III. Der Widerspenstigen Zähmung
Die Flammen schlugen hoch in den sich verdunkelnden Himmel, als sie den Ort des Kampfes verließen. Keine langen Worte, keine Zeremonie, nur ein kurzes Gebet, und Tiborazo verstand, dass die Jäger keine sentimentale Sicht auf den Tod hatten. So oft wie einer von ihnen zu Tode kommt, ist es kaum verwunderlich. Dennoch schien ihm das Gefühl von Riths zerschlagenem Körper, seinen gebrochenen Knochen und den zerknickten, plötzlich so zart wirkenden Federn immer noch an den Händen zu kleben, nachdem er ihn auf dem Scheiterhaufen niedergelegt hatte. Es hatte ihn an Whisper erinnert, und die Vorstellung, sie könnte ebenso enden, zermalmt von der brachialen Kraft der Schläger, die der ungekrönte Adel auf sie hetzen könnte, drehte ihm schier den Magen um.
Nach einer kurzen Rast hatten sie der Bestie ermöglicht, aufzustehen, sie hatten sie gesattelt, die Ketten von den Sätteln und den Pranken gelöst und nun stand sie in ihrer Mitte, den Kopf auf die Brust gezwungen wie ein angeschirrtes Ross, mit Zügeln und Sporen zum Stand gebracht. Listana thronte wie eine Königin auf ihrem Rücken, beinahe doppelt so hoch wie die anderen Drachen, den blutigen Speer wie ein Zepter in der Hand. Die Schwanzspitze des Drachen zuckte wie der einer wütenden Katze, sein fauchendes Knurren drang bei jedem Atemzug aus seiner Brust. Die Ketten klirrten, als der Drache auf der Stelle tänzelte.
Die anderen Drachen hielten respektvollen Abstand zu ihr, auch Listana salter Drache, auf dessen Rücken nun Tiborazo saß und mit dessen wesentlich größerem Temperament kämpfte. Seinen früheren hatte Shinn wieder auf die Beine geholt, er trug nun die übrige Ausrüstung, Schwerter, Sättel und Waffen, und wurde von Odenser geführt. Beinahe wünschte er ihn zurück.
Listana ritt die Bestie mit einer Grausamkeit, die Tiborazo nicht einmal ihr zugetraut hatte. Jeder Fehler, den der Drache beging, führte zu einem weiteren Schnitt an seinem Hals, die sich im Takt seiner ruckartigen, heftigen Schritte öffnete und schloss wie eine Reihe grausamer Kiemen. Den Speer nutzte sie wie eine Reiterpeitsche, ihre Sporen hatten blutige Spuren an seiner Flanke hinterlassen. Roter Geifer tropfte der Bestie von den Zähnen, nachdem das Gebiss des Geschirrs ihr Zähne ausgerissen und die Mundwinkel in Fetzen gerissen hatten. Dennoch ließ sich ihr Wille nicht beugen, und ihre Augen, die wie angelaufenes Gold in der dünnen Sonne der Ebenen schimmerten, zeigten noch immer den flammenden Zorn, den sie bereits zu Beginn ihrer Gefangenschaft gehabt hatte.
Als die Nacht hereinbrach und sie ein Lager zwischen einigen Felsen aufschlugen, war Listana schweißnass und die bräunlich schwarze Haut der Bestie schimmerte rot vor Blut. Sie war mit ihrem Vater und Ghanteri in scharfem Galopp voran geritten, um die Grenzen der Bestie zu finden, drei kleine, schwarze Gestalten im flickenhaften Gras der Ebenen, die Tiborazo, Odenser und Ramire aus der Ferne beobachtet hatten. Sie waren gemächlicher hinterher geritten, doch Shinn trieb sie noch immer zur Eile an. Er schien es kaum erwarten zu können, das Lager der Sturmsänger zu erreichen.
Doch die Bestie schien keine Grenzen zu haben, selbst wenn Listana all ihre Kraft aufbrachte, um sie zu erschöpfen. Die Drachen, die Shinn und der Spurensucher ritten, waren ebenso ausgelaugt wie ihre Reiter und Listana, doch die Bestie strotzte noch immer vor Kraft.
Ihre Augen, mehrere Schritte vom Lagerfeuer und den anderen Drachen entfernt, beobachteten die Gryffs und den Sirea wachsam. Jedes Mal, wenn ihre Ketten klirrten, wandte Shinn sich zu ihr um.
Listana rührte sich jedoch nicht. Eingehüllt in ihre Decke starrte sie in die tanzenden Flammen, einen leeren Becher in der Hand. Schweigend lauschten sie dem Knacken der Scheite und sahen zu, wie die Flammen das trockene Gras und das wenige Holz, das die Ebenen zustande brachten, verschlangen.
Tiborazo zuckte beinahe zusammen, als Listana plötzlich das Wort ergriff. „Morgen werde ich sie fliegen", sagte sie. Trotz schimmerte in ihrer Stimme.
„Nein", widersprach Shinn. „Es ist zu gefährlich. Sie hat dich allein heute fast dreimal abgeworfen. Ghanteri und ich können nicht immer auf dich aufpassen. Wir müssen noch mehr Drachen finden und sie nach Port Ibes schaffen, und wir können nicht jagen, wenn wir mit der Bestie kämpfen."
„Warum nach Port Ibes?", wollte Tiborazo wissen.
„Nach Seyjalla würde zu lange dauern", antwortete Odenser. „Außerdem ist dort die Festung. Dort können wir die Drachen ausbilden. In aller Ruhe. Es sind genug andere Drachenfänger da, die uns helfen."
„Ich schaffe es allein. Du und Ghanteri, ihr könnt Drachen jagen. Mit Ramire." Listana nickte den Männern zu. „Ich werde dieses Monster bändigen, und sie mir gehorchen, bis wir in Port Ibes sind."
„Wenn sie dich in der Luft abwirft, fängt sie dich und reißt dich in Stücke. Nein." Shinn hielt Listanas Blick stand. „Nimm meinen Drachen und jage mit Ghanteri. Ich reite die Bestie."
„Sie gehört mir. Wenn ich sie bändige, werde ich eine Sturmsängerin." Listana reckte trotzig das Kinn. „Ich werde sie reiten, und ich werde mit euch jagen."
„Listana...", begann Shinn, doch seine Tochter schnitt ihm das Wort ab.
„Ich kann auf mich aufpassen. Vertrau mir. Nicht mehr lange, und sie verliert gegen mich", sagte sie zuversichtlich.
Shinn blickte sie beinahe flehend an. Listana erwiderte seinen Blick unbeeindruckt. „Nun gut", murmelte er schließlich. „Ramire, Ghanteri, morgen reiten wir zu viert los und suchen nach Schleichern und anderen kleineren Drachen. Haltet die Augen nach Spuren offen. Nastura, du bleibst bei Odenser."
Tiborazo fragte sich, ob Shinn ihn unterschätzte, und ob er deswegen beleidigt sein sollte, oder ob er nur zufrieden sein sollte, weit fort von der Gefahr zu sein. Odenser schien zumindest höchst zufrieden mit seinem Los.
Sie erwachten nach einer kurzen, unruhigen Nacht, brachen ihr Lager ab und sattelten die Drachen. Listana gähnte beinahe bei jedem Schritt, den sie machte, und wich dem besorgten Blick ihres Vaters aus. Zielstrebig hielt sie zusammen mit Ramire auf die Bestie zu, die sie mit scharrenden Krallen erwartete. Rote Krusten hatten sich auf ihren Schuppen gebildet. Ramire hielt in der einen Hand ihre Zügel, in der anderen ein Messer, während Listana die Lederriemen des Sattels festschnallte. Die Nüstern der Bestie blähten sich, und Tiborazo konnte Ramires Angst beinahe riechen. Seine langen Ohren zuckten nervös.
Es brauchte nur einen Augenblick der Unaufmerksamkeit. Tiborazo konnte kaum erkennen, was vor sich ging, doch die Bestie verwandelte sich plötzlich in einen fauchenden Wirbel aus Krallen und einem schlangenhaften Schweif, schwarze Zähne in mehreren Zahnreihen schnappten plötzlich zu und etwas knackte schneidend. Ramire stieß einen heulenden Schrei aus. Listana zögerte keinen Augenblick. Mit einem Sprung schwang sie sich auf den Rücken der Bestie, ihr Messer blitzte in der Morgensonne auf und ein weiterer Schnitt klaffte auf. Der Drache bockte wie ein übermütiges Pferd, während Listana mit dem Messer im Schnabel die Riemen, die den schweren, gehörnten Schädel auf seine Brust zogen, bis zum Anschlag anzog. Mit einem Ruck riss sie die Zügel herum und lenkte den Drachen fort, weg von den Sturmsängern und dem fluchenden Ramire.
Shinn stürzte auf ihn zu und half ihm auf die Beine. Sein Brustpanzer aus Leder und Eisen zeigte tiefe Kratzer, an seinem rechten Arm war sein Kettenhemd und die Armschienen darüber in eiserne Fetzen gerissen, die metallenen Ringe waren tief in sein Fleisch getrieben worden. Blut benetzte Metall und Leder. Shinn betastete die Wunde, und Ramire wandte sich knurrend ab. „Gebrochen."
Odenser trat hinzu und behandelte ihn, während Ghanteri und Tiborazo zusahen. Listana hatte die Bestie zum Stehen gebracht und blickte erschüttert zu ihnen hinüber. Der Brustkorb des Drachen hob und senkte sich heftig.
„Ramire, du bleibst bei Odenser. Nastura, du begleitest uns", befahl Shinn, als Odenser sein Werk beendet hatte. „Aufsitzen. Listana, wenn sie sich noch einmal so losreißt und einen von uns verletzt, wirst du sie töten. Ihr Kopf bringt immer noch genug Geld, und dass du sie zur Strecke gebracht hast, macht dich genauso zu einer Sturmsängerin." Listana erwiderte seinen Blick. „Ich lasse nicht zu, dass dein Trotz uns alle in Gefahr bringt."
„Löst die Ketten um die Flügel. Ich bringe ihr Manieren bei." Seine Tochter ließ sich nicht erweichen.
Wortlos winkte Shinn Ghanteri und Tiborazo zu sich und bedeutete ihnen, die Zügel zu halten. Der Atem der Bestie strich heiß wie das Feuer, das sie atmete, über sein Fell. Angelaufenes Gold starrte in seine Seele. Ghanteri hatte sein Messer gezogen und presste es der Bestie auf die Haut, direkt neben ihrem Auge, und murmelte geflüsterteBeschimpfungen.
Als Shinn die erste Kette löste und die schwarze Flügelhaut sie alle in gräuliche Schatten stellte, spürte Tiborazo die Anspannung in der Luft. Ghanteris Flüstern wurde hektischer. Listana straffte die Zügel. Die Pupillen der Bestie weiteten sich, ihr Atem nahm an Hitze zu.
Auf Shinns Befehl sprangen sie zurück, die zweite Kette fiel in den Staub. Listana rammte ihr die Hacken in die Seiten, Flügel raschelten, und mit einem letzten Peitschen des Schwanzes schoss die Bestie als schwarzer Blitz in den Himmel.
Tiborazo blickte ihr kurz hinterher. Diese Bestie ist eine verdammte Brut der Hölle. Ich hoffe, dass Listana sie im Zaum halten kann, oder wir leben nicht mehr lange. Dann wandte er sich um und folgte Shinn und Ghanteri.
Ramire und Odenser blieben bald hinter ihnen zurück. Tiborazo merkte schnell, dass es langweiliger gewesen war als gedacht, hinter den Jägern her zu reiten, mit dem schweigsamen Ramire und dem nervösen Odenser als Gesellschaft. Shinn dagegen behandelte ihn beinahe wie einen der ihren, während Ghanteris misstrauische Verachtung nicht nachgelassen hatte. Listana flog ihnen stets voraus. In der diesigen Luft verschwamm sie zu einem kleinen, schwarzen Flecken am Himmel, gejagt von den Wolkenfetzen.
Die Tage vergingen, ein harter, staubiger Tag voller Sturm, Krallen und wütendem, verzweifeltem Gebrüll nach dem nächsten. Die Nächte waren kurz und traumlos, und es schienen nur Augenblicke zwischen Einschlafen und erneutem Erwachen zu vergehen. Jeder Knochen, jeder Muskel in Tiborazos Körper schmerzte, die Wunden, die Klauen, Flammen und Zähne hinterlassen hatten, brannten bei jeder Bewegung. Seine Mähne war einmal beinahe in Flammen aufgegangen, sodass er sie an den Seiten abrasierte und die restlichen Strähnen zu einem dicken, verfilzten Zopf flocht. Seine Rippen schienen bei jedem Atemzug zu knirschen, und er fragte sich immer und immer wieder, ob der Königsdrache, der ihn dort mit einem Schwanzschlag erwischt hatte, ihm mehr als nur diese Prellung zugefügt hatte. Ich weiß schon, warum ich lieber Ratten als Drachen jage. Es ist doch etwas anderes. Ratten kann man wenigstens allein überwinden. Shinn schien nur noch in kurz angebundenen, groben Befehlen mit ihm zu sprechen, die Tag für Tag unwirscher wurden. Zuerst war er nicht begeistert davon gewesen, doch er begriff, dass ihr aller Überleben davon abhängen konnte, wie schnell er eine Anweisung ausführte.
An den Grimassen der Drachenjäger erkannte er, dass sie ebenso erschöpft waren wie er selbst, doch Shinn trieb sie unerbittlich an. Beinahe wünschte er sich seinen Platz bei Odenser zurück, und doch begann er, die Jagd auf Schleicher, Königsdrachen und Feuerdrachen zu mögen. Sechs Drachen hatten sie bereits gefangen. Pranken und Flügel gefesselt, die Kiefer mit mit Stacheln besetzten Lederriemen geschlossen, trotteten sie hinter Ramire her, während Odenser mit einer Peitsche in der Hand und schlecht verhohlener Angst in den Augen darauf achtete, dass keiner von ihnen zurückblieb.
Listana kämpfte noch immer mehr gegen die Bestie, als dass sie sie ritt, und keiner von beiden schien dem Aufgeben nahe. Der Drache schien noch immer unzähmbar, egal, wie lange und schnell Listana mit ihm flog. Zwar trieb sie die Drachen, die sie entdeckte, in die Hände Shinns und seiner Helfer, doch einmal griff sie den Feuerdrachen, den sie verfolgten, und zerriss ihn in der Luft. Blut spritzte wie Regen auf die Jäger nieder. Doch es schien ein einzelner Vorfall zu bleiben, bis sie auf einen Kaiserdrachen niederstieß und ihn mit voller Wucht aus der Luft zu Boden riss. Der Kampf zwischen den Drachen klang, als würden zwei gigantische, dämonische Katzen einander zerreißen wollen, ein Knurren, Brüllen und Heulen hallte über die Ebenen und sang mit dem Wind in Tiborazos Ohren. Trotz der noch immer geschlossenen Kiefer behielt die Bestie die Oberhand, während Listana auf ihrem Rücken mit dem Speer nach dem Kaiserdrachen stach. Schließlich starb der Drache, die Kehle von den Klauen der Bestie aufgeschlitzt wie Papier. Sie nahmen von ihm, was sie brauchten, etwas Fleisch, häuteten ihn und rissen die Hörner aus dem Schädel, dann ritten sie weiter. Shinn beäugte die Bestie mit stets wachsender Missbilligung, während Listana durch ihre Erschöpfung immer reizbarer wurde. Beinahe jeden Abend stritt sie sich mit ihren Begleitern über nichtige Kleinigkeiten, während Shinn sie immer und immer wieder zur Vernunft brachte.
„Morgen erreichen wir Port Ibes", sagte der Drachenjäger zu niemand bestimmten, nachdem Listanas schneidende Worte verklangen. Er klang müde und resigniert. „Wenn Yadjib deinen Fang nicht anerkennt, dann lege ich die ganze Festung in Schutt und Asche. Ich habe genug von diesem elenden Biest."
Listana schwieg, sie strahlte erschöpften Zorn aus, als hätte die Bestie ihr etwas von ihrem Hass abgegeben. Mürrisch zog sie die Ecken der Decke enger um sich, den Kopf auf die Unterarme ihrer Flügel gelegt. Das Feuer brannte langsam nieder, bis nur noch ein orangefarbener Schein über ihnen lag und scharfe Schatten auf Federn und Schnäbel warf. Odenser versorgte den leicht fiebernden Ramire, der bereits schlafend zwischen den Sätteln lag. Ghanteri schien ebenfalls zu schlafen, doch seine Ohren zuckten, wenn Shinn neben ihm raschelnd das Gewicht verlagerte.
Einer der Drachen stieß ein wimmerndes Jammern aus, das Tiborazo schaudern ließ. Whisper hat ähnlich geweint, als man ihr die Hände gerichtet hat. Wie es ihr wohl geht, in Naesat? Ich könnte mit meinem Geld einen der Drachen kaufen und zu ihr fliegen, dann wäre ich viel schneller bei ihr... Aber dieser Heiler in Naesat verlangt zu viel Gold, als dass ich etwas von meinem Lohn erübrigen kann, und ich kann mich selbst kaum versorgen. Ich werde wohl doch eher ein Pferd kaufen. Müde stocherte er mit einem Stock im Feuer, Funken stoben in den Nachthimmel und vermischten sich mit den Sternen.
Shinn rückte näher ans Feuer und streckte sich zwischen dem verschmierten Topf und einem Grasbüschel aus. Seine ruhigen Atemzüge verrieten, dass er eingeschlafen war, innerhalb weniger Sekunden.
Tiborazo blickte zu Ghanteri, der sich wieder aufgesetzt hatte und nun eisig seinen Blick erwiderte. „Leg dich schlafen, Rattenfänger", knurrte er.
Es war sinnlos, ihm zu widersprechen. Tiborazo bettete seinen Kopf auf den Sattel und breitete seine Flügel und die dünne Decke über sich. Das Heulen der Nachtschwärmer kümmerte ihn schon nicht mehr, ebenso wenig das Rumoren der Drachen, ihr leises Knurren und das Klirren der Ketten. Bleierne Müdigkeit breitete sich in seinen Gliedern aus, drückte ihn gegen die harte Erde, der leichte Wind ließ einzelne Strähnen seiner Mähne flattern und trieb das Flüstern des Grases zu ihm, das ihn Geheimnisse zu verraten schien. Dennoch fand der Schlaf ihn nicht. Der Gedanke an Whisper hielt ihn wach. Immer wieder wälzte er sich von einer Seite auf die andere, während das Grollen der Drachen zuzunehmen schien.
Er konnte kaum einschätzen, wie viel Zeit vergangen war, als Ghanteri ihn mit einem Zischen rief. „Rattenfänger. Hörst du das auch?", flüsterte er beinahe unhörbar, Widerwillen flackerte in seiner Stimme, als hasste er es, das Wort an ihn zu richten.
Angestrengt lauschte Tiborazo in die Dunkelheit. Raschelnde Gräser. Raunende Drachen. Klirrende Ketten. Doch keine Schwärmer. Ihr Jammern war verstummt. Und neben den Gräsern flüsterten nun auch Waffen und Worte in der Dunkelheit. Er nickte beinahe unmerklich und tastete nach dem Langschwert.
Ghanteri stieß Shinn an und gab ihm ein Zeichen. Der Drachenjäger griff ebenfalls nach seinen Waffen, ohne seine scheinbar schlafende Position zu verändern. Zu dritt starrten sie in die Dunkelheit. Die Drachen regten sich, die Bestie war ein riesiger, ruhender Schatten. Selbst von hier, mehrere Meter von ihr entfernt, konnte Tiborazo den Widerschein der Glut in seinen stumpf goldenen Augen sehen. Schier endlos lange Augenblicke schien sich nichts zu rühren.
Im gleichen Moment, in dem Tiborazo sich erhob, schoss ein Armbrustbolzen neben ihm in die Dunkelheit. Schwerter wurden mit scharfem Zischen gezogen, weitere Waffen klirrten. Jemand fauchte einen scharfen Befehl. Das plötzliche Knurren der Bestie legte sich wie ein drohendes Lied unter den jammernden Wind.
„Nebelspinnen", knurrte Ghanteri.
„Sie müssen uns seit mehreren Tagen verfolgen", zischte Shinn und stieß Listana in die Seite. „Wacht auf, wir werden angegriffen!"
Die Angreifer erhoben sich aus der Deckung des wogenden Grases wie auftauchende Seedrachen. Das weiße Netz der Nebelspinnen schimmerte auf ihren schweren Rüstungen.
Der erste Gryff schwang seinen Zweihänder mit beeindruckender Genauigkeit. Beinahe hätte er Tiborazo erwischt, doch der Sirea duckte sich unter seinem Schlag fort, und das Schwert pflügte den Sand auf. Hektisch riss er die Pistole aus dem Gürtel und schoss. Der Knall hallte wie das Brüllen des Schwarzen Jäger über die Ebenen, Blut spritzte aus der zerschlagenen Stirn des Angreifers, und er sackte in sich zusammen.
Hastig sah er sich um. Odenser schoss einen Pfeil nach dem anderen ab, wie ein Wachhund stand er vor dem zitternden Ramire, der seine Pike in den bebenden Händen hielt. Ghanteri peitschte beeindruckend schnell und präzise mit dem Schwert auf einen noch reichlich jung wirkenden Gryff ein, bis er ihm an der Halsberge vorbei mit einem einzigen Schnitt die Kehle durchtrennte. Listana hielt sich mit dem Speer drei Angreifer vom Leib, versenkte die Spitze im Leib des ersten und zielte auf den zweiten, doch die Spitze rutschte funkensprühend an seiner gepanzerten Seite ab. Der Gepanzerte stürzte sich auf sie, sie riss ihre Waffe hoch und rammte sie ihm in den Hals. Blut spuckend ging er zu Boden. Der Dritte erwischte sie am Arm, doch die Spitze seines Schwerts riss nur ihr Kettenhemd in Fetzen.
Shinn stand Strava gegenüber, der weiß gefiederten Anführerin der Nebelspinnen, die elegant ihren Zweihänder in den Händen wirbeln ließ. Ihre Schläge hätten selbst Ghanteri in Schwierigkeiten gebracht, Shinn parierte mühsam mit seiner Pike, während die weiße Gryff ihr Schwert so schnell bewegte, als wöge es nicht mehr als die Federn an ihren Flügeln. Eine zweite Nebelspinne trat hinzu und schlitzte Shinn mit einem einzigen Schlag den Rücken auf. Keuchend fiel er auf die Knie. Strava trat ihm in den Rücken, sodass er bäuchlings im Staub lag.
Erneut donnerte ein Schuss, und die zweite Nebelspinne ging zu Boden, der Brustpanzer durchschlagen von der Kugel der schweren Muskete, die Ramire abgefeuert hatte. Gerade, als er sich duckte, schlugen zwei Pfeile in seine Brust ein. Odenser schrie seinen Namen, sein eigener Pfeil flog wirkungslos in die Dunkelheit davon.
Tiborazo schlich auf den Ort zu, aus dessen Richtung die Pfeile gekommen waren. Der erste Mann riss überrascht die Augen auf, einen Augenblick zu lang. Tiborazo rammte ihm das Schwert in die Brust. Der zweite ließ seine Armbrust fallen und nutzte den Moment, in dem Tiborazo den anderen tötete, um ihm einen tiefen, schmerzhaften Schnitt am Bauch zuzufügen. Hätte ich kein Kettenhemd gehabt, müsste ich jetzt meine eigenen Eingeweide festhalten. Hastig ließ er den Knauf los, zog seinen eigenen Säbel und parierte den zweiten Schlag. Die Waffe schien geradezu bescheiden neben dem Langschwert, das der Drachenjäger schwang, und seine Angriffe prallten nutzlos an der Plattenrüstung ab. Der Schütze stellte sich als erstaunlich guter Kämpfer heraus. Ein Schlag mit der Breitseite des Schwerts ließ seinen gesamten Arm für einen Moment taub werden, der Säbel fiel klirrend zwischen die Grasbüschel. Hastig taumelte Tiborazo zurück und griff nach seinem Messer, während der Gryff das Schwert bereit hielt.
Plötzlich erstarrte der Mann, ein gefiederter Pfeilschaft ragte aus seinem Nacken. Er versuchte einen letzten fahrigen und doch kräftigen Schlag, doch Tiborazo packte seinen freien Arm, wirbelte ihn herum und rammte ihm das Messer in die Lücke der Panzerplatten zwischen Arm und Oberkörper.
Ein Brüllen, tief und knurrend, donnerte über die Ebenen, und er wandte sich um. Die Bestie hatte sich aufgebäumt, ihr rechter Flügel verdeckte den Sternenhimmel, während sie gegen die Fesseln ankämpfte. Zwei Nebelspinnen umklammerten ihre Zügel und schienen sie gleichermaßen im Zaum zu halten und davon führen zu wollen. Strava hielt ihr Schwert bereit, ihre weißen Federn schimmerten im Sternenlicht. Dünne Flammen stoben an den Drachenzähnen vorbei in die Nacht.
Sie wollen sie stehlen. Bei allen Göttern, sie wollen die Bestie für sich. Tiborazo klaubte seine Waffen aus dem Staub und rannte auf sie zu. Heftig schlug er die Nebelspinne, die ihm entgegen trat, mit dem Schwert zur Seite, und kam neben Shinn zum stehen.
„Alles in Ordnung, Flaig?", fragte er atemlos.
Shinn fluchte und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. Seine Hand fuhr über seinen Rücken. Wütend spuckte er aus, als er das Blut auf seinen Fingern sah. „Verfluchte Nebelspinnen. Strava muss uns seit mehreren Tagen folgen und jetzt, da wir einen Tag vor Port Ibes stehen, will sie uns die Früchte unserer Arbeit abnehmen. Wir wären nur ein paar Vögel, die die Bestie umgebracht hat."
Erneut erhob sich die Bestie auf die Hinterbeine, die Zügel auf der linken Seite rutschten aus der Hand der Nebelspinne, und die Bestie zerriss sie mit einem einzigen, kräftigen Krallenschlag. Wie eine Stoffpuppe wurde der Gryff fortgeschleudert und landete einige Schritte von Tiborazo und Shinn entfernt.
„Gehen wir", knurrte Shinn und winkte Tiborazo hinter sich her. „Wo ist Listana?", fragte er Ghanteri, der eine weitere Nebelspinne tötete und zu ihnen trat.
„Dort." Der Drachenjäger wies auf einen scheinbar winzigen, zerbrechlichen Schatten mit einem Speer in der Hand, der auf dem Rücken der Bestie saß.
„Wie, bei allen Höllen, ist sie dorthin gekommen?"
„Geflogen."
Shinn schluckte und packte seine Pike fester. „Dann retten wir sie. Und töten diesen verfluchten Drachen."
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