II. Zwei Aufträge
Alpha Centauri, Hauptstadt von Hiron, 450 nach der Eroberung
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Der Salon der Rhymers wirkte im warmen Licht der Mittagssonne ebenso prächtig wie im Kerzenschein. Die Glasscheiben der Vitrinen voller Flaschen und Karaffen reflektierten das gleißende Licht, das durch die hohen Fenster fiel und den Wein in den kristallenen Kelchen blutrot schimmern ließ.
Die feuchte Wärme Alpha Centauris schlich durch den Raum und ließ Solofar unter seiner gehärteten Lederrüstung schwitzen. Sein Umhang lag bereits über der Armlehne des schweren, mit Goldfaden bestickten Sessels, und er verfluchte die Tatsache, dass die Etikette es ihm verbot, seinen Harnisch abzulegen und nur im zugegebenermaßen entsetzlich aussehenden Hemd vor seine Protektoren zu treten. Mürrisch trank er einen Schluck Wein. Kaum kalt genug, um in dieser entsetzlichen Hitze irgendeine Kühlung zu verschaffen. „Was soll ich erledigen?"
John Rhymer wirkte gänzlich unbeeindruckt von der Hitze. Keine Schweißperle schimmerte auf seiner bleichen Haut, selbst wenn es unter seinem Gehrock entsetzlich warm sein musste. „Was wisst Ihr über die politische Lage von Subat?"
Solofar zuckte mit den Schultern. „Wenig. Es gibt kaum interne Spannungen, die der Rede wert wären. Der Steinerne Herzog regiert wohl mit der Härte, die den Drakoniern zugeschrieben wird, Stalfeyr bringt die nötige Intelligenz ins Triumvirat und der Großherzog kümmert sich nicht um Staatsgeschäfte."
John lächelte blass. „Es gibt in der Tat interne Spannungen, von einer solchen Stärke, dass sie das Land in einen Bürgerkrieg stürzen könnten. Einen Krieg, in der die Parteien kaum feststehen, bis auf die Tatsache, dass Stalfeyr mit aller Macht um sich schlagen wird."
„Was ist geschehen?"
„Ein Dieb stahl die Krone der Drachenkönige. Die Krone, die der letzte Stalfeyr-König noch auf seinem gehörnten Haupt trug, bevor das Triumvirat gegründet wurde. Sie mag nicht mehr auf Stalfeyrs Kopf sitzen, doch sie ist ein Symbol für ihn. Ein Symbol, dass der Ruhm des Hauses Stalfeyr und der der Feuerkönige sich bis in die heutige Zeit zieht." John warf einen Blick aus dem Fenster. Ein Pfau stolzierte mit affektierten Schritten über den perfekt gestutzten Rasen des Anwesens. „Und nun ist sie verschwunden, und Stalfeyr will sie zurück. Zusammen mit dem Kopf des Diebes."
„Nicht der des Auftraggebers?"
„Das ist der entscheidende Nachteil. Niemand weiß, wer der Auftraggeber ist."
Solofar blickte John prüfend an. „Auch nicht Euer Bruder?" Die Kälte in Johns Blick ließ ihn schaudern. Seit vier Jahren stehe ich in ihren Diensten, und ich kann immer noch verstehen, warum so viele die Rhymers, vor allem den Älteren, fürchten.
„Mein Bruder erlitt zuletzt einen Rückschlag. Mehr müsst Ihr nicht wissen, Master Darke", sagte John herablassend.
Wer auch immer versuchen will, Avory Rhymers Autorität zu missachten, dem mögen die Götter beistehen. „Natürlich. Wer ist dieser Dieb? Und wo ist er?"
„Die Diebin ist nun nahe der subatischen Grenze. Sie stahl die Krone, gab sich zu erkennen, und verschwand spurlos. Das ist ihre Spezialität. Sie nennt sich der Nebelschatten, eine Gryff mit dem Blut eines Nebelparders, mit nur einem Flügel und einst gebrochenen Händen. Ihr wahrer Name ist Whisper de Guille."
Solofar erwiderte seinen verächtlichen Blick. „Versteht mich nicht falsch, Mr Rhymer. Ich empfinde es als eine große Ehre, in Euren Diensten zu stehen, und auch, dass Ihr in diesem Fall an mich und meine wohl beachtlichen Fähigkeiten dachtet. Doch Ihr müsst wissen: eine gewöhnliche, nichtssagende Diebin ohne einen Tropfen adeliges Blut zu jagen, mag sie ein noch so wertvolles Artefakt gestohlen haben, ist weit unter meiner Würde. Ich bin kein Jäger. Ich töte, doch ich jage niemandem in einer schweißtreibenden Hatz nach. Verzeiht meine Offenheit." Er versuchte einen entschuldigenden Blick, und spürte, wie er scheiterte. „Habt Ihr Euch bereits an Master Barley gewandt? Er ist diesem Auftrag sicherlich nicht abgeneigt."
Johns Lächeln war das Bild des perfekten Händlers, berechnend und mit einem Funken des falschen Bedauerns darin. „Barley ist tot, Master Darke. Er glaubte, uns betrügen zu können und wollte seine Position verraten."
Welch angenehme Überraschung. Barley war ein entsetzlich unfreundlicher Mann. „Wer hat ihn umgebracht?"
„Master Crayne. Bevor Ihr fragt, ihn werden wir ebenfalls nicht schicken können, selbst, wenn er um Längen besser geeignet wäre als Ihr. Er folgt anderen Befehlen, bei denen nicht allzu viel auf dem Spiel steht." John trank einen Schluck und musterte den Ipotame in seinem Sessel. „Natürlich fragten wir auch den Besten seines Faches. Tiborazo Nastura." Seine grüne Augen blitzten aufmerksam.
Solofar ließ den Kelch, den er zum Mund führen wollte, wieder sinken. Der Rattenfänger. Was hat er mit den Rhymers zu tun? „Ich hoffe, das war ein schlechter Scherz. Ihr wolltet Abschaum wie Nastura in Eure Dienste stellen?", fragte er entgeistert.
„Er ist der beste Jäger der Welt. Er findet jeden Spion, selbst einen der unseren, und tötet zuverlässig. Zwar nicht präzise, er richtet meist eine Menge Chaos an, doch was er sucht, findet er auch. Selbstverständlich fragten wir ihn." Rhymer blickte ihn abschätzig an. „Es wäre dumm gewesen, es nicht zu tun, schließlich hat er eine gewisse Verbindung zu Whisper de Guille."
Es kratzte an Solofars Stolz, dass sie Nastura, den Mann, der ihm bereits Aufträge erschwert hatte und mehr als einmal dafür gesorgt hatte, dass er seinen Anschlag nicht mehr oder in größter Hast durchführen musste, zurate gezogen hatten. Nastura hat in ihren Diensten nichts zu suchen. Er ist Abschaum, noch schlimmer, als es Barley oder Crayne sind. Das Gold der Rhymers ist viel zu gut für jemanden wie ihn, mag er noch so erfolgreich in dem sein, was er tut. „Die da wäre?"
„Es heißt, dass er sie liebt, wohl ein sehr komplexes Verhältnis, in dem körperliche Begierde und die Liebe nicht immer im Einklang sind." Johns Stimme triefte vor Spott. „Deswegen lehnte er unser großzügiges Angebot ab. Deswegen, und wohl auch, weil er mich und meinen Bruder nicht sonderlich schätzt."
„Ich kann seinen Standpunkt kaum nachvollziehen", warf Solofar milde lakonisch ein.
John lächelte dünn und überging seine Worte. „Nun ist er auf dem Weg, um den Nebelschatten zu warnen, dass wir auf ihrer Spur sind. Man könnte behaupten, es ist nun eine Jagd nach Nastura, und ich meinte mich zu erinnern, dass Ihr einer solchen kaum abgeneigt sein würdet."
Nastura in seinem Tun aufzuhalten, und zugleich den Frieden in Subat wahren. Es gibt kaum einen besseren Auftrag. „Da liegt Ihr richtig", meinte er langsam. Welch eine Untertreibung. Beinahe spürte er bereits die unbestimmte Aufregung, die ihm vor einem jeden Auftrag ergriff. Ein Feldzug gegen Nastura. Wenn es an mir wäre, würde ich mich ohne weitere Zeitverschwendung auf den Weg machen. „Wo ist er nun?"
John wirkte ekelhaft selbstzufrieden. Er hat genau gewusst, dass ich seinen Vorschlag annehmen würde, noch bevor ich in seinen Salon getreten bin. „Bei De Guille. In der Nähe der subatischen Grenze, bei der Stadt Orenst. Dort werden sie wahrscheinlich den Auftraggeber des Nebelschattens treffen. Das ist meine Aufgabe an Euch." Er blickte Solofar fest an. „Findet diesen Mann, alles andere ist nebensächlich. Für die Rhymer Corporation ist es untragbar, etwas nicht zu wissen. Es grenzt an eine Katastrophe, den Namen des Fraglichen nicht an Stalfeyr weitergeben zu können. Wir haben ihn mit Ausreden abgespeist, und doch müssen wir liefern, was er verlangte. Die Krone, und den Verantwortlichen tot zu seinen Füßen. Oder lebendig, wir würden Stalfeyrs Henkern und Folterknechten wohl eine wahre Freude bereiten."
Wer auch immer den Nebelschatten geschickt hat, ich will nicht in seiner Haut stecken. Die Fähigkeiten der Drachen, Schmerzen zu bereiten, sind mehr als nur legendär, und Valur hat nicht umsonst seinen grauenhaften Ruf. Solofar nickte. „Ich werde den Auftrag zu Eurer Zufriedenheit erledigen."
John leerte seinen Kelch. „Das hoffe ich für Euch. Lasst Euch von Nastura nicht beirren. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass es daran scheitern kann."
Solofar folgte seinem Beispiel und stellte den Kelch auf einem Tisch ab. „Wäre das alles, Mr Rhymer?", fragte er, während er seine Hand bereits nach seinen Waffen ausstreckte.
„Nein."
Seine Hand zuckte zurück. „Nein?", hakte er überrascht nach und ließ sich wieder in den Sessel zurücksinken.
„Es gibt noch eine weitere Sache, die Ihr erledigen sollt." John wartete nicht auf eine Nachfrage. „Ich hörte, Ihr seid mit einem Mann namens Draith Lannigan bekannt."
„Es ist Jahre her, noch bevor ich in Eure Dienste trat. Ein Roter Hexenmeister, keiner der guten." Solofar blickte auf den Kelch und bereute, bereits ausgetrunken zu haben. „Wisst Ihr, es gibt Rote, die einen Berg bewegen können, die ganze Armeen in einem einzigen, trägen Fingerzeig mit ihren eigenen Schwertern töten, die Herzen mit ihren Gedanken zermalmen, und die aus dem, was ihre Umgebung hergibt, gigantische Ungeheuer erschaffen und mit ihrer Macht am Leben erhalten können, nur um sie auf ihre Feinde zu hetzen. Manche können in einem Wutanfall Städte auslöschen, andere können ganze Flotten von gewöhnlichen Schiffen zu Luftschiffen erheben. Es gibt einige von ihnen, die tausende von Meilen entfernt spüren, dass jemand eine Münze auf einen Tisch legt. Sie sind sich ihrer Umgebung bewusst und nutzen sie nach Belieben." Er lächelte verächtlich. „Und es gibt solche wie Draith Lannigan, deren Macht sich darauf beschränkt, ihr Glücksspiel zu manipulieren, dabei bisweilen erwischt zu werden und sich mit ihren Kräften gegen betrogene Schläger zu wehren, mit unterschiedlichem Erfolg."
John schenkte sich Wein nach, ohne Solofars leeren Kelch zu beachten. „Mag sein, dass er ein miserabler Magier ist, doch seine Macht ist nicht so begrenzt, wie Ihr behauptet."
„Nun, ich muss ihm lassen, dass er seine wenigen Kräfte zu seinem größten Vorteil nutzt. Mit seinen Begabungen ist er im Westen beinahe einzigartig, doch er kann sie kaum ausleben. Der Orden der Roten verfolgt ihn, zwar halbherzig, da sie keinen Grund haben, ihn zu töten, doch sie warten nur darauf, dass er einen entscheidenden Fehler macht. Was ist mit ihm?", wollte Solofar wissen.
„Er hat einen entscheidenden Fehler gemacht", sagte John trocken. „Er begann einen Streit in Eckoyr, mit einigen wohl reichlich starken Spielern, die Lage eskalierte, und als letzten Ausweg riss er mit seiner Macht die ganze Taverne in Stücke. Einige Tote, viele Verletzte, und Lannigan floh nach Trece an der Grenze zwischen Nyradon, Meracon und Hiron. Der Orden erfuhr von seiner Tat und will ihn nun tot sehen."
„Er sprengte eine ganze Taverne?" Solofar blickte ihn ungläubig an. „Das beweist, welche Kräfte ein Mann in Todesangst entfesseln kann. Warum tötet der Orden ihn nicht selbst?"
„Die Hexenmeister wollen sich nicht in die Geschicke des Westens einmischen. Es erregt zu viel Aufsehen, und würde zu viele Augen in den Osten wenden. Die Nemesis hat es ihnen verboten. Sie gaben stattdessen uns die Aufgabe, Lannigan zu töten, und das werdet Ihr tun."
„Ihr ehrt mich mit diesem so freundlich dargebotenen Befehl, doch erneut muss ich Euch darauf hinweisen, dass ich kein Jäger bin." Solofar lächelte falsch.
John hob eine Augenbraue. „Wollt Ihr damit andeuten, dass Lannigan Euer Können übersteigt? Schließlich ist er ein Hexenmeister."
„Mr Rhymer, ich bitte Euch." Das grenzt an eine Beleidigung. „Lannigan ist ein Mensch wie jeder andere. Natürlich kann ich ihn töten. Es benötigt nur eine gewisse Vorbereitung und das Abwarten des passenden Moments, sodass er meine Klinge nicht in mein eigenes Herz stoßen kann." Wenigstens ist er kein Weißer Hexenmeister und sieht meine Absichten in meinem Kopf, bevor er mich sehen kann.
John blickte ihn regungslos an. „Das ist der Grund, warum er Euch bei der Jagd nach Whisper de Guille und Tiborazo Nastura unterstützen soll. Gemeinsam werdet Ihr sie fassen, den Namen des Auftraggebers herausfinden und ihn töten oder derart festhalten, dass er von den Dracones in Gewahrsam genommen werden kann. Ihr werdet sein Vertrauen gewinnen, und wenn es einen passenden Moment gibt, werdet Ihr ihn töten."
Es wird schwer. Rote Hexenmeister sind sich ihrer Umgebung immer bewusst, und selbst jemand, der so beklagenswert schlecht ist wie Lannigan, wird spüren, wenn ich ein Schwert ziehe und es in seinen Rücken rammen will. Er kann ein ganzes Haus gegen mich wenden, so, wie er es mit der Taverne in Eckoyr getan hat. Doch es ist mein Auftrag, und ich werde mich ihm kaum entziehen können. Davon einmal abgesehen werde ich ihn annehmen, wie schwer es auch klingt. Eine Herausforderung wie diese ist ein geradezu erfrischendes Zwischenspiel nach all den eintönigen toten Adligen in ihren nichtssagenden Burgen. Solofar nickte knapp. „Betrachtet die Aufträge als erledigt. Lannigan finde ich in Trece?"
„In der Tat. Viel Glück, Master Darke." Johns Lächeln schien beinahe aufrichtig.
Solofar erhob sich, ergriff seine Waffen und legte sich den Umhang über den Arm. „Vielen Dank, Master Rhymer, doch Glück werde ich kaum brauchen. Einen guten Tag."
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