II. Raventower

Die Hufe der Pferde und die Krallen des Drachen knirschten auf dem unebenen, feuchten Erdboden, durchsetzt mit Pferdemist und kleinen Steinen, als sie den Weiler hinter sich ließen und an zaghaft sprießenden Feldern vorbei hinein in den Wald ritten. Die Morgensonne warf goldene Strahlen durch die Äste und Blätter und malte ein flackerndes Bild aus Licht und Schatten auf den schmalen Weg. Zwei Männer mit einem schwer bepackten Esel kamen an ihnen vorbei, und Radcliffe grüßte sie einsilbig. Eingeschüchtert nickten sie ihm zu. Der ältere Laveau rief ihnen einen fröhlichen Gruß nach.

Solofar schloss zu Radcliffe auf, sein Pferd scheute vor seinem Drachen, doch der Graue Mann hielt die Stute zurück, ihr Atem ging schnell und heftig. „Master Radcliffe, wer sind diese Raventowers? Eine der Banden des Waldes?"

Er stieß ein Geräusch aus, das wohl ein trockenes Lachen darstellen sollte. „Wohl eher die schlimmste der Banden. Haben keinen Respekt, vor niemandem, auch nicht vor uns. Alle paar Tage bricht ein Trupp Grauer in den Wald auf, töten ein paar von ihnen, und es ist für eine Woche Ruhe. Danach morden und plündern sie wieder, und das Spiel geht von vorn los." Er spuckte über den Hals seines Pferdes, löste den Weinschlauch vom Sattel und trank einen Schluck. „Ihr auch?"

Solofar schüttelte den Kopf.

„Ihr trinkt wohl gar nichts, was? Ist wohl besser so, kostet zu vielen guten Männern das Leben." Er trank erneut und hängte den Schlauch zurück an die Öse. „Ich muss sagen, ich bin froh, dass ich Euch dabei habe. Wenn ich keinen zweiten guten Kämpfer in der Gruppe hätte, hätte ich um Unterstützung gebeten." Verächtlich, doch ehrlich besorgt blickte er über die Schulter. „Ich kann es nicht gebrauchen, dass mir meine Schutzbefohlenen abhanden kommen, Raventower hin oder her."

„Den jungen Sir Isak schätzt Ihr nicht als gut genug ein?", fragte Solofar prüfend.

„Ha!" Radcliffe spuckte aus. „Levitas ist nicht die Rüstung wert, die er trägt. Ich kann froh sein, wenn er nicht sofort abhaut, wenn die Raventowers aufkreuzen. Falls sie aufkreuzen. Wollen wir die Höllen nicht heraufbeschwören."

Ich hoffe es doch. Sie mögen einen erfrischenden Zwischenfall darstellen, doch ich habe schon genug Aufmerksamkeit auf mich gezogen, als dass ein paar Gesetzlose in den Wäldern sich an mich erinnern. Selbst wenn es eine angenehme Vorstellung wäre, als die Geißel des Bösen bekannt zu sein. Er spürte, wie ein amüsiertes Lächeln in ihm aufstieg, und erstickte es im Keim. „Denkt Ihr denn, dass wir ihnen begegnen werden?"

Radcliffe blickte nach vorn, auf den verschlungenen, leicht ansteigenden Waldweg, gesäumt von verdrehten Bäumen und dichtem Unterholz. „Ich habe ein miserables Gefühl. Bei den Vier, ich habe immer ein miserables Gefühl, weil man diesem verfluchten Wald einfach nicht trauen kann. Verdammt, die Raventowers könnten direkt hinter diesem Busch", er wies nachlässig auf das Gewächs, „stecken, und wir würden sie nicht sehen. Ich bete zu allen Göttern, zu den Vier, den Höllen und meinetwegen auch der Grausamen Mistress und dem verdammten Geist der Jagd, dass sie uns nicht begegnen werden, aber garantieren kann ich es nicht." Er blickte Solofar offen an, die Augen gerötet, violette Ringe darunter. „Ich hoffe, ich kann auf euch zählen, Master Darke, sollten sie uns tatsächlich erwischen."

Solofar nickte knapp. „Das könnt Ihr."

Radcliffe lächelte dünn, doch ehrlich erleichtert. „Ich danke Euch." Erneut blickte er nach hinten. „Immerhin einer, der halbwegs so aussieht, als wüsste er, an welchem Ende er ein Schwert anfasst. Der Vater scheint zwar wild entschlossen, seine Familie bis aufs Blut zu verteidigen, aber ob diese lächerliche, rostige Klinge, die er sein Eigen nennt, etwas gegen die Räuber ausrichten kann, ist fraglich. Levitas ist auf den Turnierplatz ein Blickfang, aber im Wald ist Ehre nicht zu gebrauchen. Und die Spielleute?" Er schnaubte. „Ich hoffe, dass sie schlecht genug singen, um die Raventowers zu vertreiben. Aber leider, oder glücklicherweise, sind sie recht gut."

Solofar blickte hinter sich. Hathaway hatte seine Zügel losgelassen, sein Pferd streckte sich und schüttelte sich mit schlackernden Ohren und fliegender Mähne. Sein Reiter hielt eine Laute in den Händen und klimperte ein fröhliches Lied, das Solofar bereits in Burall gehört hatte, immer wieder unterbrochen durch einen Griff in die Zügel, um sein Pferd davon abzuhalten, zu weit von den anderen fortzulaufen. Der jüngere Laveau lachte ausgelassen, der ältere grub in seinen Satteltaschen. Sir Isak am Schluss blickte ihnen missmutig nach, während die Kinder neugierig aus den Decken lugten. Selbst Alfonse brachte ein müdes Lächeln zustande, seine Frau hielt die Hände eines ihrer Kinder und klatschte im Takt zu Hathaways Lied. Wenn wir angegriffen werden, werden wohl ich und Radcliffe allein gegen all unsere Gegner stehen.

„Was sucht Ihr in Dalcaster, wenn ich fragen darf?", riss Radcliffe ihn aus seinen Gedanken.

Anscheinend hat er mich als denjenigen in dieser Gruppe auserkoren, den er leiden kann, stellte Solofar belustigt fest. „Ich will zurück in die Kriegerstaaten. Ein Schiff nach Nyradon oder Ilron finden."

Radcliffe lächelte halb. „Nach Hause zurück?"

Solofar nickte. Oder den nächsten Auftrag annehmen. Was auch immer die Herren Rhymer für mich planen.

„Aye, wenn wir in Dalcaster sind, werde ich auch erst einmal nach Hause gehen. Ein paar Tage bei Frau und Söhnen. Und danach wieder unbedarfte Spielmänner, Ritter und Familien durch die Wälder führen", seufzte Radcliffe mürrisch. „Was habt Ihr in Burall getan, so weit weg von Ilron? Ist selten, dass man einen wie Euch hier trifft. Noch dazu einen Edelmann." Milde beeindruckt musterte er Solofars teure Rüstung, die silbernen Beschläge am Sattel des Drachen und die Maske.

Oh, ich schlich mich am Hofe von Clavys ein und tötete den ältesten Sohn und Erben. Nichts, was Euch beunruhigen müsste. „Es gab ein Fechtturnier, am Westufer des Sees. Ich nahm dort teil, als Abschluss einer längeren Reise durch die Königreiche, und mache mich nun auf den Weg zurück in die Kriegerstaaten." Es ist nicht einmal alles gelogen.

„Aye, das Turnier von Clavys. Einige meiner jüngeren Kameraden wollten ebenfalls dorthin, die sehe ich erst in ein paar Wochen wieder. Zu viele hübsche Mädchen dort, um nur für das Turnier zu bleiben. Sie bekommen sogar vom Lord Kommandanten ihre Erlaubnis, weil sie die Grauen Männer repräsentieren sollen." Er schnaubte.

„Habt Ihr einst dort teilgenommen?"

„Einmal. Es war nichts besonderes. Das Turnier in Hallowsdale ist besser. Die Mädchen von Burall sind allerdings hübscher, das muss man ihnen lassen."

Solofar verzog milde amüsiert das Gesicht. Männer und Weiber. Ich werde nie verstehen, warum sie zusammen für so viel Aufregung sorgen. „Wo werden wir heute rasten?"

„Mittags nur kurz, ich will heute noch Hamley erreichen. Dort werden wir schlafen. Übermorgen sollten wir Dalcaster erreichen, und unsere Wege trennen sich."

Erneut wich der Wald einer Lichtung, und Radcliffe nahm die Zügel kürzer, sein Pferd drehte aufmerksam die Ohren zu ihm. Der Weg war lang und gerade, mit tiefen Furchen, die unzählige Wagenräder in den weichen Boden gegraben hatten. Der Graue Mann warf einen kurzen Blick hinter sich. „Hathaway, Ihr könnt später weiter singen. Oder Ihr bleibt hinter mir zurück, und könnt sehen, was die Raventowers mit Spielleuten anstellen!", rief er schroff.

Hathaway brach sein Spiel mit einem Misston ab, schob sich die Laute auf den Rücken und nahm die Zügel wieder auf. Sein Pferd begann zu tänzeln, und er hielt es mühsam im Schritt.

Solofar ließ zu, dass Radcliffe voran ritt, und der Graue trieb seine Stute zu einem zügigen Galopp an. Das Geschirr der Zugpferde klirrte hell, Reifen knirschten und die Peitsche knallte laut durch die sich bereits aufheizende Luft, hinter dem Wagen lachte einer der Laveaus laut auf. Hufe und Krallen donnerten über Dreck und Gestein und wirbelten Matschbrocken auf, das Schnauben der Tiere klang ebenso laut wie ihre Schritte.

Die Sonne stieg höher und höher, feuchtes Fell trocknete, Mäntel wurden abgelegt und an den Sätteln festgebunden. Radcliffe trieb die Gruppe zu einem hohen Tempo an, und bald erfüllte der schneidende Gestank von Pferdeschweiß die Luft, wo auch immer sie gingen. Selbst der leichte Wind konnte nichts dagegen ausrichten.

Schließlich parierte Radcliffe seine Stute durch. „Dort ist eine Furt. Wir lassen die Pferde trinken und reiten weiter", beschloss er und wies auf den Bach, der vor ihnen durch das Unterholz floss.

Hathaway gab ein lautes, empörtes Geräusch von sich. „Aber unsere Rast! Wir müssen uns ausruhen!", rief er.

Radcliffes Stute trat in den Fluss hinein, und er überließ ihr die Zügel. Klatschend spritzte das Wasser um ihre Beine, und sie trank gierig. „Die einzigen, die sich eine Rast verdient haben, sind die Gäule, Master Hathaway. Und wenn Euer unbedingter Wunsch nach einer Pause dazu führt, dass wir nicht bis zum Sonnenuntergang in Hamley sind, werdet Ihr sehen, wie gut Euch eine tatsächliche Begegnung mit den Raventowers gefallen wird."

Hathaway setzte zu einer Erwiderung an, doch der jüngere Laveau unterbrach ihn. „In Hamley gibt es sicher ein Gasthaus. Je schneller wir reiten, desto eher sind wir dort", erinnerte er ihn.

Der Spielmann seufzte schicksalsergeben und schlug den Kragen seines Hemdes hoch. Seine Arme zwischen Handschuhen und Hemdsärmeln schimmerten bereits rot, sein Gesicht lag im Schatten eines breitkrempigen Hutes mit einer langen Feder. Fluchend nahm er ihn ab und kratzte sich die kurzen, rotblonden Haare. „Du hast recht", murmelte er. „Bei den Göttern, wir haben noch nicht einmal Sommer, und es ist so heiß, dass ich schier zerlaufe."

Erst ist es ihnen zu kalt, dann ist es ihnen zu warm. Niemals zufrieden, bis sie Wein und Weib bei sich haben. Solofar lockerte den Griff um die Zügel, und sein Drache streckte den Kopf so weit, wie es die Ketten an seinem Geschirr erlaubten. Sein Reiter trieb ihn in den Bach, und er schloss sich der grauen Stute an.

Nacheinander watete ein Pferd nach dem anderen in den kleinen Wasserlauf. Hathaway stieg dennoch ab, nachdem er durch den Bach geritten war, und füllte seinen Wasserschlauch auf. Die Laveaus warfen ihm ihre Gefäße ebenfalls zu, Solofar, Radcliffe und Alfonse taten es ihnen nach, und auch der schweigsame Sir Isak, der in seinem Kettenhemd vor Hitze zu vergehen schien, schloss sich ihnen an.

Steifbeinig schwang der Spielmann sich wieder auf sein Pferd und verzog das Gesicht. „Ich freue mich jetzt schon auf dieses Gasthaus. Wann sind wir dort?"

„Kurz vor Sonnenuntergang,", knurrte Radcliffe und trieb sein Pferd in einen schnellen Schritt. „Und Gnade den Göttern, wenn uns bis dorthin nichts mehr passiert."


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Wie üblich, das gute alte Spiel des Kopierens aus Word Dokumenten in Wattpad: Leerzeichen verschwinden. Nicht meine Schuld.

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