feldern trennte. Die rotgrüne Flagge von Murnersshire auf den Zinnen des Turmes regte sich leicht im Wind.

Selbst Solofar war froh darüber, ihr Ziel endlich erreicht zu haben. Ich ziehe Schiffsreisen doch mehreren Tagen im Sattel vor, so gerne ich reite. Seine Arme schmerzten von dem stetigen Zug an den Riemen in seinen Händen, um die sich seine Finger verkrampft hatten. Das letzte Stück der Strecke, den steilen Hang des Hügels hinab bis vor das Tor des Dorfes, fühlte sich an wie ein ganzer Tag.

Das Gasthaus von Hamley schien ebenso heruntergekommen und ärmlich wie die, in denen sie zuletzt genächtigt hatten, doch nicht einmal die Spielmänner verloren ein böses Wort. Nur Hathaway jammerte über seine verbrannte Haut. Sie versorgten die Reittiere und spannten die Kutschpferde aus, und stolperten schließlich steifbeinig und fluchend in das Haus.

Solofar blieb zurück und kettete den Drachen vor dem Turm an. Ein paar Schlachtabfälle werden wohl für ihn da sein. Ansonsten werde ich wohl jagen gehen müssen, und wenig hasse ich mehr. Missmutig verzog er das Gesicht bei dem Gedanken, noch länger im Sattel sitzen zu müssen. Doch erst werde ich mich selbst versorgen. Er zog die Ketten fest, die die Pranken des Drachen aneinander fesselten und schloss das breite Lederband um sein Maul, dann erhob er sich und folgte den anderen.

Der Schankraum war erstaunlich voll für dieses kleine Dorf. Bauern, Feldarbeiter und eine zweite Gruppe, angeführt von einem weiteren Grauen, drängten sich in der viel zu kleinen Stube, der Wirt wirkte erfreut und verwirrt zugleich. Wahrscheinlich hat er seit mehreren Jahren nicht mehr so viele Gäste gehabt. Die Spielleute hatten bereits ihre Bierkrüge zur Hälfte geleert und verglichen fluchend ihre Verbrennungen, blauen Flecken und gezerrte Muskeln, während die Dorfbewohner erwartungsvoll ihre Instrumente beäugten. Zwei Männer, ihrer Kleidung nach Kaufleute, fachsimpelten über ihre Waren. Eine junge Frau in schlichter, doch edler Kleidung saß neben Alfonses Frau und sprach schüchtern mit ihr, eines der Kinder auf dem Schoß. Eine weitere Frau, breitschultrig und vernarbt, deren kurze dunkle Haare von ersten grauen Strähnen durchsetzt war, mit wettergegerbtem Gesicht, saß schweigend über ihrem Weinbecher, während Sir Isak vor ihr saß und sie mit ehrfürchtigen Fragen löcherte. Ich verstehe, wie sie sich fühlt. An ihrer Stelle würde ich ebenso gereizt dreinblicken. Drei Soldaten in identischen leichten Rüstungen beobachteten Radcliffe und einen zweiten Grauen Mann mit einer Glatze und einem dichten schwarzen Bart, der mit einem älteren, sonnengebräunten Mann aus dem Dorf und einem glatt rasierten Burschen in teuren Reisegewändern sprach.

Radcliffe entdeckte Solofar als erstes und winkte ihn zu sich. „Master Darke, darf ich vorstellen, Earl Craig Ellestrey, der Sohn und Erbe des alten Earl Ellestrey, meinen Bruder Lairgwen und Mr Pryce, einer der Bauern des Dorfes." Der junge Lord Ellestrey hob seinen Becher, Lairgwen grinste fröhlich, und Pryce wirkte gleichermaßen eingeschüchtert und beeindruckt. „Dies ist Master Solofar Darke, der beste Kämpfer unter denen, die sich in meiner Gruppe herumtreiben. Wenn er sich uns anschließt, wird er sicher hilfreich sein."

„Ihr solltet Euch schämen, Master Radcliffe. Lord Darke ist weit mehr als nur ein gewöhnlicher Master." Ellestrey erhob sich und neigte den Kopf vor Solofar. „Mylord. Es ist mir eine Freude, Eure Bekanntschaft zu machen."

Solofar ergriff die dargebotene Hand und schüttelte sie. Ellestreys Handgriff war fest und kühl. „Die Freude ist ganz meinerseits, Mylord", antwortete er mit einer penibel angedeuteten Verbeugung. „Bleibt sitzen, ich ziehe die Ruhe der Aufregung um meine Person vor", wehrte er die Anstalten Lairgwens und Pryces ab, die sich ebenfalls erheben und verneigen wollten. „Eher solltet ihr mir erklären, was ihr vorhabt."

Lairgwen prostete Solofar zu, der sich gemeinsam mit Ellestrey wieder setzte. „Kein Mann von langen Worten, was?", bemerkte er amüsiert.

Pryce versuchte zugleich, Solofar anzusehen und ihn nicht anzustarren. Immer das gleiche mit diesen Landmenschen. Sie können nicht einmal einem gewöhnlichen Krieger ins Gesicht sehen. „Ein paar der Jungen des Dorfes haben einen Trupp Männer der Raventowers am Alten Bergfried gesehen. Etwa zwanzig Männer, vielleicht mehr", erklärte er Solofar. „Sie wollen anscheinend unser Dorf überfallen."

„Und da nun zwei tapfere Männer der Grauen, zwei ebenso mutige Ritter, ein edler junger Lord aus Stanborough und ein, wie ich höre, hervorragender adeliger Fechter aus Ilron in Hamley weilen, werden wir diesen Angriff nicht zulassen", meinte Lairgwen und trank einen großen Schluck aus seinem Krug.

„Tapfere Männer der Grauen, dass ich nicht lache. Tapfer hat man mich seit dreißig Jahren nicht mehr genannt", murmelte Radcliffe missmutig.

Lairgwen schlug seinem Kameraden auf die Schulter. „Dann wird es wohl mal wieder Zeit, Bruder!"

Radcliffe seufzte gereizt und starrte mürrisch auf die schartige Tischplatte.

„Was wollt ihr gegen sie unternehmen?", fragte Solofar.

„Wir finden sie, töten ein paar von ihnen, jagen ihnen genug Angst ein, dass sie wieder in ihr Versteck verschwinden, und bescheren ihnen eine Lektion, die sie so schnell nicht vergessen werden. Wie man es mit dieser Bande eben tut", sagte Lairgwen trocken.

„Eine Schande, dass der alte Baron tot ist", murmelte Pryce.

„Mein Vater versucht das Beste, um die Ländereien so schnell wie möglich an einen neuen Lehnsherren zu übergeben, sodass es bald wieder unter dem Schutz des Adels steht. Doch es erheben vier Earls Ansprüche auf das Gebiet, und die Streitigkeiten sehen kaum danach aus, als würden sie allzu bald enden", berichtete Ellestrey bedauernd.

Der Junge ist der geborene Politiker. Ein wenig Mitleid, ein paar förmliche Worte, und schon mag man übersehen, dass auch das Haus Ellestrey offensichtlich Ansprüche auf die Ländereien des bedauernswerten Barons stellt. Solofar kannte diesen Tonfall. Von seinem Vater, seinem Bruder, und von sich selbst. Auch, wenn Cassius ihn noch zu Perfektion bringen muss.

„Nichts für ungut, Mylord, doch die Politik kann warten", ermahnte Lairgwen ihn freundlich. „Menschenleben sind in Gefahr, und ich werde es nicht zulassen, dass wir diese Raventowers mit ihren Plänen davonkommen lassen."

„Nun denn", seufzte Radcliffe, „wo verstecken sich diese von allen Göttern verfluchten Hurensöhne?"

„Im Alten Bergfried. Einer der verlassenen Türme. Das Dorf darum wurde von einer der alten Banden niedergebrannt", erklärte Pryce. „Mein Vater lebte dort, es ist etwa eine Stunde Fußmarsch von hier in den Wald hinein."

„Dann werden wir wohl unsere Lenden gürten und tapfer wie die Grauen Männer, die wir sind, dorthin schreiten und sie einen nach dem anderen abschlachten", knurrte Radcliffe lakonisch. „Beeilen wir uns, wer weiß, wann sie den Angriff geplant haben. Wir gehen zu Fuß dorthin, die Pferde sind viel zu laut." Sein Blick huschte zu Solofar. Er sprach es nicht aus, was er so offensichtlich dachte, doch der Ipotame las es in seinen Augen.

Nichts für ungut, Mylord Darke. Nun, es mag sein, dass ich den Kopf von den Rössern habe, die ihr reitet, und dass es euch irritiert und vielleicht verstört, doch wie Ihr schon sagtet, Radcliffe, mein Schwert ist teurer als euer Pferd, und ich kann sehr wohl damit umgehen. Ob Ihr es glaubt oder nicht, ich kann auch so leise sein wie ihr Menschen. So leise, dass nicht einmal ein anderer Ipotame mich hört, und wir sind bekannt für unser Gehör. So leise, dass ich in das Gemach des Erben von Clavys einbrechen und ihn im Schlaf vergiften konnte.

„Werdet Ihr uns begleiten, Mylord Darke?", fragte Lairgwen und zog die Riemen seiner Armschienen fest.

Solofar nickte knapp. „Lasst mir einen Moment der Vorbereitung, und ich werde euch helfen."

„Entschuldigt mich, doch ich werde mich euch nicht anschließen. Dafür werde ich euch zwei meiner Männer überlassen", bot Ellestrey an.

Ihr werdet Euch hervorragend in der Politik machen, junger Earl von Stanborough. Mit einem Satz habt Ihr Euch aus der Gefahr gewunden, und gleichzeitig mit einem treffenden Angebot beschwichtigt. Solofar nickte ihm anerkennend und milde amüsiert zu, und er warf ihm ein wissendes Lächeln zu. Ihr werdet es noch weit bringen, Earl Ellestrey.

„Vielen Dank für Eure Hilfe, Mylord", sagte Lairgwen mit einer leichten Verbeugung.

„Sie kämpfen so oder so viel besser als ich", scherzte Ellestrey, und der Graue Mann lachte.

„Ich werde sehen, ob ich ein oder zwei Freiwillige finde, die sich ebenfalls gegen die Raventowers beweisen wollen", sagte Pryce.

„Aber auch nur, wenn sie es unbedingt wollen, und wenn sie wissen, was es bedeutet, zu kämpfen. Die Raventowers haben schon einer Menge Grauer das Leben gekostet, und wir sind die Soldaten einer Eliteeinheit", warnte Lairgwen.

„Das hört sich beinahe an, als wären wir etwas besonderes", murrte Radcliffe.

Lairgwen beachtete ihn nicht, sondern wandte sich nur zu der älteren Frau um. „Sir Bruna, dürfte ich um Euer Ohr bitten?", rief er quer durch den Schankraum.

Sie erhob sich, offensichtlich erleichtert, Sir Isaks Fragen zu entkommen. Ihre Rüstung klirrte, als sie sich neben Radcliffe auf der Bank niederließ. „Was gibt es?", wollte sie wissen.

„Dies ist Sir Bruna Ahrenvil von Maghild, aus der Nordmark", stellte Lairgwen sie vor. „Wir wollen einen Trupp der Raventowers ausräuchern und ihnen eine Lektion erteilen, und bitten deshalb um Eure Unterstützung."

Sie blickte aufmerksam in die Runde. „Verdammte Scheiße, ich dachte, ich könnte ein einziges Mal in Frieden sein", fluchte sie, doch um ihre Augen fächerten sich Lachfältchen. „Aye, ich kämpfe mit euch."

Sie scheint wie eine gute Kämpferin. Vielleicht die erfahrenste, nach mir und den Grauen, bemerkte Solofar.

Lairgwen wirkte zufrieden. „Pryce, such nach den Freiwilligen, aber nicht zu gründlich. Wir warten vor dem Gasthaus auf dich."

„Ich glaube, uns ist es fast lieber, wenn du keinen findest", meinte Radcliffe. Pryce lachte kurz auf, erhob sich und verließ den Schankraum, Ellestrey entschuldigte sich ebenfalls und ging zu den Soldaten, die die Versammlung skeptisch beobachtet hatten.

Solofar folgte ihrem Beispiel. Die Klingen vorbereiten, vielleicht ein paar Goldfeuer mischen. Die Raventowers werden sich kaum dagegen zu wehren wissen.

Gerade, als er die Treppen neben den Tresen erreichte und der Wirt ihm den Schlüssel in die Hand drückte, rief Radcliffe nach Sir Isak, und Solofar blieb stehen. Was auch immer er zu ihm sagen will, ich will es hören.

„Master Levitas, wie gut seid Ihr im Schwertkampf?", fragte der Graue.

Der Ritter schrak aus seinen Gedanken auf. „Recht passabel, wenn ich das behaupten darf."

Radcliffe baute sich theatralisch vor ihm auf, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen. „Wir sind hier im Wald von Murnersshire, nicht am Hofe in Askaron. Hier ist kein Platz für ritterliche Bescheidenheit. Also, sagt mir: wie viele Gegner habt Ihr bezwungen?"

Bezwungen, nicht getötet. Ich denke, Sir Isak hat noch nie jemanden getötet. Askaron ist zu friedlich für derlei Grausamkeiten.

„Zu viele, um zählen zu können", behauptete der junge Ritter, seine Stimme klang leicht gepresst. „Der Mann, der mich zum Ritter schlug, war stets zufrieden mit mir."

„Gut, dann ist es nun Zeit, Euer Schwert mit Blut zu weihen", beschloss Radcliffe theatralisch. „Wir ziehen aus, um den Raventowers eine Lektion zu erteilen, und Ihr seid eingeladen."

Sir Isak erhob sich und warf sich in die Brust. „Es ist mir eine Ehre, diesem Abschaum den Garaus zu machen."

Sir Bruna lachte leise. „Nicht zu eilig. Aber nun, ein zweiter Mann mit einem heiligen Eid kann kaum schaden."

Wohl eher der dritte Mann, überlegte Solofar in Gedanken an seine eigene Schwertleite, vor so vielen Jahren, als er die enge, steile Treppe zu den Räumen des Gasthauses hochstieg. Bis auf diese Zeile mit dem ehrenhaften und edelmütigen Betragen im Kampf habe ich ihn wahrscheinlich sogar eingehalten. Schutz des Lehnsherrn und der Armen... Oh nein, ich denke, ich habe nur den Satz mit dem Schutz des Lehnsherrn befolgt und den Rest in den Wind geschlagen. Welche Schande. Mit den Satteltaschen in den Händen bog er in das kleine, kahle Zimmer ein, das der Wirt ihm und einem zweiten Gast zugewiesen hatte, drehte den angelaufenen Schlüssel im rostigen Schloss und schlug die ledernen Klappen auf. Was werde ich als ehestes brauchen? Fläschchen und Phiolen blinkten ihm aus mit Heu und Seide gepolsterten Holzschatullen entgegen. Er legte den Behälter mit Hurenschild zur Seite, überging das ziehende Verlangen, das ihn bei dem Anblick des Schwarzgrases in dem gläsernen Tiegel befiel, und dachte an die Erlösung des Langen Schlafes, der ihm in unruhigen Nächten die Befreiung der Dunkelheit brachte. Schließlich nahm er eine Phiole mit einer gelblichen, zähen Substanz aus den überkreuzten Gürteln mit den vielen Schlaufen auf seiner Brust, schüttete ein paar Tropfen davon auf einen Lappen und trug sie sorgfältig auf die Klinge seines Dolches auf.

Nesselbrand für den Dolch, der Atem der Skorpia in seiner reinsten Form für das Rapier. So oft habe ich schon mit diesen Giften gekämpft, dass sie wie alte Freunde erscheinen. Die zweite Phiole, diesmal mit einer im Licht der Kerzenflamme gelb schimmernden, öligen Flüssigkeit, kehrte ebenfalls an ihren Platz an seiner Brust zurück. Aus zwei größeren Behältern mischte er ein goldenes Pulver und ein stechend riechendes, rötliches Öl in kleinere, bauchige Flaschen, und verstaute sie ebenfalls am Körper. Brennt, Raventowers, weicht zurück vor der Macht von Goldpfeffer und Feueröl. Amüsiert unterdrückte er seine Vorfreude, versteckte die Taschen penibel unter dem durchhängenden Bett mit der unbequem aussehenden Strohmatratze, und machte sich auf den Weg nach unten. Ich kann nur hoffen, dass niemand in diesem Gasthaus sich an meinen Habseligkeiten vergreift. Es wäre ihr sicherer Tod. Wieder kam ihm die Erinnerung an seine Zeit als Knappe in den Sinn, die kleine Kammer, die er sich mit dem anderen werdenden Ritter geteilt hatte. Ich bete, dass keiner der Spielleute oder gar Levitas das andere Bett bezieht.

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